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Die erste Rezension zu Splittermond von den Teilzeithelden lässt ja noch ein wenig auf sich warten. Das Spiel ist nun aber schon ein paar Tage verfügbar und ihm Rahmen der HeinzCon 2015 war ich das erste Mal hautnah an dem neuen großen deutschen Rollenspiel dran und habe Splittermond (SpliMo) mal etwas unter den Rock sehen können.

Wie es geschah …

Ich gehöre vermutlich zur alten Garde. Ich habe mit Das Schwarze Auge angefangen und kurz nach der Einführung von DSA4 ging mir dann die Luft aus. Ich habe viele andere Spiele kennen gelernt und war dann auch ein paar Jahre rollenspielerisch „weg vom Fenster“ – ich habe nur meine Handvoll Systeme vor Augen gehabt und mehr nicht. Vor einiger Zeit habe ich mich dann mal wieder vor die Tür gewagt und den frischen Wind geschnuppert, der inzwischen dazu gekommen war. Die OSR-Welle oder Fate oder viele andere neue und neu lackierte Spiele. Und dann kam die Ankündigung vom Frühjahr 2013. Alles wurde anders.

Ich habe mich früh von dem Hype um Splittermond anstecken lassen – auf hanseatisch zurückhaltende Weise, versteht sich. Es wurde gleich von vielen Parallelen zu DSA gemunkelt (nicht zuletzt der Autoren wegen) und so es auch längst andere spannende Welten für mich zu entdecken gab, sehnte sich ein Teil zu den alten Dingen zurück. DSA hatte mich damals nicht verloren, weil ich es für schlecht hielt. Ich war einfach eine Weile weg und schaffte es irgendwie nicht mehr, zurückzufinden. Vielleicht ist es ja doch ein Zeichen dafür, dass es schlecht ist …?

Die Informationen auf der Splittermond-Seite ließen mich manchmal frohlocken, manchmal aber auch gähnen. Es steckte so viel neuer Wind in dem ganzen Projekt und dennoch fand sich hier und da ungewöhnlich Altbackenes. Aber zu dem Zeitpunkt war das ja alles noch in der Mache und ich wartete ab.

Als der Weltenband im März 2014 kam, habe ich gleich zugeschlagen. Wie ungewöhnlich, dass der Weltenband vor dem Grundregelwerk erscheint, dachte ich. Aber vermutlich noch besser, als andersherum. Warum sind die beiden Bücher überhaupt getrennt? Naja, einen möglichen Grund fand ich schnell: Damit andere die Welt auch ohne die SpliMo-Regeln bespielen können. Das verstößt zwar irgendwie gegen meinen Sinn für Ordnung, aber ich kann es verstehen. Ich habe also angefangen zu lesen (eher zu schmökern), hatte seitdem eine schicke neue Weltkarte in meinem Arbeitszimmer hängen und wartete begierig auf das Grundregelwerk.

Im Mai 2014 kündigte der Uhrwerk-Verlag dann an, dass das Grundregelwerk für alle Welt kostenlos als PDF-Download zur Verfügung gestellt werden würde. Als erwachsenes Spielkind bin ich längst dabei, vieles nur noch digital zu lesen und war dementsprechend aufgeregt und begierig darauf, es herunterzuladen. Natürlich nahm ich mir vor, mir auch das gedruckte Exemplar zu kaufen, aber wenn ich für die PDF-Version kein zusätzliches Geld ausgeben müsste, wäre das ein großer Gewinn für mich.

Tatsächlich habe ich im Sommer 2014 erstmal nicht bei der gedruckten Version zugegriffen und ein paar Wochen auf die Veröffentlichung der PDF-Datei gewartet. Die habe ich dann gelesen und war gleichzeitig begeistert und abgeschreckt.

Das Grundregelwerk

Es ist ein ziemlich umfassendes Werk mit einer Menge Regeln und Sonderregeln. Mein zweiter Eindruck war: warum? Warum wird mir da ziemlich schwere Kost serviert? Ist das wirklich zeitgemäß? Wie schon beschrieben, mein zweiter rollenspielerischer Frühling begann mit der Entdeckung von Dungeonslayers, Fate und vielen frischen Ansätzen. Splittermond wählt allerdings einen Pfad, der wirklich an stark klassische Regelwerke von vor der Jahrtausendwende erinnert, viele Werte benötigt und diese auf vielfache Art und Weise miteinander verknüpft. Alles in allem schwere Kost.

Ich habe versucht, mich mit der Theorie zu befassen. Ich habe gelesen und gelesen und mir natürlich auch einige Charaktere erschaffen. Aber ich habe es nie wirklich durchdrungen.

