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Manchmal sind sie ein Ärgernis, manchmal eine eingeschworene Gemeinde, aber immer etwas Besonderes: kleine Gruppen im Rollenspiel. Sie funktionieren nach ihren ganz eigenen Regeln. Nicht immer ist es der Mangel an bereitwilligen Mitspielern, der eine kleine Gruppe entstehen lässt, sondern die bewusste Entscheidung für wenige Gruppenmitglieder. Entweder, weil ein neues Konzept getestet werden soll, oder weil ganz bewusst das intensive Spiel zwischen wenigen Charakteren gesucht wird. Wer die richtige Minitruppe gefunden hat, wird darin auf jeden Fall eine ganz eigene Magie finden, die das Rollenspiel sehr bereichert.

Wie klein ist klein?

Ab welcher Gruppenstärke von einer kleinen Gruppe gesprochen werden kann, hängt stark von den Umständen ab. Im LARP sind sechs Personen eine kleine Gruppe, im Pen&Paper können sechs Spieler schon fast zu viel sein. Der Grund dafür ist aber weniger die Art des Rollenspiels, sondern das Ausmaß, in dem die Spielleitung benötigt wird, um die bespielte Welt zu beschreiben. Denn je nötiger eine Spielleitung für das laufende Spiel ist, desto deutlicher wird der Engpass, der hier entsteht.

Im LARP sind die Charaktere meist deutlich unabhängiger von der Spielleitung und können sich mehr mit sich selbst beschäftigen. Sie stecken genau in der Welt, die bespielt wird. Es muss niemand beschreiben, wie der Wald aussieht, durch den der Charakter läuft, da der Spieler dies tatsächlich selbst tun und erleben kann. Die Spielleitung muss zudem nicht erklären, wie die Umwelt auf die Charaktere reagiert. Dazu kommt, dass die bespielte Zeit genauso schnell verstreicht wie in der realen Welt, während in Pen&Paper durchaus mal ein paar Stunden oder Tage übersprungen werden können.

Je nachdem, wie sehr eine LARP-Gruppe in eine Nische fällt, finden sich fast nur kleine Gruppen. Im Vampire Live sind die Zeiten der 30 Mann starken Domänen vorüber; heutzutage bestehen die Spielgruppen eher aus 10 bis 15 Leuten inklusive der Spielleitung. Manchmal sind die Gruppen noch kleiner. Zum Glück bedeuten kleine Gruppen nicht, dass das Spiel einschläft – sofern sich die Spieler auf die Begebenheiten einlassen.

Die Magie kleiner Gruppen

Der entscheidende Vorteil kleiner Gruppen ist genau das: Sie sind klein. Sie erlauben einen viel größeren Fokus auf jeden einzelnen Charakter, und dieser kann mit seinen Handlungen wesentlich mehr Einfluss nehmen, als dies in vielen großen Gruppen der Fall ist. Der Schwerpunkt solcher Gruppen liegt auf dem persönlichen Spiel zwischen den Charakteren. Dadurch können sie ein Katalysator für sehr intensives Rollenspiel werden und am Ende mehr sein als die Summe ihrer Teile. Jeder Charakter kann sich durch solche intensiven Erfahrungen in ganz ungeahnte Richtungen entwickeln: Schüchterne Spieler werden mutiger, offensive Spieler zurückhaltender, flache Charaktere tiefer und das gesamte Rollenspiel vielschichtiger. Diese Transformation ist ein unglaublich spannender Prozess.

Keiner geht verloren

Der Mensch kann nur eine bestimmte Menge von Dingen gleichzeitig im Kopf behalten. Entgegen anderslautender Gerüchte sind auch Frauen keine Multi-Tasking-Wunder, sondern genauso gut oder schlecht darin wie ihre männlichen Kollegen. Ab einer gewissen Gruppengröße fallen automatisch ein paar Charaktere hintenüber. Entweder, weil die Spieler dahinter eher schüchtern und leise sind, weil sie sich ganz bewusst drücken wollen, oder weil der eigene Charakter schlichtweg nicht wirklich etwas mit ihnen zu tun hat. Bei mir liegt diese Grenze an einem Spielabend je nach Tagesform bei etwa vier bis sechs anderen Charakteren. Was darüber hinausgeht, verlangt ein großes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration.

