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Wer hat nicht schon die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn es darum ging, die komplexen Verwicklungen zwischen den Familien von Westeros nachzuvollziehen. Und dann diese ganzen Reiche, die Lords, die Städte, die Angewohnheiten der dortigen Menschen und die Legenden. Wer soll denn über diesen Gedankenwust von G.R.R.Martin den Überblick behalten? Himmel hilf!

Der Himmel hilft hier nicht, aber die Übersetzung des Kampagnenführers von Green Ronin durch den Frankfurter Mantikore Verlag. 279 Seiten schicken sich an, der Verwirrung Herr zu werden.

Inhalt

Der vorliegende Band möchte die Mammutaufgabe bewältigen, den Fantasy-Kontinent Westeros in seiner Gesamtheit vorzustellen. Dabei teilt sich das Buch grundsätzlich in vier Bereiche auf:

  • die Geschichte von Westeros
  • die Kultur von Westeros
  • lokale Beschreibungen der wichtigen Reiche und Städte
  • Leben in Westeros

Wie bereits aus den Romanen bekannt, liegt die frühe Vorgeschichte von Westeros in Mythen und Legenden verborgen. Dennoch geben sich die Autoren viel Mühe, in die – meist grobkörnige – Zusammenfassung der verschiedenen menschlichen Invasionen und Kriege gegen andere Wesen ordentlich klares Licht zu werfen. Das hilft zumindest bei dem groben Verständnis der Geschichte der Häuser und Könige, ist aber für das tatsächliche Spiel eher irrelevant.

Das Artwork greift die Stimmung der Romane gut auf
Das Artwork greift die Stimmung der Romane gut auf

Lediglich die Ausführungen zu den Targaryen, verbunden mit der Schwarzfeuer-Rebellion und dem Krieg der Neunhellerkönige, können von Bedeutung für eine Spielerkampagne sein – natürlich nur, wenn man in der kanonischen Zeitlinie spielt. Wir erinnern uns, das Rollenspiel spielt kurz vor der Geschichte des ersten Romans.

Viel gewinnbringender für eine Tischrunde sind die Ausführungen zur Kultur der Westerosi. Wie funktioniert eigentlich das Recht, wie bildet sich sozialer Status, welche Lieder gibt es, wie werden die verschiedenen Glaubensrichtungen ausgeübt? All das sind Fragen, die hier beantwortet werden. Damit gibt das Kapitel einem Spielleiter einige Werkzeuge an die Hand, um Westeros am Tisch zum Leben zu erwecken.

Danach wird es eher trocken, dafür aber faktengeladen. Denn nun beginnt der üppigste Teil des Quellenbuches. In, sofern möglich, akribischer Manier werden Drachenstein, der kalte Norden (Winterfell, die Nachtwache und die Wildlinge), die Eiseninseln, die Flusslande, die Westlande (Lennishort und so weiter, das Lehen der Lennisters), die Weite (das Lehen der Tyrells mit Rosengarten), die Sturmlande (Das Lehen der Baratheons) und Dorne (das Lehen der Martells) vorgestellt.

Jedes dieser umfangreichen Kapitel wirft einen genaueren Blick auf die Geschichte, die Städte, die generelle Geographie und die speziellen Merkmale der Lehen. So erfährt man zum Beispiel im Kapitel über die Eiseninseln mehr über den Glauben an den ertrunkenen Gott. Wichtig sind auch die Profile und Beschreibungen der jeweiligen bedeutsamen NSC.

Dabei werden die Lords und andere hochgestellte Personen mit ausufernden Beschreibungen präsentiert, weitere, auch nennenswerte, kleinere Akteure nur mit kurzen Absätzen. Wichtig im Gesamtkontext zum Rollenspiel und dem Fakt, dass Spieler die Mitglieder eines kleinen Hauses spielen, ist, dass auch die Vasallenhäuser der großen Häuser knapp vorgestellt werden. Entweder können die Spieler damit die Vasallen eines der Vasallenhäuser darstellen oder sich in die Reihe derer einreihen, die dem großen Haus dienen.

