Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Jeder von uns hat das schon einmal erlebt. Er war auf einer Con und mitgerissen von den vielen Dingen, die dort geschehen sind. Kaum zu Hause, möchte man, nach einer kurzen Verschnaufpause, natürlich seinen Mitmenschen an seinen Erlebnissen teilhaben lassen. Wir LARPer sind Selbstdarsteller und erzählen sehr gern vom LARP, also suchen wir uns jemanden, der nicht schnell genug weglaufen kann, und beginnen, ihm von unseren letzten Erlebnissen zu erzählen. Doch schon stehen wir vor einem Problem. War da nicht viel mehr? Es ist doch so unglaublich viel geschehen. Doch auf einmal scheint bereits alles zu verblassen, ineinanderzufließen, und man kann nicht wirklich greifen, was genau alles passiert ist. Man kann ein paar Fetzen herausgreifen und seinem Gesprächspartner erzählen, doch die Masse an Informationen bleibt erst einmal verschollen. Erst im Laufe der Zeit, in den folgenden Stunden oder gar Tagen, kommen die Erinnerungen nach und nach zurück. Das wiederum lässt auf eine Überforderung des Gehirns schließen, das erst nach und nach die gesammelten Eindrücke verarbeiten kann. Können wir aber, mit solch einem überlasteten Bewusstsein, LARP überhaupt noch richtig genießen? Werden wir nicht mittlerweile so sehr mit Reizen, Abenteuern, schlicht, Interessantem überschüttet, dass wir LARP gar nicht mehr in Ruhe verarbeiten können?

Physische Grenzen

Aufmerksamkeit ist anstrengend. Das wissen wir spätestens seit der Schulzeit, wo 45 Minuten lang stillsitzen und zuhören beziehungsweise mitarbeiten schon extrem fordernd sein können. Später dann, im Berufsleben, merken wir, 45 Minuten waren ein Klacks. Achtstundentage, egal, ob mit körperlicher Arbeit oder nicht, führen mitunter dazu, dass man sich am Ende des Tages wie gerädert fühlt. Der menschliche Geist ist nicht auf solche Dauerbelastung eingestellt. Er braucht Pausen, um die Informationsflut verarbeiten zu können. Aus diesem Grund gibt es Arbeitszeitgesetze die beispielsweise vorsehen, dass die tägliche Arbeitszeit in der Regel acht Stunden nicht überschreiten darf (§3 ArbZG) oder zwischen den Arbeitszeiten mindestens elf Stunden Ruhezeit liegen müssen (§5 Abs. 1 ArbZG). Sollten Ruhe- bzw. Arbeitszeiten regelmäßig und markant unter- bzw. überschritten werden, so sinkt die Aufmerksamkeit des Arbeitsnehmers rapide ab und damit auch seine Leistungsfähigkeit. Die Dauer dieser Aufmerksamkeitsspanne steigt mit dem Alter an, bis sie mit Anfang/Mitte 30 ein Maximum erreicht hat, danach beginnt der Körper wieder abzubauen, was sich auch auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns auswirkt. Dazu kommen noch tageszeitliche Hochs und Tiefs, welche sich auf die Merkfähigkeit auswirken.

Die Con-Realität …

Den krassen Gegenentwurf zu dieser gemäßigten, gesetzlich geregelten Belastung des Gehirns haben wir nun auf modernen LARP-Cons. Auf 3-5 Tagesveranstaltungen, die die große Masse der LARP-Veranstaltungen ausmachen, steht der Spieler mittlerweile unter 24 Stunden Dauerstress am Tag. Seien es Rätsel, die es zu lösen gilt, Angriffe von Orks oder Untoten bis spät in die Nacht hinein oder auch nur das simple Charakterspiel in der Taverne. Durch das Spiel bleibt das Gehirn auf Touren, muss die Eindrücke die es bekommt verarbeiten und darauf adäquat reagieren. Diese Reaktion fällt in der Regel dann auch noch anders aus als sie es außerhalb von LARP tun würde, was zusätzliche, möglichst unterbewusste, Denkprozesse erfordert. Und da einem auf einem LARP nur eine begrenzte Zeitspanne zur Verfügung steht, wird diese möglichst effektiv genutzt und mit Erfahrungen vollgepackt. Auch wenn man schläft, von den im Gesetz geforderten elf Stunden mal ganz zu schweigen, bleibt das Gehirn nicht ausgeschaltet. Immer wieder könnte es beispielsweise doch Nachtangriffe geben. Das Gehirn bleibt also immer noch in Bereitschaft, was der Erholung wiederum natürlich nicht zuträglich ist.

