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Dragon Age ist für mich wie für viele andere Spieler als modernes Computerrollenspiel unerreicht. Wir reden hier von Dragon Age: Origins, dem ersten Teil der Serie, wohlgemerkt! Die epische Geschichte um Dämonen, die Dunkle Brut und den Konflikt zwischen Templern und Magiern ist von zahlreichen klassischen Fantasy-Geschichten geprägt und hat vielen Rollenspielrunden ihren Stempel aufgedrückt. Das Setting samt Spielwelt Thedas gibt es sogar als eigenes Tischrollenspiel, das einen besonderen Platz in meinem Spieleschrank hat. Meine Freude war also groß, als ich den neuesten Teil, Dragon Age: Inquisition, das erste Mal auf meinem extra hochgerüsteten PC gestartet habe.

Nun, knapp 100 Spielstunden später, ist die Geschichte zu Ende und ich bin eher ernüchtert. Aber das soll keine verspätete Rezension des Spiels werden (das Fazit wäre „sieht schick aus und hat sich redlich bemüht“), sondern ein Artikel über mein Lieblingsthema, das Tischrollenspiel. Denn bei den gefühlten drölftausend inhaltsleeren Sammelquests für den Aufbau der Inquisition hatte ich mehr als genug Zeit genau darüber nachzudenken.

Spoilerwarnung

Der Artikel enthält Details aus der Story von Dragon Age: Inquisition.

So hübsch ist Rollenspiel nur selten am Spieltisch.
So hübsch ist Rollenspiel nur selten am Spieltisch.

 

Immersion durch Landschaft

Die größte Stärke von Dragon Age: Inquisition ist fraglos die edle Optik. Doch diese geht über reine Auflösung, Texturdetails und Shader-Effekte hinaus. Mit Optik meine ich hier das Design von Umgebungen. Ob in sengenden Wüsten, im Wald oder auf den Hügeln der Hinterlande: Manchmal blieb ich einfach stehen und staunte über virtuelle Weiten. Da rauschte das Gras, Wind fegte Wellenformen in den Sand und die Sonne ließ die Rüstungen der Protagonisten hell funkeln. Dadurch fühlte sich die Umgebung lebendig an. Während ich gerade irgendein verschrecktes Nutztier zu seinem armen Besitzer zurückscheuchte (laaaangweilig!) stellte ich mir die Frage: Wäre es nicht auch interessant, dies in meinen Tischrollenspiel-Runden umzusetzen? Dort sind Umgebungen häufig nur grobe Beschreibungen mit wichtigen Details, um einen eindeutigen gemeinsamen Vorstellungsraum zu schaffen: „Vier menschliche Räuber auf einer Lichtung, in deren Mitte ein Lager aufgebaut ist, der erste ist schwer bewaffnet.“

Ich nahm mir also vor, demnächst mehr atmosphärische Details einfließen zu lassen: ein leichtes Aufblitzen des Kettenhemdes in der Abendsonne, der kühle Wind in den dreckigen Haaren der Männer, ein aufgescheuchtes und fliehendes Reh zu Kampfbeginn. Das kostet natürlich Erzählzeit, verlangt etwas Disziplin am Spieltisch und will gut dosiert eingesetzt werden. Im optimalen Fall erhöht es aber die Immersion der Spieler und erzeugt vielleicht eine erinnerungswürdigere Szene. Denn vergessen werde ich die Ausflüge in die schönen Landschaften von Dragon Age: Inquisition sicher nicht.

Keine Heldin und das ist gut so: Die Elfin Sera erdet die typische Weltretten-Handlung.
Keine Heldin und das ist gut so: Die Elfin Sera erdet die typische Weltretten-Handlung.

 

Ehrliche Reaktionen der normalen Leute

Im Tischrollenspiel sind die Spieler häufig Helden und stehen über den Dingen. Dragon Age: Inquisition ist hier keine Ausnahme. Der Protagonist ist der Inquisitor, Herold der Heiligen Andraste, Sendbote des Erbauers, und führt mit seinem eingeschworenen Orden einen Krieg, der das Schicksal der freien Welt entscheidet – so weit, so 08/15-Fantasy. Doch neben der ganzen Weltretterei bemüht sich das Spiel auch immer wieder, das Schicksal der kleinen Leute in den Vordergrund zu stellen und die Frage aufzuwerfen, was so ein kataklysmisches Ereignis für Dorfbewohner und Soldaten bedeutet. Da gibt es Deserteure, tragische Liebesgeschichten und viel Platz für moralische Grautöne. Im Computerspiel führt dies leider zu nervigen Such- und Lese-Questen. Doch ein paar der unzähligen Geschichten sind mir tatsächlich im Gedächtnis hängen geblieben. Sie haben die vorhersehbare Haupthandlung aus der Sicht normaler Leute kommentiert und ihr damit eine gewisse Erdung verliehen.

