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Fantasy-Rollenspiel ist mehr als nur Das Schwarze Auge, Pathfinder und Dungeons & Dragons! Wo diese Systeme komplexe Regeln und detaillierte Welten als größten gemeinsamen Nenner bieten, erweitern Indie-Rollenspiele den Vorstellungsraum des Hobbys. Aber was ist überhaupt „Indie“? Für mich wie für viele Spieler ist es ein unscharfes Label, das für Wege abseits des Mainstreams steht und abgedrehte Spielwelten sowie experimentelle Spielmechaniken verspricht. Dummerweise gehen viele „Indies“ in der unübersichtlichen Menge der Neuveröffentlichungen unter und erhalten nie die Aufmerksamkeit, die sie verdient haben. Dieser Artikel hätte also auch „Eher unbekannte Fantasy-Rollenspiele, die ich persönlich innovativ finde und deshalb vorstellen will, damit mehr Spieler über den Tellerrand schauen und vielleicht ein System finden, dass ihnen mehr Spaß macht“ heißen können. Das klingt nur nicht so gut. Die folgenden vier Fantasy-Rollenspiele sind dafür umso besser.

Einer der Häuser der Ven samt Motto und Kurzbeschreibung.
Einer der Häuser der Ven samt Motto und Kurzbeschreibung.

 

Houses of the Blooded – Intrigenlastige Sword and Sorcery

John Wick ist kein Unbekannter in unserer Hobbyszene. Schließlich war er für die bekannten Rollenspielreihen von Legend of the Five Rings und 7thSea verantwortlich. Im Jahr 2008, in dem die ungeliebte 4. Edition von Dungeons & Dragons erschien, veröffentlichte er auf eigene Faust ein „Anti-D&D“, in dem es bewusst nicht um Helden, Verliese oder magische Beute geht. Mit Houses of the Blooded wollte Wick eben jene Elemente des Genres betonen, die in vielen Mainstream-Rollenspielen zu kurz kommen.

Doch worum geht es? Die Spieler starten in den Landen von Shanri nicht als vagabundierende Abenteurer, sondern als Barone des herrschenden Volkes der Ven, unsterblich und magisch begabt. Einig sind sie sich nur im Hass auf ihre verschwundenen Erschaffer, die Sorcerer-Kings. So ist Magie unter ihnen offiziell verboten – wird aber diskret gerne eingesetzt. Überhaupt sind Ven keine sonderlich angenehmen Personen, sondern von Machthunger und Leidenschaften getrieben. Sie verwalten ihre Ländereien und begreifen alles außerhalb ihrer noblen Häuser als Untertanen, Feinde oder nützliche Werkzeuge. Auf Abenteuer ziehen sie nur selten und heuern lieber Söldner an, um verfluchte Artefakte aus monsterverseuchten Ruinen zu bergen. Ven treffen sich lieber am Hof und betreiben tödliche Intrigen um Ansehen und Liebschaften, irgendwo zwischen Game of Thrones und Vampiren aus der World of Darkness. Rache ist dabei das zentrale Element des Rechtssystems der Ven; so enden Geschichten in Houses of the Blooded oft tragisch ohne Sieger.

Houses of the BloodedDie Spielmechanik erinnert stark an Fate. Tabellen und Detailregeln gibt es nicht, stattdessen liegt der Fokus auf erzählerischer Freiheit, Aspekten und „Stylepoints“. Letztere bekommt man unter anderem für besonders stilvolle Handlungen und kann diese für bessere Würfelergebnisse ausgeben oder durch „vulgäre“ Handlungen wieder verlieren. Ein weiterer wichtiger Teil der Regeln ist die Verwaltung des Landbesitzes samt Ressourcen, Untertanen und saisonalen Ereignissen. Dabei besitzt ein Ven nur das, was er verteidigen kann; dummerweise ist der Ausbau der Ländereien nötig, um nicht im Ansehen zu fallen. Liebschaften, Gifte und Drogen erhalten eigene Regelkapitel und haben ähnlich verheerende Folgen. Charaktere altern während des Spiels und gründen Familien. Das hat ein wenig Strategiespielcharakter und erinnert im guten Sinne an Pendragon.

