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(Von Balbina, ins Deutsche übertragen von Oliver Korpilla.)

Wenn man ein Interesse an Rollenspielen hat, stehen die Chancen gut, dass man schon mal dem Temple of Elemental Evil begegnet ist: Da wären das ursprüngliche Abenteuermodul, die Erweiterungen, Konversionen für andere Editionen, das Computerspiel und ein Buch zu nennen. Der Temple ist einfach ein D&D-Klassiker. 30 Jahre, nachdem der Tempel erstmals sein eigenes Modul bekam, bringen Sasquatch Game Studios und die Wizards of the Coast uns Princes of the Apocalypse und die Bedrohung durch das elementare Böse wiederholt sich … aber nicht in Greyhawk, sondern halt in den Forgotten Realms.

Hierbei müssen die verdorbenen und letztendlich verrückten Propheten der vier elementaren Kulte aufgehalten werden. Laut Mike Mearls Vorwort ist das Ganze nicht als Neuauflage der alten Story gedacht, sondern ein neuer diabolischer Plan der Elementarfürsten, die jede Welt erreichen können. Genauso wie in der bereits veröffentlichten Tyranny of the Dragons-Kampagne gilt es hier die Welt zu retten, aber mir gefällt dieses Produkt weit besser.

Spoilerwarnung: Der Inhalt des Moduls wird angerissen.

Inhalt

Mit ihren 256 Seiten reicht die Kampagne, um Charaktere von Stufe 3 auf Stufe 15 hochzuspielen, und im Buch ist genug Zusatzmaterial, um sogar mit Stufe 1 einzusteigen. Das Gesamtmodul hat sieben Kapitel und drei Anhänge, und es gibt frei herunterladbares Bonusmaterial (siehe unten).

Das erste Kapitel enthält eine Zusammenfassung, detaillierte Hintergründe über die vier Kulte, Hinweise zum Leiten der Kampagne sowie Hintergrundmaterial für die Forgotten Realms. Hierbei ist weiteres Wissen über das Setting nicht vonnöten. Gerade die Beschreibung der individuellen Kulte, ihrer Strategie, Philosophie, wie sie zu den anderen Kulten stehen (und ihr entgegengesetztes Element hassen), hat es mir besonders angetan.

Die übergeschnappten Oberkultisten sind auch umfangreich beschrieben. Die Auswahl ist jedenfalls unterhaltsam:

  • Ein selbstgefälliger Adeliger, der in eine Medusa verwandelt wurde, als er versuchte, seine Jugendlichkeit zu bewahren.
  • Ein verbitterter, rachsüchtiger Seemann, der überzeugt ist, dass Meeresströmungen sein Leben gerettet haben.
  • Eine ehrgeizige Tieflingstänzerin, die alle um sich herum verachtet.
  • Ein graziler, verdorbener Elf mit Wutausbrüchen und Größenwahn.

 

Jeder für sich misstraut den anderen und will unbegrenzte Macht. Sie wurden vom Uralten Elementaren Auge gerufen und ihre Mission ist es, die Elementarfürsten nach Faerûn zu bringen. Sie geben hervorragende Bösewichte ab und es gibt viel Inspiration dafür, auch eigene Kultisten zu entwerfen. Abschließend gibt es in dem Kapitel noch einiges zum Thema Abenteuereinstieg, inklusive Material für den Fall, dass man diese Kampagne im Anschluss an das Starter Set spielen will.

Das zweite Kapitel enthält eine Beschreibung des Dessarin-Tals, einer dünn besiedelten Gegend. Die Fülle an Information ist überwältigend: Geschichte, NSC, Hooks, Orte, Tipps für die Erforschung … Leitet man die Kampagne nach dem Buch, wird man sich mit diesem Kapitel am meisten auseinandersetzen müssen. Das Gesamtmodul wird als Sandbox präsentiert, und die Spieler können durch die Gegend streifen, wie sie wollen. Es gibt definitiv mehrere Wege, das Ganze anzugehen – ganz im Gegensatz zu Tyranny of Dragons, wo der Plot hart per Railroad vorgegeben wurde. Für SL ergibt sich dadurch mehr Verwaltungsaufwand und Bedarf, das Quellenmaterial einzustudieren.

Spurensuche

Das eigentliche Abenteuer erstreckt sich über die Kapitel 3 bis 5, falls man mit Spielfiguren der dritten Stufe beginnt. Bei Charakteren erster Stufe kann man sich der Nebenhandlung aus Kapitel 6 bedienen.

