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Turbo Fate ist der erste deutsche Ableger der Fate Core- / Fate Accelerated Edition-Familie von Evil Hat. Dieses Projekt zeichnet sich durch eine starke Einbindung der Fangemeinde aus. Gerade bei der Übersetzung der Begrifflichkeiten wurde großen Wert auf die Meinungen der Fans gelegt. Wir durften schon jetzt einen Blick auf das PDF werfen und sagen: Es hat sich gelohnt!

Die Regeln

Turbo Fate ist ein sehr freies, abstraktes Regelsystem. Dreh- und Angelpunkt sind die Aspekte, die sich überall im Spiel wiederfinden. Ein Aspekt kann eine kurze prägnante Beschreibung oder ein Zitat sein und ist in seiner Form völlig frei. Egal ob es sich um einen Charakter, eine Szenerie oder das Spiel selbst handelt, es hat einen oder mehrere Aspekte.

Alles, was durch einen Aspekt definiert ist, ist nicht nur wahr, es kann auch im Spiel direkt verwendet werden. Ist der eigene Charakter „verschnürt wie ein Päckchen“, muss er sich zunächst mit einer Aktion von diesem Aspekt befreien, bevor er wieder handlungsfähig ist. Umgekehrt kann der Aspekt „wendig wie eine Katze“ sich durchaus positiv auf eben jene Entfesselungsaktion auswirken.

Umgekehrt können Aspekte aber auch genutzt werden, die Lage eines Charakters zu verschlimmern. Schließlich dürfte es einem „Berserker von Mar’zargal“ schwerfallen, eine diplomatische Mission zu einem friedlichen Ende zu führen.

Fate-Punkte

Dieses System von Geben und Nehmen wird durch Fate-Punkte gesteuert. Jeder Spieler beginnt das Spiel mit einem oder mehreren Fate-Punkten, diese kann er verwenden, um Aspekte zu seinem oder dem Vorteil seiner Verbündeten einzusetzen. Der Hintergrund dieser Mechanik ist, es Charaktere zu erlauben, außergewöhnliche und vor allem denkwürdige Aktionen vollbringen zu können.

Um sich Fate-Punkte wieder zu erspielen, kann der Spieler Komplikationen in Kauf nehmen. In der Fate-Begrifflichkeit lässt er einen oder mehrere seiner Aspekte reizen. So könnte unser oben angesprochener Berserker auf seiner diplomatischen Mission vielleicht einen ausländischen Würdenträger so verärgern, dass dieser zu einem neuen Feind werden könnte.

Auf diese Weise ergibt sich ein natürlicher Fluss zwischen Drama und großartigen Spielsituationen, das dass Spielgefühl mit Turbo Fate einzigartig macht. Weitere Informationen zu Aspekten und deren Spielrelevanz finden sich übrigens auch in Rogers Malmsturm-Rezension.

Verwendete Würfel

Für jede Aktion, für die im Spiel ein Würfelwurf erforderlich ist, werden vier Fate- bzw. Fudge-Würfel gewürfelt. Die Werte darauf sind entweder Plus, Minus oder Null. Das Gesamtergebnis wird mit dem Wert der verwendeten Methode (siehe unten bei Charakterschaffung) addiert.

Aktionen

Die Aktionen werden in vier unterschiedliche Typen unterschieden:

Eine „Überwinden“-Aktion ist eine einfache Probe gegen eine feste Schwierigkeit. Das Knacken eines Schlosses oder das Einschlagen einer Tür sind typische Beispiele.

Mit der „Vorteil erschaffen“-Aktion kann der Charakter direkt auf sein Umfeld einwirken. Bei dieser Aktion geht es darum, den Gegner, die Umgebung oder sich selbst mit einem neuen Aspekt zu belegen, der später wiederum zum eigenen Vorteil eingesetzt werden kann. Aber Achtung: Wer die Umgebung in Brand setzt, muss damit rechnen, dass dieser Aspekt auch später gegen den eigenen Charakter eingesetzt werden könnte.