Die Charaktererschaffung enthält allerdings für mich die richtige Portion Crunch. Ein perfektes Rollenspiel besteht meiner Meinung nach aus einer ordentlich aufwändigen Charaktererschaffung, bei der ich viele Optionen habe und die Permutationen so vielfach sind, dass die Wahrscheinlichkeit verschwindend gering ist, dass es exakt diese Kombination an Werten schon mal gab oder wieder gibt. Dafür darf das Spielen selbst dann flüssig sein.

Splittermond bietet mir grundlegend zwei Möglichkeiten, den Charakter zu erschaffen. Entweder mit einem komplett freien System, oder indem ich mich eines Baukastensystems bediene. Die Wertigkeit innerhalb der Charaktererschaffung ist jeweils gleich, der Baukasten verleiht dem Ganzen meiner Meinung nach aber gleich Inspiration und Leben und natürlich würde ich diesem System immer den Vorzug geben, auch wenn im Vergleich zum Weltenbuch im Grundregelwerk augenscheinlich nur ein Bruchteil der potentiell verfügbaren Optionen vorgestellt wird. Es ist klar, dass es weitere Module in weiteren Publikationen geben wird. Damit kann ich leben, schließlich werden diese nichts liefern, was ich mit der freien Charaktererschaffung nicht jetzt schon bauen könnte.

Dass die Zauberschulen auch nur Fertigkeiten sind und vor allem von jedem gelernt werden können, finde ich von Anfang an großartig. Es gibt ein (zu unrecht) nicht breit bekanntes Rollenspiel namens ERPS, das durch ein sehr schlankes (aber klassisches) Regelsystem besticht, durch ein schönes Magiesystem und vor allem eine tolle Charaktererschaffung. Hier werde ich zum Teil daran erinnert.

Und dann sind da noch die Mondzeichen, die einem Charakter eine besondere Option verleiht, praktisch ein weiteres Set magischer Fähigkeiten.

Das Spiel

Die Tickleiste von Splittermond bei der Runde auf der HeinzCon 2015
Die Tickleiste von Splittermond bei der Runde auf der HeinzCon 2015

Nun habe ich auf der HeinzCon an zwei Runden teilnehmen können und meine ersten echten Erfahrungen gesammelt. Diese sind überwiegend … durchwachsen.

Die öffentliche Diskussion vor und nach Erscheinen des Spieles nur mit einem halben Auge mitverfolgend, hatte ich Splittermond immer als einen direkten Konkurrenten zu DSA vor Auge. „DSA wird doch nur gespielt, weil es alle spielen, nicht, weil es gut ist“, höre ich noch immer hier und da Leute sagen. Splittermond will vieles besser machen. Mein Eindruck – vor allem nach dem ersten Kampf – ist nun ein anderer. Splittermond geht vor allem auch D&D und deren Derivate an. Die vielen Jahre seit meinem letzten Besuch auf Dere mögen die Erinnerung vielleicht etwas trüben, aber ich kann mich nicht erinnern, dass DSA jemals eine derartige taktische Tiefe bot. Stattdessen sehe ich klar D&D mit all den brettspielerischen Elementen vor mir, wenn ich einen Vergleich zu Splittermond suche. In meiner Runde spielten viele Spieler, die das Spiel nun schon einige Monate intensiv bespielt haben und diese verlassen während eines Kampfes eine lebendige und plausible Spielwelt und tauschen sie gegen ein taktisches Spiel, in dem nur zählt, was die Regeln hergeben.

Der Schwerpunkt liegt dabei nicht auf den Optionen der Kampfregeln. Die sind gar nicht mal so weitreichend. Der Schwerpunkt liegt bei den Fähigkeiten, den Fertigkeiten und Meisterschaften der Charaktere. Ein Kämpfer ist mit einem Vielfachen an Möglichkeiten gegenüber einem Nichtkämpfer ausgestattet und nicht nur mit besseren Fertigkeitswerten beim Waffenumgang. Mein erster Gedanke dazu war der, dass man diese Tiefe also ganz gut auslassen kann, wenn man keine Kämpfer in der Runde hat. Und vielleicht auch auslassen sollte.

Ich war natürlich etwas verschreckt, auch von der Verbissenheit der Kämpferspieler am Tisch, die über ihre Möglichkeiten bestens Bescheid wussten und dem Spielleiter noch das eine oder andere beizubringen hatten. Ich war auch davon erschreckt, dass ich offenbar keinen Neulings-Bonus besaß (den ich dennoch zu Anfang der Runde einforderte). Ich meldete mich noch im Kampf gleich nach meiner Aktion aufs Klo ab und musste feststellen, dass der Kampf schon etwas weiter fortgeschritten war, als ich wiederkehrte. Ich stand auf einem Wartefeld, mein Spielmarker war praktisch kurzzeitig aus dem Spiel genommen und ohne einen Hauch Mitgefühl wurde mir mitgeteilt, dass das auch so in den Regeln stünde. Das musste ich erstmal verkraften.

