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“Jetzt sag’ doch was!” – Ja, wenn man nur wüsste, was. Spontane Kreativität ist nicht für jeden gleich einfach, und das gilt natürlich auch für uns Rollenspieler. Mit einem einfachen Trick kann man der Kreativität aber recht effektiv auf die Sprünge helfen.

Das Problem des leeren Blattes – Der Weg zu Creative Constraints

Die meisten von uns dürften die Situation kennen: Man muss sich auf die Schnelle eine Hintergrundgeschichte, einen (Sub-)Plot oder etwas anderes ausdenken, und während man meistens schon eine Idee dafür hat und diese ausbauen kann, sitzt man manchmal auch vor dem sprichwörtlich leeren Blatt wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

Ein Beispiel

Nehmen wir als Beispiel ein einfaches Szenario. Die Aufgabe ist, eine kurze Idee zu entwickeln, was in einem Szenario passieren könnte. Das Rollenspiel ist nicht weiter vorgegeben.

Es gibt keine klare Grundidee, und die Vorgaben des Hintergrundes sind so schwammig, das wir alle Möglichkeiten offenhalten. Und während man sich das Gehirn zermartert, dauert es ewig, bis man auf eine brauchbare Geschichte kommt.

Versucht einfach mal, wie lange Ihr braucht, bis Ihr eine Idee entwickelt habt.

“Einschränkung” durch Vorgaben

Wir werden jetzt die Parameter unseres Beispiels leicht verändern, und dadurch viel bessere Ergebnisse erreichen. Wir geben diesmal den Rahmen der Geschichte stärker vor.

Die Aufgabe lautet jetzt: “Entwickele ein Szenario, in dem ein Segelschiff, ein Leuchtturm, eine Höhle und ein alter Mann vorkommen.”

Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatten fast alle Leser eine Grundidee für ein Szenario, und das, noch bevor der Satz mit den Vorgaben überhaupt zu Ende war. Die Vorgaben helfen hier, die Gedanken “anzuschieben”.

Doch funktioniert das auch andersherum?

Einschränkung durch Verbote

Versuchen wir es einmal. Wir starten wieder mit dem leeren Blatt, aber diesmal formulieren wir Verbote statt Vorgaben.

Die Aufgabe lautet: „Entwickle ein Szenario, in dem kein Privatdetektiv, kein Koffer, kein Motor-Roller und kein China-Restaurant vorkommen“.

Das Ergebnis ist in den meisten Fällen fast dasselbe: Innerhalb kurzer Zeit entwickelt sich die Grundidee, meist noch, bevor der Satz zu Ende gesprochen ist.

Auch wenn die Variante mit den Vorgaben noch etwas einfacher erscheint als die mit den Verboten, funktionieren beide gleich gut, um das Grundproblem zu lösen: Die Seite ist nicht mehr leer.

Warum funktioniert das?

Während man selbst offenbar damit beschäftigt ist, auf das leere Blatt zu starren, läuft das Gehirn auf Hochtouren. Irgendwo muss es schließlich eine Lösung geben. Nur wo? Welche der Möglichkeiten soll es wählen? Welche Assoziation löst die Aufgabe?

Jetzt entsteht ein Teufelskreis: Während das Gehirn versucht, durch Assoziation auf irgendeine Idee zu kommen, setzen wir diese Assoziationsketten immer wieder zurück, indem wir erneut daran denken, dass wir irgendetwas schreiben oder erzählen müssen. Unser Gehirn arbeitet wie ein PC in einer Bootschleife, und das Ergebnis ist – meistens nichts.

Aus diesem Teufelskreis gilt es auszubrechen. Eine der besten Ausbruchsmethoden ist, die Assoziationsketten bewusst neu zu starten, nur diesmal mit selbst festgelegten Parametern.

Genau das haben wir getan, als wir für das Szenario die Handlungselemente „Leuchtturm“, „Segelschiff“, „Höhle“ und „Alter Mann“ vorgegeben haben. Jedes dieser Worte ist sofort in die Assoziationen mit eingegangen und hat diese auf ein Ziel ausgerichtet.

Verneinungen

Auch die im letzten Versuch benutzten Verbote funktionieren im Grunde genau wie die Vorgaben. Der Trick liegt darin, dass unser Gehirn mit Verneinungen grundsätzlich erst einmal nichts anfangen kann. Das bedeutet: Selbst die Worte, die verneint werden, starten sofort Assoziationsketten.

Ein schönes Beispiel für diese Behauptung ist: „Denke nicht an einen rosa Elefanten!“. In den meisten Fällen tut man beim Lesen des Satzes trotzdem exakt das, da man sich kurz vorstellt, woran man nicht denken möchte – zu spät.