Diesen beschreibenden Kapiteln vorangestellt ist eine umfangreiche Präsentation der Hauptstadt der sieben Königreiche: Königsmund. (Wer hat sich eigentlich diese Übersetzung von King’s Landing ausgedacht?) Auf 28 Seiten wird nicht nur die Stadt beschrieben, sondern auch das Königshaus und die Inzestkinder der dominanten Lennister-Vertreter. Zu einer kompletten Beschreibung der Stadt gehören auch die Goldröcke (die königliche Garde) und bedeutsame Orte wie zum Beispiel die große Septe von Baelor.

Mit dieser doch sehr guten Beschreibung kann ein Spiel in der von Intrigen und Armut zerfressenen Metropole gut gelingen, der SL erfährt hier einige wertvolle Informationen. Weniger gut gefiel mir jedoch die doppelseitige Karte. Diese zeigt zwar den Ort der wichtigen Lokalitäten, ordnet auch die Stadtviertel und wichtigen Straßen zu, aber irgendwie … Hübsch ist die Karte auf jeden Fall, aber richtigen Mehrwert bietet sie nicht.

Königsmund bekommt ein eigenes Kapitel gewidmet
Königsmund bekommt ein eigenes Kapitel gewidmet

Den Kapiteln zu den Lehen nachgestellt ist eine Beschreibung der Landstriche jenseits von Westeros. Dazu gehören die freien Städte wie Braavos und Lys, aber auch das dothrakische Meer und die Sklavenstädte. Leider viel zu wenig Informationen auf knapp unter zehn Seiten. Ich hoffe inbrünstig, dass dort noch irgendwann ein eigener Band von Green Ronin folgt, der dann auch ins Deutsche übersetzt werden wird. Dazu bedarf es aber der Zustimmung von G.R.R.Martin, denn dieser nickt alle Bände des Rollenspiels ab. Sie sind somit als kanonisch zu sehen, wenn nicht explizit auf anderes hingewiesen wird.

Dem Spiel jedoch am zuträglichsten ist das letzte Kapitel „Westeros erkunden“. Wie fühlt sich eigentlich Westeros an? Das Lied von Eis und Feuer ist keine klassische Fantasy. Sie ist schmutzig, intrigenlastig und die Kluft zwischen Arm und Reich ist gigantisch. Das Kapitel wendet sich explizit an SL, die diese Welt durch ihr Spielleiten zum Leben erwecken wollen. Um die spezielle Atmosphäre zu erhalten, müssen einige Rahmenbedingungen beachtet werden. Diese beginnen schon bei ganz profanen Umständen. So zum Beispiel wie dem Transport von Waren und Personen, spannt sich aber weiter zur Frage, was für die Westerosi eigentlich Familie bedeutet und letztendlich dem Umgang mit Sexualität und Intrige.

Interessant sind auch Ausführungen zu Spieleraktionen, die Vorkommnisse aus dem offiziellen Kanon obsolet machen. Und letztendlich gibt es ganz zuletzt noch ein paar Anregungen zu Kampagnen. Aus diesem gesamten letzten Kapitel konnte ich viel für meine anstehende Kampagne mitnehmen und werde sicher einige der Ratschläge beherzigen.

Preis-/Leistungsverhältnis

49,95 EUR mögen im ersten Moment abschreckend wirken. An diesem Preis ist sicher auch etwas die Lizenz schuld. Für diesen hohen Preis erhält man jedoch einen nahezu kompletten Almanach über Westeros. Nur die Westeros-Wikia ist kompletter, jedoch auf Englisch. Das macht den Band auch für Fans der Bücher und der Serie interessant.