Das Spiel beginnt in der Ortschaft Red Larch und es gilt, das Verschwinden einer Delegation aus Mirabar zu untersuchen. Sollten sich die Spieler mit existierenden Gruppierungen im Setting verbündet haben, kann man dies als Hook verwenden. Alle Gruppierungen sind an der Sicherheit dieser Delegation interessiert, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Sie halten entweder durch Boten oder Magie sporadischen Kontakt mit der Gruppe.

Während sich die Spieler auf der Suche nach der Delegation durchfragen, sollten sie auch dem ersten Kultisten begegnen, einem Wasser-Genasi, mit dem es zur Konfrontation kommen könnte. Es wird empfohlen, an verschiedenen Stellen Vergeltungsangriffe der Kulte einzuflechten, die zunächst für die SC zufällig wirken. Dahinter steckt aber die Tatsache, dass das Uralte Elementare Auge auf ihre Aktivitäten vermehrt aufmerksam wird. Die Begegnung mit dem Wasser-Genasi oder den Himmelsreitern könnte dann auch direkt zu den Spukfestungen (Haunted Keeps) der Wasser- oder Luftkulte führen.

Wie es an diesen Orten weitergeht, liegt weitestgehend an den Spielern. Die Kultisten dort führen ihre Aktivitäten unter dem Deckmantel unscheinbarer Organisationen durch. Vielleicht gewinnen die SC sogar die Anerkennung und das Vertrauen einiger Kultisten, oder sie erregen Verdacht und es kommt zum Kampf. Manche dieser Festungen sind leichter zu erreichen als andere, und in ihren Tiefen können die Spieler dann wiederum einen Elementaren Tempel finden. Es ist gut möglich, dass die Gruppe zum betreffenden Zeitpunkt noch nicht stark genug ist, um die Tempel anzugehen. Sollten die Spieler die Gefahr unterschätzen, kann es hier zum TPK kommen.

Ans Eingemachte

Ab Kapitel 4 sollten die Spieler bereits Teil der Festungen abgearbeitet haben, hier finden sich auch die Beschreibungen der vier Elementaren Tempel. Im Dessarin-Tal geht es jetzt auch ziemlich rund. Ein Verräter versucht, die Spieler zu vergiften, und die Vergeltungsangriffe der Kulte nehmen zu. Während sich die Spieler den Kult-Tempeln zuwenden, werden die verbleibenden anderen Kulte auch Siedlungen angreifen.

Schaffen es die SC, einen der Propheten zu besiegen, wird sich einer der anderen in den Schrein des Auges zurückziehen, eine Kaverne, in der die Obersten der Kulte konspirieren. Die anderen zwei begeben sich zu ihren Elementarknoten, wo sie genug Macht ansammeln wollen, um die Elementarfürsten zu beschwören. Dieses Kapitel ist faszinierend und voller Hinweise darauf, wie man ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugt. Wurden zwei Propheten erledigt, müssen die Helden in aller Eile einen Weg finden, die Elementarportale zu schließen. Es bleibt dem individuellen SL überlassen, ob er die Spieler dann noch gegen einen der Elementarfürsten antreten lassen will. Das Risiko eines TPK ist hoch, aber nach all der Eile und dem Druck scheint es wenig stimmungsvoll, sich nicht mit einem dieser Wesen messen zu dürfen.

Nur um das mal zusammenzufassen: Vier Spukfestungen, vier Elementartempel, der Schrein des Auges, vier weitere Höhlenkomplexe (von denen man eher höchstens zwei erforschen wird), viele Orte im Dessarin-Tal, acht Nebenquests in Kapitel 6, zufällige und nicht ganz so zufällige Begegnungen – meine Wette ist, dass man einige Zeit braucht, um diese Kampagne durchzuziehen.

Es kann dabei aber auch passieren, dass sich die Spieler entscheiden, ein Dungeon anzugehen, das klar über ihren Möglichkeiten liegt. Will man dann keinen TPK riskieren, kann es sein, dass man die Schwierigkeit entweder anpassen oder die SC entsprechend umleiten muss. Leider beinhaltet das Buch keine klare Anleitung, welche Inhalte zu welcher Charakterstufe passen, man kann es höchstens halbwegs von der Abfolge der Kapitel ableiten.

