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Kai Meyers neuer Roman Die Seiten der Welt begegnete mir zuerst vor etwa einem halben Jahr auf der Frankfurter Buchmesse. Im großen Lese-Zelt präsentierte der Autor seinen Lesern das neue Projekt und las szenenweise aus dem Roman vor. Von der Grundidee einer Buchmagie, einer Magie zwischen den Seiten, den phantasievollen Einzelheiten und dem schönen erzählerischen Stil war ich umgehend angetan, all das machte mich neugierig auf den Rest des Romans. Nachdem ich Die Seiten der Welt gelesen habe, möchte ich ihn euch gerne vorstellen.

Story

Furia Salamandra Fairfax ist eine Bibliomantin, das heißt, sie trägt eine magische Kraft in sich und kann mithilfe ihres Seelenbuches mächtige Magie wirken. Diese entspringt ihrer Liebe zu Büchern und der vererbten Begabung. Theoretisch. Denn ihr Seelenbuch muss erst einmal zu ihr finden. Solange das nicht geschehen ist, beschränken sich ihre praktischen auf Begegnungen mit Resultaten bibliomantischen Wirkens (wie lebendigen Möbeln, Buchstaben und Origami-Vögeln) und Ausflüge mit ihrem Vater. Dass Furia auch von der Theorie der bibliomantischen Welt nur halb so viel weiß, wie sie glaubt, merkt sie erst, als gefährliche Ereignisse sie aus ihrer heilen Welt reißen und zum Handeln zwingen.

Auf den Ausflügen mit ihrem Vater geht es darum, die sogenannten Leeren Bücher zu finden und unschädlich zu machen. Leere Bücher sind Bücher, in denen nichts steht und deren Leere der Legende nach auf andere Bücher in ihrer Umgebung übergreift (die wiederum andere Bücher anstecken) und damit nach und nach alle Literatur vernichten, alle Bücher „entschreiben“ können. Bei ihren Ausflügen müssen Furia und ihr Vater sich nicht nur von den Besitzern der Leeren Bücher in Acht nehmen, sondern auch vor der Adamitischen Akademie. Diese ist eine magische Kontrollbehörde der Bibliomantie, vor der Mister Faerfax seine Familie, seit Furia denken kann, verborgen hält. Als einer der Ausflüge schief geht und Furia plötzlich alleine vor einem Haufen von Problemen steht, beginnt eine Reise, auf der sie nicht nur tiefer in die Welt der magischen Bücher eindringt, sondern sie entschlüsselt auch, was es mit der Gefahr der „Entschreibung“ wirklich auf sich hat.

Mein Eindruck

Die Geschichte um Furia beginnt etwas seicht. Nicht inhaltlich, denn gleich in der ersten Szene macht sie eine gefährliche Entdeckung in der riesigen Bibliothek unter ihrem Elternhaus und muss um ihr Leben fürchten. Erzählerisch wirkt das erste Drittel des Buches allerdings etwas unausgereift. Die Grundideen der Geschichte sind schön erzählt, es geht um gewaltige Buchsammlungen, ein magisches Buch, über das Furia mit einem Jungen in Kontakt steht, der lange Zeit vor ihr gelebt hat, sprechende Möbel und dergleichen. Und doch fehlt es dem Text ein wenig an Tiefe. Obschon hier und da interessante Details über die Welt, in der Furia lebt, zu erfahren sind und man einen groben Eindruck von ihrem Leben bekommt, wirken einige Ideen zunächst flach. Sie scheinen stellenweise ihre Berechtigung eher darin zu suchen, Gegenstände aus dem Vokabular Buch und Buchhandel in einem magischen Gerüst zu verbauen, als darin eine schlüssige und tiefgründige Geschichte zu erzählen. Das Buch hat mich nicht von Beginn an gefesselt.

Das ändert sich glücklicherweise im Verlauf der Geschichte. Positiv ist mir aufgefallen, dass man schon früh im Handlungsverlauf auf Details und Wesenheiten stößt, welche später noch von Bedeutung sind. Dadurch wird im weiteren Erzählverlauf etwas mehr Tiefe generiert und die Kreaturen, Gegenstände und Ereignisse bilden eine Art Rahmen um die Handlung. Diese sorgen für einen insgesamt stimmigen Aufbau.

