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Das Geschehen der großen Kampagnen spielte sich in den letzten Jahren – vor allem inhaltlich – zu großen Teilen im Mittelreich ab. Fast jede Region war dabei zwar auch ein paar Mal Handlungsschauplatz, Thorwal ging in dieser Sache aber fast gänzlich leer aus.

Umso mehr freue ich mich nun an der Rezension zu Friedlos zu sitzen, wobei ich eines gleich vorwegnehmen möchte: Das Warten hat sich voll und ganz gelohnt!

Für die unter euch, die sich in Aventurien weniger gut auskennen: Die Thorwaler sind ein Seefahrervolk, bekannt für ihre schnellen und wendigen Schiffe, die sogenannten Ottas, die sich – sehr zum Leidwesen von Küstenbewohnern und Händlern – auch hervorragend für Kaperfahrten und Raubzüge eignen. Der durchschnittliche Thorwaler ist groß, kräftig, mutig, stark behaart, trinkfest und eigentlich immer bewaffnet, am liebsten mit einer Axt …die Parallelen zu den irdischen Wikingern dürften eigentlich jedem auffallen. Allerdings ist das aventurische Pendant weniger blutrünstig und dem Sklavenhandel feindlich gegenüber eingestellt, denn der verträgt sich nur schwierig mit der Mentalität dieses Volkes, für das die Freiheit an erster Stelle steht.

Inhalt

Bevor wir zur Handlung kommen, möchte ich noch ein paar Worte zu den Helden verlieren. Einschränkungen gibt es für diese wenig, sodass auch der ein oder andere Exot gespielt werden kann, nur von sehr patriotischen Horasiern oder Al‘ Anfanern sollte man Abstand nehmen – diese werden nämlich nicht lange unter den Piraten überleben, ist die Beziehung Thorwals zu diesen Ländern doch mehr als angespannt. Als Erfahrungsgrad sind ungefähr 5.000 Abenteuerpunkte vorgeschlagen, was ich für eine gute Einschätzung halte. Als Aufhänger für das Abenteuer eignen sich eigentlich alle Häfen Aventuriens, denn die Tatsache, dass sich eine große Flotte sammelt, spricht sich unter Seeleuten relativ schnell herum.

Auf in den Norden

Womit wir schon am Beginn der Handlung angelangt wären. Marada „Die Wölfin“ Gerasdottir stellt nämlich eine Flotte zusammen. Die Hinführung der Helden an das Abenteuer kann auf zwei Arten erfolgen. Die erste Möglichkeit wäre, beispielsweise in einer Hafenkneipe von einem bierseeligen Matrosen darauf angesprochen zu werden. Also nach dem Motto: „Haste schon gehört, die eine da aus Thorwal, Marada heißt die glaub ich, die stellt ne Flotte zusammen …“. Die andere Möglichkeit wäre die Anwerbung der Helden durch jemanden, der wissen will was Marada mit ihrer Flotte vor hat. Hierfür bieten sich zum Beispiel die Regierungen von Ländern in der Näher Thorwals oder Handelsgesellschaften an. Sollte sich die Gruppe dabei auf der Westseite des Kontinents befinden, kann sie auch direkt auf die Paradiesvogel stoßen, die sich auf die Fahrt vorbereitet und noch auf der Suche nach geeigneten Mitstreitern ist. Die bornische Kogge unter der Leitung einer Avesgeweihten sammelt in jedem Hafen Flüchtlinge und Glücksritter auf, um sich dann Maradas Flotte anzuschließen und somit einen Neuanfang zu wagen – was immer er auch bringen mag. Dieses Schiff wird den Helden aber auch von jedem Auftraggeber empfohlen. Prinzipiell ist die Reise auch mit einem anderen, oder sogar dem eigenen Schiff, möglich, jedoch sind viele der „Nebenmissionen“ auf dem Schiff angesetzt, sodass der Spielleiter hier einiges an Eigenleistung erbringen müsste.

