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(Von Balbina, ins Deutsche übertragen von Oliver Korpilla.)

Für D&D-Fans war es ein fantastisches Jahr: Die neueste Ausgabe von D&D bringt die Leute wieder gemeinsam an den Spieltisch, und bisher gefiel uns diese neue Edition sehr. Nach dem Starter Set und zwei (von drei) Grundregelwerken erschien auch Hoard of the Dragon Queen (HotDQ). Kobold Press hat für WotC diesen Band erstellt, der den ersten Teil der großen Kampagne Tyranny of Dragons darstellt. Der Cult of the Dragon will Tiamat, die Queen of Dragons, auf die Vergessenen Reiche loslassen. Um diese mächtige Wesenheit milde zu stimmen, muss der Kult Schätze anhäufen, und es versteht sich von selbst, dass das nicht aus der eigenen Tasche finanziert werden wird. Dieses Abenteuer enthält eine ansprechende Story und hat das Potential für epische Momente. Obwohl es aber randvoll mit Inspiration für Spielleiter ist, hat es auch einige Makel, die ich nicht ungenannt lassen will.

Inhalt

HotDQ besteht aus acht Episoden, Anhängen mit Spielwerten für wichtige NSC und einer Beschreibung ihrer magischen Gegenstände. Weitere spielrelevante Werte müssen heruntergeladen werden, es sei denn, man hätte bereits das Monster Manual und den Dungeon Master’s Guide.

Der erste Anhang enthält Ideen für Backgrounds, die man beim Erstellen von SC benutzen kann, um diese direkt in die Story einzubinden. Einige davon sind mit Sicherheit sehr gelungen und sollten die Spieler auch sinnvoll in die Geschichte einbinden. Und gerade diese Einbindung ist wichtig, beginnt das Abenteuer doch gleich mit einem richtungsweisenden Konflikt: Die Spieler beobachten aus der Ferne, wie der Ort Greenest von einem Drachen angegriffen wird. Greift die Gruppe ein (und überlebt), erfährt sie, dass der Cult of the Dragon hinter der Sache steckt. Und das führt die SC auf eine lange Reise an verschiedene Orte der Schwertküste, um das Treiben des Kults zu vereiteln. Aber halt nur, wenn sich die Spieler zum Eingreifen veranlasst sehen!

Vorherige Kenntnis der Vergessenen Reiche ist nicht vonnöten, um das Modul zu leiten. Es wird genug Hintergrundinfo zu den wichtigen treibenden Kräften und ihren Motiven gegeben. Auch eine schön gestaltete Karte der Schwertküste wird als Referenz beigegeben. Fans der Forgotten Realms werden natürlich wichtige Orte der Reise wie Baldur’s Gate oder Waterdeep wiedererkennen. Ist eure Kampagne sowieso an der Schwertküste angesiedelt, sollte das Einbinden dieses Materials auch gut möglich sein.

HotDQ enthält eine Fülle an NSC und möglichen Begegnungen, und es gibt auch Spielraum für soziale Interaktionen. Als eine der Stärken dieses Abenteuers empfinde ich die Vielfalt an Szenarien, denen sich die Spieler ausgesetzt sehen. Es gibt etwas für jeden Geschmack: Intrigen, eine Rettungsmission, die Auseinandersetzung mit verschiedenen Machtblöcken und ihren geheimen Motiven, sowieso viel Überlandreisen. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf Dungeon Crawling. Schon in der ersten Episode gibt es sechs verschiedene Missionen, die die Gruppe annehmen könnte. Die finden alle in der gleichen Nacht statt, es gibt kaum Verschnaufpausen, und die Stadt wird währenddessen auch noch angegriffen. Das könnte eine Gruppe erster Stufe schnell überfordern, zumal das neue D&D als besonders tödlich gilt. Wenn man keinen TPK gleich zu Beginn will, ist Vorsicht geboten.