Erscheinungsbild

Game of Thrones Lied von Eis und Feuer Kampagnenführer Westeros Mantikore Verlag coverMantikore produziert die Rollenspielumsetzung von Das Lied von Eis und Feuer auf hohem Niveau. Das Hardcover ist gut verarbeitet und sehr stabil. Ein rotes Lesebändchen hilft, nach der abendlichen Lektüre den richtigen Ort wiederzufinden. Der Druck ist scharf und kontrastreich, erschlagende Textwände kommen durch viele (gute) Illustrationen und optische Zierelemente gar nicht auf. Das Papier hat eine gute Haptik, was bei dem schweren Wälzer auch dringend nötig ist. Das Cover zeigt Jamie Lennister, nachdem er den verrückten König Aerys Targaryen erschlagen hat.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore Verlag
  • Autor(en): Steve Kenson, John Carriker et al
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover
  • Seitenanzahl: 279
  • ISBN: 978-3-939212-58-4
  • Preis: 49,95 EUR (Druck), 24,99 EUR (PDF)
  • Bezugsquelle: Amazon (Druck), Sphärenmeisters Spiele (Druck), Ulisses-Ebooks (PDF)

 

Bonus/Downloadcontent

Spezielle Downloads für den Kampagnenführer gibt es nicht, es finden sich aber einige generelle Dokumente für das Game-Of-Thrones–Rollenspiel auf den Seiten des Mantikore Verlages.

Fazit

Ich vermisse nichts in diesem üppigen Quellenbuch. Er erspart mir stundenlange Recherche durch die Westeros-Wikia oder noch schlimmer, dem Durchsuchen der Romane. Die Lehen in Westeros und die nächsten Gebiete jenseits des Kontinents werden in einer so guten und genauen Art präsentiert, dass ich einen sehr handfesten Griff auf die Fakten und Stimmung habe. Die Texte sind aber wiederum offen genug formuliert, so dass ich mich selbst als SL und Spieler verwirklichen kann. Ideen für Abenteuer springen zuhauf aus dem Text hervor, wenn man nur einen Grundhauch an Kreativität besitzt.

Das einzige Manko ist, dass Westeros kurz vor den Ereignissen aus den Romanen dargestellt wird. Da aber die Saga noch nicht abgeschlossen ist, ist es unmöglich, einen „fertigen“ Überblick über den Kontinent zu geben. Also muss hier doch wieder die Wikia helfen.

Besonders gut und gewinnbringend finde ich neben den Beschreibungen der Lehen die Ausführungen zum generellen „normalen“ Leben auf dem Fantasy-Kontinent. Noch ein Schüppchen Bonuspunkte legt das letzte Kapitel mit den Tipps und Hinweisen zur Umsetzung einer Kampagne unter Beibehaltung der speziellen Atmosphäre von Westeros auf die Endwertung.

Nicht gefallen hat mir lediglich die Karte von Königsmund. Schön wäre eine eigene DIN-A2-Karte mit deutlich genaueren Angaben. Die Hauptstadt der sieben Königsreiche ist ein Sammelbecken möglicher spannender Geschichten und Abenteuer und da würde eine große Karte hilfreich sein. Ein weiterer kleiner Schmerz ist die Nutzung der deutschen Übersetzungen von Eigennamen, aber das ist vertraglich gebunden und rein subjektiv.

Abschließen lässt sich sagen, dass ich die Lektüre sehr genossen habe, aber Pausen einlegen musste, um die Flut an Informationen zu verarbeiten. Die Beschreibung der großen Lehen punktet vor allem dann, wenn die Spieler ihr kleines Lehen dem eines der großen Häuser zuordnen. Dann kann die SL viele Zusatzinformationen reinwerfen und das Spiel so beleben.

Der schwere Quellenband ist ein Gewinn für Spieler des Systems wie auch Fans der Roman- oder TV-Serie zugleich.

Daumen5maennlich

Artikelbilder: Mantikore Verlag

 

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