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Ich erinnere mich noch gerne daran zurück, wie ich damals mit Vertical Shmups – also vertikal scrollenden Shootern – Stunde um Stunde vor dem Fernseher und Monitor verbracht habe. Sowohl auf dem C64 als auch auf dem PC, den ich dann später hatte, gehörte diese Art von Spielen einfach genauso dazu wie das Wechseln von Disketten und die gruselige 8-Bit-Musik, die seit einiger Zeit auf Youtube wieder in Mode gekommen ist. Bunt, laut, voller fieser Gegner – meist Aliens – ,die einen töten wollten. Man selbst und die Gegner wurden immer stärker und am Ende wartete immer ein Boss, an dem man oftmals verzweifelt ist.

Als ich vor der diesjährigen SPIEL in Essen las, dass es ein Brettspiel geben würde, das versucht, dieses Konzept an den Tisch zu bringen, war ich sofort sowohl skeptisch als auch neugierig. Nichts hätte mich davon abhalten können, es mir mal aus der Nähe anzusehen. Und euch anschließend natürlich davon zu berichten.

Spielablauf

Jeder der zwei bis fünf Spieler sucht sich zu Beginn ein Raumschiff aus und nimmt das entsprechende Tableau. Ein paar Startwerte werden markiert, dann aus den fünf verschiedenen Geländestapeln das Deck zusammengestellt, aus dem später das Spielfeld gebastelt wird. Je nach Vorliebe kann man hier verschiedene Dinge einbauen wie Asteroiden oder Tunnel, in denen man nicht seitlich ausweichen kann.

Dann werden die fünf Schalen, die die einzelnen Reihen darstellen, ausgelegt und die ersten Geländekarten darauf platziert und schon kann das Spiel beginnen.

Gespielt wird in Runden, und jede Runde läuft in etwa gleich ab: Die Spieler wählen jeweils verdeckt eine Sensorkarte, wodurch die Spielreihenfolge der aktuellen Runde bestimmt wird und – in seltenen Fällen – ein kleiner Bonus ergattert werden kann. Dann vollführen die Spieler nacheinander jeweils ihren kompletten Zug.

Ein Zug besteht grundlegend aus einer Bewegung und einem Abfeuern der Waffe oder dem Herunterfahren der Systeme zum Energieaufladen und Einkaufen – bessere Waffen, Schilde, Triebwerke usw. Entscheidet man sich für die erste Option – was meistens der Fall ist – kann man Energie ausgeben, um weitere Aktionen zu erhalten. Egal, welche der beiden Optionen man gewählt hat, am Ende des Zuges muss man die Bedrohung, die sich in der letzten Runde angesammelt hat, abbauen. Entweder durch Schilde oder durch Bewegung oder durch den Verlust von Energie. Sinkt die Energie auf 0, ist das eigene Schiff zerstört und wird vom Spielplan genommen, nur um in der nächsten Runde wieder dazuzukommen.

Ein  Bossfight im Spiel.
Ein Bossfight im Spiel.

Waren alle Spieler einmal an der Reihe, scrollt das Spielfeld weiter. Die unterste Reihe wird entfernt, eventuell darauf befindliche Spieler auf die nächste Reihe verschoben. Dann wird am oberen Ende eine neue Reihe angelegt und mit Karten aufgefüllt. Sollten keine Karten mehr im Deck sein, kommt auch keine neue Reihe mehr hinzu.

Das Spiel endet, sobald nur noch zwei Reihen übrig sind, und der Spieler mit dem meisten Ruhm gewinnt.

Wie man Ruhm erlangt? Durch das Erledigen von Gegnern, seltene Power Ups, die man aufsammeln kann, das Durchfliegen von Labyrinthen, das Erfüllen von Questen (davon hat jeder eine eigene) oder von Herausforderungen (davon liegen immer vier Stück aus, die von jedem erfüllt werden können). Und auch, indem man andere Spieler beschießt. Also eine ganze Menge Dinge, die man beachten kann und sollte, was das Spiel nicht sofort zugänglich macht. Aber wenn man die Prinzipien einmal verstanden hat, spielt es sich sehr flüssig und man merkt die Komplexität kaum noch.

Das Spiel kommt komplett ohne Würfel aus. Der Glücksfaktor kommt dennoch an mehreren Stellen ins Spiel: zum Beispiel durch das aufgedeckte Gelände, was die eigene Position plötzlich sehr viel besser oder schlechter machen kann. Und auch durch Power Ups, Sensorkarten und Questen, die immer zufällig gezogen werden. Bis auf die Geländekarten kann man aber relativ gut planen, da man die eigenen Karten meist einige Runden hat, bevor man sie einsetzt.

Spielt man mit vier oder fünf Spielern, so wird das Spielfeld breiter, wodurch es mehr Platz für die zusätzlichen Schiffe gibt. Außerdem wird Bewegung wichtiger als beim kleineren Feld, da die Distanzen natürlich größer werden. Insbesondere das Spiel zu zweit gefällt mir, da das Gegeneinander sehr viel direkter spürbar ist als mit mehr Spielern. Je mehr Spieler beteiligt sind, desto chaotischer wird es und desto schlechter sind die eigenen Züge planbar. Gut spielbar ist das Spiel aber mit jeder Anzahl Spieler.