Einschienenbahn

So, wo hakt es dann? Im Allgemeinen ist das Abenteuer gut, die gebotenen Szenarien divers, das Ganze hat viel Potential … aber es gibt da auch eine zentrale Schwäche. Als ich das Modul gelesen habe, kam mir oft die Frage in den Sinn, was passieren könnte, wenn die Spieler sich anders entscheiden. Und das ist das Hauptproblem bei HotDQ: Es gibt nicht viele Wahlmöglichkeiten. Man muss die Gruppe ziemlich railroaden, und falls man das nicht macht, dann gibt es keine andere klare Alternative, die man verfolgen könnte. Das ganze Abenteuer hängt daran, dass die Spieler bestimmte Entscheidungen genau so treffen (und nicht anders) und zu bestimmten Orten reisen, sonst geht die Geschichte nicht weiter.

Die Handlung basiert darauf, dass die Spieler den Anweisungen eines NSC nach dem anderen folgen. Es gibt ein paar Vorschläge, wie man es handhabt, falls die Spieler anders vorgehen wollen, aber das sind auch alles nur subtilere Arten von Railroading. Manchmal auch gar nicht subtil … An einer Stelle wird vorgeschlagen, den SC Geld anzubieten, damit sie kooperieren. Manche Spielgruppen mögen damit kein Problem haben, aber gerade erfahrenen Spielern schlägt das auf den Magen. Dass mal ein NSC grantig wird, wenn die SC nicht kooperieren, wird die Meinung eines Spielers nicht ändern, der weiß, was er will und Sachen auf die eigene Art angehen will. Ich finde diese Art der Abenteuergestaltung sowohl vom Standpunkt eines SL als auch eines Spielers frustrierend. Spielerentscheidungen scheinen wenig zu bewirken, und Entscheidungsfreiheit wird für die Fortsetzung der Geschichte geopfert. Das Modul leitet sich dadurch sehr schwer, zumindest wenn man seinen Spielern nicht das Gefühl geben will, wie in einem Videospiel Missionen abzuarbeiten.

Ob dieses Produkt für einen funktioniert, hängt stark davon ab, was man damit anfangen will. Will man sich gute Ideen herausklauben? Will man die Extraarbeit investieren, Handlungsalternativen für die Spieler zu entwickeln? Dann lohnt es sich. Dieses Abenteuer enthält coole NSC, Orte, Karten, Begegnungen und Szenen, die die Fantasie beflügeln. Der Plot allein führt die Charaktere auf eine epische Reise, aber es braucht einen Dungeon Master, der willens ist, ein “Wir gehen von A nach B”-Abenteuer in gutes Rollenspiel zu übersetzen.

Wenn man andererseits ein Abenteuer will, mit dem man gleich ohne viel Extravorbereitung losspielen kann, dann lässt man besser die Finger davon. Es eignet sich hierfür schlicht nicht. Einige Abschnitte enthalten eine Fülle an Details, aber andere wirken völlig leblos, zum Beispiel: Es gibt einen Punkt, an dem die Gruppe sich einer Karawane anschließen und es eine lange Zeit dauern wird, das gewünschte Ziel zu erreichen. Es gibt reichlich Material, um die Reise interessant zu gestalten, inklusive detaillierter NSC und Ereignisse, mit denen man die Spieler konfrontieren kann. Also nicht nur eine Zufallstabelle oder so. Im Kontrast hierzu gibt es aber für die niederstufigen Kultisten kaum Beschreibung, und mit diesen soll man dann drei oder vier Episoden füllen. Auf dem Blog Detect Magic gibt es einen Kultisten-Generator für HotDQ – falls man mal schnell einen Kultisten braucht, um mit den Spielern zu interagieren. Warum aber hat man die NSC der Karawane so schön ausgearbeitet, nicht aber die für die Story doch so erstaunlich relevanten Kultisten? Ich muss zugeben, dass es mir persönlich schwerfällt, festzustellen, wann der Mangel an Details dem SL Gestaltungsspielraum lassen soll oder einfach nur schlechtes Design ist.

