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Vampire: The Masquerade – kein Spiel hat die Rollenspiellandschaft so verändert wie 1991 der Urban-Fantasy-Horror-Trip der Schmiede White Wolf, die zuvor nur durch Ars Magica bekannt war. Es hat nicht nur dafür gesorgt, dass der prozentuale Anteil von Frauen in der Szene gestiegen ist, sondern auch, dass sich Tischrollenspiel vom Hack & Slay hin zu sozialer Interaktion, Intrigen und tieferem Auseinandersetzen mit der eigenen Rolle erweitert hat. Ging es zuerst nur um die Streitigkeiten der diversen Vampirfamilien, hier Clans genannt, erweiterte sich das Setting – liebevoll als World of Darkness tituliert – stetig weiter um andere übernatürliche Wesen. Zuerst Werwölfe und Magier, dann Feen, ruhelose Seelen in der Zwischenwelt und vieles mehr.

Das Ende des Power Creeps

Während die Welt bunter wurde, litt sie auch an spielerischer Designqualität. Sie wurde nach und nach extremer und vielen Spielern nicht mehr angenehm. Exotische Elemente kamen hinzu, wie asiatische seelensaugende Vampire und noch Schrägeres. Bedingt durch lizenzrechtliche Streitigkeiten und dem zunehmenden Power Creep (dem Steigen des Powerlevels mit jedem neuen Quellenbuch), beschloss man bei White Wolf 2004, die World of Darkness enden zu lassen. Jede der übernatürlichen Spezies hatte ihre Vision vom Ende der Welt und im Time of Judgement-Event wurde daraus Wahrheit am Spieltisch gemacht.

Bereits zu diesem Zeitpunkt war ein Großteil der Spieler/innenschaft nicht begeistert von dem großen Handlungsfaden, der das Ende der Welt einläuten sollte. Viele entschieden sich, ohne diese Geschichte weiterzuspielen. Mit den Jahren drängten jedoch andere moderne Systeme auf den Markt und der Spielerkreis der World of Darkness wurde kleiner. Auch die Veröffentlichung der New World of Darkness hat hier nicht viel ändern können. Kam die Spiellinie in den USA noch gut an, sind die Spieler/innen in Deutschland spärlich gesät. Ganz zu Unrecht, möchte man meinen, denn sowohl der Regelkomplex, als auch der generelle Ansatz der Spielwelt haben vieles richtig gemacht, was der Vorgänger zu wirr gestaltet hatte.

Ein neuer Anfang

2011 platze dann die Bombe. White Wolf brachte eine neue Version von Vampire: The Masquerade auf den Markt. Das Ganze lief unter dem Arbeitstitel 20th Anniversary Edition und wurde in einer sehr erfolgreichen Vorbestelleraktion realisiert. Die zentralen Merkmale der neuen Version: überarbeitete Regeln für alle Bereiche, alle magischen Fähigkeiten (Disziplinen), alle Vampirclans und ein Bewegen des Settings in das 21. Jahrhundert, dem Informationszeitalter. Mit der Grand Masquerade und der Entlassungswelle bei CCP wanderten die Lizenzrechte 2012 zu Onyx Path Publishing, dem geistigen Nachfolger von White Wolf unter der Leitung von Richard Thomas.

Hieß es zuerst jedoch, es sollen nicht mehr allzuviele weitere Bücher erscheinen, um den Fehler der Vorgängeredition nicht zu wiederholen, haben sich die Umstände mittlerweile relativiert. Zum mit 528 Seiten sehr üppigen Grundregelwerk haben sich mittlerweile einige weitere Bücher gesellt und noch weitere Quellenbände sind in Planung. Auch viele der anderen Linien der World of Darkness sind reaktiviert worden, darunter Werewolf: The Apocalypse, Wraith: The Oblivion und Vampire: The Dark Ages – alle auf Basis von Crowdfundings.

Deutschland damals …

Die jetzige anstehende Übersetzung ist nicht das erste Mal, dass die Regelwerke zu Vampire übersetzt wurden. Bereits früher hat der Mannheimer Verlag Feder & Schwert Übersetzungen angefertigt, die guten Absatz fanden.

Noch heute zahlen Fans Traumpreise auf eBay für aus der Versenkung auftauchende deutsche Quellenbücher. Doch die Übersetzungen waren nicht ohne Kritik – vereinzelte Übertragungen bestimmter spielspezifischer Begriffe wurden in kleineren Kreisen kritisiert. Dennoch mochte das Gros der Spielerschaft die Arbeiten.