Die letzten beiden Aktionen sind Angriff und Verteidigung. Hier hängt viel davon ab, wie ein Spieler seine Aktion beschreibt. Ein kraftvoller Angriff ist ziemlich offensichtlich, eine tollkühne Verteidigung zu beschreiben stellt eine gewisse Herausforderung dar.

Je nachdem, wie gut man in seiner Aktion ist gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie das Ergebnis aussieht. Spannend ist, dass sich Turbo Fate vom grundlegenden Fehlschlag-Erfolg-Modell verabschiedet. Selbst wenn eine Aktion vom Würfelergebnis nicht erfolgreich war, kann man als Spieler negative Nebenwirkungen in Kauf nehmen, um die Aktion zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Zum Beispiel könnte man die Tür, die man eben knacken wollte, doch öffnen, löst dabei aber einen stillen Alarm aus. Oder man umgeht eine Falle, nur um auf dem Auslöser der nächsten zu landen. Die daraus entstehenden Situationen sollen das Spiel aber immer spannender machen. Gibt es keine Möglichkeit, die Situation zu verschärfen, ist ein Erfolg mit Haken nicht die richtige Lösung.

Ein Beispiel: Möchte ein „Kriegsveteran aus Durgala“ eine Tür einrennen, würfelt er seine Fate-Würfel und erhält zwei Plus und ein Minus. Dieser Wurf ergibt also einen Wert von +1, den er zu seinem Wert in der Methode „Kraftvoll“ addiert, in diesem Fall vielleicht +2, was ihn auf ein Gesamtwert von +3 bringt. Leider hat die Tür eine Schwierigkeit von +4. Der Spieler kann nun wählen, ob er statt eines Fehlschlages einen Erfolg mit einem großen Haken in Kauf nimmt. Damit würde er die Türe einrennen, aber vielleicht die Wachen in Alarmbereitschaft versetzen. Oder er könnte einen Fate-Punkt ausgeben, um seinen Kriegsveteranen-Aspekt zu aktivieren. In diesem Fall erhält er weitere +2 auf seinen Wurf, was ihn auf ein Ergebnis von +5 bringt, womit er die Tür erfolgreich ohne Haken einrennt.

Stress und Konsequenzen

Bei Turbo Fate wird auch der Schaden sehr abstrakt dargestellt. Für kurzfristigen Schaden wird Stress eingesetzt. Stress wird in der Regel zum Ende eines Konfliktes wieder entfernt, da er den Charakter nicht längerfristig beeinflusst. Körperliche wie mentale Wunden werden über Konsequenzen abgebildet. Konsequenzen können mehr Schaden abfangen, bleiben dem Charakter aber auch länger erhalten. Regeltechnisch handelt es sich um sehr negative Aspekte, die praktisch nur zum Reizen dienen. Beispiele reichen vom „verknacksten Fuß“ bis hin zur „klaffenden Bauchwunde“, oder sogar noch Schlimmerem. Der Verursacher darf diesen Aspekt übrigens einmal ohne den Einsatz eines Fate-Punktes einsetzen.

Für wen ist Turbo Fate gemacht?

Insgesamt ist Turbo Fate ein geschichtengetriebenes Regelsystem und bleibt auf einer sehr abstrakten Ebene. Spieler, die gerne ein festes Regelwerk mit vielen definierten Sonderfällen haben, werden mit diesem System nicht glücklich. Wer sich aber im Rollenspiel mit möglichst wenig Regeln belasten will, ist hier genau richtig. Eine passive Zuhörerrolle einzunehmen, funktioniert allerdings nicht. Turbo Fate verlangt von den Spielern proaktiv etwas zu unternehmen, damit die Spielwelt auch auf die Handlungen der Charaktere reagieren kann.