Spielmarker sind wichtig in dem Spiel, denn man muss diese auf einer Tickleiste bewegen. Das wirkt auf den ersten Moment fremd, tut aber sein Gutes für die taktische Spieltiefe. Der optisch-räumliche Eindruck ist dabei bestimmend und man erkennt schnell, was man tun kann oder tun sollte, wenn man dran ist. Dabei ersetzen diese Ticks das ansonsten bekannte Initiativsystem und jeder Aktion ist eine Anzahl an Ticks – praktisch eine Zeiteinheit – zugeordnet. Ich lade nach: 9 Ticks. Ich schieße: 3 Ticks. Ich renne meinen Geschwindigkeitswert in Metern: 5 Ticks. Und so weiter. Nach meinem ersten Schrecken komme ich damit klar. Nach der zweiten Runde freunde ich mich sogar damit an. Es geht schnell und die Übersicht mit Hilfe der in der Mitte des Tisches liegenden Tickleiste hilft ungemein.

Das System aus Mindestwürfen und Erfolgsgraden habe ich auch schnell durchdrungen. Auch, dass man für jede Probe praktisch drei Würfelvarianten wählen kann. Eine normale (2W10+X) und zwei besondere. Die Aufgabe ist nicht schwer, du willst Dir aber keinen Schnitzer erlauben? Würfel 2W10 und wähle nur einen (plus X), ein Patzer ist dabei unmöglich. Die Aufgabe ist schwer und du bist bereit ein Risiko einzugehen? Würfel 4W10 und wähle die beiden besten. Zeigen die beiden schlechtesten Würfelzahlen einen Patzer, zählt dieser auf jeden Fall. Es hat mich ein wenig Zeit gekostet (und ein wenig Scheitern), den Wert dieser Optionen zu erkennen.

Das Spielgefühl

Nun ist es auch bei Splittermond so, dass mehr als 75 % des Spielgefühls aus der Spielrunde heraus kommen. Die Regeln kommen einem in der Zeit quasi nicht in den Weg. So die Regeln denn benötigt werden, sind sie aber ziemlich umfassend und es bleibt einfach nicht aus, dass sich jeder Spieler mit allen Details seines Charakters auskennt. Einem Neuling einen vorgefertigten Charakter in die Hand zu drücken und dann sofort ins Spiel einzusteigen, würde demnach bedeuten, dass der Spielleiter an viel zu vielen Stellen erklären muss, was genau dieses und jenes bedeutet.

Das Spielgefühl bestimmend waren für mich auch der Kampf und das Drumherum. Nach wenigen Aktionen war für mich klar: Das Ticksystem funktioniert. Es hat nicht nur taktische Elemente mit sehr vielen Optionen, die den Taktiker unter den Rollenspielern sicherlich sofort ansprechen. Es hat zudem mit der Tickleiste eine schön räumliche Komponente, weswegen ich mir das alternative Verwenden von Zahlenschablonen oder ähnlichem nicht vergleichbar sinnvoll vorstellen kann.

MMORPGs

Als im August 2014 auf der Splittermond-Seite eine kurze Vorschau zum Crafting bei Splittermond veröffentlich wurde, gab es einen kleinen Aufschrei in der Google-Plus-Rollenspiel-Community. Es sah nach deutlichen Parallelen zu MMORPGs (Massively Multiplayer Online Role-Playing Games – Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiel) aus, angefangen bei dem Wort Crafting. Allerdings konnte Uli Lindner, einer der Splittermond-Autoren, dort so manches vorschnelles Urteil entkräften. Zu den von mir erlebten Kämpfen tauchte allerdings das MMORPG-Gefühl wieder auf. Als der Gruppe klar war, dass wir uns gleich in Gefahren begaben, wurden nicht nur Waffen gezogen und Pfeile eingelegt, sondern auch Zauber verteilt. Ich hatte unweigerlich den Begriff „Buff“ (Begriff aus dem MMORPG-Jargon, bedeutet in etwa unterstützender Zauber) im Kopf und war wieder bei MMORPGs. Folglich mussten alle Spielercharaktere magische Fertigkeiten haben, damit sie sich und ihre Gruppe mit kleinen Stärkungs- oder Schutzzaubern versehen konnten. Und der Spieler musste dem Spielleiter im Laufe des Kampfes immer wieder auf diesen oder jenen Bonus hinweisen – merken hätte er sich die nicht so ohne Weiteres können. Wir haben schon viel mit Markern und Steinchen gearbeitet … ich stellte mir vor, wie der Uhrwerk-Verlag demnächst Marker für die verschiedenen Buffs auf den Markt bringen würde, die der Spielleiter dann über den Tisch schielend jeweils beim Spieler erkennen und miteinbeziehen könnte. Naja, vielleicht übertreibe ich auch gerade ein wenig.