Ich denke schon, dass es wünschenswert ist, ein Abenteuer zu gestalten, dass es dem SL erlaubt, es anzupassen und zu individualisieren. Aber HotDQ hinterlässt bei mir den Eindruck, dass es viel Vorbereitung braucht, um es erfolgreich zu leiten. Einige Aspekte sind einfach stark herausgearbeitet, und andere einfach nur 08/15. Es gibt einige Szenen, die ich liebend gerne für eine Gruppe leiten würde, die sich sicherlich episch anfühlen würden. An anderen Stellen frage ich mich, ob es sich die Autoren nicht einfach zu leicht gemacht haben. Für Anfänger unter den Spielleitern ist das hier eher nichts, aber SL mit Erfahrung finden hier sicher Bauteile zur Weiterverwendung.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für etwas über 20 EUR bekommt man ein ansehnliches, hochqualitatives 96-Seiten-Hardcover. Im Vergleich zu anderen D&D5-Produkten von WotC ist der Preis aber eher hoch. Die Grundregelwerke kosten so im Bereich 30-35 EUR und haben jeweils über 300 Seiten an Inhalt.

Das Starter Set habe ich im örtlichen Rollenspielladen für 16 EUR erstanden, und da waren ein 64-seitiges Abenteuer mit vier Episoden, ein 32-seitiges Regelwerk, Pregens, ein Charakterbogen und ein netter Satz Würfel drin. Ja, das Starter Set enthält kein Hardcover, aber es ist, zumindest meiner Auffassung nach, HotDQ in Bezug auf Inhalt, Abenteueraufbau und Spielbarkeit überlegen. HotDQ überzeugt aber immerhin mit beeindruckenden Illustrationen, hat gute Ideen, und wird sicher im Regal gut aussehen. Man darf aber nicht vergessen, dass einen dieselbe Investition für den zweiten Teil von Tyranny of Dragons, The Rise of Tiamat, noch einmal erwartet.

Erscheinungsbild

Hoard of the Dragon Queen CoverIch kann es gar nicht oft genug sagen: Die Bilder in HotDQ sind einfach gut. Das Cover ist umwerfend, und im Innern findet man Abbildungen aller wichtigen NSC. Der Text ist im Allgemeinen gut zu lesen, und die Episoden sind übersichtlich strukturiert. Eines sticht aber besonders negativ heraus: Keine einzige der Karten hat eine Legende. Das ist bei den meisten kein Problem, man kann einfach schnell im Text die Info mit einem Zahlencode nachlesen. Für die ersten beiden Karten sind die Beschreibungen aber zu tief im Text versteckt.

Die Gesamtqualität leidet unter den vielen Fehlern. Auch bei den Spielmechaniken gibt es übrigens Inkonsistenzen. Ich kann nur mutmaßen, dass einige dieser Fehler dadurch entstanden, dass die Regeln zeitgleich zum Modul weiterentwickelt wurden. Steve Winter hat einige dieser Fehler im WotC-Forum bereinigt (Achtung: Spoiler). Keiner dieser Fehler wird einen wesentlich dabei behindern, das Abenteuer zu leiten, aber ich finde, dass das nicht dem Qualitätsstandard entspricht, den ich von einem Produkt wie diesem erwarte.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast
  • Autor(en): Wolfgang Baur, Steve Winter
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Englisch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 96
  • ISBN:978-0786965649
  • Preis: ab 19,95 EUR
  • Bezugsquelle: Print bei Amazon | Print beim Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

HotDQ wurde zeitgleich mit dem Player’s Handbook am 19. August veröffentlicht, und damit vor dem Monster Manual und dem Dungeon’s Master Guide. Daher gibt es ein Online Supplement mit den Beschreibungen der meisten magischen Gegenstände, Monster und Sprüche, die in den Basic Rules noch nicht enthalten waren. Es ist sicherlich nicht optimal, so viel wichtige Info nicht im eigentlichen Buch zu haben, aber dafür gibt es sie immerhin als Gratisdownload.

