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„Gut gemacht, umfangreich, mehr als erwartet“ – solche Formulierungen lesen sich gut in Rezensionen von Rollenspielbüchern. Was ist aber mit „unterhaltsam, kauzig, verrückt, genial, charmant, geistreich?“ All dies würde man eher bei einer Buchbesprechung erwarten, aber ich kann mir nicht helfen: Es trifft auf Finsterland: Compendium der Kuriositäten zu. Dabei ist es „doch bloß“ eine leicht erweiterte Zusammenstellung von Artikeln des offiziellen Blogs. Warum sollte man dafür trotzdem Geld ausgeben? Weil der Inhalt eine Zierde für jedes Rollenspielregal ist, darum!

Inhalt

Finsterland ist eines jener Rollenspiele, die sich selbst nicht bitterernst nehmen. Was die Autoren aber ernst genommen haben, ist die Aufgabe, das Compendium der Kuriositäten zu einem hervorragenden (und dem wahrscheinlich umfangreichsten) Erweiterungsband des Rollenspiels zu machen. In fünf Kapiteln wird vor allem Spielleitern einiges geboten:

Willkommen in Alexanderstadt

Die Hauptstadt des Kaiserreiches ist für viele Spielrunden von Finsterland Anlaufpunkt Nummer eins. Endlich erhält diese zentrale Stadt also eine eigene Beschreibung – und was für eine. Andere Rollenspielverlage hätten das fraglos herausgelöst und in mehreren Bänden verkauft. Alle 19 Bezirke werden auf insgesamt 77 Seiten ausführlich behandelt. Jeder davon hat eigene besondere Orte, Abenteueraufhänger und interessante Hintergrundinformationen, so dass vor dem Auge des Lesers tatsächlich eine lebendige Stadt entsteht, die man nur zu gerne erkunden würde.

Da wären neben diversen Behörden und Palästen zum Beispiel das „Café Meilberger“, ein intellektueller Künstlertreff mit tarasischer Besitzerin und seltsamen Sitten, das „Haus der dreizehn Teufel“, die schlimmste Kaschemme des ganzen Finsterlandes und das „Museum für magische Sicherheit“, ein Gruselkabinett mit echten magischen Gegenständen zur Abschreckung der Bürger vor magischen Gefahren. Jede konkrete Örtlichkeit ist in wenigen Sätzen beschrieben und regt die Fantasie des Lesenden an, sie als Schauplatz einzusetzen. Besonders unterhaltsam sind die eingestreuten Auszüge des fiktiven „Reiseberichts für junge Damen“ von Philomena Nebelberger als schrullige Meinungsbilder.

Alexanderstadt oder Wien? In der Hauptstadt des Finsterlandes dürften Österreicher einiges wiedererkennen
Alexanderstadt oder Wien? In der Hauptstadt des Finsterlandes dürften Österreicher einiges wiedererkennen

Neues Spielzeug für Spieler

Auf 33 Seiten erhalten Spieler neue Optionen für den Charakterbau. Die neuen Spezialmanöver reichen von Grabräuberei über Messerstechen bis zu Haushaltskunde. Die neuen Hintergründe gehen in eine ähnliche Richtung und begünstigen Künstler, Informanten, Schurken und Logisten als Charaktere. Neue Organisationen und Archetypen sind:

  • Barbarenhorde: Diese Einwanderer können in der Wildnis gut überleben und erweisen sich als starke Kämpfer, erhalten aber Nachteile in der Zivilisation.
  • Priesterorden: Mitglieder der offiziellen Religion des Finsterlandes können Autorität einfordern und besitzen einen starken Willen, sind aber eng an ihre Glaubensgrundsätze und Aufgaben gebunden.
  • Sonderkommission: Im Kampf gegen Korruption und außergewöhnliche Bedrohungen können diese Spezialagenten Mitarbeiter requirieren und besondere Informationen erhalten, sind aber in den Behördenapparat des Landes verstrickt (auch geistig).
  • Späherbande: Diese Einzelgänger und Naturburschen kommen in der Wildnis gut zurecht, haben aber Nachteile bei sozialer Interaktion.

 

Richtig gut sind die darauf folgenden Regeln zum Erstellen einer eigenen Organisation als Baukasten. Hier erweist sich Finsterland wieder als offen für eigene Interpretationen. Dass die Autoren einige der Spieler-Ideen sogar in den Kanon der Welt übernehmen, macht das Basteln umso aufregender.

Etwas kauzig wirkt das Ende des Kapitels über „Katzen im Finsterland“, in dem tatsächlich Katzen spielbar gemacht werden. The Secrets of Cats lässt grüßen. In Kürze erhalten die sogar eigene Archetypen und Kampfregeln.

Neue Werkzeuge für Spielleiter

Auf kurzen 15 Seiten werden dem Spielleiter verschiedene Spielertypen präsentiert und Tipps zum Zusammenspiel gegeben – das ist gut gemeint, aber in fast jedem Rollenspielbuch mittlerweile vorhanden. Regeln für Wahnsinn, Krankheiten und alternative Regeln zur Charaktererstellung sind nette Beigaben. Die besonderen Ereignisse hätten gute Abenteuer (Kapitel 5) abgegeben, modifizieren aber die ganze Welt. So entscheidet sich der Kaiser durch Heirat etwa für eine bestimmte Fraktion oder die Außerirdischen Athanataner überfallen das Land. Die Finsterland-Autoren nehmen hier mit Augenzwinkern H.G. Wells Krieg der Welten auf die Schippe. Das ist zwar kreativ, aber auch gleichzeitig etwas arg … verrückt. Da das aber kein kanonischer Metaplot, sondern nur eine Idee ist, muss sich auch niemand daran stoßen.

