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256 Seiten, voll mit Regeln. Einige davon tatsächlich komplett neue Systeme. Für einen einzelnen Artikel ist das definitiv zu viel. Daher werde ich in diesem ersten Artikel nur die überarbeiteten Klassen genauer betrachten und alles andere nur kurz erwähnen. Wenn ihr an einer genaueren Betrachtung der anderen Kapitel interessiert seid, verweise ich an dieser Stelle auf Teil zwei des Reviews, der in Kürze ebenfalls hier erscheinen wird.

Pathfinder Unchained ist das erste Regelwerk von Paizo, das bewusst komplett als optional gedacht ist. Aber auch die optionalen Regeln der Vergangenheit (Words of Power aus dem Ulitmate Magic zum Beispiel) waren eher Erweiterungen des Systems und nicht Veränderungen von bisher Dagewesenem. Genau das sind aber eine ganze Menge der Regeln in Pathfinder Unchained. Sie sollen, wenn man sie denn verwenden will, bisher vorhandene Dinge komplett ersetzen und so mit alten Gewohnheiten brechen, alte Ketten sprengen. Schauen wir uns doch einmal an, in welchen Bereichen da geschraubt wurde.

Die Regeln

Das Buch ist unterteilt in 5 Kapitel: Klassen, Fertigkeiten und Optionen, Gameplay, Magie und Monster. Und fast jedes von diesen Kapiteln ist wiederum unterteilt in eine Vielzahl unterschiedlicher Optionen. Einzig das Monster-Kapitel enthält nur ein einziges, dafür aber umso umfangreicheres, System.

Klassen

Um dieses erste Review nicht zum Platzen zu bringen, gehe ich hier nur auf den wohl am meisten erwarteten Inhalt des Buches genauer ein: Die vier überarbeiteten Klassen.

Neben diesen sind in dem Kapitel noch ein alternatives System für die Zusammenrechnung von Boni bei Mehrklassen-Charakteren sowie ein Aufstiegssystem enthalten, bei dem die Stufen in jeweils vier Schritte unterteilt werden.

Mönch

Der klassische Mönch litt schon seit jeher unter akuter MAD (Multiple Attribute Dependency) sowie wenig Synergie zwischen seinen definierenden Fähigkeiten (hohe Geschwindigkeit, aber extrem viele Attacken bei einem vollen Angriff). Dazu kam, dass die Angriffe zu schlecht trafen und zu wenig Schaden machten.

Dieser neue, entfesselte Mönch löst ein paar dieser Probleme auf und gibt der Klasse zusätzlich viel mehr Flexibilität als zuvor. Voller Grundangriffsbonus, W10 Trefferwürfel, überarbeiteter Schlaghagel mit besserer Chance zu treffen und dafür weniger Attacken, eine Fähigkeit, die ihm vor oder zwischen den Angriffen begrenzt Bewegung erlaubt sowie oftmals die Wahl zwischen diversen Fähigkeiten, wo ehemals eine feste definiert war. Das sind die wichtigsten Pluspunkte. Dagegen stehen der nun schlechte Willensrettungswurf, die Tatsache, dass einige früher konstante Fähigkeiten nun über Ki-Punkte aktiviert werden müssen als dir großen Negativpunkte. Geblieben ist leider die MAD.

Im Großen und Ganzen sicher eine Verbesserung, aber so wirkliche Begeisterung will sich bei mir als Fan der Klasse nicht einstellen. Gerade, dass die wichtigen Verteidigungen (Willen-RW, Immunitäten) geschwächt wurden, nimmt dem Mönch eine Menge seiner Identität.

Schurke

War der Schurke zu Beginn von Pathfinder eigentlich keine schlechte Klasse, wurde er mit der Zeit doch immer obsoleter. Es gab eigentlich nichts mehr, was andere Klassen nicht ähnlich gut konnten, wenn auch vielleicht nicht in der Breite. Acht Fertigkeitspunkte waren das Einzige, was dem Schurken absolut eigen war. Und das reicht nicht für eine ganze Klasse.

Der neue Schurke bekommt diese Acht Punkte weiterhin, dazu aber auch diverse Neuerungen: Ab der ersten Stufe eine kostenlose Waffenfinesse, aber der dritten Stufe sogar die Fähigkeit, mit einer Waffe nach Wahl Geschick auch für den Schaden zu verwenden. Überarbeitete Talente, Fallensinn wurde in Gefahrensinn umbenannt und hilft nun auch gegen Hinterhalte. Dazu alle fünf Stufen das Freischalten von speziellen Fähigkeiten in einer Fertigkeit nach Wahl. Und im Gegensatz zum Mönch wurden dem Schurken dafür keine alten Pfründe weggenommen.