Das Player-Board
Das Player-Board

Durch die zufälligen Level und die verschiedenen Bosse, die dem Spiel beiliegen, ist jedes Spiel anders als das vorherige. Dennoch hat man irgendwann jede Strategie gespielt, jeden Boss besiegt. Bis es soweit ist, gehen aber sicherlich einige Dutzend Partien ins Land.

Preis-/Leistungsverhältnis

Auf der Messe war das Spiel für 35 EUR zu haben. Auf Amazon zahlt man aktuell 48. Dafür bekommt man ein liebevoll gestaltetes Spiel, mit dem man mit einigen Freunden viele Stunden Spaß haben kann. Die 35 EUR waren ein guter Preis. Bei 48 EUR müsste ich jedoch zweimal überlegen, ob ich es dafür kaufe.

Ausstattung

GameboxDie Spieleschachtel macht einiges her, die Grafik ist wirklich gelungen. Auch beim Spielmaterial merkt man, dass hier Liebhaber am Werk waren. Einer der Designer des Spiels arbeitet beruflich mit 3D-Druckern, und dort entstanden die wirklich nett anzusehenden Schiffe der Spieler. Alle anderen Objekte im Spiel sind allerdings lediglich auf Pappkarten gedruckt. Sie sehen nicht schlecht aus und die Pappe ist fest genug, um das Spielen unbeschadet zu überstehen, aber mehr Miniaturen hätten dem Spiel einen größeren optischen Reiz verliehen.

Praktisch ist, dass die Schiffe der Spieler so gebaut sind, dass man sie auf die aus Tabletops bekannten Ständer für fliegende Einheiten montieren kann – das entsprechende Loch ist bereits vorgebohrt. Unpraktisch ist, dass derartige Ständer dem Spiel jedoch nicht beiliegen.

Die Regeln sind grafisch sehr gelungen, aber ein wenig verwirrend aufgebaut. Das erschwert das erste Spiel etwas, wenn man niemanden dabei hat, der es einem erklärt. Danach ist man für die Übersicht der wichtigsten Dinge aber dankbar, die prominent auf den letzten Seiten der Regeln zu finden ist. Mehr braucht man im Spiel dann eigentlich nicht mehr.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Z-Man Games
  • Autor(en): Anders Tyrland, Olle Tyrland
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Englisch
  • Format: Brettspiel
  • ISBN/EAN: 71420ZMG
  • Preis: 48,54 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 Spielmaterial

Bonus/Downloadcontent

Auf der Webseite des Herstellers findet man das Regelheft zum Download und kann sich so schon vor dem Kauf einen Überblick verschaffen. Außerdem gibt es auf Boardgamegeek.com inoffizielle Regeln, um kooperativ oder solo zu spielen: Koop-/Soloregeln

Boss

Fazit

The Battle at Kemble’s Cascade schafft es tatsächlich erstaunlich gut, das Feeling eines Vertical Shmups auf ein Brettspiel zu übertragen. Es ist bunt, bisweilen ein wenig hektisch, es wimmelt von Gegnern und man ballert, was die Rohre hergeben und doch scheint es nie genug zu sein. Und genau wie die Spiele damals, hat auch dieses Brettspiel eine Hintergrundgeschichte – die man aber für das Spiel getrost vollständig ignorieren kann und die am Anfang der Regeln in wenigen Sätzen grob skizziert wird. Gerade für Kinder der 80er und 90er Jahre, die wie ich mit solchen Spielen groß geworden sind, kommt ein wunderschönes nostalgisches Feeling auf, wenn man The Battle at Kemble’s Cascade spielt.

Dass auch noch andere Spieler dabei sind, verändert die Situation natürlich, und der kompetitive Faktor ist nicht zu unterschätzen. Es kann herrlich viel Spaß machen, vor einen anderen Spieler zu ziehen und ihn damit so zu blockieren, dass er sicher weiß, dass er die Runde nicht überleben wird. Dann kann man nur hoffen, dass er oder sie sich dafür später nicht rächen kann.

Das Spielmaterial ist durchwachsen – auf der einen Seite die wunderschönen Schiffe, auf der anderen die zwar funktionalen aber nicht eben begeisternden sonstigen Karten. Da wäre sicherlich mehr möglich gewesen.

Etwas schade ist, dass eine Partie 75 – 90 Minuten dauert. Und da ist der recht aufwändige Aufbau noch nicht dabei. Das Spielprinzip wäre für ein kurzweiligeres Spiel vielleicht geeigneter gewesen, aber auf Anhieb fällt mir auch kaum ein, welche Elemente man vereinfachen könnte, um das Spiel zu verkürzen.

Insgesamt bekommt man ein schönes Spiel, mit dem man viele, viele Stunden lang Spaß haben kann. Aktuell ist der Preis jedoch ziemlich hoch, und so würde ich vielleicht warten, bis es mehr Bezugsquellen für das Spiel in Deutschland gibt, und dann zuschlagen.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Z-Man Games

 

2 Kommentare

  1. Zwei Dinge sind noch erwähnenswert:
    1.) Diese ominöse „Bedrohung“ entsteht durch alles, was am Ende des Zuges auf einen feuern kann und repräsentiert die Anzahl der Geschosse, die derzeit gefährlich nahe am eigenen Schiff durch den Raum fliegen.
    2.) Chiptunes waren nie out ;-)

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