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„Warum Geeks mehr vom Leben haben“ lautet der Untertitel des Buches, das auf dem Klappentext zudem ankündigt, „nicht weniger als ein flammendes Manifest für mehr Eskapismus im Leben“ zu sein. Große Worte für ein nicht sonderlich ernstes Sachbuch.

Allerdings sind die Autoren weder neu im Genre, noch abseits von dem, was sie schreiben: Andrea Bottlinger, Jahrgang ’85, und Christian Humberg, Jahrgang ’76, sind beide renommierte Schreiber, die beispielsweise beide für die Geek! schreiben und diverse phantastische Romane veröffentlicht haben, sowohl in eigenen Welten als auch für etablierte Serien wie Perry Rhodan.

Darüber hinaus ist In 80 Welten durch den Tag nicht ihr erstes gemeinsames Buchprojekt. Die „Vorgänger“ namens Sorge dich nicht, beame! (2012) und Geek Pray Love (2014) behandelten ebenfalls Aspekte der Phantastik und Fankultur. Beide Werke dürfen sich zudem einiger Nominierungen und Auszeichnungen, wie zum Beispiel beim Deutschen Phantastikpreis, rühmen.

Gute Vorzeichen also. Dennoch ein schwieriges Thema – als Zielgruppe dürften schließlich vorrangig andere Phantasten gelten, die doch vermutlich die beschriebenen Phantasie-Welten ebenso gut kennen wie die bekennenden Nerd-Autoren. Bietet das Buch also einen Mehrwert?

Story

Die „Story“, besser gesagt der Inhalt, ist leicht beschrieben: Das Buch ist ein fiktiver Reiseführer zu realen und erfundenen Orten der Geek-Landschaft. Von Conventions über Raumschiffdecks und Kerker bis hin zum Küchentisch. Alles, wo der Geek, Nerd oder Freund der Phantastik sich heimisch fühlen kann.

Vorab muss klargestellt sein: Hier liegt kein ernsthaftes Sachbuch vor uns. Die Autoren agieren hier mehr als Kabarettisten denn als sachliche Schreiber. Und schnell merkt man, wer die Zielgruppe ist, Nerds, Geeks, Phantasten. Wer nichts damit am Hut hat, dürfte viele Fragezeichen beim Lesen haben und das Buch enttäuscht fortlegen.

Was erwartet uns nun konkret an Inhalt? Zunächst das bereits auf dem Buchrücken angekündigte „Eskapistische Manifest“ – eine Art humorvolle Brandrede für das Träumen, das Phantastische, die Phantasie. Wider dem klassischen Feuilleton, der Kritik, der Abwertung der Phantastik als „Kinderkram“.

Diverse Genres werden betrachtet, beispielsweise Sword&Sorcery, Mystery, Space Opera, Cyberpunk, Anime, Superheldencomics. Versehen mit kleinen Sprachführern, die zum Beispiel gängige Begriffe oder Ausdrucksweisen karikieren, oder die Kategorie „Geek & Breakfast“, in denen typische Orte der Genres einem „Hoteltest“ unterzogen werden. Natürlich nicht, ohne diese durch den Kakao zu ziehen und Klischees zu betonen. Hinzu kommen verschiedene andere Abschnitte, wie beispielsweise Anleitungen, wie man angeblich etwas richtig tut oder wird. Zum Beispiel „Kämpfen wie ein Anime-Charakter“, „Wie halte ich meine Superheldenidentität geheim?“, „Wie man einen LARPer auf die Palme bringt“oder über die „Haltung eines Homo Leserattis“. Oder auch gänzlich freie Texte und Auflistungen, die in keine Kategorie passen wollen und einfach etwas erzählen.

Abseits der fiktiven Welt, werden aber auch die „Heiligen Orte“ der Realität betrachtet. Dies betrifft in erster Linie Conventions, aber auch andere Orte wie Buchläden und der Tisch beim Rollenspiel werden abgehandelt.

Zuletzt finden sich zwischendurch immer wieder Anekdoten und persönliche Geschichten der Autoren, die das Buch auflockern, von einer abstrakten Betrachtung zu persönlich inspiriertem Klamauk.

Das Ganze fügt sich zu einer weitreichenden, wenn auch natürlich nicht vollständigen, Betrachtung der realen und fiktiven Geek-Welten. Sie kommt zwar chaotisch daher, unterhält jedoch wunderbar und wartet auch mit dem einen oder anderen Detail an Wissen und Hintergrund , welches man mitunter noch nicht kannte. Der Fokus liegt allerdings sehr auf Filmen, Serien, Comics sowie großen Conventions im Stile der FedCon oder der Frankfurter Buchmesse. Themen wie Rollenspiel oder Tabletop kommen zwar vor, stehen jedoch eher am Rande

Schreibstil

Trotz zweier Autoren harmoniert das Geschriebene miteinander, auch wenn man zuweilen erahnen kann, wer hinter einem Abschnitt steckt. Pointiert und teils satirisch geschrieben, hat man es an keiner Stelle mit einem sachlichen Buch zu tun, vielmehr darf man es sich als geschriebenes Kabarett vorstellen.

