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Ausnahmsweise möchte ich diesen Artikel mit einer persönlichen Anmerkung beginnen: Zugegeben, ich bin kein Hardcore-Tabletop-Spieler. Den ganzen Tag lang mit dem Zoll-Maßband Entfernungen zwischen zwei Figuren messen und sich dann durch ein dickes Regelwerk wühlen, vielleicht noch die Figuren nach einem strengen Codex aufstellen und ja nicht vergessen die Abweichung auszuwürfeln – nein, das ist nichts für mich! Und genau für solche Spieler wie mich gibt es deshalb solche Spiele wie Dust Tactics! Es ist ein Miniaturen-Brettspiel, welches die Vorzüge eines Tabletops mit der Abstraktheit eines Brettspiels verbindet. Gut, das taktische Spiel auf einer mit quadratischen Feldern bedeckten Spielmatte ist mittlerweile kein Alleinstellungsmerkmal mehr – ein Streifzug in die Wirren eines alternativen 2. Weltkrieges lohnt sich aber trotz dessen.

Hitler ist tot

Dust Tactics spielt Jahr 1947. Der 2. Weltkrieg ist noch lange nicht vorbei, sondern hat noch an Schärfe und Gnadenlosigkeit hinzugewonnen. Nahezu jedes Land der Erde ist mittlerweile in den Krieg eingetreten als Teil einer der drei großen Machtblöcke: Die Achsenmächte, die Sino-Sowjetische Union (SSU) und die Alliierten. Dabei werden die Schlachtfelder nicht mehr nur von normalen Panzern durchpflügt und von einfachen Soldaten mit Gewehr und Panzerfaust verteidigt. Nein, jetzt dominieren riesige Kampfroboter, hochtechnisierte Gorillas, fliegende Lasergrenadiere und furchterregende Zombies das Kriegsgeschehen. Denn mittlerweile gab es einen dramatischen Technologiesprung, ausgelöst durch ein geschichtsveränderndes Ereignis im Juli 1936: Der Außerirdische Kvasir vom Volk der Vrill stürzt mit seinem Ufo in der Antarktis ab. Im März 1938 wird das Raumschiffwrack von einer deutschen Expedition geborgen und zurück nach Deutschland gebracht.

Die Nazis erkennen schnell den Wert der Entdeckung und gründen im Monat darauf das Blutkreuz-Korps. Diese geheime Forschungsgruppe wird von Kvasir in die Geheimnisse der Alien-Technologie und des seltenen, auch auf der Erde vorkommenden, Hochtechnologie-Rohstoffs Vril-Kultur (im Spiel nur VK genannt) eingeweiht und entwickelt sich zu einem zentralen Machtorgan im mittlerweile von 2. Weltkrieg erschütterten Nazi-Reich. Mit den durch außerirdische Technologie hochgerüsteten Waffensystemen wenden Blutkreuz-Truppen die drohende Niederlage ab und greifen hiernach selbst nach der Macht über die Achsenmächte. Hitler fällt im April 1943 einem Blutkreuz-Attentat zum Opfer, die Nazi-Organisationen und Elite-Verbände werden zerschlagen. Doch trotz des Machtwechsels geht der Krieg weiter.

Die Fraktionen

  • Die Achsenmächte versuchen nun mit Zwang, die ganze Welt unter ihrer Führung zu einen, aus Angst, dass die Außerirdischen in kriegerischer Absicht wiederkommen könnten. Mit hochentwickelter Lasertechnologie ausgestattet, setzen sie auf schwer gepanzerte Elite-Truppen und auf jede Panzerung durchbrechende Kampfläufer. In den vergangenen Kriegsjahren haben sie trotz dessen viele Soldaten verloren und holen sich direkt aus den Blutkreuz-Forschungslaboren Ersatz: Wiederbelebte Leichen und hochintelligente Gorillas versetzen die Gegner in Panik, sie sähen Furcht und Schrecken.
  • Ihnen gegenüber stehen die Kommunisten der SSU, die ihren Machtbereich zum Wohle der Arbeiter und Bauern ausbauen wollen. Sie stützen ihre Armee auf drei Säulen: Billige Soldaten, die, oftmals angeführt von politischen Kommissaren, durch ihre schiere Überzahl den Feind in die Knie zwingen; billige Kampfläufer und klassische Panzer, die robust und kampfstark sind; des Weiteren besitzen sie als einzige Fraktion Helikopter.
  • Das letzte Bollwerk der Freiheit stellen die Alliierten da, in deren Hintergrund aber großkapitalistische Puppenspieler ihre Fäden ziehen. 1947 haben die alliierten Spione auch endlich die Vril-Technologie von den Achsen gestohlen, sodass sie den technischen Rückstand mühelos aufholen konnten. Der Vorteil ihrer Armee ist die enorme Beweglichkeit: Schwere Infanteristen können mit ihrem Raketenrucksack über ganze Häuserblöcke springen, während amphibische Kampfläufer mühelos durch Gewässer stampfen. Mit Hochenergie-Phaser-Geschützen ausgerüstet, können sie selbst schwergepanzerte Feindeinheiten effektiv bekämpfen.