Insgesamt ist der neue Schurke also in jeder Hinsicht der alten Variante mindestens gleichgestellt, in einigen Bereichen überlegen. Ein dringend nötiges Update, um die Klasse wieder relevant zu machen.

Paktmagier (Summoner)

Waren der Schurke und der Mönch in der Vergangenheit ziemlich selten, da sie einfach zu schlecht waren, war es beim Summoner eher deshalb der Fall, weil die meisten Runden ihn von vornherein verboten haben. Und das mit gutem Grund. Das Eidolon war einfach zu stark und flexibel und der Summoner selbst hatte zwar nur sechs Zaubergrade, dafür waren auf diese Grade aber ziemlich viele der guten Zauber verteilt, die sonst in neun Graden steckten. „Hast“ im zweiten Grad sorgte dafür, dass der Summoner diesen sogar noch vor jeder anderen Klasse bekam. Steinhaut im dritten bekam er, wie der Magier, auf Stufe 7. Und so war es mit sehr vielen der gebräuchlichen Zauber.

Der neue Summoner nimmt sich beider Probleme an: Das Eidolon ist nun von vorn herein einer Art von extraplanarem Wesen (Engel, Teufel, Dämon, etc.) zugeordnet. Diese Zuordnung legt einige der Evolutionen fest, die es erhält. Dadurch sinkt die Menge der freien Punkte enorm. Noch dazu wurden einige Fähigkeiten neu evaluiert und haben nun höhere Voraussetzungen und Kosten. So kostet Anspringen (Pounce) nun nicht mehr einen, sondern drei Punkte und ist auch nicht mehr vor Stufe 8 zu erlernen.

Die Spruchliste wurde ebenfalls überarbeitet und die Zauber sind nun in den Graden, in denen sie normalerweise auch sind, was dafür sorgt dass der Summoner sie später bekommt als Klassen mit neun Graden. Also genau so, wie es eigentlich bei allen anderen Klassen mit sechs Graden auch der Fall ist.

Ob die Änderungen den Summoner wieder spielbar machen, wird die Zeit zeigen müssen, aber es war auf jeden Fall ein wichtiger Schritt um diese, an sich sehr interessante, Klasse wieder erlauben zu können.

Barbar

Im Gegensatz zu den drei anderen Klassen in diesem Bereich war der Barbar eigentlich weder zu stark noch zu schwach. Aber er war relativ kompliziert und erforderte ständige Buchhaltung und das Neuberechnen von Werten im Spiel. Grund dafür waren die veränderten Attribute in Rage, sowie Fähigkeiten, die pro Rage genau einmal verwendet werden konnten. Auch galt der Barbar auf höheren Stufen gerne als suizidal, da der Verlust der erhöhten Konstitution beim (meist unfreiwilligen) Verlassen der Rage schnell zum Tod führen konnte, wenn man nicht ein bestimmtes Talent hatte.

All diese Punkte wurden angegangen und Rage bringt nun einfach nur noch einen fixen Bonus auf Treffen und Schaden statt erhöhter Stärke und temporäre Trefferpunkte statt erhöhter Konstitution. Auch wurden die Rage Powers überarbeitet und geben nun mehr konstante Boni statt einmalige. Dazu kommen ein paar kleine Änderungen, wie der bereits beim Schurken erwähnte Gefahrensinn statt Fallensinn.

Ob der neue Barbar besser oder schlechter als der alte ist, lässt sich schwer sagen. Er wird sich auf jeden Fall anders spielen. Schon alleine, dass der Schadenbonus fix ist, wird für sehr viel mehr Barbaren mit zwei Waffen oder natürlichen Attacken statt dem ansonsten ikonischen Zweihänder sorgen. Und die temporären Trefferpunkte erhöhen die Überlebenschancen doch ungemein. Insgesamt eine sinnvolle Variante für Leute, die es etwas einfacher haben wollen.

Fertigkeiten und Optionen

In diesem Kapitel verbergen sich diverse Optionen, die mit Fertigkeiten und deren Anwendungen zu tun haben. Und eine Option, die eigentlich in das Klassen-Kapitel gehört hätte, aber aus unerfindlichen Gründen hier gelandet ist.