Hinzu kommt auch noch, dass das (deutsches) LARP mittlerweile so komplex geworden ist, dass es viel mehr Spielangebote gibt, als man überhaupt annehmen kann. So viele Geschichten und Hintergründe gibt es zu erleben, Leute kennenzulernen, Rätsel zu lösen, Geheimnisse zu lüften. Viel mehr, als man selbst auf einer Con entdecken kann, doch das hindert einen meist nicht daran, es zumindest zu versuchen. Man möchte bloß nichts verpassen, wo man schon Geld dafür ausgibt und auch wie oben bereits erwähnt, nur eine begrenzte Zeitspanne zur Verfügung hat.

Auf der Con selbst funktioniert das in der Regel noch erstaunlich gut. Spieler­ steht man selbst zumeist so unter Adrenalin und/oder Endorphinen, dass der Körper diese erhöhte Belastung gar nicht wirklich erkennt. Die Reserven werden aktiviert, man ist hellwach, auch um vier Uhr morgens noch, solange man etwas zu tun hat. Auch wird allerdings nichts von dem wirklich verarbeitet, was man erlebt, da immer mehr immer neue Informationen auf den Geist einprasseln. Die werden dann erst einmal auf Halde geschoben.

… und das Danach

Doch irgendwann ist auch die schönste und aufregendste Con zu Ende. Der Lich ist besiegt, die Welt ein weiteres Mal gerettet. Und wenn das Adrenalin abebbt, merken Körper und Geist irgendwann, dass es genug ist. Die Reserven sind aufgebraucht, der Körper und der Geist bauen ab. Es gibt nichts Aufregendes mehr zu tun, das rechtfertigen würde, weiterhin auf Hochtouren zu laufen. Dies führt in der Regel zu einem Tief, in dem der Körper sich holen will, was er in den vergangen Tagen verpasst hat. Ruhe, Schlaf und Zeit, das Erlebte zu verarbeiten (wir erinnern uns, da war diese Halde mit aufgestauten Informationen). Und das dauert, besonders wenn dann in den nächsten Tagen doch wieder neue Informationen des Alltags hinzukommen, die vorrangig bearbeitet werden müssen. Das kennen wir dann als die Erinnerungsfetzen, die nach und nach wieder auftauchen, wir aber nicht bewusst von uns aus direkt aufrufen können. Das ist der Grund dafür, dass wir, wenn wir direkt nach der Con über die Erlebnisse berichten wollen, meist nur einen Bruchteil dessen wissen, was wir vor nicht allzu langer Zeit selbst erlebt haben.

Und was lernen wir daraus?

Ist das jetzt allerdings gut oder schlecht? Wenn wir uns selbst so einen Informationsüberfluss zumuten, können wir die Qualität der einzelnen Informationen doch gar nicht mehr richtig wertschätzen. Wäre es nicht vielleicht sinnvoller ein oder zwei Schippen von der Quantität herabzusenken und dafür die Qualität wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken? Sollten wir uns selbst und unserem Geist nicht etwas mehr Ruhe und Besinnlichkeit gönnen, anstatt uns von einem Stresspol in den nächsten zu hetzen?

Spinnen wir das Ganze noch ein wenig weiter. Orgas sollten in ihrem Con-Konzept bedenken, wie viel Action und Stress sie durch ihre Con den Spielern zumuten wollen. Vielleicht ist es wirklich besser, ein paar Elemente herauszulassen oder von der Con auszuschließen und so den Stresslevel bewusst zu senken, um dafür die Wahrnehmung für die restlichen Elemente zu steigern. Vielleicht sollte eine Orga also viel mehr ihr Augenmerk auf einzelne Elemente legen, anstatt eine möglichst breite und komplexe Welt zu gestalten. Dies erfordert von den Orgas allerdings eine sehr bewusste und strukturierte Gestaltung ihrer Con. Hierfür können verschiedene Methoden eingesetzt werden, wie beispielsweise das Game-Design-Document, das alle relevanten Fakten enthält und festlegt. Myriel Balzer stellte diese, aus dem Game-Design stammende Methode, auf dem Mittelpunkt 2014 der deutschen LARP-Konferenz, für LARP vor und wird dieses demnächst auch zum Download anbieten.