 

In absehbarer Zeit sollen dann noch weitere Fraktionen hinzukommen. Bestätigt sind bereits die sich aus den Achsenmächten loslösenden Japaner und die außerirdischen Vril.

Miniaturen

Die Dust Tactics-Miniaturen fallen recht groß aus. Der normale Standard-Infanterist kommt im stattlichen 32-mm-Maßstab, bei den schwer gepanzerten Elitetruppen können es auch schon mal 35 mm sein. Sämtliche Einheiten sind in ihrer jeweiligen Fraktionsfarbe bereits vorgrundiert (Achse: Grau, Alliierte: Dunkelgrün, SSU: helles Oliv) und teilweise mit Abziehbildern beklebt. Durch die Vorgrundierung kann man auf die Miniaturen sogar direkt Farbe auftragen, welche auch gut hält. Die meisten Figuren sind bereits zusammengebaut, und die in Einzelteilen gelieferten Produkte können problemlos und sicher zusammengesteckt werden. Ich besitze mittlerweile fast alle Figuren, und nur bei einem Kampfläufermodell war der Einsatz vom Klebstoff zwingend notwendig.

Das Material ist dabei, besonders bei den älteren Modellen, jedoch recht weich. So verschwimmen einige Details der eigentlich liebevoll gestalteten Figuren etwas, was man den Figuren wortwörtlich vom Gesicht ablesen kann: Nase und Lippen sind zwar noch erkennbar, feinere Details gibt es aber kaum. Außerdem verbiegt das Material relativ leicht, lässt sich aber im Gegenzug auch problemlos zurückbiegen. Im Vergleich zu anderen Spielen landen diese Plastik-Miniaturen genau im Mittelfeld; sie kommen nicht an die hochwertigen Zinn- und Resin-Miniaturen der bekannten Tabletop-Hersteller heran, sind aber wesentlich detaillierter als die Plastikfiguren der meisten Brettspiele.

Regeln

Die Grundregeln von Dust Tactics sind ausgesprochen schnell erklärt und in knapp 15 Minuten erlernbar: Das Spielfeld besteht aus quadratischen, 10 x 10 cm großen Feldern, wobei in jedem Feld nur eine Einheit bzw. ein Trupp stehen darf. Pro Runde werden abwechselnd Einheiten gezogen. Jede aktivierte Einheit (ein Kampfläufer, ein Flieger oder ein ganzer Trupp Infanteristen) darf dabei pro Runde zwei Aktionen durchführen, wobei diese Aktionen auch doppelt eingesetzt werden dürfen: Angriff (bei doppelter Aktion Dauerfeuer), Bewegung (bei doppelter Aktion Marsch) und Spezialaktionen wie Heilung oder Nachladen. Die Spezialaktionen stehen, ebenso wie das Waffenprofil und die drei Grundwerte, auf kleinen Einheitenkarten. Die Grundwerte sind Bewegungswert, Panzerungsklasse und Lebenspunkte.

  • Die Panzerungsklasse gibt an, wie viele Angriffswürfel der Gegner werfen darf. Infanteristen haben vier Panzerungsklassen, Kampfläufer/Panzer sieben und Flieger vier.
  • Die Lebenspunkte geben an, wie viele Treffer eine Einheit verkraften kann. Bei normalen Infanteristen gilt ein Lebenspunkt als eine Einheit, folglich werden beispielsweise bei drei Treffern auch drei Infanteristen aus der Soldatengruppe entfernt. Spezielle Helden, Kampfläufer und Flieger verfügen über mehrere Lebenspunkte, die erst komplett aufgebraucht sein müssen, ehe die Einheit zerstört wird.
  • Der dritte Grundwert ist der Bewegungswert: Hier geben zwei Zahlen an, wie viele Felder sich eine Einheit bewegen darf. Die erste Zahl gibt die normale Bewegungsreichweite an, die zweite Zahl die maximale Bewegungsreichweite bei einer doppelten Bewegungsaktion.