… und jetzt

Drei Jahre nach der Onyx Path-schen Bombe platze die von Ulisses. Auf dem RatCon 2014 erfuhren wir von Michael Mingers, Produktmanager bei Ulisses Spiele, dass eine deutsche Übersetzung der 20th Anniversary Edition ansteht. Die Kontakte zwischen Ulisses und Onyx Path bestehen schon länger und sollen nun Früchte tragen.

Wir sprachen mit André Wiesler, Projektmanager und Autor bei Ulisses Spiele. Er übernahm vor kurzem die Rolle des betreuenden Chefredakteurs.

André Wiesler wurde 1974 in Wuppertal geboren und lebt nach wie vor dort, gemeinsam mit Frau Janina und Sohn Lorenz. Er ist Rollenspieler seit der ersten DSA-Version und spielte mit Herz und Seele fast 10 Jahre lang wöchentliche Vampire und Werwolf-Runde, meist als SL. Zu seinen veröffentlichten Arbeiten zählen mehr als ein Dutzend Fantasy- und Sci-Fi-Romane, darunter auch Hagen von Stein, eine eigene Vampir-/Werwolf-Mystery-Trilogie. André Wieslers Können ist vielfältig. Er ist Spieleentwickler, Slam Poet und Lesekomiker mit Soloprogrammen.
André Wiesler
André Wiesler

Es werden das Grundregelwerk, das Companion, das Hunters Hunted, das Children of the Revolution und Dust to Dust übersetzt. Die Arbeitstitel sind Kompendium, Kinder der Revolution, Staub zu Staub und Gejagte Jäger.

Die Übersetzungsarbeit wird wieder von Feder & Schwert vollzogen, hier greifen Systemvertrautheit und die Erfahrung der ersten Übersetzung. Während Oliver Hoffman übersetzt, wird Oliver Graute lektorieren – beides bekannte Namen aus der Szene. Ulisses Spiele beteiligte in der Tat die Community und kündigte Mitarbeit bei der Übersetzung einer spezifischer Begriffe an, wie zum Beispiel Coterie = Klüngel. Die Resonanz aus dem Spielerkreis war sehr stark, so weit, dass sogar vereinzelte Spieler in der Redaktion anriefen und darum baten, die alten Übersetzungen bestehen zu lassen. „Verständlich“, sagte André, „die Spieler wollen natürlich den Wortschatz beibehalten, den sie seit Jahren gewohnt sind, zu nutzen“. Michael Mingers schrieb dazu in der News vom 22. August 2014: „Wir hatten angekündigt, dass wir für die V20 eine behutsame Anpassung des Glossars mit Fan-Feedback vornehmen würden. Nach Auswertung des Feedbacks und längeren Diskussionen zu dem Thema, haben wir uns aber entschlossen, bei der alten Fassung von Vampire – Die Maskerade zu bleiben. Es gab Bedenken von Fans, die durch die Überarbeitung eine Entfremdung von der Fassung befürchten, die sie in den 90ern kennen und lieben gelernt haben, was wir natürlich verhindern wollen. Zudem wird durch die durchgängige Benamung des alten Materials mit dem V20-Material eine maximale Kompatibilität ermöglicht, so dass man auch problemlos seine bisherigen Bücher aus dem Schrank ziehen kann.“

Auch befindet sich die Übersetzung „voll im Plan. Wir könnten die RPC als Veröffentlichungstermin halten. Da wir aber ein sehr gutes Produkt abliefern wollen, wird es etwas später. Die FeenCon ist unser Zieltermin“, ließ uns André wissen.

Über die englische V20 berichteten wir bereits mehrfach, diese Artikel finden sich im Vampire V20-Archiv.

Crowdfunding hatte anfangs in Deutschland einen schweren Stand. Spätestens seit dem Erfolg von Numenera hat sich aber gezeigt, dass die Vorbestellung durch Vorfinanzierung ein guter Weg sein kann, um Produkte auf den Markt zu bringen. Besonders im Fall dessen, dass sich ein Ankommen auf dem Markt schwer abschätzen lässt. Im Fall von V20D jedoch wird alleine der Anteil an Nostalgiekäufen sehr hoch sein.