Weiter geht es dann in Richtung Narken, einer Insel in den nördlichen Olportsteinen vor der Küste Thorwals, wo sich schon der Großteil der Expeditionsteilnehmer versammelt hat.

Unter Friedlosen

Hier kommen die Helden dann auch das erste Mal mit der namensgebenden Gruppe, den Friedlosen in Kontakt. Diese setzen sich aus Verbrechern zusammen, die für besonders schwere Straftaten aus Thorwal verbannt wurden und meist als Piraten ihr Auskommen finden. Im Laufe der Generationen haben sich aber auch wieder relativ normale Gesellschaftsformen herausgebildet, sodass man nicht sagen kann, dass tatsächlich jeder Friedlose auch ein Verbrecher ist.

Nach einem Gespräch mit Marada erfahren die Helden auch endlich den Grund der bevorstehenden Reise: Sie plant eine Expedition um Swafnirland zu finden, welches das „Gelobte Land“ der thorwalschen Mythologie darstellt. Der Legende nach soll hier Swafnirdie Hauptgottheit der Thorwaler – den Hjaldingern, also den Urahnen der Nordleute, erschienen sein, um sie nach Aventurien zu führen.

Die weitere Handlung – die einige sehr schöne Überraschungen bietet – packe ich wie üblich in Spoilertags, damit ich denen von euch, die es vielleicht noch spielen wollen, nicht das Abenteuer verderbe.

Spoiler

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Expedition wird Swafnirland nie erreichen, des Weiteren wird auch nicht klargestellt, ob es denn überhaupt tatsächlich existiert.

Auf Narken werden die Helden in den Tagen nach ihrer Ankunft von Egil Rotauge, einem Berater Maradas, gebeten, die Insel Berik zu erkunden. Dort finden sie heraus, dass aus in einer Höhle verborgenen Amphoren dämonische Parasiten entkommen sind. Diese können vonMenschen Besitz ergreifen, um sie zu Dienern Hranngdottirs zu machen, einer Dämonin, die sich als gespenstischer Nebel manifestiert. Als die Helden der Anführerin gerade von ihren Entdeckungen berichtet haben, wird Narken auch schon von Hranngdottir und ihrem Schwarm angegriffen, welcher aus Dämonen und den – Vexlinger genannten – Besessenen besteht. Auch wenn die Truppen dem Ansturm eine Zeit lang standhalten können, wird der Angriff irgendwann zu heftig, und die Helden müssen zusammen mit den Friedlosen auf das offene Meer flüchten. So beginnt die Irrfahrt der Gefährten, auf der sie mit der Verfolgung durch die Schwarmdämonin und ihre Diener, Ressourcenknappheit und inneren Konflikten zu kämpfen haben. Um nach Thorwal zurückkehren zu können gilt es an drei Artefakte zu gelangen, die in drei Szenarien erbeutet werden können.

Die Swafnirsrippe, die begrenzten Schutz vor Hranngdottir bietet, kann auf einer einsamen Insel errungen werden, welche von der Flotte zuerst fälschlicherweise für Swafnirland gehalten wird. Nachdem die Helden dort einige Herausforderungen bestanden haben, können sie das Artefakt in einem Schiffswrack nahe der Insel finden. Hier zeigt Egil dann auch sein wahres Gesicht, denn er verehrt die Dämonin Hranngar als Göttin und will die Flotte zu dieser bekehren. Hierfür sollen sich die Friedlosen dem Schwarm bereitwillig anschließen …sobald seine wahren Absichten jedoch zu Tage treten ist er wahrscheinlich sowieso nicht mehr lange am Leben, sodass dies hoffentlich nicht passiert.

Den wahren Namen der Schwarmdämonin können sie herausfinden, wenn sie einer Splittergruppe der Vexlinger dabei helfen, ihre Abhängigkeit von ihrer Herrin zu überwinden.

Den Strömungskompass, den letzten Gegenstand, können sie schließlich in Aguaduron einer sagenumwobenen schwimmenden Stadt – finden, allerdings erst nach einem größer angelegten Angriff auf dieselbe.