Auch der Charakter Sera ist dabei hilfreich. Sera ist eben keine typische Heldin, sondern eine verrückte Schurkin und Rebellin. Etwas mehr Erdung dürfte vielen Fantasy-Kampagnen am Spieltisch gut tun. Aber wie setzt man das um? Ich werde sicher nicht dutzende Handout-Briefe verteilen oder einen obligatorischen Nicht-Helden in die Party einschleusen. Was aber leicht umsetzbar ist, ist die Reaktion der einfachen Leute auf die Heldengruppe. Das eröffnet gleich weitere schöne Spieloptionen über Hörensagen, Ruf und Erwartungshaltung: „Ist dies nicht der große Drachentöter? Sicher wird er uns von all unseren Problemen befreien.“ Vielleicht ist dies die reizvollste und klügste Moral aus Dragon Age: Inquisition: Die Wahrheit zählt weniger als das, was die normalen Leute sich zur Wahrheit wählen.

Die richtige Atmosphäre für ein Richturteil: der eigene Thronsaal.
Die richtige Atmosphäre für ein Richturteil: der eigene Thronsaal.

 

Öfter mal selbst zu Gericht sitzen

Dragon Age stand schon immer für Entscheidungen und Konsequenzen. Diese fallen im dritten Teil zwar deutlich geringer aus als bei den Vorgängern, doch in einem Punkt bemüht sich das Spiel besonders darum, befriedigendes Feedback zu geben: bei der Bestrafung der Bösewichte. Diese werden nicht einfach umgehauen, sondern gefangen genommen, damit der Spieler als Inquisitor über sie zu Gericht sitzen kann. Diese Gerichts-Momente binden auch NSC ein, da viele der Feinde eine persönliche Fehde oder eine Vorgeschichte mit Mitgliedern der Inquisition haben. Und im Tischrollenspiel? Dort sind Bösewichte entweder direkt tot (0 Lebenspunkte) oder für den Spielleiter so wertvoll für zukünftige Abenteuer, dass er sie lieber entkommen lässt – beides irgendwie unbefriedigend. Das Richten einzelner Antagonisten durch die Hand der Spielercharaktere ist stattdessen eine deutlich bessere Lösung und bindet die Spieler zugleich an die moralischen Konsequenzen: Wurde der Fiesling eingekerkert und bricht aus, hat man sich schließlich selbst gegen das Richtbeil entschieden und schon entsteht eine persönliche Motivation, ihn erneut zu jagen.

Und wenn die Spieler einen Feind wirklich tot sehen wollen, dann können sie ihn auch hängen – nur um dann mit der nagenden Frage zu leben, ob er nicht vielleicht doch noch rehabilitierbar war. Besonders moralisch spannend wird es, wenn später zusätzliche Informationen auftauchen, die den Richtspruch in Frage stellen. Die Spieler sind aktuell nicht in einer richtenden Position? Kein Problem. Die verantwortliche Richter-Instanz könnte ihnen jederzeit als Belohnung für die Dienste das Recht in diesem Fall übertragen. Um all das möglich zu machen, braucht es nur einen Erzähltrick aus Dragon Age: Inquisition: „Er ist noch nicht tot. Legt ihm Ketten an, wir entscheiden später über sein Schicksal.“

Eher traurig als fies: Corypheus, der gescheiterte Magister-Dunkle-Brut-Möchtegern-Halbgott.
Eher traurig als fies: Corypheus, der gescheiterte Magister-Dunkle-Brut-Möchtegern-Halbgott.

 

Oberbösewichte mit Macht und Mystik

In einem Punkt versagt Dragon Age: Inquisition meines Erachtens auf ganzer Linie: beim Bösewicht. Corypheus ist ein uralter Magister aus dem bösen Reich Tevinter, der den Schleier durchbrechen und in die Stadt der Götter einziehen will. Der ganze dritte Teil der Dragon Age-Reihe dreht sich allerdings nur darum, dem ach so überlegenen Möchtegerngott einen Rückschlag nach dem anderen zu verpassen. Dazu erfährt man relativ früh, was seine Motivation ist und wie sehr der Gegner seiner Verblendung anheim gefallen ist. Das macht ihn menschlicher, aber auch zu einer tragischen, bedauernswerten Gestalt. „Knie vor deinem neuen Gott“, schleudert er mir kurz vor dem Endkampf als pures Klischee entgegen. „Sicher doch. Vor dir und welcher Armee? Oh, die, die ich die letzten 40 Spielstunden nach und nach ausgeschaltet habe?“ Zwanzig Axthiebe später liegt er vor mir erledigt auf dem Boden. Natürlich ist es gut, Antagonisten Motivationen zu geben, doch übertreibt man dies und zeichnet sie zu tragisch und gesteht man ihnen als Spielleiter nicht auch ab und zu einen Sieg zu, schwindet die Aura der Bedrohung und wird im schlimmsten Fall unfreiwillige Komik.

Corypheus macht es vor, ich als Spielleiter sicher nicht nach. Da waren die in der Spielwelt lauernden Drachen deutlich spannendere und erinnerungswürdigere Feinde – gestaltgewordene Symbole purer Macht. Schon von weitem hörte man ihr Fauchen und Flügelschlagen. Keine Worte wurden gewechselt – meine Heldengruppe drang in ihr Territorium ein und war deshalb Freiwild für die Monster. Da fegten Schwanzhiebe Fernkämpfer zu Boden, gewaltige Sprünge des Tieres verlagerten den Kampfplatz, ein lautes Brüllen betäubte die Helden, bald erhob der Drache sich in die Lüfte, um uns mit Feuer einzudecken und danach seine Jungtiere auf uns zu hetzen. Wenn ich jemals wieder einen Drachenkampf im Tischrollenspiel erzähle, dann muss er etwas von diesen Kämpfen haben.

Schulterzucken und Kopfkratzen: Der Cliffhänger am Ende hatte mit dem Spiel wenig zu tun.
Schulterzucken und Kopfkratzen: Der Cliffhänger am Ende hatte mit dem Spiel wenig zu tun.

 

Was die Spieler interessiert

Am Ende von Dragon Age: Inquisition gibt es eine vermeintlich spannende Wendung: Der Elf Solas entpuppt sich als uralte Elfengottheit und absorbiert die Hexe Flemeth, die wiederum die Essenz einer anderen Elfengottheit in sich trug. Dumm nur, dass mich dies völlig kalt ließ. Schließlich begleitete mich keiner von beiden auf Abenteuer und als Nicht-Elf kümmerte ich mich herzlich wenig um die uralte Geschichte des untergegangenen Volkes. Sicher, da war etwas in den vorhergehenden Teilen, doch die sind auch lange her. Als Anführer der Inquisition hatte ich eine klare Aufgabe: Corypheus musste aufgehalten und das Leid der Menschen gelindert werden.

Dabei spielten der Erbauer, Andraste, Graue Wächter, Rote Templer und das Reich von Tevinter die Hauptrolle in dieser Geschichte. Die letzte Mission um Morrigans Elfenspiegel schien mir eher aufgesetzt: Zu undeutlich wurde mir die Verbindung zwischen dem Feind, dem Mal auf der Hand des Inquisitors und der uralten Elfenmagie gezogen. Am Ende wirkte die „Enthüllung“ auf mich wie die eitlen Mühen eines in seine Spielwelt verliebten Spielleiters. Und sogleich begann ich mich zu fragen, ob ich dies in meinen Rollenspielrunden nicht auch teilweise tat. Möglich. Ärgerlich! Hiermit schwöre ich also, den Spielern fortan nur das an Hintergrund zu präsentieren, was sie auch persönlich interessiert oder besonders plotrelevant ist. Interessiert es sie nicht, so habe ich (wie Dragon Age: Inquisition) als Spielleiter darin versagt, in ihnen diese Neugier zu wecken.

Ganz ruhig, Inquisitor!

Am Ende von Dragon Age: Inquisition raufe ich mir als Spielleiter die Haare über verpasste Gelegenheiten. Warum kann ich etwa als Inquisitor eine Festung aufbauen, wenn diese dann nicht als Schauplatz eines Kampfes genutzt wird? Warum kann ich eine Romanze eingehen, wenn diese nicht mehr Auswirkungen auf meinen Charakter hat, als einen flüchtigen Kuss und die freigeschaltete Option, die betreffende Dame per Dialogoption auf mein Zimmer einzuladen? Warum war Dragon Age 2 überhaupt als Vorgeschichte nötig, wenn man nicht Hawke als Protagonisten wiederverwendet? Gnarf! „Ganz ruhig Inquisitor.“

Dragon Age: Inquisition war offensichtlich nicht mein Videospiel, aber dennoch hat es mein Tischrollenspiel bereichert. Natürlich gibt es sie aber, die Corypheus-Fans, die Elfen-Hintergrund-Sammler und die Spieler, die sich auch von „Schubs das Nutztier zurück in den Stall“-Quests gut unterhalten fühlten. Deshalb ende ich mit einer Frage an euch: Was habt ihr aus dem Spiel für eure Tischrollenspielrunde mitgenommen? Schreibt es mir in die Kommentare!.

Artikelbilder: Electronic Arts

 

4 Kommentare

  1. Der letzte Punkt „Was die Spie­ler interessiert“ sehe ich nach dem Spielen der beiden DLCs deutlich weniger kritisch. Die bereichern das Spiel übrigens stark, führen die Mängel des Hauptspiels aber auch deutlicher vor Augen. Hier eine grandiose Review dazu:

  2. Also mich lies das Ende nicht kalt. Ganz im Gegenteil. Solas war mir lieber Begleiter auf vielen Reisen und Flemeth eine gute alte Bekannte. Daher weise ich Deine Kritik an diesem Punkt zurück und sage einfach das dies eben nicht dein Teil des Spieles war und Du dafür andere hattest. Man kann es ja nicht jedem an jeder Stelle recht machen.

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