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In unserem heutigen Artikel beschäftigen wir uns mit den beiden in diesem Jahr erschienenen Rollenspielen, die starke östliche Einflüsse mitbringen. Während Tianxia ein klassisches Wuxia-Setting ist, bereichert Jadepunk die Rollenspielszene mit einem erfrischenden Genremix, der neben Wuxia-Einflüssen noch einiges mehr zu bieten hat. Eine direkte Vergleichbarkeit erreicht man natürlich nicht, und soll daher stellen wir beide Systeme gleichberechtigt nebeneinander vor.

Übrigens sind die ähnlichen Einflüsse nicht das Einzige, das diese beiden Systeme miteinander verbindet. Beiden ist außerdem gemein, dass sie über Kickstarter erfolgreich finanziert wurden.

Settings

Tianxia hält sich sehr nahe an der Vorlage des feudalistischen Kaiserreichs Chinas. Das Setting beschreibt die Region Jiangzhou im Randgebiet des Imperiums, das sich einerseits durch seine Wildheit und Gesetzlosigkeit, andererseits aber auch durch seine reichhaltigen Schätze und deren Transportwegen auszeichnet. Das beste Klima also, um als aufstrebender Held seine Legende zu beginnen. Abgesehen von sagenhaften Kung-Fu-Kräften, ist das technische und mystische Niveau im Vergleich zur Vorlage praktisch unverändert. Der Hintergrund bemüht sich, ein umfassendes Bild zu liefern. Daher finden auch spirituelle Glaubensgemeinschaften, die echten Religionen nachempfunden sind, eine kleine Nische in der Settingbeschreibung. Die Charaktere erfreuen sich eines relativ hohen Machtniveaus und können es praktisch mit fast allem aufnehmen, was ihnen der Spielleiter entgegenwirft.

Ganz anders verhält es sich in Jadepunk. Der Dreh- und Angelpunkt dieses Settings ist Kausao-City, die einzige Stadt weit und breit, in der alle Arten mystischer Jade vorkommen. Die namensgebende Jade sorgt für allerlei abgefahrene Effekte und ersetzt – wie der Name schon sagt – das Steam in Steampunk. Weiße Jade lässt Schiffe fliegen, mit der roten Jade können Waffen mit unerreichter Zerstörungskraft geschaffen werden, und die Eigenschaften schwarzer Jade sind noch nicht einmal hinlänglich bekannt. Es gibt vier große Völker, die jeweils nur auf eine oder zwei der insgesamt fünf Arten zugreifen können, und die sich daher ganz unterschiedlich entwickelt haben.

Die Welt ist sehr düster und den Helden von Kausao-City, den Jianghu, würde die gefährlichste Region von Tianxia nur ein müdes Lächeln abtrotzen. Kausao-City wird vom sogenannten Neuner-Rat regiert, dem der Gouverneur der Stadt vorsteht. Dieser hat den gesamten Rat unter seiner Fuchtel und macht, was er will. Wie sich das für einen Diktator gehört, geht er mit seiner Bevölkerung nicht eben zimperlich um und so geht es der Bevölkerung von Kausao-City entsprechend dreckig. Das Regime herrscht mit eiserner Hand, das Recht liegt in der Hand der Reichen und Mächtigen, und der durchschnittliche Jademinenarbeiter fristet sein Dasein hungernd und frierend.

Auftritt der Jianghu, einer losen Verbindung von Zellen und Gruppen, die sich dem herrschenden Regime entgegenstellen. Wer jetzt an ehrenwerte Guerillas denkt, die im Untergrund den Robin Hood geben, hat nicht ganz Unrecht. Aber in Jadepunk gibt es selten ein eindeutiges Schwarz oder Weiß. Und so haben sich auch viele kriminelle Banden und Gruppen den Jianghu angeschlossen. Ihnen geht es zwar auch darum, die herrschenden Verhältnisse zu verändern, aber nur, solange sie die Nutznießer dieser Veränderung sind. Kollateralschäden oder Bauernopfer werden billigend in Kauf genommen und daher werden auch die Jianghu in Ihrer Gesamtheit nicht gerade mit offenen Armen empfangen.

In Tianxia wiederrum ist die politische Lage im Großen und Ganzen stabil. Die Heldentaten spielen sich eher im kleineren Rahmen ab. Wobei, vielleicht ist „Heldentaten“ der falsche Ausdruck. Das Setting ist eher auf umherziehende Kung-Fu-Künstler ausgelegt und wie das nun mal als freischaffender Abenteurer so ist: Man benötigt Geld, um weiterhin umherziehen zu können. Daher geht es sicherlich in den ersten Runden erst einmal darum, ein gesichertes Einkommen zu schaffen, bevor man sich auf die Rettung Unschuldiger verlegen kann.

Zusammenfassend ist Jadepunk das abwechslungsreichere Setting. Es bietet fernöstliche Wertevorstellungen einerseits, durch die steampunkigen Elemente andererseits auch Einflüsse aus dem Western- und eben Steampunkgenre. Unterschiedliche Völker, die sich untereinander auch nicht unbedingt grün sind, sorgen für ein spannendes Gemisch, das beim kleinsten Funken hochgehen kann. Trotz dieser Mixtur ist das Setting in sich stimmig und vermittelt ein fabelhaft düsteres Flair, in dem es viel zu gewinnen, aber auch viel zu verlieren gibt.

Tianxia auf der anderen Seite bleibt eher auf ausgetretenen Pfaden. Die Spielergruppe ist in der Regel eine Gruppe aufstrebender Kung-Fu-Kämpfer, die auf ihren Reisen Ruhm und Reichtum erlangen möchten. Dabei bleibt das Setting sehr nahe an historischen Vorlagen, erlaubt sich sinnvolle Anpassungen wie eine moderne Frauenrolle und schafft damit ein liebevolles Setting, das überzeugt. Letztendlich ist es nur eine Geschmacksfrage, welches Setting interessanter ist. Beide haben unheimlich viel Potential und bieten reichlich Zündstoff für viele spannende Runden.