Das wäre auch kein Problem, wenn es den Spielern klar ist, dass es auch Herausforderungen gibt, denen sie noch nicht gewachsen sein könnten … aber mal ganz ehrlich, viele Spieler denken nicht so, was zu Frust führen kann. Während ich das Sandbox-Design der Kampagne zu schätzen weiß, fehlt mir definitiv eine klare Handreiche dazu, welcher Ort und welcher Dungeon-Level mit welchem Schwierigkeitsgrad korreliert. Das Fehlen ist ein eindeutiges Manko, vor allem, weil das Buch mit Begegnungen vollgestopft ist.

Der Rest

Kapitel 7 dreht sich um Monster und magische Gegenstände. Anders als im Monster Manual sind alle Monster tabellarisch mit ihrem Challenge Rating (CR) aufgelistet, definitiv ein Plus. Die Monster und NSC sind auch nach Kult gegliedert, nicht nur alphabetisch. Die Ausnahme sind die Myrmidon (gepanzerte Elementare), die ihr eigenes Unterkapitel haben, genauso wie die Vollbeschreibung der Fürsten des Elementaren Bösen, die jeweils mit einem sattem CR zwischen 18 und 20 aufwarten.

Die Fürsten werden ihren Einfluss im Laufe des Abenteuers durch Feuersbrünste, Erdstöße, Regengüsse, Zyklone und andere Phänomene bemerkbar machen. Das sind wirklich mächtige Gegner, und auch die verschiedenen Propheten sollte man keinesfalls unterschätzen. Jeder Kult hat Monster und NSC in Hülle und Fülle, und ich bezweifele, dass einem jemals während der Kampagne die Bösewichte ausgehen könnten. Auch die Items sind einfach klasse, vor allem die elementaren Waffen der Propheten.

In den Anhängen steckt auch so einiges an Inhalt. Zuerst wäre da die spielbare Rasse der Genasi, eine Mischung aus Elementar und Humanoid, oft ein Ergebnis der Kreuzung von Menschen und Dschinns oder wenn jemand einer elementaren Kraftverwerfung ausgesetzt war. Das tonangebende Element bestimmt dabei die Unterrasse.

Danach folgen die neuen Sprüche, und für jeden außer Klerikern ist da Zusätzliches dabei. Einige dieser Sprüche klingen sehr beeindruckend und ich drücke mir mal selbst die Daumen, dass mein eigener SL diese in seiner Kampagne auch erlaubt.

Den Abschnitt „Adapting to Other Worlds“ habe ich mit besonderem Interesse gelesen. Hier gibt es Ideen dazu, wie man das Material an eine andere oder gar eine selbstgestaltete Settingwelt anpasst. Ich persönlich stehe ja auf Eberron, und fand die Empfehlungen gut. Das bedeutet zwar nicht, dass die Kampagne einfach umzusetzen sein wird, aber es ist durchaus möglich. Wer glaubt, dass die Storyline rund um das Elementare Böse nur nach Greyhawk gehört, findet hier zumindest einen Ansatz, mit dem man arbeiten kann.

Das Buch schließt mit ein paar stimmungsvollen Zeichnungen ab, die noch zu den anderen hervorragenden Illustrationen hinzukommen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für D&D-Spieler bietet dieses Modul haufenweise Material, eine Sandbox voller Abenteuer, neue Zaubersprüche, neue magische Gegenstände, eine weitere spielbare Rasse und eine mitreißende Story. Das Buch ist trotzdem auf der teuren Seite, in derselben Preisklasse wie die Grundbücher. Es ist aber so viel Spielmaterial enthalten, dass man Spieler viele Monate lang unterhalten können wird, und das ist den Preis sicher wert.

Erscheinungsbild

DnD5 Princes of the Apocalypse CoverDas Buch entspricht weitgehend der Qualität, die wir schon von den Grundregelwerken kennen – reich illustriert und eine Augenweide, die Druckqualität hoch. Es gibt aber auch Mängel: Die ersten paar Seiten in meiner Ausgabe sind bereits am Herausfallen. Die Karten sind ansehnlich und gut gemacht, aber einige SL entdeckten bereits den ein oder anderen Fehler.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Wizards of the Coast
  • Autor(en): Richard Baker, Mike Mearls, Jeremy Crawford
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 256
  • ISBN: 978-0786965786
  • Preis: ab 38,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon | Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Das Bonusmaterial für die Kampagne besteht aus zwei Downloads – dem Elemental Evil Player’s Companion und einem Adventure Supplement. Beide überschneiden sich mit dem Buch. Der Player’s Companion enthält vier neue spielbare Rassen: Aarakocra, Deep Gnome (beide im Monster Manual vertreten), Genasi und Goliath. Außerdem finden sich hier die gleichen zusätzlichen Zaubersprüche wie im Buch.