Fazit

Nur um es nochmal herauszustreichen: Ein guter SL kann mit Sicherheit die Probleme bewältigen, die in dieser Rezension angesprochen wurden. Aber wenn ich für ein Abenteuer Geld hinlege, will ich es auch spielen können, ohne erst aufwändig Mängel ausgleichen zu müssen. Wenn ich zuerst das Abenteuer umgestalten müsste, um es an meine Spieler anzupassen, dann leite ich lieber etwas Selbstgemachtes oder greife zu einem anderen Produkt. Ich railroade meine Spieler nicht gern, selbst wenn sie es nicht mitkriegen würden. Wenn ich die Erfahrung, den Spielstil und die Persönlichkeiten der Leute, mit denen ich für gewöhnlich spiele, miteinbeziehe, dann kann ich dieses Abenteuer dort einfach nicht leiten. Erfahrene Spieler reagieren empfindlich auf Railroading, und warum auch nicht? Die Handlung ist cool, keine Frage, aber eine gute Rahmenhandlung ist nicht wichtiger als der Anteil, den die Spieler einbringen.

Wäre das nur irgendein beliebiges Abenteuer, würde ich es vielleicht gar nicht so sehr in die Mangel nehmen, aber das hier ist ein zentrales Produkt für D&D5. Mir gefällt die neue Edition einfach, und dieses Modul verfehlt meine Erwartungen. Die Gestaltung, mangelnde Details, die nicht wenigen von der Community gefundenen Fehler … das alles hinterlässt bei mir ein Gefühl der Enttäuschung.

Es gibt dennoch auch viel Positives. Hoard of the Dragon Queen hat viel Action, tolles Artwork und eine interessante Rahmenhandlung. Als Inspiration taugt es. Taugt es auch als unterhaltsames Abenteuer? Ja, man kann damit sicher auch viel Spaß haben. Es liest sich sehr gut und es gibt gute Ideen, die man ins eigene Spiel einbauen kann. Aber ob es so, wie es ist, spielbar ist? Das ist ein bisschen verzwickter. Meine Hoff­nung ist, dass The Rise of Tiamat die fünf­te Edi­tion wür­di­ger vertritt.

Hier geht es zur englischen Rezension zu D&D5: Hoard of the Dragon Queen 

Daumen3weiblich

Artikelbilder: Wizards of the Coast
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

BalbinaBalbina kommt aus Costa Rica. Sie spielt seit acht Jahren Rollenspiele und hat mit D&D3.5 und Pathfinder angefangen. Als sie 2013 nach Deutschland gezogen ist, hat sie nach einer englischsprachigen Gruppe gesucht und sie zum Glück auch gefunden! Seitdem hat sie viele Systeme gespielt, aber Dungeons & Dragons ist und bleibt ihr persönlicher Favorit, vor allem die 5. Edition, die sie sowohl gerne spielt als auch leitet. Savage Worlds, Dungeon Crawl Classics und Lovecraft-Rollenspiele gefallen ihr auch gut. Ihre Freunde und Bekannten denken, sie hätte sich Molekularbiologie als Fach ausgesucht, um entweder Superschurkin zu werden oder Pokemon zu züchten. Beides trifft zu.

 

2 Kommentare

  1. Gute Rezi. Ich empfand das Railroading beim Lesen nicht ganz so stark, aber es sind in jedem Fall genug Stellen in dem Abenteuer, wo ich mir ebenfalls die Frage stellte: „Was ist wenn die Charaktere jetzt etwas anderes machen?“ Mich hat verwundert, dass dieser Band so in die Vollen geht und trotzdem manches sehr wage bleibt. Ebenso wie die Rezensentin glaube ich, dass dieses Abenteuer für einen neuen Spielleiter, der sich noch nicht so oft bei D&D und in den Realms rumgetrieben hat, gar nicht so einfach zu leiten ist. Auch die machmal merkwürdig anmutenden Schwankungen im Detailgrat der Beschreibungen habe ich genau wie in der Rezi beschrieben wahrgenommen. Ich muss aber klar sagen, dass das Abenteuer trotz dieser Kinken sehr taugt. Ich habe Bock, da ein bisschen Arbeit reinzustecken und die Kinken auszubügeln. Ich will die Kampagne dann nächstes Jahr mal leiten und freue mich da auch schon sehr drauf.

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