In kleinen Gruppen ist es fast unmöglich, nicht angespielt und sogar regelrecht ins Spiel gezerrt zu werden. Klar: Wenn nur vier Charaktere da sind, fällt es auf, wenn einer nichts tut, wenn nicht gerade ein anderer Charakter dauerhaft so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass sich alle Augen auf ihn richten. Das kann etwas sehr Gutes sein, da so auch die stillen Spieler ihre fünf Minuten Ruhm bekommen.

Es gibt kein Entkommen

Wer Teil einer kleinen Gruppe ist, ist in gewisser Weise gezwungen, mit den Charakteren zu spielen, die da sind. Er hat schlichtweg keine große Gruppe, aus der er sich seine Lieblingscharaktere für sein persönliches Spiel aussuchen kann. Aber gerade diese Begrenzung und die Notwendigkeit, auch einmal über den Tellerrand zu schauen, können eine unglaubliche Bereicherung sein.

Weshalb man sich ausgerechnet im Hobby mit Leuten auseinandersetzen soll, auf die man eigentlich keine Lust hat? Weil das im gewissen Maße tieferes Rollenspiel ermöglicht, als wenn man nur die Sachen ausspielt, die man sich vorher im Kopf zurechtgedacht hat. Sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die so nicht geplant oder gewollt waren, kann ganz neue Aspekte am eigenen Charakter aufzeigen.

Zu viele Köche verderben den Brei

Meine bisherige Erfahrung sagt mir, dass die Anzahl der Meinungen zu einem Thema in einer Gruppe mindestens der Anzahl der Gruppenmitglieder plus 1 entspricht. Das ist anstrengend, insbesondere wenn etwas entschieden oder ein Kompromiss erarbeitet werden soll. Statt zu einer Entscheidung zu gelangen, verzettelt man sich und gerät vom Hundertstel ins Tausendstel. Viele Dinge müssen mehrfach erklärt werden, weil jemand später dazu kommt oder etwas noch nicht verstanden hat, während der Rest sich langweilt. Man kann es sich wie die schrecklichste Gruppenarbeit in der Schulzeit vorstellen.

Kleine Gruppen sind inplay wie offplay meist wesentlich effizienter, wenn es darum geht, Absprachen zu treffen – von der Terminfindung für weitere Treffen ganz zu schweigen. Wenn es also darum geht, neue Konzepte zu erarbeiten oder auszuprobieren, haben kleine Gruppen einen großen Vorteil.

Lampenfieber war gestern

Kleine Gruppen strahlen eine ganz eigene Intimität aus. Wer Angst hat, vor einer Gruppe von zwanzig Charakteren eine Rede zu halten, wird es wesentlich leichter haben, vor fünf anderen etwas zu erzählen, selbst wenn es die gleiche Rede ist. Hitzige Debatten und Streitgespräche werden gerade von schüchternen Spielern viel freier geführt, wenn es nur eine kleine Runde ist, die dabei zuhört. Es fehlt das Gefühl, sich vor einer großen Menge zum Hampelmann zu machen, während die meisten nur zuschauen und sich einen abfeixen. Denn das Gefühl von einer großen Masse beobachtet und beurteilt zu werden, kann auch selbstsichere Leute schnell aus der Fassung bringen. Gleichzeitig haben Kleingruppen eine gewisse Exklusivität, ganz wie der Club, in den nicht jeder reinkommt.

Schüchterne Spieler profitieren deshalb sehr von kleinen Gruppen, da sie hier mit mehr oder weniger sanfter Gewalt dazu gebracht werden, ihre eigene Hemmschwelle zu überwinden. Ist der erste Schritt einmal geschafft, wird der Schüchterne feststellen, dass es gar nicht so schlimm war.

Mehr Macht in deinen Händen

Je kleiner die Gruppe, desto größer die Auswirkung der Taten eines einzelnen Charakters: Wenn sich in einer Gruppe von 30 Leuten ein Charakter querstellt, hat das kaum Auswirkungen. Passiert das bei nur fünf Leuten, sieht es schon wieder ganz anders aus. Kleine Gruppen verleihen jedem Gruppenmitglied entsprechend großen Einfluss auf die Gruppe. Damit einher geht natürlich auch eine Erwartungshaltung, die wiederum sehr spielförderlich sein kann.