Houses of the Blooded ist zugegebenermaßen mehr als nur ein wenig exzentrisch: John Wick hat einen sehr persönlichen Schreibstil („Trust me!“) und beschreibt die Ven wie ein reales Volk samt fiktiver Quellenforschung. Auf der offiziellen Homepage geben ein düster-klassischer Soundtrack als Webplayer und ein kostenloses LARP-Regelwerk (dessen erste Worte eine eindringliche Warnung sind: „Put this book down. Right now. I mean it.“) einen Einblick in die eigenwillige Atmosphäre des Spiels. Wer narratives Rollenspiel, Fantasy, Vampire und Game of Thrones mag, sollte sich Houses of the Blooded einmal anschauen.

Ein Ausschnitt der Caera-Karte
Ein Ausschnitt der Caera-Karte

 

Dungeonslayers – Bier-und-Bretzel-Fantasy

DungeonslayersKreative Köpfe mit akuter Unzufriedenheit mit dem Mainstream-Rollenspiel gibt es auch in Deutschland. Christian Kennig ist einer davon und veröffentlichte 2008 Dungeonslayers mit dem Titelzusatz „Ein altmodisches Rollenspiel“. Drin ist, was draufsteht: ein Oldschool-Fantasy-Rollenspiel um Erfahrungspunkte, Stufenaufstiege und Schätze, das sich überraschend schnell und einfach spielt.

Spieler verkörpern in Dungeonslayers klassische wandernde Helden aus bekannten Völkern (Mensch, Elf, Zwerg). Sie wählen aus vertrauten Klassen (Krieger, Späher, Zauberwirker), die sich ab Stufe zehn zu Heldenklassen (z.B. Berserker, Paladin, Druide) aufwerten lassen. Proben werden mit einem W20 erledigt, bei dem eine Schwierigkeit unterwürfelt werden muss, die sich aus passenden Charakterwerten samt Ausrüstung und Situationsmodifikatoren errechnet. Verursachter Schaden ist aus dem Wurf direkt ablesbar. Schnell und einfach geht es auch bei der Magie zu: Die verbraucht in Dungeonslayers keine Ressourcenpunkte, sondern hat, je nach Stärke des Zaubers, eine kürzere oder längere Abklingzeit. Miniaturen sind zum Spielen nicht nötig, können aber dank konsequenter Meterangeben verwendet werden. Alle wichtigen Regeln stehen dabei auf knapp zehn Seiten des Buches; hat man die halbwegs im Kopf, kann man direkt loslegen.

Auch eine Spielwelt findet man in Dungeonslayers: die heißt Caera und besteht aus quasi jedem nur denkbaren Fantasyklischee. Da gibt es alte Ruinen, verschollene Zwergenbingen, überwucherte Dschungel-Pyramiden und Werwölfe in düsteren Wäldern – genug Abenteueraufhänger und Widersacher also. Dazu locken legendäre Dungeons, wie die „Festung des Unheils“. Das alles ist aber nicht nur Fassade fürs Monsterverhauen, sondern ein ausgearbeiteter Fantasy-Hintergrund samt politischer Figuren, Herrschergeschlechtern und eigener Geschichte. Wirklich lebendig wird Caera aber erst durch die zahllosen bisher veröffentlichten Kurzabenteuer, die für genau einen Spielabend geschrieben sind.

Dungeonslayers ist darum bemüht, das Geschehen am Spieltisch zu beschleunigen und stellt Spaß an erste Stelle – coole Geschichten und Kämpfe erleben statt Tabellen bewürfeln und Sonderfälle nachblättern. Richtigen „Indie“-Geist zeigt das Spiel aber bei der Veröffentlichungsstrategie: Dungeonslayers ist kostenlos als PDF verfügbar, die gedruckte Version gibt’s vom Uhrwerk-Verlag) und steht unter der „Creative Commons“-Lizenz. Das heißt, jeder Leser darf eigene Abenteuer und Erweiterungen veröffentlichen. Dieser Ansatz hat Dungeonslayers in den letzten Jahren international bekannt gemacht und eine aktive und treue Fanbasis geschaffen. Viele Fanwerke werden dabei auf der offiziellen Dungeonslayers-Homepage verlinkt. So gibt es mittlerweile eine Magie-Alternative mit Manapunkten und alternative Settings: in der Postapokalypse (Gammaslayers), während eines Zombieausbruchs (Zombieslayers), in einer Science-Fiction-Zukunft (Starslayers) oder in einer von Verschwörungstheorien geprägten Moderne à la Akte-X (Dungeonslayers-X).

Dungeonslayers ist das perfekte Rollenspiel fürs nostalgische Dungeonplündern zwischendurch bei Bier und Knabbereien. Dabei kommt es auch durch die starke Fanbindung sympathischer rüber, als viele andere OSRs, die nicht aus dem Schatten von Dungeons & Dragons treten können oder wollen.