Das Adventure Supplement enthält wiederum die magischen Gegenstände, Monster und Sprüche, die nicht in Kapitel 7 des Buches und auch nicht in den D&D Basic Rules bereits beschrieben sind, für alle die, die den Dungeon Master’s Guide oder das Monster Manual nicht zur Hand haben.

Fazit

In diesem Produkt ist so viel drin, es ist mehr als ein Abenteuer, beinahe ein Quellenbuch. All die gestalterischen Fehlgriffe der Tyranny of Dragons-Kampagne wurden nicht wiederholt. Princes of the Apocalypse schafft es, ohne Railroading auszukommen. Die Story selbst wirkt robust, die Spieler haben definitiv Möglichkeiten das Endergebnis zu beeinflussen, es ist einfach alles so episch, wie es sein sollte.

Die Organisation des Buches ist meiner Auffassung nach nicht optimal. Es gibt viel Spielmaterial, aber einiges ist über die Kampagne, das Bonusmaterial und die Grundregelwerke verteilt. Man spart sich selbst das Dungeon-Design, dafür legt man beim Nachrecherchieren dieser Inhalte wieder drauf. Unerfahrene SL könnten sich etwas überfordert fühlen.

Insgesamt ist es eine gute Kampagne. Voller guter Ideen, ambitioniert und episch – so was hatte ich mir in Bezug auf D&D5 erhofft. Selbst die Tatsache, dass sie nicht in Greyhawk spielt, ist verschmerzbar, stellt das Abenteuer doch eine würdige Fortsetzung der ursprünglichen Geschichte in einer anderen Welt dar. Definitiv kaufenswert!

Daumen4weiblich

Artikelbilder: Wizards of the Coast
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

BalbinaBalbina kommt aus Costa Rica. Sie spielt seit acht Jahren Rollenspiele und hat mit D&D3.5 und Pathfinder angefangen. Als sie 2013 nach Deutschland gezogen ist, hat sie nach einer englischsprachigen Gruppe gesucht und sie zum Glück auch gefunden! Seitdem hat sie viele Systeme gespielt, aber Dungeons & Dragons ist und bleibt ihr persönlicher Favorit, vor allem die 5. Edition, die sie sowohl gerne spielt als auch leitet. Savage Worlds, Dungeon Crawl Classics und Lovecraft-Rollenspiele gefallen ihr auch gut. Ihre Freunde und Bekannten denken, sie hätte sich Molekularbiologie als Fach ausgesucht, um entweder Superschurkin zu werden oder Pokemon zu züchten. Beides trifft zu.

 

5 Kommentare

  1. Sehr schöne Besprechung – wenn ich mir eine Ergänzung erlauben darf:

    Eine Übersicht, welche Dungeons für welche Stufen geeignet sind finden sich bspw. auf S. 41 links unten, S. 75 rechts unten und S. 113 rechts unten in den Kästen.

    Viele Grüße,

    Reto

    • Hello Reto, I’m the reviewer. Thank you for your comment and for that observation ☺ It was a rather big oversight, I admit
      Certain aspects of information layout inside the adventure I still do not find optimal, but as you indicate, the boxes do have a guide for the levels.
      Best regards
      Balbina

  2. Macht Lust, das für meinen entrümpelten Mentzer zu adaptieren. Schöne Vorstellung des Buchs. Was mir auffiel:

    „Das wäre auch kein Pro­blem, wenn es den Spie­lern klar ist, dass es auch Her­aus­for­de­run­gen gibt, denen sie noch nicht gewach­sen sein könn­ten … aber mal ganz ehr­lich, viele Spie­ler den­ken nicht so, was zu Frust füh­ren kann“

    Das ist einfach nur eine Frage der Prägung. Kann man ändern, indem man z.B. einen DCC-Funnel vorschaltet…

    http://green-24.de/forum/resources/www-nichtlustig-de/17240?sid=714db99aac258015814733b17b1a1e34

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