Mit Hilfe dieser Gegenstände kann die Expedition den Rückweg nach Thorwal antreten, wo sie erst bei der Oberhexe Tuula von Skerdu vorbeischauen müssen. Diese kann den Helden nämlich verraten, wie sie Hrangdottir bannen können, sodass sie in Zukunft den Küsten Thorwals wieder fern bleibt. Hier können sie auch erfahren, dass ein Mitglied ihrer Flotte eigentlich Ögnir, ein verhüllter Halbgott ist, der den Helden die ganze Zeit diskret geholfen hat, ihre Ziele zu erreichen.

Um die Schwarmdämonin also zu bannen, müssen die Helden erst einmal ans Festland gelangen … was sich nicht einfach darstellt, da die Thorwaler wenig Interesse daran haben, dass die Flotte die Dämonin und ihre Schergen mit an Land bringt. Dann müssen sie den Stein von Prem, einen alten Obelisken, in den Dunthark, einen Geisterwald weiter im Norden, bringen, wobei sie versehentlich ein altes Übel wecken, das erst besiegt werden muss. Am Zielort angekommen, findet der große Showdown zwischen den Streitmächten statt, nach dessen Beendigung der Bann gegen Hranngdottir wieder besteht.

Die Spieler sind nun Helden Thorwals, es werden Sagen über sie gedichtet und sie werden reich entlohnt.

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Was noch zu sagen bleibt

Durch die Paranoia und die Trostlosigkeit, denen die Helden wahrscheinlich irgendwann anheim fallen, wirkt das Abenteuer im gesamten eher düster, allerdings liegt es natürlich auch immer an der Führung einer Flotte, wie die Stimmung unter der Besatzung ist.

Es ist zwar auch möglich, auf einem anderen Schiff als der Paradiesvogel zu reisen, ich würde es allerdings niemandem empfehlen. Die Passagiere sind sehr detailliert, abwechslungsreich und durchdacht konstruiert, sodass das Schiff als Ort zum intensiven Charakterspiel geradezu prädestiniert ist. Zudem ist es wichtig, dass die Helden eine Beziehung zu zumindest ein paar der NSC aufbauen, da ansonsten der Großteil der Stimmung verloren geht. Denn wenn ein Freund stirbt oder sich als Verräter herausstellt, schmerzt das deutlich mehr, als wenn das Gleiche mit einem Dutzend unbekannter Seeleute passiert.

Beim ganzen Abenteuer sehe ich nur zwei kleinere Probleme. Erstens ist die Handlung dank starker Ausrichtung auf Thorwal und die Schiffahrt nicht jedermanns Geschmack. Da jemand, der mit diesen Aspekten Probleme hat, aber wahrscheinlich sowieso die Finger von diesem Abenteuer lassen wird, ist dieser Punkt jedoch eigentlich vernachlässigbar. Der zweite und entscheidende Punkt ist die riesige Anzahl an NSC, bei denen man als Spielleiter sehr schnell den Überblick verlieren kann. Hier empfiehlt es sich, dass man zu Beginn ein wenig aussortiert, welche NSC man nicht unbedingt auftauchen lassen will – was einem aber nicht sehr leicht fällt, da eigentlich jeder seinen eigenen Charme hat.

Zur Handlung bleibt abschließend zu sagen, dass ich selten eine so durchdachte und abwechslungsreiche Handlung in einem Kaufabenteuer hatte. Durch die Aufteilung in Szenarien, die in fast beliebiger Reihenfolge stattfinden können, kann der Spielleiter sich jederzeit auf seine Spieler einstellen. Zudem wirkt keines der Szenarien so, als wäre es ein bloßer Lückenfüller, wie es mir leider in anderen Abenteuern schon öfter aufgefallen ist. Der Grad an epischen Elementen kann nach Belieben der Gruppe ebenfalls jederzeit angepasst werden.