Charaktererschaffung

Fate-typisch ist die Charaktererschaffung übersichtlich gehalten. Gegenüber Fate Core ist sie in Turbo Fate noch minimalistischer ausgelegt. Zur Definition des eigenen Charakters darf man sich mehrere Aspekte aussuchen. Insgesamt hat ein Turbo Fate-Charakter ein Konzept, das den Charakter grundlegend beschreibt, ein Dilemma, das ihn immer wieder in Schwierigkeiten bringt und ein bis drei weitere Aspekte, die den Charakter bzw. seine Beziehung zum Umfeld definieren.

Zusätzlich existieren insgesamt sechs Methoden, die bei jedem Charakter unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Methoden beschreiben die Art, wie der Charakter Probleme löst, bleibt aber auch hier auf einer wenig konkreten Ebene. Ein eher körperlich agierender Charakter hat möglicherweise einen hohen „Kraftvoll“-Wert, während ein Dieb seine Priorität eher auf „Tückisch“ legt. Nach den Grundregeln ist man in einer Methode sehr gut, vier bewegen sich im Mittelfeld und eine Methode bleibt auf dem Grundwert von 0.

Um das Bild des Charakters vollständig abzurunden, dürfen noch einige Stunts gewählt werden. Diese verändern die Spielmechanik für den Charakter und erlauben ihm, in speziellen Situationen einen Bonus auf seinen Wurf zu erhalten. Außerdem kann ein Stunt einem Charakter auch unter bestimmten Voraussetzungen zusätzliche Optionen gewähren.

Die Aspekte, Methoden und Stunts sind alles, was während der Charaktererschaffung ausgefüllt wird. Theoretisch kann ein Charakter damit in weniger als zehn Minuten erstellt werden. In Turbo Fate steht und fällt ein Charakter allerdings mit der klugen Wahl der eigenen Aspekte.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Die größte Herausforderung für den Spielleiter ist es, einen Teil der Verantwortung für die Geschichte an die Spieler abzugeben. Gerade die freie Entwicklung der Story auf Basis des Reizens von Charakteraspekten kann eine vorgefertigte Geschichte schnell aus den Angeln heben. Dieser Paradigmenwechsel vom Spielleiter als Herr über die Geschichte hin zu einer Moderatorenrolle ist für alte Hasen etwas ungewohnt, insgesamt profitiert das Spiel aber von der stärkeren Beteiligung der Mitspieler.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Durch sein extrem schlankes Regelwerk ist Turbo Fate praktisch für jeden Spieler geeignet. Das Konzept des Ausnutzens und Reizens von Aspekten ist zu Beginn allerdings sehr fordernd, da vom Spieler Eigeninitiative verlangt wird. Sich selbst durch gezieltes Reizen der eigenen Aspekte in eine nachteilige Position zu bringen, erfordert ein Umdenken, wie das aktive Eingreifen in die laufende Geschichte. Hat man diese Hürden überwunden, bleibt ein spannendes Spielerlebnis, das fast völlige Freiheit in der Charakterentwicklung lässt.

Preis-/Leistungsverhältnis

Als kostenloser Download rangiert das PDF im Preis-/ Leistungsverhältnis natürlich ganz oben, aber auch die Printausgabe hat mit knapp 10 EUR einen fairen Preis. Zwar verfügt das Regelwerk nur über 74 Seiten, bietet aber damit auch die Essenz des Fate-Systems. Die hübsche Optik, die professionelle Gestaltung und die übersichtliche Darstellung der Regeln zeigen das Ausmaß an Arbeit, dass in dieses Produkt geflossen ist. In dieser Kategorie kann eine klare Kaufempfehlung ausgesprochen werden.

Erscheinungsbild

Das Regelwerk ist professionell gestaltet, die Grafiken sind von hoher Qualität. Deren Platzierung lockert das Schriftbild auf und sorgt für die notwendige Abwechslung. Der Kontrast ist zu jeder Zeit ordentlich. Der Band verzichtet nahezu komplett auf Hintergründe, lediglich die Zusammenfassungsblöcke der Regeln sind mit einem schlichten roten Rahmen hinterlegt.