Auf die gleiche Weise werden auch Assoziationen gestartet, bevor die Worte als Verbote verarbeitet werden. Allerdings werden die Ergebnisse der Assoziationen nachträglich noch „gefiltert“, also: Es wird alles aussortiert, was nicht den Verboten entspricht. Dies macht den letzten Versuch leicht komplizierter als den mit den Vorgaben.

Kombination

Natürlich kann man beide Vorgänge auch kombinieren. Das führt sogar in der Regel zu den besten Ergebnissen, da es sowohl Vorgaben gibt, die das Szenario in eine bestimmte Richtung lenken, als auch grobe Grenzen, zwischen denen es Ablaufen soll. Die Freiheit ist hier, bildlich gesprochen, von zwei Seiten eingeschränkt und muss sich nun zwischen diesen Schranken entfalten.

Ein Beispiel für so eine Kombination könnte sein: „Entwickle ein Szenario, in dem ein Segelschiff, ein Leuchtturm, eine Höhle und ein alter Mann vorkommen, aber keine Kiste voller Gold, kein Pirat und kein Nebelhorn.“

Einschränkungen durch ein übergeordnetes Konzept

Manchmal sind die möglichen Szenarien auch durch ein übergeordnetes Konzept schon eingeschränkt, beispielsweise durch die Vorgaben des Regelwerkes oder des Hintergrundes. Diese Einschränkungen werden, soweit sie bekannt sind, unbewusst immer in die Szenarien mit eingebaut – allerdings sind sie nicht immer starr genug, um für sich allein genommen die Assoziation anzuregen.

Ein Beispiel für eine aufgesetzte Konzepteinschränkung, beispielsweise für Cthulhu, wäre: „Stell‘ Dir eine Welt in den 20ern des letzten Jahrhunderts vor. Entwickle ein Szenario, in dem ein Segelschiff, ein Leuchtturm, eine Höhle und ein alter Mann vorkommen, aber keine Kiste voller Gold, kein Pirat und kein Nebelhorn. Es können Horrorelemente vorkommen, müssen aber nicht.“

Egal, ob Cthulhu bekannt ist oder nicht, haben die meisten nach dem Lesen dieser Anweisung einen Ansatz für ein Szenario Kopf.

Und wem nützt das?

Charaktererschaffung und Gruppenbildung

Das Grundkonzept eines Charakters ist meist schnell erklärt: Herkunft in der Spielwelt, Rasse, Klasse(n), Grundkonzept, Fähigkeiten, eventuelle Spezialisierungen, fertig. Manchmal wird noch eine rudimentäre Hintergrundgeschichte ersonnen, die beschreibt, warum der Charakter kann, was er kann, und manchmal auch, warum er jetzt steht, wo er steht.

In der Hintergrundgeschichte eines Charakters liegt viel Potential. Sie kann dem Spielleiter Ansätze für persönlicher gestaltete Abenteuer liefern („plot hooks“), sie kann etwas bieten, was mit Spieler im Rollenspiel herausfinden können, und zu guter Letzt gibt sie dem Charakter auch ein Fundament, an dem man sich bei schwierigen Entscheidungen orientieren kann.

Wenn es einem Spieler schwerfällt, eine Hintergrundgeschichte auszudenken, kann man ihm helfen, indem man ihm Einschränkungen vorgibt, beispielsweise die Herkunft auf den Teil der Spielwelt beschränkt, in dem man zu spielen gedenkt, ihm den Zugang zu bestimmten Organisationen auf der Spielwelt versperrt oder Teile des Sozialgefüges vorgibt. Ein Beispiel für solche Einschränkungen wäre: „Dein Runner kommt aus dem Rhein-Ruhr-Plex. Konzerner, Cops und Ex-Militärs, sowie alle anderen mit staatlich oder konzernmäßig registrierter SIN sind außen vor. Außerdem solltest Du Dich mit mindestens einer Gang gut verstehen und irgendwoher schon einen Schieber kennen.“

Wenn die ganze Gruppe gemeinsam „geplant“ und erschaffen wird, bieten sich noch weitere Möglichkeiten, die schon in dem Moment ansetzen, wo die Gruppe eine gemeinsame Richtung finden muss, in die man spielen möchte. Hier können gezielte Vorgaben helfen, einen gemeinsamen Weg festzulegen (Auch, wenn hier selten das Problem des leeren Blattes vorherrscht).