 

Will man nun einen Angriff durchführen, schaut man sich erst die Panzerungsklasse des Gegners an, dann die Stärke der eigenen Bewaffnung und schließlich, ob man überhaupt in Reichweite ist. Sind Reichweite und Stärke der Waffe in Ordnung, würfelt man so viele sechsseitige Würfel, wie auf der Einheitenkarte angegeben und zählt die Treffer zusammen. Die Würfel sind dabei speziell für das Spiel hergestellt und erhalten jeweils zwei Fraktionssymbole, zwei Zielsymbole und zwei Panzerungssymbole. Fraktionssymbole zählen dabei immer als Erfolg, je nach Spielsituation zählen auch die anderen Symbole: Beispielsweise zählt bei schwerer Deckung zu dem Fraktionssymbol auch das Deckungssymbol hinzu. Die Erfolgschance liegt hierbei also normalerweise bei 1/3, kann bei Spezialwaffen und speziellen Situationen auch doppelt so hoch, also 2/3, liegen. Manche Einheiten dürfen dann, dank ihrer Spezialfähigkeit oder Einheitenklasse, einen Rüstungs- und/oder Deckungswurf durchführen. Und was dann an Treffern übrig bleibt, wird den Lebenpunkten der beschossenen Einheit abgezogen.

Spielbeispiel

Das klingt kompliziert? Ist es aber nicht, wie dieses Beispiel zeigt: Eine schwere alliierte Infanterie-Einheit Grim Reapers will einen SSU-Trupp aus fünf Kommissaren beschießen. Diese sind acht Felder entfernt, die Reichweite der alliierten MGs liegt aber nur bei sechs. Also verwenden die Grim Reapers ihre erste von zwei Aktionen für eine Bewegung, um zwei Felder vorzurücken. Ihre zweite Aktion nehmen sie für einen Angriff und vergleichen den gegnerischen Panzerungswert mit ihrem Angriffswert. Die SSU-Soldaten haben den Wert 2, was den drei Grim Reapers erlaubt pro eigener Figur elf Würfel zu werfen. Zum Vergleich: Mit der Panzerungsklasse 3 wären es nur noch acht Würfel pro Figur gewesen. Von den nun 33 Würfeln treffen zehn, woraufhin der SSU-Spieler zehn Deckungswürfel wirft und sechs Erfolge schafft. Damit gehen vier Treffer durch und der SSU-Trupp verliert vier seiner fünf Figuren. Immerhin darf der SSU-Spieler jetzt selber wählen, welche Figur er behalten will, um etwa eine besondere Waffe zu behalten – In unserem Beispiel behält er den Kommissar mit dem Raketenwerfer, um eventuell noch einen Panzer abzuschießen.

Zu diesen Grundregeln kommen lediglich noch einige Sonderregeln hinzu, welche zumeist mit den Spezialfähigkeiten der einzelnen Einheiten zu tun haben. Diese werden aber auf der Rückseite der Einheitenkarten jeweils ausführlich erklärt.

Regelbuch und Armeebeschränkung

Bei der Zusammenstellung der eigenen Armee gibt es übrigens, bis auf das zuvor festgelegte Punktelimit (bei Turnieren 100 Punkte), keine Begrenzung. Ob man auf die geballte Macht schwer gepanzerter Kampfläufer setzt, lieber einer Horde elitärer Raketen-Truppen vertraut, ausnahmslos Helden aufstellt oder Massen billiger Zombies den Sturmangriff befiehlt, bleibt jedem Spieler selbst überlassen.

Im vollfarbigen, leider vorläufig nur englischsprachigen, Regelbuch 2.0 ist neben der normalen Spielvariante Tactics auch die neue Spielvariante Battlefield enthalten. Hierbei handelt es sich dann um ein „richtiges“ Tabletop, es werden die flachen Spielmatten gegen 3D-Gelände getauscht und anstatt des Abzählens der quadratischen Spielfelder wird mit dem Maßband gemessen. In diese neue Variante muss ich mich aber erst noch einarbeiten und werde mich später nochmal in einer Artikel-Ergänzung oder einem separaten Artikel dieser Spielvariante widmen.