Man merkt dem Geschriebenen durchgängig die Liebe zum Inhalt an – echte Geeks, die sich über sich selbst und ihre Subkultur amüsieren, Klischees aufgreifen und sich über die teils schrulligen Besonderheiten ihrer Nische auslassen. Dies geschieht mit einem Augenzwinkern und Selbstironie, ohne dabei jedoch ins Abwertende zu verfallen. Jeder, der sich eines nerdigen Hobbys rühmt, dürfte sich oder Freunde in entsprechenden Passagen wiederfinden. Nicht selten zieht sich ein breites Grinsen über das Gesicht, wenn man wieder einmal denkt: „Oh ja!“ und dabei den einen oder anderen Freund plötzlich vor Augen hat. „Würfeln Sie nie (…) mit den Würfeln anderer Leute“ ist beispielsweise ein Rat an neue Rollenspieler. „Weil man aus so einem schicken W20, W6 und so weiter all die guten Würfe mit der Zeit rauswürfeln kann, echt. Wir wissen auch nicht, wie das physikalisch funktionieren soll, aber es muss wohl stimmen.“ So die Begründung, mit Verweis auf das Verhalten vieler Rollenspieler. Und wer hat nicht selbst schon solche Spieler bei den „Rittern des Esstischs“ erlebt oder gehört selbst zu ihnen?

Ebensolche Wiedererkennungseffekte treten das gesamte Buch über auf, sei es bei Genrebeschreibungen, überspitzten Kategorisierungen oder persönlichen Geschichten der Autoren. Denn auch solche gibt es zu finden, die sich gut in das restliche Buch integrieren, obwohl sie zuweilen weniger komisch als zum Nachdenken und Erinnern animieren. So zum Beispiel die kurze Geschichte „Heimweh nach der letzten Reihe“, in welcher sich der Autor an seine Jugend und die Besonderheit einer jährlichen Star Trek-Kinonacht erinnert. Von den Beschreibungen her – aus sachlicher Sicht – eine fürchterliche Veranstaltung, die jedoch durch das Zusammensein unter Gleichgesinnten, unter Außenseitern, zu etwas unvergesslich Besonderem wurde, auch wenn es heute nichts weiter als eine schöne Erinnerung ist. Und die dem Leser einen hervorragenden Identifikationspunkt gibt und zurückdenken lässt an eigene Erfahrungen dieser Art. Seien es die Treffen früherer Fanclubs oder die kleine jährliche Rollenspielconvention – welcher Nerd erinnert sich nicht an solche Veranstaltungen, die an sich unspektakulär, vielleicht gar scheußlich waren, aber dennoch im Herzen verbleiben?

Die Autoren schaffen es, neben all der Komik, auch solch persönliche Momente zu schaffen, die hier und da anregen, weiterzudenken. Wie entwickelt sich eine Subkultur? Was bleibt in Erinnerung von dem, was wir heute tun? Welche Auswirkungen hat die Kommerzialisierung? All das wird jedoch nicht aufdringlich vorgetragen, sondern findet sich mehr zwischen den Zeilen.

So bleibt ein buntes Gemisch aus Klamauk, Satire, Überspitzung, Klischee und Gedankengängen, welches durchgehend unterhaltsam und stimmig geschrieben ist und erstaunlicherweise gut zueinander findet. Schnell gerät man in einem Lesefluss, der einen dazu antreibt noch einen weiteren kurzen Abschnitt (und noch einen … und noch einen …) zu lesen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Das Buch macht wirklich Spaß zu lesen und unterhält hervorragend. Allerdings ist es auch relativ schnell durchgelesen, es hat lediglich 30 Zeilen je Seite, dazu einige Illustrationen. Kein Vergleich zu einem Roman, der wesentlich längeres Lesevergnügen bereithält. Jedoch: Im Gegensatz zu einem solchen neigt man hier wesentlich öfter dazu, das Buch erneut in die Hand zu nehmen, nochmal zu schmökern oder erneut ein bestimmtes Kapitel zu lesen.

Und nicht zuletzt eignet es sich sehr gut zum Vorlesen und Zitieren (ein entsprechend geneigtes Publikum vorausgesetzt). Es macht wirklich Freude, seinen nerdigen Freunden passende Abschnitte vorzulesen, sich gemeinsam darüber zu amüsieren oder – überraschenderweise – im Anschluss über Themen wie die allgemeine Gesellschaft oder die Entwicklung (und Zukunft?) der Nerd-Kultur zu diskutieren.

Das Preis-/Leistungsverhältnis ist bei einem Preis von 15 EUR daher durchaus als fair anzusehen – dank hoher Wiederlesbarkeit, Zitierbarkeit und möglichen Ansätzen zu weitergehenden Gedankengängen.