Eine düstere Stadt in der Wüste Lemurias.
Eine düstere Stadt in der Wüste Lemurias.

 

Barbarians of Lemuria – Und Conan kriegt das Mädchen …

Barbarians of LemuriaLeichte Regeln mit extra-coolem Hintergrund verspricht dieses Rollenspiel von Simon Washbourne, das es seit 2008 in der „Legendary Edition“ gibt. Barbarians of Lemuria klingt vom Titel nach Conan der Barbar, epischer Sword & Sorcery mit muskelbepackten Barbarenhelden, halbnackten Sklavinnen, fiesen Kultisten und einem großen Augenzwinkern.

Barbarians of Lemuria spielt in einer vorzeitlichen Welt mit Namen Lemuria (wer hätte das gedacht?). Diese erholt sich gerade vom letzten Krieg gegen die „Sorcerer Kings“, samt zerstörten Metropolen und neuen, unabhängigen Stadtstaaten. Zwischen diesen liegt eine weite Wildnis voller Barbarenstämme und gefährlicher Monster – darunter Dinosaurier und arkane Schrecken. Statt auf Pferden reitet man auf Echsen oder Riesenvögeln und Artefakte früherer Zeitalter erinnern an Steampunk-Technologie. Menschen sind das vorherrschende Volk, aber nicht das einzige: So gibt es blauhäutige Riesen-Nomaden (Ceruleans), wilde Affenmenschen (Grooth) und ein geheimniskrämerisches Vogelvolk (Haklaton). Die Welt ist dabei so vage beschrieben, dass auch verrückte Ideen für eine Kampagne darin Platz finden.

Aber was wäre ein Rollenspiel ohne Regeln? Diese sind in Barbarians of Lemuria schlicht und leicht verständlich. Charaktere bestehen aus vier Werten (strength, agility, mind, appeal) und einem Beruf, der den Charakter außerhalb der Action abrundet. Dazu kommt eine hübsche Liste mit Vor- und Nachteilen. Gewürfelt wird mit 2W6 modifiziert von Attributen oder Berufsgraden gegen eine feste Schwierigkeit. Patzer (zwei Einser) und legendäre Erfolge (zwei Sechser) haben besondere Auswirkungen. Im Kampf wird eigenwilligerweise nicht nur der Schaden sondern auch der Rüstungswert zufällig ermittelt. Um die eigenen Chancen zu verbessern, gibt es pro Abenteuer Heldenpunkte zum Modifizieren der Würfelwürfe.

Alles klassisch soweit? Nicht ganz: Barbarians of Lemuria ist teilweise von modernen Erzählrollenspielen inspiriert und belohnt Kreativität im besonderem Maße: So gibt es keine Zauberlisten; Magie entsteht frei in Verhandlung mit dem Spielleiter mit festen Schwierigkeitsgraden je nach gewünschtem Effekt. Passende Vorbereitungen wie eine Opfergabe oder Zeitaufwand erleichtern die Probe. Erfahrungspunkte werden auch nicht pro Monster, sondern bei der Zusammenfassung eines Spielabends für epische Taten vergeben. Das sorgt für spaßige Aufschneiderei zum Abschluss einer Runde. Außerdem können Spieler in die Erzählung eingreifen und per Heldenpunkt Fakten schaffen (ähnlich Fate). Für Spieler mit viel Fantasie, einem gesunden Ego, entspanntem Humor und einer großen Klappe ist Barbarians of Lemuria also genau das Richtige.

Zwei Mitglieder des Ordens bei der Strategieplanung.
Zwei Mitglieder des Ordens bei der Strategieplanung.

 

Vow of Honor – Mönche, Moral und Monster

Vow of Honor„Irgendwas abseits von Elfen und Zwergen“ dachte sich wohl auch Ben Dutton, als er den Vow of Honor-Kickstarter ins Leben rief. Herausgekommen ist ein Rollenspiel um moralische Konflikte und „ehrbare Krieger-Mönche in einer Welt voller Ehrlosigkeit“, wunderschön im Anime-Stil illustriert.