Veteranen der 1. Edition, die auf die neue Regelversion 2.0 umsteigen, müssen sich besonders mit einer dramatischen Änderung des Spielgefühls abfinden. War die erste Regeledition noch eine äußerst geruhsame Angelegenheit, ist das Spiel nun wesentlich schneller geworden. Die Einheiten bewegen sich viel weiter und sterben schneller, teilweise wirft ein einziger Trupp drei Dutzend Angriffswürfel! Außerdem wird die Sichtlinie nun von „irgendwo auf dem Feld“ zu „irgendwo auf dem Feld“ gemessen. Das bedeutet, dass man nahezu immer eine Sichtlinie hat und eigentlich nirgendwo wirklich sicher vor feindlichem Beschuss ist – nicht mehr die Deckung ist ausschlaggebend für den Schutz vor feindlichem Feuer, sondern die Reichweite der gegnerischen Waffen. Wird die Anziehung des Tempos in der Dust-Szene weithin begrüßt, steht das neue Sichtliniensystem noch immer zur Disposition. In einem persönlichen Gespräch mit dem obersten Regelwächter Olivier Zamfirescu konnte ich aber erfahren, dass die Sichtlinienregel abgeändert werden soll, wie genau wollte er mir aber noch nicht verraten.

Preis-/Leistungsverhältnis

Der Preis ist mit dem letztjährigen Umstieg auf die Regelvariante 2.0 zwar angestiegen, bewegt sich aber noch im üblichen Rahmen. Eine Fraktions-Grundbox mit den jeweiligen Fraktionswürfeln, einem abgespeckten Regelheft, Spielmaterial (Deckung, Spielfeld etc.) und einem Trupp aus einem Held, einem Kampfläufer und zwei Infanterietruppen kostet im Fachhandel zwischen 35 und 45 EUR, gelegentlich gar nur 30 EUR. Enthalten ist darin ungefähr die Hälfte einer turnierfähigen Armee.

Dazu kommt das Hardcover-Regelbuch für ca. 25 EUR. Infanterieboxen mit drei bis fünf Figuren gibt es für unter 15 bis 20 EUR, Kampfläufer und Flieger je nach Größe für 25 – 35 EUR. Mit rund 100 EUR kommt man also schon an die im Turnier üblichen 100 Punkte, mit 150 EUR Investition kann man auch ein wenig variieren und sich den taktischen Gegebenheiten anpassen. Persönlich anmerken möchte ich noch, dass mir bei Dust Tactics keine einzige Einheitenleiche aufgefallen ist. Wirklich jede Einheit hat ihre Daseinsberechtigung.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Fantasy Flight Games / Battlefront
  • Autor(en): Paolo Parente
  • Erscheinungsjahr: 2010
  • Sprache: Englisch, Deutsch (teilweise)
  • Bezugsquelle: Amazon

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Fazit

Dust Tactics macht viel Spaß! Trotzdem wird so mancher Tabletop-Veteran damit nicht warm werden. Denn das Weltkriegs-Pulp-Setting wird nicht Jeden ansprechen und die Umstellung auf quadratische Felder bricht mit traditionellem Maßband-Tabletop.

Trotz dessen lohnt es sich einen näheren Blick auf dieses System zu werfen. Denn die Regeln sind durchdacht, die Einheiten sehr gut ausbalanciert, der Spielfluss geht einfach locker von der Hand. Besonders aber für Einsteiger, gerade für Spieler, die eher aus der Brettspiel-Ecke kommen, ist Dust Tactics aber ein ideales System. Es hat relativ geringe Einstiegshürden, sowohl in der Anschaffung als auch im Erlernen der Regeln. Durch die bereits grundierten und zusammengebauten Figuren kann man direkt losspielen. Und wer sich irgendwann mehr zutraut, kann zu Dust Battlefield wechseln und ein „echtes“ Tabletop erleben.

Die Community ist in Deutschland von der Größe her noch lange nicht vergleichbar mit den Platzhirschen der Szene, doch ist bereits in ganz Deutschland eine äußerst engagierte Turnierszene entstanden, die auch Anfänger herzlich aufnimmt.

Artikelbilder: Fantasy Flight Games
Fotografien: Philipp Lohmann

 

11 Kommentare

  1. […] Dust Tactics mal wieder. Das Weird-World-War-2-Spiel ist nach dem öffentlichen Zerwürfnis mit dem letzten Vertrieb, Battlefront Ltd, nun unter dem Namen Paolo Parente’s Dust 1947 aktiv und im Selbstvertrieb. Gerüchte, dass Ninja Division den Vertrieb übernommen hätte wurden dementiert. Dust war lediglich bei deren Stand auf der GAMA-Con „untergeschlüpft“. […]

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