Gerade dadurch können offensive Spieler, auch liebevoll Rampensäue genannt, hin und wieder den notwendigen Dämpfer kriegen. Ihnen fehlt in kleinen Gruppen die große Bühne, und schon der Widerstand einzelner Charaktere kann sie dazu nötigen, andere Wege einzuschlagen als die große Show vor der versammelten Mannschaft.

Die Antimagie kleiner Gruppen

Leider sind kleine Gruppen kein Garant für ein Feuerwerk des Rollenspiels. Sie können auch anstrengend, festgefahren und langweilig sein. Entweder weil sich die Gruppe überlebt hat, es an neuen Spielimpulsen mangelt oder sich die Spieler in eine Richtung verrannt haben, die einfach keinen Spaß mehr macht. Dann ist die Gruppe wie eine Uhr mit Sand im Getriebe: Es knirscht zwischen den Zahnrädern und nichts rührt sich mehr. Schuld daran ist oft zu wenig Konflikt im Spiel und/oder zu viel Konflikt außerhalb des Spiels.

Du bist nicht allein. Niemals.

In kleinen Gruppen gibt es kein Entkommen. Es besteht keine Chance, im Spiel einmal Abstand zu gewinnen und durchzuatmen, ohne sofort wieder ins Spiel gezerrt zu werden. Das erschöpft und laugt aus, denn gerade nach intensiven Szenen oder einem anstrengenden Tag will mancher einfach einmal entspannen, statt im Mittelpunkt des nächsten Dramas zu stehen. Manchmal scheint der Lagerkoller kleiner Gruppen unausweichlich.

Auch das Gefühl, ständig unter Beobachtung zu stehen, und nichts tun zu können, ohne dass es sofort Konsequenzen hat, kann viel Stress bedeuten. Schließlich ist Rollenspiel ein Hobby, das Spaß machen soll, und keine Dauerprüfung.

Fehlende Abwechslung ist langweilig.

Große Gruppen können naturgemäß eine viel größere Bandbreite an Charakteren abdecken. Dadurch gibt es mehr Spielimpulse aus verschiedenen Richtungen und einfach deutlich mehr Abwechslung, als wenn man nur wenige Charaktere in der Gruppe hat. Auch krassere Charakterkonzepte oder der plötzliche Wegfall tragender Charaktere können in großen Gruppen wesentlich besser abgefedert werden, ohne gleich alle aus dem Spielgleichgewicht zu bringen.

In kleinen Gruppen herrscht oft fehlende Abwechslung, da man dieselben vier Gesichter schon in- und auswendig kennt. Das führt erst zu Stagnation und Langeweile, und als Folge davon zu immer heftigeren Aktionen, um aus der Langeweile auszubrechen. Damit es weiter spannend bleibt, muss jede vorangegangene heftige Aktion getoppt werden, wodurch eine regelrechte Eskalationsspirale entstehen kann.

Finanziell schwierig

Sobald Anschaffungen für die Gruppe getätigt oder Locations gemietet werden müssen, sind kleine Gruppen klar im Nachteil. Entweder jedes Gruppenmitglied zahlt ungleich mehr als in einer großen Gruppe nötig wäre, oder aber es müssen deutliche Abstriche gemacht werden. Das geht schnell zu Lasten der Atmosphäre, denn ein Jugendfreizeitheim mit großen Sonnenblumen an den Wänden ist für einen düsteren Vampire-Live-Abend nicht so stimmungsfördernd, wie eine leerstehende Villa oder ein Jagdschloss.

Fazit

Kleine Gruppen sind ein sehr spannendes Spielelement. Für Neuspieler bringen sie den Vorteil eines geschützten Umfeldes mit sich, in dem im Kleinen ausprobiert werden kann, was man sich im Großen noch nicht traut. Das persönliche und emotionale Spiel kann intensiver erlebt werden, als es in großen Gruppen möglich ist. Der Fokus solch kleiner Gruppen liegt daher klar auf dem persönlichen Spiel zwischen den Charakteren, da in kleinen Gruppen sofort auffällt, wenn es irgendwo nicht mehr läuft. Wenn eine kleine Gruppe es schafft, die üblichen Nachteile zu umgehen – wie den dauerhaften Druck sich zu beteiligen, oder Stagnation – ist diese Spielform definitiv lohnenswert.

Artikelbild: Ralf Hüls

 

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