Eine interessante Einschränkung für Charaktergeschichten bei Gruppenerschaffungen ist auch: In der Geschichte müssen Gründe auftauchen, warum der Charakter mit der Gruppe an sich, aber auch mit den anderen Charakteren, zusammenarbeiten kann. Also quasi ein Anker, damit die Gruppe auch wirklich als „Team“ funktionieren kann, und zwar auch dann, wenn sie in den ersten Sitzungen erst noch zusammengeführt werden wird.

Erzählspiele

Je erzähl-lastiger eine Spielrunde spielt, desto stärker ist der Einfluss von improvisiertem Erzählen am Gesamterlebnis. Jetzt reicht es nicht mehr aus, nur noch an der richtigen Stelle eine Aktion anzukündigen und diese dann auszuwürfeln. Leider liegt es nicht jedem Spieler, nicht nur eine sinnvolle Handlung für seinen Charakter zu finden, sondern diese auch noch aus dem Stand heraus stimmig zu beschreiben.

Hier liegt ein großer Fokus auf der Improvisation. Die Spieler beschreiben die Szenen miteinander, deshalb muss jeder einzelne in der Lage sein, sich entsprechend einzubringen. Stößt ein Spieler hier auf eine Blockade, können zwei Dinge passieren: Er verliert die Lust an der Spielrunde, was schade wäre, oder aber: Die Runde gleitet ins „Silly“-Spiel ab.

Extrembeispiel: Silly-Runden

Einige Spieler haben vielleicht schon die Erfahrung gemacht, dass eine Spielrunde seltsam ausarten kann, wenn nur wenige Vorgaben zur Spielwelt gemacht werden. In unserem Umfeld wurde für derartiges Spiel der Begriff „silly“ (von engl. „doof“, „albern“) geprägt, weil es nicht selten in Klamauk endete.

Das Problem mit „Silly“-Spiel ist, dass man es teilweise gar nicht spielen möchte, einige Systeme aber durchaus das Potential bieten, genau dorthin abzudriften. Beispiels für solche Systeme sind InSpectres, Tales From The Floating Vagabond oder Plüsch, Power & Plunder. Diese geben zwar einen Rahmen für die Geschichten vor, aber keinerlei Einschränkung für die Charaktererschaffung und -entwicklung.

Ein noch krasseres Beispiel ist das mehr oder weniger bekannte „Game“, was eigentlich nur ein schöner Name für beinahe freies Erzählen ist: Es gibt einen Spielleiter, es gibt Spieler. Das war’s. Der Rest wird erzählt.

Das Problem: Wenn den Spielern nichts einfällt und sie keine Ahnung haben, wie sie mit ihrem Charakter beschreiben oder was sie mit ihm tun sollen, driften einige Spieler gerne in Richtung von Charaktere oder Handlungen ab, für die „Klamauk“ eine zu nette Bezeichnung wäre.

Durch das rechtzeitige Setzen von Grenzen für Charaktere, sowie das gezielte Lenken der Assoziationen auf vernünftige Szenen-Ziele, lässt sich diese Tendenz zur „Silly“-Runde gut in den Griff bekommen.

Auflösen von Schreibblockaden

Die Technik der kreativen Einschränkung eignet sich auch hervorragend, um sich im Falle einer Schreibblockade selbst auszutricksen – denn die Ursachen sind mitunter die gleichen.

Hier wirken die negativen Vorgaben am besten: Wenn man also überhaupt keine Idee hat, was man schreiben soll, hilft es mitunter, sich bewusst zu machen, was man auf gar keinen Fall schreiben will. Die Antworten darauf reichen von falschen Genres über stereotype Charaktere bis hin zu bestimmten abgedroschenen Geschichten. Und genau da liegt der Clou:

Wenn die Assoziationsketten mit abgedroschenen Geschichten gestartet werden, endet das nicht selten in genau den Plot-Twists, die man für eine frische Geschichte braucht.

Versucht es einfach mal.

Ein anderer Trick ist, sich einfach mal im Raum umzuschauen, oder, für die ganz Mutigen, auch mal aus dem Fenster zu schauen. Dabei fokussiert man in schneller Folge ein paar Dinge, die man sieht, und nennt sie beim Namen. Und sei es nur „Haus, Baum, Auto, Oma mit Rollator, Hipster mit Smartphone, Mädchen mit Skateboard.“

Selbst wenn der grobe Rahmen vorgibt, eine Fantasy-Kurzgeschichte zu schreiben, können diese Worte die passenden Assoziationsketten in Gang setzen.

Ausblick

Kennt Ihr die beschriebenen Situationen und Lösungen? Habt Ihr andere Lösungsansätze? Wollt Ihr noch etwas hinzufügen oder korrigieren? Ich freue mich auf Eure Kommentare!