Erscheinungsbild

In 80 Welten durch den Tag CoverGemäß dem Titel, der offensichtlich an einen Literatur-Klassiker angelehnt ist, wurde auch das Buchcover passend gestaltet. Man könnte bei einem flüchtigen Blick tatsächlich zunächst meinen, hier den Klassiker In 80 Tagen um die Welt von Jules Verne vor sich zu haben. Doch das altertümliche Cover ist neu, und enthält ganz Anderes als das Original: So sind unter anderen Gandalf, Batman, Darth Vader und Cthulhu auf dem Cover zu entdecken, die zu Teilen auf einem AT-AT reiten, während über all dem die Enterprise fliegt. Der erste Eindruck ist herausragend!

Die Zeichnungen im Inneren wiederum, die wie das Cover von Martin Frei stammen, können mit dieser Grandiosität nicht mithalten. Sie sind nicht schlecht, passend zu den geschriebenen Passagen, aber erreichen einfach nicht diesen Wow!-Effekt wie das Cover. So sind sie kleine Auflockerungen im Textfluss, ohne sonderlich zu begeistern oder unpassend zu erscheinen.

Die 240 Seiten im Format 19×11 cm sind generell gut zu lesen, jedoch fehlt Ihnen eine Übersicht. Ein Index oder Inhaltsverzeichnis wäre schön gewesen, fehlt jedoch. Da die einzelnen Abschnitte jedoch alle sehr kurz sind und nie mehr als ein paar Seiten lang, wäre ein Inhaltsverzeichnis wohl auch recht chaotisch ausgefallen. Chaotisch ist dabei ein gutes Stichwort: Zwar gibt es Etappen genannte Abschnitte, die bestimmte Aspekte behandeln, jedoch vermengt werden mit anderen Themen, persönlichen Abschnitten, Anekdoten und anderem.

Die Etappen selbst enthalten dabei diverse Unterabschnitte, die teils in allen Etappen vorkommen (beispielsweise „Geekeranto“ – Sprachführer, „Der große Nerd-Atlas“ – Genrevorstellungen), teils aber auch völlig frei sind. Wer nach einem bestimmten Thema sucht, kann so durchaus ein wenig Zeit benötigen. Je nach Thema müssen hier auch die Unterüberschriften gelesen werden. Beispiel Tabletop: Unterabschnitte „Auf dem Tisch – Na ja, wo auch sonst?“, gefolgt von „Farblose Gestalten: Ein Malkurs für Tabletop-Novizen“. Zu finden in der sechsten Etappe, „Treffpunkt Geek“, „auf welcher sich Frau Bottlinger furchtlos in den stationären Rollenspiel- und Comicfachhandel wagt, wir Helden in bunten Strumpfhosen begegnen und uns eine Geheimidentität basteln“. Wer sollte ahnen, dass hier auch Tabletop vorkommt, zwischen Geschichten zu lokalen Fachgeschäften, einem offenen Brief an die Übersetzer von The Big Bang Theory und Comics?

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cross Cult
  • Autor(en): Andrea Bottlinger, Christian Humberg
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch
  • Format:Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 240
  • ISBN: 9783864257940
  • Preis: 15,00 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Es ist kein expliziter Bonus- oder Downloadcontent vorhanden. Beim Verlag gibt es allerdings einen ansehnlichen Beitrag über die Entstehung und Gestaltung des famosen Covers.

Fazit

Ein sehr unterhaltsames, gut geschriebenes Buch, welches auch nach dem ersten Durchlesen nicht vergessen ist. Stattdessen regt es zum Vorlesen, Mitdenken und Wiedererkennen ein. Das Erfolgsduo Humberg und Bottlinger schafft es, ironisch und augenzwinkernd die Phantastik und ihre Fan-Kultur zu beschreiben, ohne diese abzuwerten. Mit Liebe zum Thema und teils auch zum Detail geschrieben, merkt man dies dem Buch auch an. Es ist kein Buch von Außenstehenden, sondern von Phantasten und Fans, die über das, was ihnen lieb und teuer ist, berichten. So kann man das Buch Freunden der Phantastik mit Humor absolut empfehlen, trotz mangelnder Struktur und obwohl man sich zuweilen wünscht, über bestimmte Themen (die einem selbst am meisten betreffen) mehr zu lesen.

Wer jedoch eine auch nur halbwegs sachliche Abhandlung über die Phantastik erwartet oder seinen Eltern mit diesem Buch endlich einmal erklären will, womit man sich so beschäftigt, dürfte eher enttäuscht sein. Denn dafür eignet sich das Buch wirklich nicht – sein Inhalt entfaltet sich nur dann zufriedenstellend, wenn es von Anhängern der Phantastik selbst gelesen wird, die auch über sich selbst und ihre Welten lachen können.

Daumen4Maennlich

Mit Tendenz nach oben

Artikelbilder: Cross Cult Comics Verlag

 

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