Erscheinungsbild

Jadepunk präsentiert sich sehr nüchtern. Der größte Teil des Bandes ist mit schlichtem Weiß hinterlegt. Die Auszeichnung von Informationen ist nicht einheitlich gestaltet, sondern verwendet unterschiedliche Stilelemente, wodurch der Band sehr unruhig wirkt. Auch die Illustrationen hinterlassen nicht nur einen positiven Eindruck. Immerhin: Der Band verfügt über ein elektronisches Inhaltsverzeichnis, das reguläre Inhaltsverzeichnis und der Index sind beide verlinkt.

Ganz anders stellt sich Tianxia dar: Die Hintergründe sind stimmungsvoll und dennoch schlicht gehalten. Das Artwork ist aus einem Guss und glänzt mit seinem sehr bunten, comic-haften Stil. Wieviel Bedacht in die Illustrationen geflossen ist, merkt man zum Beispiel daran, dass einige davon real-historische Vorbilder hatten. Bei Tianxia sind die Bilder nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern enthüllen auch weitere Settingdetails, die so nicht im Text vermerkt werden. So stellt ein Bild zweier, sich auf dem Markplatz küssender Frauen deutlich die Haltung zur Homosexualität und der Rolle der Frau in Tianxia dar. Ein verlinktes Inhaltsverzeichnis rundet den Gesamteindruck ab.

Preis-/Leistungsverhältnis

Beide Produkte punkten mit einem fairen Preis-/Leistungsverhältnis. Tianxia schlägt mit 15 USD zu Buche und bietet dafür einen schön aufgemachten Settingband, der kaum Wünsche offen lässt. Jadepunk ist mittleweile für einen Kampfpreis von 10 USD zu haben und bietet eine faszinierende Welt im einfachen Gewand. Rein vom Preis-Leistungsverhältnis sind beide Produkte ebenbürtig.

Regelwerk

Beide Settings sind Teil der Fate Core-Familie. Während Tianxia als Grundlage das mächtigere Fate Core verwendet, setzt Jadepunk auf der deutlich schlankeren Fate Accelerated Edition auf. Tianxia punktet mit einem umfangreichen Kung-Fu-System, das mit über 30 unterschiedlichen Kung-Fu-Stilen Gestaltungsraum für allerlei Spielarten im Wuxia-Genre bietet. Das höhere Machtniveau sorgt dafür, dass die Charaktere sich noch stärker ,als bei Fate üblich, von der grauen Durchschnittsmasse abheben. Durch die Einführung des Jianghu-Rangs, einer Art Rangfolge unter Kung-Fu-Kämpfern werden die Charaktere nur noch mächtiger, da der Rang auch regeltechnische Auswirkungen hat. Von der Möglichkeit, sich mittels einer „Chi-Rüstung“ zu schützen mal ganz zu schweigen.

Jadepunk erweitert auf der anderen Seite die Fate Accelerated Edition deutlich. Durch Assets kann der Spieler seinem Charakter mystische Waffen, wertvolle Besitztümer oder Gefolgsleute erschaffen, die nicht nur einfach da, sondern auch noch Effekte im Spiel haben. Genauso erwähnenswert sind aber auch die Duellregeln, die Duelle nicht nur deutlich gefährlicher gestalten sondern diese auch beschleunigen.

Fazit

Wie im Vorfeld bereits angekündigt, ist es für uns nicht möglich, einen klaren Sieger dieses Vergleichs zu bestimmen. Beide Settings haben ähnliche Wurzeln, entwickeln sich aber jeweils in so unterschiedliche Richtungen, dass man an dieser Stelle lediglich empfehlen kann, sich beide Settings anzusehen.

Man sollte Interesse an einem Rollenspiel mit fernöstlichem Hauch haben. Wenn man dieses mitbringt, bleibt eigentlich nur die Wahl zwischen dem dreckig-düsteren Jadepunk und dem dagegen eher aufgeräumt-heroischen Tianxia. Viel Spaß beim Erkunden von Kasao-City und Jiangzhou!

Artikelbilder: Vigilance Press, Reroll Productions

 

1 Kommentar

  1. Cooler Artikel, und coole Idee, die beiden zu vergleichen, auch wenn sie auf den zweiten Blick nicht mehr allzu viel gemeinsam haben. Habt ihr aber auch gut herausgestellt. =)

    Bei Tianxia würde ich unbedingt noch ergänzen wollen, dass es ganz bewusst versucht, ALLE Spielarten von Wuxia und Kung-Fu in einem Spiel zu vereinen, hence the name. Man kann also nicht nur die umherziehenden Kämpfer des alten Kung-Fu-Films, sondern auch die epischen Heldenfiguren aus Filmen wie Tiger & Dragon oder Hero spielen, auch mögliche westliche Einflüsse wie in einigen Genre-übergreifenden Medien werden im ersten Kapitel besprochen. Die Geschichten ziehen sich also von politischen Intrigen und Liebesepen (natürlich jeweils mit Wuxia-Kämpfen!) bis hin zu Krimigeschichten à la Detektiv Dee. Wunderbarerweise sind die Sachen auch alle in der Settingbeschreibung und in den Beispielen verankert. Tianxia erweitert also in einem gewissen Sinne den Fate-Baukasten um eine Wuxia-/Kung-Fu-Box, und das wahrscheinlich noch mehr, wenn die nächsten Erweiterungsbände und -pdfs kommen.
    Übrigen wird es auch ein pdf geben, um Tianxia mit FAE zu spielen.

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