Vow of Honor spielt auf Sasara, einer künstlichen Hohlwelt, deren Horizont sich leicht nach oben biegt. Diese wurde von Urahnen (Forebearers) erschaffen, die selbst einer unbekannten Katastrophe zum Opfer fielen, was Welt und Gesellschaft erschüttert hat. Sklaverei, Banditentum und Syndikate verleihen dem Setting einen düsteren Ton. Dazu zwingen gefährliche Monster, wie etwa die fleischfressenden Adabhuta, die Menschen in gut befestigte Siedlungen. Die Spieler schlüpfen in die Rolle der Arbiters of Fasann, einem unabhängigen Orden, der auf dem Weg zur Erleuchtung Konflikte schlichtet und Ehre und Ordnung aufrechterhält. Was im Orden als ehrenvoll angesehen wird, ist dabei klar definiert und Streit zwischen Spielercharakteren und lokalen Machthabern damit vorprogrammiert. Doch auch in den versprengten Ordensenklaven läuft das Leben nicht gerade perfekt. Eine erschöpfende Weltbeschreibung bietet Vow of Honor aber nicht: Details und düstere Geheimnisse, wie die zerstörten „Void Lands“, werden nur angedeutet und der Ausgestaltung des Spielleiters überlassen.

Die Regeln von Vow of Honor sind stark an das Setting gebunden und benutzen ein W6-Poolsystem. Charaktere wählen keine Klassen, sondern definierende Tugenden – Hingabe, Mitgefühl, Reinheit, Rechtschaffenheit und Verständnis – die Spezialmanöver freischalten und zugleich die Haltung zu NSC und anderen Spielercharakteren prägen. Verbrauchbare Bonuswürfel (Honor Dice) erhöhen die eigenen Erfolgschancen; Erfahrungspunkte werden nur für ehrenvolle Taten vergeben. Aber auch gegen seine Tugend zu handeln kann sich lohnen und gibt einen Würfelbonus. Dabei riskiert man wiederum Selbst-Korrumpierung und den Fall des eigenen Helden.

Vow of Honor ist ungewöhnlich darin, dass es als Rollenspiel den Fokus von Mechanik und Setting stark auf Moralvorstellungen und moralische Dilemmata legt. Wie weit können die Arbiter gehen, ohne die eigenen Tugenden zu verraten? Was, wenn diese plötzlich im Weg stehen oder sich widersprechen? Spieler erhalten durch Orden und Tugenden klare Handlungsmotivationen und einen festen Platz in der Welt, der den Aufhänger für zahllose Abenteuer bietet. Die Krieger-Mönche sind dabei eine gefühlte Mischung aus den Gesetzeshütern von Dogs in the Vineyard, wandernden Samurai aus Legend of the Five Rings und den Jedi aus Star Wars. Ebenfalls ungewöhnlich ist der philosophische Hintergrund, der sich stark aus fernöstlichen Konzepten von Bushido bis Dharma speist. Vow of Honor ist definitiv einzigartig und eine Empfehlung für anspruchsvolle Erzählspieler.

So viele Spiele, so wenig Zeit …

Wie immer ist eine solche Liste natürlich total subjektiv und allein aus meinem eigenen Hobbyinteresse entstanden. Auch abseits der hier vorgestellten Kandidaten gibt es natürlich andere Fantasy-Rollenspiele, die verrückt und innovativ sind und mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Da wären zum Beispiel interessante Fantasy-Umsetzungen mehr oder weniger bekannter Universalsysteme wie das preisgekrönte Dungeon World (für Powered by the Apocalypse), Legends of Anglerre (für Fate) sowie Sundered Skies (für Savage Worlds) oder Reign (für One Roll Engine). Aber genug für dieses Mal. Es gibt einfach so viele gute Rollenspiele und so wenig Zeit …

Nun zu euch. Würdet ihr gern euren Geheimtipp demnächst hier vorgestellt sehen? Habt ihr Spielerfahrungen mit einem der Systeme gemacht und wollt darüber berichten? Dann schreibt doch einen kurzen Kommentar dazu. Diese Artikelreihe wird nämlich mit weiteren Genres fortgesetzt. Demnächst: Das Indie-Spotlight Asia-Rollenspiele.

Artikelbilder: Genannte Verlage

 

4 Kommentare

  1. Danke für die Übersicht. BoL und DS sind mir nicht nur bekannt, sondern auch schon fleißig verwendet worden. Wobei ich sagen muss, dass ich mehr der Fan der älteren DS 3.x Version statt der „kommerziellen“ DS 4, wo viele Aspekte von DS (einfach und schnell) durch zu viel Kleinkram wie Skill und ähnliches aufgebläht wurde.

    Die anderen beiden sind mir noch unbekannt, aber da werde definitiv mal einen Blick drauf werfen. Vielen Dank nochmals!

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