Preis-/Leistungsverhältnis

Um es offen auszusprechen: 30 EUR sind für ein Abenteuerbuch recht happig. Was aber auf den fast 200 Seiten geboten wird, geht eben auch etwas über ein gewöhnliches Abenteuer hinaus, sodass man eher von einer ausgewachsenen Kampagne sprechen kann. Dafür ist der Preis schon fast wieder gerechtfertigt – aber eben nur fast.

Erscheinungsbild

Friedlos CoverDer vorliegende Band ist wie fast alle DSA-Publikationen in schwarz-weiß gehalten, es sind jedoch farbige Karten auf den Innenseiten der Buchdeckel vorhanden. Fehler im Satz oder der Rechtschreibung sind mir keine aufgefallen. Die Illustrationen sind von durchweg hoher Qualität und fangen die Stimmung der zugehörigen Texte und Beschreibungen sehr schön ein.

Die harten Fakten:

 

Bonus/Downloadcontent

Ein sehr schönes Extra musikalischer Art stammt von Ralf „Orkpack“ Kurtsiefer, der eigens für dieses Abenteuer vier Musikstücke komponiert hat. Diese können auf seiner Website kostenlos heruntergeladen werden.

Fazit

Friedlos hat alles, was eine gute Kampagne braucht: Zuerst eine spannende, abwechslungsreiche Handlung mit interessanten und überraschenden Wendungen. Dann einen modularen Aufbau, der den Spielern Raum für eigene Entscheidungen lässt und zuletzt eine große Anzahl an liebevoll gestalteten NSC, über die man leider aber auch leicht den Überblick verlieren kann.

Die Qualität ist sowohl aus schreiberischer, als auch aus künstlerischer Sicht von einem durchweg hohen Standard. Dafür erhält dieses Abenteuer von mir die wohlverdiente Maximalwertung.

Daumen5maennlich

DAS SCHWARZE AUGE, AVEN­TU­RIEN, DERE, MYRA­NOR, THA­RUN, UTHU­RIA und RIES­LAND sind ein­ge­tra­gene Mar­ken der Signi­fi­cant Fan­tasy Medi­en­rechte GbR.
Arti­kel­bil­der: Ulis­ses Spiele GmbH 

3 Kommentare

  1. Um die vielen NPCs in den Griff zu bekommen, hat unser Meister für jeden von ihnen eine Karteikarte angelegt, mit Bild und Namen drauf. Die haben wir dann gesammelt an eine Tafel gepinnt. So hatte man immer einen guten Überblick, wer gerade wo ist und welche Fraktionen es gibt. Wir Spieler haben dann dort auf die Karten die Infos über die NPCs geschrieben, die wir im Laufe der Zeit erfahren haben. So musste unser Meister sich auch nie merken, was wir bereits wissen und was nicht. Ein wenig mühselig in der Vorbereitung ist das Ganze, dafür zahlt es sich beim Spielen jedoch richtig aus und selbst NPCs, die „nur einmal durchs Bild gelaufen“ sind, haben wir irgendwie dadurch lieb gewonnen. Ich bereite meine Abenteuer nun auch so vor (zumindest wenn sie etwas länger gehen) und kann das nur jedem Spielleiter empfehlen. :)

    Zum Abenteuer an sich: Echt genial. Zumindest wenn man einen Helden aus der Region spielt, der dann eine persönliche Motivation hat. Gerade die moralischen Entscheidungen die es zwischendurch zu fällen galt, haben für etwas Zündstoff am Spieltisch gesorgt, aber dadurch eben auch viel Raum für Charakterspiel gelassen. Erst hatte ich Sorge, dass ein Abenteuer, welches so stark Seefahrtlastig ist, schnell langweilig wird, aber dem war nicht so (was bestimmt auch zum Teil an den NPC-Kärtchen lag, die einem immer gute Möglichkeiten zum Zeitvertreib aufgezeigt haben). Eines der besten Abenteuer, die ich bisher gespielt habe.

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