Zur Orientierung verfügt das Regelwerk über ein voll verlinktes Inhaltsverzeichnis sowie einen verlinkten Index. Zusätzlich existieren Links am Seitenrand des Fließtextes. Diese sind insbesondere dann praktisch, wenn gewisse Regelkenntnisse für einen Abschnitt erforderlich sind.

Ein paar Absatzschaltungen mehr hätten dem Schriftbild gut getan, die zahlreichen Unterüberschriften strukturieren den Text aber insgesamt gut. Zu Beginn fällt eine starke Nähe zum übersetzten Originalwerk auf, daher wirkt vor allem die Einleitung etwas holprig. Dies verbessert sich aber mit jeder Seite und ist bald nicht mehr feststellbar.

Bei der Print-Ausgabe handelt es sich um ein dünnes DIN-A5-Softcover. Der Einband ist sauber gestaltet und auch das Papier ist hochwertig und griffig. Auf eine Hochglanzproduktion wurde verzichtet, was dem Produkt insgesamt gutgetan hat.

Das Format und der Umfang des Bandes überraschen, wirkt das Regelwerk dadurch doch mehr wie eine Info-Broschüre. Die Bindung ist voll verleimt. Dies sorgt einerseits für eine sehr wertige Optik und einen guten Seitenhalt, stört andererseits aber auch beim Lesen. Eine aufgeschlagene Seite fällt durch den Gegendruck sofort wieder zu und auch normales Lesen ist nur gegen den Widerstand der Bindung möglich. Mit häufiger Nutzung lässt dieser Effekt aber sicherlich nach. Ob sich damit dann auch einzelne Seiten verabschieden werden, können wir im Moment noch nicht sagen.

Turbo-Fate-Cover-previewEs bleibt ein sehr guter Eindruck des Werkes zurück, das gerade im multimedialen Umfeld mit einem konsequenten Verlinkungskonzept glänzt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Uhrwerk Verlag
  • Autor(en): Clark Valentine, Leonard Balsera
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Print/PDF
  • Seitenanzahl: 74
  • ISBN: 978-3-95867-006-8
  • Preis: voraussichtlich 9,95 EUR Print / PDF kostenlos
  • Bezugsquelle: Amazon, Sphärenmeister

 

Fazit

Turbo Fate ist eine sehr gelungene Übersetzung der Fate Accelerated Edition. Die gewählten deutschen Begriffe sind schlüssig, nachvollziehbar und bereits im Vorfeld mit der Fangemeinde abgestimmt. Die Regeln werden klar vermittelt und es bleiben keine Fragen offen. Die zu Beginn sehr nahe am Originaltext gehaltene Übersetzung wird mit jeder Seite etwas freier und ist sehr angenehm zu lesen. Layout und Artwork unterstützen den Text, die multimedialen Verlinkungen sorgen für eine schnelle und problemlose Navigation durch den Band.

Der Gesamteindruck ist sehr gut. Turbo Fate bleibt absichtlich sehr vage. Die Regeln sind durch ihre Einfachheit auch sehr abstrakt gehalten, was ein Umdenken der klassischen Rollenverteilung zwischen Spielleiter und Spielern voraussetzt. Dieses System ist für Spieler, die die Geschichte in den Vordergrund stellen und sich nicht scheuen, eigene Nachteile für eine spannende Geschichte in Kauf zu nehmen. Der Spielleiter darf sich mit diesem Regelwerk ein wenig zurücknehmen und den Spielern mehr Verantwortung für die Entstehung der Geschichte einräumen. Sind beide Seiten dazu bereit, steht einem hervorragenden Spielerlebnis nichts mehr im Wege.

Daumen4Maennlich

Artikelbild: Uhrwerk Verlag

 

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