Disclaimer

Dieser Artikel basiert auf Theorien, Unterhaltungen, diversen Internetquellen und natürlich eigenen Erfahrungen. Er ist eher als Hilfestellung denn als wissenschaftliches Dokument zu verstehen, und die beschriebenen Prozesse im Gehirn sind sehr vereinfacht dargestellt.

Artikelbild: adimas | fotolia.de

 

6 Kommentare

  1. Ich gehöre zu der „Kreativität durch visuelle Reize“ Fraktion. Wenn ich keine Idee haben, über was sich schreiben könnte, was sich zu meist auf neue Orte, Wesen oder gewisse Elemente meiner RPG-Welten bezieht, nehme ich meine Bilderablage her und durchforste diese nach möglichen Reizen, die letztendlich eine Idee liefern. Ich schaue mir ein Bild an und stelle mir dann Frage zu dem Bild.
    Ein Beispiel (https://s-media-cache-ak0.pinimg.com/736x/95/0c/9c/950c9c6077fdc2f4909ea992c027be29.jpg):
    – Könnte es einen solchen Ort auf Gaia geben, wenn ja, wo?
    – Wer lebt dort? Menschen? Oder eine andere Rasse?
    – Wie kam es zu der Gründung dieser Stadt? Wer hat sie errichtet? Und warum?
    – Ist die Stadt ein Handelsposten? Was gibt es dort zu kaufen? Was produzieren die Einwohner? Oder leben sie auf Bäumen, um sich gegen Feinde zu verteidigen? Wer sind diese Feinde und warum glauben die Einwohner der Stadt, dass sie in den Bäumen sicher wären?
    – Welche Geschichten wären in dieser Stadt möglich? Ein Einbruch in einem Baumhaus? Ausgangspunkt für eine Reise? Verteidigung gegen einen Angriff? Ein geheimnisvoller Dungeon in den Stämmen der Alten Bäume? Die Verhinderung eines Waldbrandes? Kampf gegen eine durchtriebene Waldhexe? usw.
    – …

    Man könnte das jetzt recht lange so weiter treiben. Daraus entwickelt sich dann ein Fragenkatalog, den man sehr gut als Basis für entsprechendes Schreibwerk hernehmen kann.

  2. Also ich benutze in solchen Fällen auch schon mal Rory’s StoryCubes, oder eine Handvoll Shadowrun TCG Karten. Ist dieselbe Methodik wie aus dem Artikel aber schon mit visuellen Reize

  3. Die Technik wurde u.a. von PiHalbe vor ein paar Jahren vorgestellt: http://pihalbe.org/audio/picast-%E2%80%94-folge-28-%E2%80%94-creative-constraint-791
    Funktionieren tut sie aufgrund der Natur unseres (deklarativen) Gedächtnisses in Form von semantischen Netzwerken, bei denen die Aktivierung eines Knotens (auch durch „Verbot“) die umliegenden Knoten ebenfalls beeinflusst. Ob man dafür Schlagworte, visuelle Reize oder gar nur Stimmungen verwendet – alles ist möglich, aber nicht gleichermaßen effektiv.

  4. Vorab: guter Artikel, hat mich sehr interessiert.

    Ich benutze hin und wieder die Bände der „Central Casting“-Reihe (Task Force Games; Ende 80er, Anfang 90er Jahre), mit denen man Hintergründe für Charaktere auswürfeln kann (Sci-Fi, Fantasy und Modern). Meist geht’s mir weniger um den eigentlichen Charakterhintergrund dabei, sondern um Zündfunken zur Entwicklung von Plots oder Abenteuern. Diese ergeben sich aus den Ereignissen, die man auswürfelt und die man dann miteinander in Beziehung setzt. Ich habe einmal einen Sci-Fi-Charakter ausgewürfelt und hatte am Ende eine Idee für eine komplette Kampagne bzw. einen ganzen Sci-Fi-Background.
    Ich kann die Bände nur empfehlen, man findet sie hin und wieder noch gebraucht und/oder im Netz.

  5. Auf die Visuellen Reize bin ich ja auch kurz eingegangen, funktionieren ja nach dem gleichen Prinzip. Die Idee, nicht einfach aus dem Fenster zu schauen, sondern spezialisierte „Zündfunken“ parat zu haben, gefällt mir gut. (Ich glaube, wenn ich mal drüber nachdenke, habe ich mich auch schon mal dabei erwischt, auf der Suche nach einem Abenteuer das Monsterhandbuch durchzublättern, ist ja in etwa das gleiche)
    Den Podcast muss ich mir unbedingt mal anhören, das klingt interessant. Danke für die Info!

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