Die Optionen reichen dabei von drei möglichen Veränderungen des Fertigkeitssystems (Aufteilung in Hintergrund- und Abenteuerfertigkeiten, Zusammenfassen von Fertigkeiten sowie Gruppierung von Fertigkeiten) über neue Optionen bei der Anwendung von Fertigkeiten und einer Überarbeitung des Handwerks- und Berufesystems bis hin zu einem alternativen System für Mehrklassencharaktere, bei dem Talente verwendet werden, um bestimmte Eigenschaften einer zweiten Klasse zu erhalten.

Gameplay

Im Gameplay Kapitel geht es um grundlegende Spielmechanismen. Es werden ein alternatives Gesinnungssystem sowie Vorschläge zum kompletten Weglassen der Gesinnung behandelt. Dazu kommt eine Überarbeitung der Aktionen pro Runde, der Wegfall von iterativen Attacken, Wundstufen, ein neues System für Krankheiten und Gifte sowie ein System, das kämpferischen Charakteren einen Pool an Punkten gibt, mit dem sie im Kampf etwas flexibler werden.

Dieses Kapitel hat bei weitem die ambitioniertesten Regeln und so manche davon ist vielleicht eine nähere Betrachtung wert. Aber Vorsicht: Die hier vorgestellten Systeme verändern das Spiel teilweise gewaltig und bei ihrem Einsatz muss man auch als Spieler sicherlich erst einmal umdenken.

Magie

Das Kapitel Magie beschäftigt sich mit allem, was mit dem Wirken von Magie und magischen Gegenständen zu tun hat. Das fängt bei einem System an, bei dem nur noch die höchsten Grade memoriert werden, sowie einem, bei dem Zauber in ihrer Wirkung nicht mehr von der Stufe des Anwenders abhängig sind. Darauf folgt eine Handvoll kleinerer Systeme: Die von früher schon bekannte wilde Magie, eine Möglichkeit für Zauberwirker, die Rettungswürfe der Gegner durch eine Art Angriffswürfe zu ersetzen, oder kritische und gepatzte Zauber. Als drittes wird ein halbherziges System für esoterische Materialkomponenten behandelt. Und zu guter Letzt kommt dann der Bereich magische Gegenstände an die Reihe. Zwei Systeme werden vorgestellt, mit denen man die Boni von Gegenständen, die eigentlich eh jeder hat, anders erlangen kann und somit in die Lage versetzt wird, interessantere Gegenstände zu verwenden. Mitwachsende magische Gegenstände sind eine weitere Regelvariante, die Gegenstände erlaubt, die je nach Stufe des Anwenders unterschiedlich gut sind. Außerdem wird versucht, die Herstellung magischer Gegenstände zu mehr zu machen als nur einem einzelnen Wurf auf eine Fertigkeit.

Von der Menge der Regeln her ist dieses Kapitel das umfangreichste. Aber es sind auch die meisten Regeln darin, die eher mäßig gelungen sind. Einige der Regeln scheinen das Spiel nicht wirklich zu vereinfachen, sondern gezielt darauf aus zu sein, Zauberwirker erheblich abzuschwächen. Vielleicht interessant für Kampagnen mit einem niedrigeren Magieniveau als üblich, aber für die meisten Runden eher nicht einsetzbar.

Monster

Das letzte Kapitel enthält nur eine einzige Regelvariante: Ein System zur vereinfachten Erschaffung neuer Monster. Diese ist ziemlich umfangreich, so dass „vereinfacht“ etwas gewagt ist. Aber im Gegensatz zum kompletten Ausarbeiten der Werte geht es dann am Ende doch schneller, so dass das System seine Berechtigung hat.

Spielbarkeit aus Spielleitersicht

Für Spielleiter bietet das Pathfinder Unchained einige interessante Möglichkeiten, das System an das eigene Abenteuer oder die eigene Welt anzupassen. Auch die vereinfachte Monstererschaffung ist sicherlich nicht verkehrt. Aber es kommt auch mit jeder Option mehr Arbeit auf den Spielleiter zu, denn nur in den seltensten Fällen reichen die Beschreibungen im Buch aus, um alle Randfälle vollständig zu definieren, so dass öfter als normal eine Entscheidung von SL-Seite nötig werden wird.

Spielbarkeit aus Spielersicht

Das Buch enthält viele interessante und neue Optionen, um den eigenen Charakter zu gestalten. Dummerweise sind alle davon Optionalregeln, so dass man immer erst schauen muss, was davon in der jeweiligen Runde verwendet wird. Gerade bei verschiedenen Gruppen kann das schnell zu Verwirrungen und Verwechslungen führen. Von Conventions will ich dabei gar nicht erst reden.