Skurrile Faxen oder geniale Idee? Finsterland wird möglicherweise von Aliens überfallen
Skurrile Faxen oder geniale Idee? Finsterland wird möglicherweise von Aliens überfallen.

Mehr Gegner braucht das Finsterland

Apropos kreativ und verrückt: Im vierten Kapitel werden auf 14 Seiten neben einigen Regelvarianten (Bonusschaden, Mehrstufige Gegner) auch neue Gegnertypen vorgestellt. Diese reichen von Totmachern (Pseudo-Ogern) und Nekromanten über besagte außerirdische Athanataner (die in einer Art insektoidem Kastenwesen organisiert sind und eigene Magie besitzen) bis zu Bahöstren. Letztere sind „Quasidämonen“ in Form beseelter Musikinstrumente, die sich von Schallwellen ernähren. Ob das genial ist und an Modronen aus dem PlanescapeUniversum erinnert, oder ob es überflüssige Schlenker eines schrulligen Autorenteams sind, muss wohl jeder selbst entscheiden. Faszinierend zu lesen sind die Seiten allemal.

Abenteuer gefällig, werter Herr?

Zum Abschluss des eh schon prall gefüllten Buches finden Spielleiter im letzten Kapitel 32 einzelne Abenteuer und drei waschechte Kampagnen. Diese sind allerdings nicht ausgestaltet, sondern in Kurzform wiedergegeben. Dadurch kann der Spielleiter sie besser in bestehende Kampagnen einbauen, muss aber noch zusätzlich Arbeit investieren, um loszuspielen. Ein Grundaufbau für eine Szenenabfolge und Charaktere mit Kurzbeschreibungen sind aber vorhanden. Einige der Abenteuer sind klassische Finsterland-Kost, etwa „Der Kurierflug“, in dem die Charaktere den Auftrag eines notgelandeten Spions fortsetzen und ein Geheimdokument überbringen sollen. Manche sind eher heiter und charmant, wie „Salamander im Nebel“, in dem ein Bankett in gesitteter Gesellschaft zu einem Tollhaus wird. Andere könnten auch aus dem Cthulhu-Mythos stammen, etwa „Die Rückkehr der Alten Götter“. Insgesamt zeigen sie deutlich, was man alles in Finsterland spielen kann und sind alle gut gelungen.

Preis-/Leistungsverhältnis

201 Seiten für einen prallgefüllten Erweiterungsband mit zahllosen nützlichen Zusatzregeln, Optionen und Beschreibungen rechtfertigen den etwas höheren Preis. Außerdem ist Finsterland schließlich kein Verlagsprodukt, sondern Selfmade-Herzblut im Eigenverlag.

Erscheinungsbild

Finsterland Compendium der Kuriositäten CoverWie bereits die anderen Bände von Finsterland, so ist auch das Compendium der Curiositäten nicht prächtig, aber aufgeräumt. Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Eleonore Eder sind alle stilvoll und lockern neben geistreichen Zwischenüberschriften den Text auf. Auch das Lektorat hat saubere Arbeit geleistet. Dass dieses Finsterland-Buch als Softcover erschienen ist, und nicht im Hardcover wie der Rest, ist schade, aber zu verschmerzen.

  • Verlag: Eigenverlag
  • Autor(en): Georg Hugo Donatus Pils, Gregor Eisenwort, Anette Meister, Michael Prammer
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Print (Softcover)
  • Seitenanzahl: 208
  • ISBN: 9783950327076
  • Preis: 29,90 EUR (Print), 16,20 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Amazon (Druck), DriveThruRPG.com (PDF)

 

Fazit

Was die Autoren um Georg Hugo Donatus Pils hier abliefern, geht weit über nur ein Kompendium zu Finsterland hinaus. Besonders lesenswert für alle Finsterland-Spielrunden ist die Stadtbeschreibung von Alexanderstadt, die das Zentrum der Spielwelt zum Leben erweckt. Dazu ist dieses Erweiterungsregelwerk geistreich geschrieben und enthält charmante, schrullige Formulierungen und Österreicheleien. Mein persönliches Texthighlight: „Marbuchs meuchelnder Mob“ als Name für eine Barbarenhorde.

Natürlich könnte man das alles online nachlesen, da das Compendium der Curiositäten ein Sammelband von bereits erschienenen Artikeln auf der Finsterland-Homepage ist. Doch es sind eben auch nicht dieselben Texte. Das Kompendium erweitert den Inhalt um mehr Text (allein Alexanderstadt hat doppelt so viele Viertel), Karten, Artwork und Errata. So ein Fanservice, noch dazu so geistreich geschrieben, gehört belohnt, bezahlt und ins heimische Bücherregal gestellt. Vom Compendium der Curiositäten können sich andere Rollenspiele jedenfalls ruhig eine Scheibe abschneiden.

Daumen5maennlichArtikelbilder: Georg Pils

 

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