Wie bei allen Crowdfundings werden die sogenannten Stretch Goals viel Interesse erwirken. Hierbei handelt es sich um zusätzliche Boni, die beim Überschreiten der Zielsumme aktiv werden. „Crowdfunding sehen wir in Fall der V20D nicht als Test, ob das System überhaupt ankommt. Davon gehen wir bei der Vielzahl der alten Fans mit Sicherheit aus. Für uns ist die Vorfinanzierung eher genau das. Es gibt viele Versionen der V20, darunter Hardcover und limitiert in Kunstleder. Mit der Vorfinanzierung können wir genau absehen, was gewünscht ist und das Geld der Kunden in die Produkte stecken. Wir produzieren also nicht zu viel und in die falsche Richtung, sondern passgenau. Natürlich wird die V20D auch in den normalen Rollenspiel-Einzelhandel kommen“, meinte André.

Welche Plattform letztendlich zur Realisierung des Projektes dienen wird, ist noch nicht endgültig entschieden. Starten wird die Finanzierung vermutlich im März. Dann erfahren wir auch mehr über die avisierten Stretch Goals. André : „Ich will noch nicht zu viel verraten, aber da werden einige Leckerbissen dabei sein.“

Artikelbild: Onyx Path Publishing

 

7 Kommentare

  1. Gute Entscheidung, die alten eingedeutschten Begrifflichkeiten zu bewahren.
    Man kann der neuen alten WoD nur wünschen, das sie auch seitens der beteiligten Verlage strikter voneinander getrennt wird, denn gerade hierin erwies sich ja das fehlende Balancing und der Weg weg vom persönlichen Horror hin zum…nun, gewöhnlichen Rollenspiel a la Hack’nSlay

    Ein großes Problem der neuen WoD war ja auch, das eben bekannte Begrifflichkeiten – inkl. der Clans – neu besetzt werden sollten und man auf das große Ganze im Hintergrund verzichtete, was zwar mehr Freiheiten brachte, aber eben nicht mehr die von den Spielern gewollte WoD war. Zudem das damalige Problem eben erst die 3rd Edition WoD vollumfänglich und stellenweise auf englisch erworben zu haben, nur um dann wieder ganz von vorne anfangen zu müssen. Mißfiel vielen damals, heutzutage ist man da doch eher an diesen Editionswahn gewöhnt.

    Dennoch darf man sich wohl erstmal freuen, letztlich muß man sehen, was daraus wird; gerade Vampire lebte hierzulande ja auch vom Liverollenspiel.

    • Die nWoD ist in Deutschland aus mehreren Gründen gescheitert.
      Zum einen war es damals – das hast du ja angesprochen, Reinhard, – noch sehr befremdlich, dass man von jetzt auf gleich seine Sachen in die Tonne hauen konnte, weil was komplett neues erschien. Ein Verlag möchte nunmal Geld machen und da ist ein Neustart immer attraktiv. Wir beobachten das gerade bei DSA, wo man auf die 5. Edition umzustellen versucht.

      Zum anderen hat es aber auch das deutsche Publishing gründlich versaut, denn die Serie lief in anderen Ländern durchweg ordentlich, während hierzulande die Reihe unabgeschlossen blieb und kaum supported wurde. Ich kann mich noch an die damaligen Diskussionen erinnern. Als es Feder & Schwert zu ungemütlich wurde, haben die einfach das Forum dicht gemacht, was bis dato ein Sammelbecken für Vampire-Spieler war, die dann vollends auf Seiten wie Blutschwerter.de ausweichen mussten. Zur Erinnerung: In dem Verlagsforum wurde nicht etwa Requiem gebasht, es wurde vor allem nach neuen Bänden geschrien; sowohl für Requiem als auch für das hauseigene Chroniken der Engel, (das F&S übrigens ebenfalls vermasselt hat.)

      Für Requiem gab es einfach keinen Bedarf in Deutschland. Die etablierten Vampire-SpielerInnen wollten klipp und klar ein Masquerade 3.0, am Besten mit neuen, eingängigeren Regeln und weniger Ballast. Was sie bekamen war die Zerstörung ihrer WoD und die Etablierung einer komplett anderen Welt, die kaum oder wenig neue, unbelastete Spieler fand. Viele erklärten es damals mit einem DSA-Gleichnis: Stell dir vor, als würde man verlagsseitig Aventurien abfackeln oder im Meer versenken und einen völlig neuen Kontinent aus dem Ozean auftauchen lassen, wo es dennoch Orks, Elfen, Zwerge und ein Mittelreich gibt, aber irgendwie anders, so dass man den ganzen Kram nochmal verkaufen kann.