Preis-/Leistungsverhältnis

10 USD für das PDF oder um die 30 EUR für das Buch. Dafür erhält man eine Menge Anregungen und neue Möglichkeiten. Sollte die eigene Gruppe davon einiges verwenden, ist das sicherlich den Preis wert. Wenn sich die Gruppe aber dagegen entscheidet, dann ist es auch nur ein großer und teurer Briefbeschwerer.

Erscheinungsbild

unchained pathfinder coverZum physischen Buch kann ich keine Angaben machen, da ich bislang nur das PDF vorliegen habe. Design und Lesbarkeit sind aber von der gewohnten hohen Qualität. Auch die vorhandenen Bilder können durchaus gefallen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Paizo Publishing
  • Autor(en): Jason Bulmahn u.v.m
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Englisch
  • Format: 21,6 x 3,8 x 27,9 cm
  • Seitenanzahl: 256
  • ISBN: 978-1-60125-715-4
  • Preis: 27,95 EUR (Print) / 9,99 USD (PDF)
  • Bezugsquelle: Amazon / Sphärenmeister

 

Fazit

Als erste Ankündigungen zu Pathfinder Unchained vor knapp einem Jahr die Runde machten, wurden direkt Stimmen laut, die das Buch „Pathfinder 1.5“ nannten. Aber Paizo hat dies stets verneint. Statt dessen sollte das Buch dazu dienen, einige teils sehr alte Mechanismen auf den Prüfstand zu stellen und evtl. zu ersetzen. Eben alte Ketten zu sprengen, die das System an etwas fesselten, was nicht mehr unbedingt zeitgemäß ist.

War es zur Anfangszeit von Pathfinder noch ein großes Verkaufsargument und wichtig, dass man alte Regelwerke von Dungeons & Dragons weiter verwenden konnte, so hat das in den sechs Jahren, die seitdem vergangen sind, immer mehr an Bedeutung verloren. Aber dummerweise sind in diesen sechs Jahren unzählige Regelwerke für Pathfinder erschienen. Und zu denen müssen neue Regeln ja auch noch irgendwie kompatibel bleiben. Eine schwierige Aufgabe, gerade wenn man Regeln komplett umgestalten will, wie es an einigen Stellen von Pathfinder Unchained der Fall ist. Bei so radikalen Änderungen war klar, dass sie nicht jedem gefallen können. Also hat Paizo die kompletten Änderungen geschickterweise zu optionalen Regeln erklärt. Was für die eigene Runde passt, kann man übernehmen, was nicht gefällt, wird einfach ignoriert.

Das geht so weit, dass es überhaupt nicht möglich ist, alle optionalen Regeln zu verwenden. Denn teilweise sind diese nicht mit einander kompatibel. Und teilweise sind sie auch relativ knapp ausformuliert, so dass man sich einige Dinge selbst anhand möglichst ähnlicher und beschriebener Beispiele erarbeiten muss.

Die vorhandenen Regeln sind nicht alle Meisterwerke, aber einige davon sind doch interessant genug, um sie sich einmal genau durch den Kopf gehen zu. Dummerweise habe ich bei Paizo allerdings bisher wenig gute Erfahrungen mit optionalen Regeln gemacht. Die meisten von ihnen wurden nach dem einen Buch, in dem sie standen, nie wieder unterstützt. Das mag bei einigen der neuen Regeln egal sein, da sie keine weitere Unterstützung brauchen. Andere aber, wie zum Beispiel das Stamina-System, machen diese durchaus wünschenswert.

Und auch wenn nicht alle Regeln in dem Buch echte Volltreffer sind, so sind doch genug darin, die das Hirn anregen und teilweise verstaubte Systeme auf den Kopf stellen. Ob das, was dabei herauskommt, besser ist als das normale System, muss die Zeit zeigen. Aber alleine die Tatsache, dass es den Geist so sehr anregt ist ein sehr gutes Zeichen. Vielleicht ist es nicht Pathfinder 1.5, aber sollte jemals ein Pathfinder 2.0 erscheinen, so werden wir vielleicht einige der hier verwendeten Ideen darin wiederfinden.

Für die meisten Gruppen werden vor allem die überarbeiteten Klassen von Bedeutung sein. Diese sind auch, bis vielleicht auf den Barbar, eindeutige Verbesserungen des Status Quo und sie alleine machen das Buch schon sehr sinnvoll.

Daumen5maennlich

Artikelbild: Paizo LLC

 

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