Die Charaktere

Die unterschiedlichen Charaktere, die im Roman auftauchen, sind kreativ erdacht sowie abwechslungsreich und amüsant. Sie bleiben allerdings hinter meinen Erwartungen eines gut ausgestalteten Charakters in einer Geschichte zurück. Natürlich kann man es dem Genre Jugendbuch zuschreiben, dass auf die Tiefe der Charaktere weniger Wert gelegt wird, ich denke jedoch, dass es auch ein Jugendbuch aufwerten kann, wenn dessen Protagonisten vielschichtiger gestaltet sind. Ich habe den Eindruck, dass den Charakteren hier und da ein paar Eigenheiten fehlen. Charakterlich und sprachlich erscheinen sie mir im Handlungsverlauf relativ ähnlich und ich hatte leider an keiner Stelle im Text den Moment, in dem ich mich richtig gut in einen der Charaktere hineinversetzen konnte. Vielleicht macht dies einen Teil dessen aus, was ich im Handlungsverlauf „etwas seicht und flach“ genannt habe. Es fällt meiner Meinung nach leicht, die interessante Geschichte zu verfolgen, jedoch eher schwer, sich involviert zu fühlen, sich mit einem Charakter zu identifizieren.

Aufbau und Auflösung

Mein größter Kritikpunkt im Bezug zum Aufbau liegt darin, dass ich den Spannungsbogen nicht optimal finde. Anfangs ist es sehr spannend und anhaltend gefährlich für Furia, jedoch leider nicht sonderlich tiefgreifend erzählt. Obschon die Story interessant bleibt, bleibt sie auch so lange eher seicht, bis die Charaktere damit beginnen, Antworten auf ihre Fragen zu finden und Schlüsse aus den Erlebnissen zu ziehen. Auf den letzten etwa 150 Seiten klären sich dann viele der offenen Fragen, Handlungsstricke werden zusammengeführt und man hat einige „Aha“ Momente. Man steigt tiefer in den Plot ein, dem man bis hierhin nicht allzu viel zutrauen konnte. Leider geschieht das alles in einem verhältnismäßig kurzen Teil des Buches, in dem die Spannung rapide ansteigt, die Fragen recht rasch hintereinander geklärt werden und dann ist es auch schon zu Ende. Ich habe mich gefragt, ob sich das nicht besser über die gesamte Bandbreite von 560 Seiten hätte aufteilen lassen.

Herausragend indessen sind für mich die Schlüsse und Ideen, welche besagtes Roman-Ende umfasst. Meyer bringt die Charaktere dazu ihre eigene Existenz zu hinterfragen, er setzt ein Plädoyer gegen Vorurteile, für Toleranz und Selbstbestimmung. Die Grenzen zwischen Erzählungen und der Realität werden stellenweise aufgehoben, sie bringen auch den Leser zum Nachdenken, was in meinen Augen ein großes Plus für das Konzept an sich und die Romanhandlung darstellt.

Ich gehe mit dem Gefühl heraus, dass an der Stelle, wo sich Plots auflösen und Geheimnisse aufgedeckt werden, ganz viel Potenzial verloren gegangen ist, weil es auf so wenigen Seiten abgehandelt werden musste. Das ist schade, weil es Kai Meyers erzählerischen Fähigkeiten nicht ganz gerecht wird. Ich könnte mir vorstellen, dass die Bewertung des Romans, da es nun ja eine Fortsetzung geben wird, im Verlauf der Reihe wieder anders ausfallen könnte. Bei einer Reihe machen längere Einführungen vielleicht Sinn, jedoch hat er mich für sich stehend nicht hundertprozentig überzeugt.

Der Autor

Kai Meyer gehört zu den renommierten Autoren im Jugendfantasy-Bereich. Er hat diverse Trilogien (u.a. Merle-Trilogie, Die Arkadien-Reihe) und Einzelromane (u.a. Frostfeuer, Phantasmen) verfasst. Der erste Band seiner Merle-Trilogie wurde für den Deutschen Bücherpreis nominiert und für den Einzelroman Frostfeuer bekam er 2005 die CORINE in der Kategorie „Bestes Kinder- und Jugendbuch“.