      Das traf zwar den Marketingkern, verkannte jedoch, dass Requiem eine komplett neue Spielwelt zeigte, die nicht an Stelle, sondern neben der alten existierte. Nur dass man den Fehler machte, die alte Welt nicht mehr zu betreuen, so dass viele Requiem als ein Umbau des alten Settings verstanden und nicht als etwas eigenständiges. Natürlich hatte das ganze ein übles Marketinggeschmäckle und da fühlte man sich hierzulande schlichtweg verschaukelt, auch weil F&S hier unzureichend kommunizierte und nicht zuletzt die überaus aktive LIVE-Szene den Schritt zu 90% nicht mit ging.
      Ebenso wenig hat das offizielle LIVE-Regelwerk „Mind’s eye theatre“ bei besagter LIVE-Szene eine Chance. Das wurde bei Kickstarter massiv overfunded. 60.000 wollte man ursprünglich für das Ding, hinterher ist es fast ne Viertelmillion (!) geworden. MET wurde den Leutchen förmlich aus der Hand gerissen. Für die deutsche Fassung hätten die Macher 260.000 verlangt; die Übersetzung ins Deutsche war ganz bewusst das letztmögliche Stretchgoal. Die wussten, dass mit dem Buch hier kein Blumentopf zu gewinnen ist. Das Ding ist international der absolute Renner, während man in Deutschland über das System die Nase rümpft. Manchmal ist die deutsche Szene aber auch einfach nur Flame-willig. ;) Wir sind halt speziell, anspruchsvoll und dauerskeptisch und das wissen die Macher jenseits des großen Teichs auch. ;)

      Auf der objektiven Seite hat Requiem aber verdammt viel richtig gemacht: Kein Gehenna-Metaplot, der schon Mitte der 90er komplett ausgelutscht war; ein bis heute SEHR gutes Regelsystem; innovative Zusatzmodule und Kampagnen, wie das GENIALE Requiem for Rome. Außerdem waren die Freiheiten für Spielleitung und Autorenschaft gigantisch.
      Und betrachtet man Requiem singulär, also ohne Vorkenntnis der Maskerade, dann ist und bleibt es einfach ein super Setting und klasse Pen and Paper-Spiel. Onyx Path vertreibt das System bis heute und bringt immer noch neue Werke heraus. Nein, ein Flop ist Requiem nur in Deutschland, wo es nicht aus dem Schatten der großen Schwester kam und mMn auch viel zu früh und zögerlich veröffentlicht und obendrein mies vermarktet wurde.

      Was ich umso positiver finde ist, dass man mit der V20 einen gelungenen Mittelweg fährt und ENDLICH eine Maskerade 3.0 abliefert. Man reanimiert die alte WoD, entledigt sich aber des Ballasts von Gehenna und Co. Man schlägt das Buch auf, bekommt die erforderlichen Infos und kann tatsächlich spielen. Da wird nicht lange rumgeschwurbelt und auf Zusatzmodule vertröstet, die die Geschichte fortschreiben. Nein, erstmals wird der Status Quo abgebildet und die Spielerschaft nicht unter steten Kaufzwang gesetzt. Obendrein werden die größten Vorteile von Masquerade (Clans und Storytelling) und Requiem (Unverbindlichkeit und Freiheit) miteinander verbunden. Und diesmal wiederholt man nicht den Fehler, ein Setting einzustampfen, sondern lässt Requiem und Masquerade einfach parallel laufen. Warum nicht gleich so?

      Ich schätze die V20 nun seit 3 Jahren und diese Edition ist jeden Cent wert.
      Aber genauso wenig möchte ich die P&P-Spielrunden im antiken Rom vermissen, die ich vor einigen Jahren im Requiem-Setting spielen durfte und zum besten gehören was ich JEMALS in einem P&P erlebt habe.

    • @Raphael: Ein sehr interessanter und sehr guter Kommentar. Danke dafür. Ich stimme dir in allen Punkten zu. Insbesondere „Requiem for Rome“ ist eines der herausragendsten Bücher, die für Vampire je gemacht wurden. Freut mich sehr, dass noch jemandem so denkt :)

  2. Ein paar kleine Fehler scheinen sich in den Beitrag geschmuggelt zu haben: Die V20 war damals noch nicht per Kickstarter, sondern per direkter Vorbestellung beim Verlag damals zu erhalten. Daher gab es damals solche Schöpfungen wie die „V20 Europe buying group“ auf http://www.v20-europe.com, über die ich an die Jubiläumsausgabe kam. Dieses Deluxe-Werk listet noch White Wolf und CCP hf. als verantwortliche Firmen auf – OPP erhielt erst 2012 die Lizenzen (verkündet auf der GenCon 2012, schreibt man auf Wikipedia).

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