Des Weiteren bieten sich zum Entschleunigen der Spieler auch Out-Rooms an. Vor allem im Nordic-LARP bereits schon jahrelang genutzt sind dies festgelegte Räume/Bereiche in die sich Spieler zurückziehen können um sich zeitweise aus dem Spiel zu nehmen und zur Ruhe zu kommen, sollte das Spiel zu stressig werden. Besonders bei den psychisch fordernden Spielern der Nordic-LARP-Szene haben sich diese Räume bewährt. Dieses System erfordert natürlich, dass Spieler selbst erkennen müssen, dass ihnen eine Auszeit gut tut. Mit ein wenig Erfahrung funktioniert das allerdings ziemlich gut und ich durfte bereits selbst die Erfahrung machen wie entspannend auch nur eine halbe Stunde in einem solchen Out-Room sein kann. Vielleicht wäre so ein spezieller Out-Bereich der nur zum (zeitweiligen) Entspannen vom Spiel ist auch für deutsche Orgas interessant.

Fazit

Wir setzen uns selbst durch Cons einer sehr hohen physischen als auch psychischen Belastung aus. Während der Veranstaltung selbst bekommen wir das meist nicht mit, doch sind die typischen Nach-Con-Erscheinungsformen starke Anzeichen dafür, dass unser Geist nur mühsam das aufarbeitet, was wir am Wochenende an Informationen in massivem Überfluss gesammelt haben. Dies führt zu einer immer quantitativeren Betrachtung der Erlebnisse und Erfahrungen, wodurch die Qualität leicht hintenüberfallen kann. Nicht, weil sie etwa nicht vorhanden ist, sondern weil wir sie einfach nicht mehr wahrnehmen.

LARPer sollten sich also genau überlegen, was sie erfahren und erleben wollen und ob sie mit ihren Versuchen, möglichst viel in möglichst wenig Zeit zu packen nicht eventuell über das Ziel hinausschießen. Sowohl Spieler als auch Orgas sind hier beide in der Pflicht, die psychischen Grenzen und Belastung im Auge zu behalten und zu kontrollieren. Hierzu kann man entweder durch konzeptionelle Arbeit im vornherein oder aber durch Rahmenbedingungen auf der Con selbst dafür Sorge tragen, diesen Informationsüberfluss zu vermeiden. Wichtigster Punkt hierbei sollte allerdings eine kritische Betrachtung der eigenen Grenzen als LARPer sein.

Artikelbilder: Nabil Hanano, Diemelstedt, Drachenfest

 

4 Kommentare

  1. Da ist viel Wahres dran. Ab und zu etwas herunterkommen, die Geschehnisse sacken lassen und einfach einmal verarbeiten, was da gerade alles passiert – das ist sehr wichtig. Ich selbst gönne mir immer wieder Pausen und gehe ein wenig abseits spazieren oder ziehe mich für eine gewisse Zeit ins Zelt zurück. Manchmal nutze ich die Zeit, um mir Notizen über das Erlebte zu machen. Das lenkt etwas ab und zwingt das Gehirn etwas dazu, einen anderen Blickwinkel einzunehmen.

    Die angesprochenen Wünsche, doch auch bei deutschen LARPs über einige Errungenschaften des Nordic LARPs nachzudenken, erfüllt übrigens die Orga von Projekt Exodus vollumfänglich ;) . Das könnte allerdings auch daran liegen, dass es sich dabei um ein Nordic LARP in Deutschland handelt und Out-Rooms bei derart fordernden Spielen sehr wichtig sind. Bei Exodus wird zudem nicht 24 Stunden gespielt, das Spiel ist im Gegenteil sogar in Episoden zu je 7-8 Stunden eingeteilt, geschlafen wird dann außerhalb des Spieles. Auch so können die Spieler wieder etwas runterkommen und verarbeiten, was da gerade passiert ist. Am „Vollzeitspieltag“ ist in der Mitte eine einstündige Pause eingeplant. Wenn schon im Spiel gegessen wird, dann sollen die Spieler wenigstens so die Chance haben, kurz runterzukommen. Ich denke, das ist ein gutes Konzept und würde auch einigen anderen Spielen gut tun.

  2. Der Vergleich mit Arbeitszeiten hinkt massiv, da ein Con für mich genau dies nicht ist: Arbeit! Es ist Entspannung im Sinne eines Abenteuerurlaubes und ich liebe es so viele Eindrücke zu erleben, gefordert zu werden oder in einer Flut an Möglichkeiten genau das raus picken zu können was mich, meinen Char oder eben meine Art zu spielen am meisten begeistert. Und zu meinem Spiel innerhalb meiner Gruppe gehören genauso selbst gesetzte IT-Pausen, die jedoch nicht OT werden, sondern eben genauso InCharacter geschehen: gemeinsames musizieren, sitzen, Geschichten erzählen, Essen, Trinken, Feiern oder Abends am Lagerfeuer sitzen.
    Ein Zwangs-OT wäre für mich fast ein Grund nciht zu dem Event zu fahren, oder ich würde mit meiner Gruppe einfach intern weiterspielen.