Mondzeichen

Und wo wir bei Magie sind, kommen die Mondzeichen ins Spiel. Also, eigentlich kamen die eben nicht ins Spiel. In zwei Spielrunden, an denen ich teilnahm, gab es nur eine Situation, wo ein Spieler sein Mondzeichen gezielt einbrachte. Ich glaube, das hätte häufiger erfolgen können, wenn man daran gedacht hätte. Zu meinem Keshabid Fallenmeister gehörte das „Omen des schwarzen Mondes“. Ich hätte es sicherlich einmal einsetzen können, ich wurde schließlich häufig genug angegriffen. Aber ich habe nicht daran gedacht, wie auch sonst niemand sein Zeichen ins Feld warf. Nun darüber nachdenkend und nochmal lesend, welche Rolle diese Symbole technisch oder auch von der Seitenzahl im Grundregelwerk haben, finde ich, dass dies vernachlässigend gering ist. Ich hatte sie mir im Vorwege wie ein Totem aus Shadowrun oder ein Mondzeichen bei Werewolf: The Apocalypse vorgestellt. Ich hatte geglaubt, dass das Mondzeichen ein wichtiger Teil des Helden ist, ein wichtiges Element dafür, warum der Held nun mal ein Held ist oder wird. Aber im Rahmen von Attributen und Fertigkeiten, Meisterschaften und Zaubern spielt es leider eine untergeordnete Rolle. Bei all den Projekten, von denen ich auf der HeinzCon gehört habe, wünschte ich mir, dass es eine Spielhilfe zu den Mondzeichen gibt. Dieser Aspekt gehört meiner Meinung nach deutlich aufgebohrt!

Fazit

Ich bin dem Spiel gegenüber nicht abgeneigt. Es hat seine guten wie auch schlechten Seiten, aber für mich steht und fällt es eben auch immer mit der Spielrunde. Wenn die sich über Stil und Schwerpunkte einig ist, hat Splittermond eine Menge zu bieten. Vielleicht nicht mehr, als andere Rollenspiele … Aber von dem frischen Wind und vor allem auch den Bemühungen der Autoren, die Community mit einzubeziehen, kann man sich guten Gewissens mitreißen lassen.

Würde ich ein neues Rollenspiel auf den Markt bringen wollen, es würde auch die klassische Fantasy bedienen. Im Vergleich zu DSA würde es allerdings viel mehr High-Fantasy-Elemente beinhalten und da störe ich mich noch ein wenig an Splittermond. Vieles im Hintergrund wirkt wie ein generischer Aufguss. Das hat natürlich auch seine Vorteile, da man sich schnell zurechtfindet. Da muss man sich aber auch fragen lassen, ob Deutschland dieses Rollenspiel oder speziell dieser Hintergrund wirklich noch gefehlt hat. Und dann fasziniert mich in Lorakis am meisten der östliche oder südöstliche Teil mit Farukan, Surmakar und so weiter, der dem Aufguss-Gefühl ein wenig mehr entgegen stellt. Selbstverständlich musste der Uhrwerk-Verlag mit der nachgereichten Beschreibung der Arwinger Mark und dem angekündigten Regionalband Selenia aber als erstes eine eher typisch fantasy-mittelalterliche Region in den Mittelpunkt stellen. Wenn ich über meine zeitlichen Möglichkeiten nachdenke, werde ich das Spiel wahrscheinlich sowieso erst wieder spielen, wenn der Regionalband zu Farukan angekündigt wurde. Und das werde ich schon aushalten.

Artikelbild: Uhrwerk Verlag

4 Kommentare

  1. Mich persönlich hat Splittermond damals in der Beta nicht überzeugt. Man hat schon irgendwo gemerkt das einige der Autoren vorher bei DSA mitgewirkt haben, denn das Regelgerüst finde ich mal wieder weit über das Ziel hinausgeschossen. Aber eventuell sind ein guter Teil der deutschen Rollenspieler einfach sehr masochistisch was komplexe Regeln angeht, anders kann ich mir das kaum erklären. Die einzige Mechanik die ich recht interessant fand, war die Inititative und wie Aktionen dich im Zeitfenster verschieben. Ansonsten hat es mich recht kalt gelassen.
    Was Lorakis angeht. Naja. Generell kann man im Bereich Fantasy kaum noch etwas wirklich „Neu“ machen, da gibs also auch Abzüge in der B-Note.

    • Ich finde nicht, dass man Masochist sein muss, weil man komplexe Regeln mag. Es geht um Vielseitigkeit und Individualität und vielseitige Regel sind eine Möglichkeit, das abzubilden.

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