Schreibstil

Kai Meyer versteht es auch in diesem Buch, die Gestalten in seinem Buch gut verständlich und liebenswert zu beschreiben. In leichtem, anschaulichem Erzählstil eine Welt aufzubauen, die den Leser fesselt. Die Sprache ist einfach gehalten, passend zum Jugendbuch-Genre, gleichzeitig anspruchsvoll genug, um von Erwachsenen gelesen zu werden. Etwas irritierend wirkt es auf mich, dass die Erzählperspektive wechselt. Den Großteil der Handlung über begleiten wir Furia aus der

personalen Erzählperspektive, wir erfahren also von ihren Erlebnissen ausgehend was ringsum passiert. Aber an manchen Stellen wird diese durch Abschnitte aus der Sicht ihrer Bekannten, Feinde oder Freunde ergänzt, was ich persönlich für weniger gelungen halte. Ich vermisse eine klare Linie. Natürlich werden auf diesem Weg Informationen an den Leser herangetragen, die Furia nicht mitbekommt, aber zugleich nimmt es dem Text ein wenig die Einheitlichkeit und hindert den Leser daran, sich durchgehend mit Furia zu identifizieren. Das ist vielleicht auch ein Grund, weshalb die Protagonistin mir in ihren Zügen zwar sympathisch ist, insgesamt aber eher fremd bleibt. Man bekommt nicht das Gefühl, sie richtig bei ihrem Abenteuer zu begleiten, weil man so viel mehr erfährt, sieht und verfolgt als sie.

Preis-/Leistungsverhältnis

Generell erscheint mir der Preis von 19,99 EUR für ein schön gestaltetes Hardcover mit anständiger Bindung, gutem Papier und einem einfachen aber schicken Libropolis-Lesezeichen darin, angemessen. Schade und weniger angemessen ist allerdings, dass sich die goldene Farbe auf dem Cover, die unter anderem den Schriftzug ziert, bereits nach einer Woche Nutzung (lesen und in einer Tasche mitnehmen) großflächig ablöst.

Erscheinungsbild

Kai Meyer Seiten der Welt CoverBuchumschlag und Cover sind in Schwarz-Gold mit geschwungenem Schriftzug und einem passenden und recht hübschen Welt-Wolkenlogo im Hintergrund gestaltet. Der Umschlag selbst ist gut verarbeitet und aus festem Papier, sodass er nicht leicht einreißen kann. Entfernt man den Umschlag, macht das Buchcover noch immer etwas her. Auf dem schwarzen Hintergrund ist das Welt-Wolkensymbol in goldener Farbe eingeprägt und auf dem Buchrücken der Titel und Name des Autors. Der Text im Buch ist ordentlich gesetzt und in einer gut lesbaren Schriftart und Größe verfasst. Der Roman hat einen Umfang von 560 Seiten und ein Format von 22 Zentimetern.

Die harten Fakten:

  • Verlag: FISCHER FJB
  • Autor(en): Kai Meyer
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Gebundene Ausgabe
  • Seitenanzahl: 560 Seiten
  • ISBN: 978-3841421654
  • Preis: 19,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Die Webseite zur Buch-Reihe: http://seiten-der-welt.de/ mit Bonus-Challenge zur Bücherwelt und Zusatzinformationen.

Fazit

Eine große Stärke des Romans liegt in seiner Thematik, also dem Selbstbezug, indem es in einem Buch um Buchmagie geht. Das ist gerade für Buchliebhaber faszinierend und umso schöner zu lesen, wenn es einen dazu anregt weiterzudenken. Tatsächlich birgt in meinen Augen die Roman-Reihe hier ihr größtes Potenzial. An einem angenehmen Schreibstil mit anschaulichen Beschreibungen, wie wir es von Kai Meyer gewohnt sind, mangelt es auch den Seiten der Welt nicht. Die Charaktere sind grundsätzlich interessant erdacht, leider aber nicht allzu tief ausgestaltet.

Die größte Schwäche des Romans sehe ich in seiner Konzeption, die anfangs sehr weit und ausgreifend Ereignisse schildert, Fragen aufwirft und auf den letzten Seiten rasch (gefühlt übereilt) Auflösungen für den Großteil der aufgeworfenen Fragen liefert. Äußerlich ist er schön aufgemacht und größtenteils sehr gut verarbeitet. Er eignet sich sicher auch als Geschenk. Insgesamt handelt es sich um ein lesenswertes Werk, auf dessen Fortsetzung ich gespannt bin. Die Fortsetzung ist am 25. Juli 2015 erschienen.

Daumen3weiblich

Mit Tendenz nach oben

Artikelbilder: Fischer FJB

 Über die Autorin

Stefanie SpieseckeStefanie Spiesecke ist Buchhändlerin und Redakteurin im Ressort für phantastische Literatur. Sie unterstützt teilzeithelden.de mit Berichten rund um das geschriebene fantastische Wort.

 

 

 

 

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