    Oft kommt es mir eher so vor als wäre nicht die Menge, sondern eher die Verteilung das eigentliche Problem: Jeder kennt das SamstagMittagsloch, an dem nichts geschieht und viele Orgas tendieren dazu dann am Abend alles auf einmal puschen zu wollen. Gerade bei kurzen Cons bekommt man am Anfang eine riesige Menge präsentiert: Neues Land, Leute, Geschehnisse und noch unbekannte Umstände, auf die man sich außer ein bisschen IT Infos vor dem Con kaum vorbereiten kann. Selbst bei langfristigen Kampagnen wird man gerne einmal in das Neue geworfen, schließlich will die Orga ja für Abwechslung sorgen.
    Ist man dann angekommen, hat die ersten Schlachten geschlagen, Rätsel entdeckt oder wasauchimmer, heißt es Land und Leute kennenlernen, schlafen und auf zum nächsten Tag. Wirkliche 24h Dauerstress habe ich tatsächlich noch nie erlebt, selbst auf Großcons kann jeder der will seine paar Stunden OT Schlaf bekommen, Nachtkämpfe sind ein leidies Thema für sich und ein Bedrohungszenario aufrecht zu erhalten ist verdammt schwer und wird nur selten gut genug umgesetzt um mich wirklich 24h durchgehend um mein Leben bangen zu lassen.

    Das Gefühl das zu viel geschieht und man nicht alles mitkriegen kann finde ich sogar gut: Nicht alles ist für jeden und nicht jeder Charakter hat überall zu schaffen, wieso auch? Eigentlich würde ich gerade auf kleineren Cons noch viel mehr davon haben wollen. Ich will gefordert, überfordert und überwältigt werden, das macht doch dieses Hobby erst so richtig aus. Sich vollkommen in eine andere Welt stürzen können, erfodert eben mehr als einen geradlinigen Plotverlauf in nettem Setting. In einer echten Welt passieren auch unglaublich viele Dinge gleichzeitig, kaum beeinflußbar von einem selbst und dennoch versuchen wir es immer wieder. Klar ist es toll im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen und nichts ist toller als zu sehen, wie die eigenen Entscheidungen die Welt bewegen, aber in einer realeren Welt bewegen wir nur kleine Teile und sind umgeben von so viel mehr als wir selbst auch nur erahnen können.

    tl;dr: Stress ist gut und kann ein sehr positives Erlebniss sein, Larp ist keine Arbeit und gern viel mehr Infos, Geschichten und Erlebnisse (Qualität vorausgesetzt)

  3. Ich finde das Thema ehrlich gesagt auch eher unproblematisch. Zumindest größere LARPs basieren darauf, dass es mehr Geschehen gibt, als ein einzelner verarbeiten kann. Was Wunder – sie sind ja auch für eine Meute aus fünfzig bis mehreren hundert „Hauptcharakteren“ konzipiert, die allesamt ihren Teil vom Plotkuchen abhaben wollen. Wenn ich da den Überblick verliere und nicht genau sagen kann, was es mit dem Lehrling des Nekromanten, dem zu rettenden Drachen, den durch’s Bild huschenden Skaven, den rumrandalierenden Orks und den wahnsinnigen Alchimisten auf sich hat: Wen kümmert’s? Ich schnapp mir den Drachen, weil ich Drachen geil finde, und vertraue darauf, dass sich schon irgendwer anders um den Rest kümmern wird. Vielleicht lass ich mir am Ende des Cons mal von meinen Kumpels erzählen, was es mit dem Alchimisten auf sich hatte. Vielleicht fühl ich mich auch zwischendurch unterfordert und versuche, noch in den Skavenplot einzusteigen. Oder ich lehne mich einfach zurück und betreibe eine Runde Con-Grillen mit Freunden.
    Es gibt sehr wenige Cons, wo wirklich jeder SC in jeden Plot eingebunden sein muss, um zu überleben. Nur, weil eine Spielmöglichkeit angeboten wird, muss man nicht darauf eingehen.

  4. Ich habe kein Problem mit dem Informationsüberfluss. Was aber wohl an meiner Darstellung als Handwerker und „Nichtplotjäger“ liegt.

    Es ist wie in einer Großstadt wo an jeder Ecke was passiert, aber letztendlich man nur in der eigenen kleinen Viertelwelt lebt. Das Spiel lebt davon das man nicht alles erleben muss, und auch mal einiges bewusst ausblendet. Was dann übrig bleibt ist dann um so intensiver, und macht mehr Spaß.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein