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Finsternis liegt wie ein Grabestuch über dem Land. Einzig ein paar Strahlen verirrtes Mondlicht brechen durch die Wipfel der Bäume. Doch bringen sie nicht die dringend erhoffte Helligkeit, sondern baden die Welt in einem düsteren Zwielicht. Schatten spielen deinem Verstand einen Streich, dein Atem ist angehalten, deine Nerven sind aufs Äußerste gespannt. Warum bist du nochmal in diesen Wald gegangen? Ach ja, sie hatten dich geschickt, um dieses komische Artefakt zu suchen… in der Nacht… natürlich… Wann auch sonst?

Halt! War da was?

Du verengst deine Augen zu schmalen Schlitzen und versuchst, zwischen den Baumstämmen Bewegungen zu erkennen. Du zuckst zusammen, als du ein Stöhnen neben dir vernimmst. Wie konnten sie so nah herankommen? Auf einmal vernimmst du immer mehr schlurfende Geräusche aus allen Richtungen. Es knackt, als ihre fauligen Füße ein paar trockene Äste zertreten. Dein Kopf ruckt herum und da siehst du sie. Sie kommen aus der Dunkelheit und treten in das Mondlicht einer kleinen Lichtung. Zerschlissene Kleidung, verrottendes Fleisch, ein leerer Blick, wenn überhaupt noch Augen vorhanden sind. Ein Stöhnen wie aus den Zirkeln der Hölle selbst und du weißt, ihr Meister hat ihnen aufgetragen, dich daran zu hindern, das Artefakt zu finden. Mit Klauen und Zähnen daran zu hindern. Fester greifst du den Griff deiner Waffe, bereitest dich auf den Kampf vor und blickst den wandelnden Toten entgegen.“

So oder so ähnlich kennen wir Untote im klassischen LARP. Sie sind die Wellen-NSC, die uns entgegengeworfen werden. Sie sind zumeist hirnlose Gegner, die wir ruhigen Gewissens töten können. Sie haben keine Familie, empfinden keinen Schmerz und haben auch kein Bewusstsein mehr. Die Alternative, die sich uns bietet, ist der finstere Oberbösewicht. Ein Vampir, ein Lich, ein untoter Nekromant… Auch hier müssen wir selten lang diskutieren, bis wir felsenfest davon überzeugt sind: Der muss weg, egal auf welche Art. Doch was, wenn es anders wäre? Was, wenn man den Untoten eine Plattform für legitime Charakterkonzepte bieten würde? Mythodea macht es schon halb vor. Das untote Fleisch sind keine generischen Untoten. Sie haben einen komplett ausgearbeiteten Hintergrund, Motivationen und bieten mehr Spielmöglichkeiten als das Niederschnetzeln. Doch sind sie immer noch NSC im klassischen Fantasy-LARP. Für untote SC bräuchte es spezielle Konzepte. Sie bräuchten ein Bewusstsein und einen freien Willen als Minimum. Doch sehen wir das einmal als gegeben und uns den Geist dieser untoten Wesen nun genauer an. Was wäre möglich, wenn wir uns nur darauf einlassen?

Eine Zombie-Con für Zombies

Zombiecons bedienen ein einfaches Bild. Die Menschheit ist dem Untergang geneigt. Man spielt mit dem Thrill der ständigen Todesgefahr und darum, um sein Überleben bis zum letzten NERF-Dart zu kämpfen. Man ist sich in der Regel voll und ganz bewusst, dass man seinen eigenen Untergang nur herauszögern kann, ehe man selbst die Reihen der wandelnden Toten verstärkt. Nicht wenig macht auch der Reiz aus, selbst einen Untoten zu spielen und seine ehemaligen Freunde auffressen zu können. Drehen wir den Spieß nun einmal um. Das Ziel ist nun nicht mehr, als SC zu überleben und zu entkommen, vielleicht sogar ein Heilmittel zu finden. Nein, das Ziel ist nicht weniger als die Auslöschung der Überlebenden, der gesamten Menschheit. Eine Horde Zombies, die verschiedene Auftragsziele bekommt wie die Befreiung eines übermächtigen Zombies, der in einer Forschungsanlage gefangen ist oder das Finden eines geheimen Eingangs in ein Safe-House der Überlebenden, um sie von innen angreifen zu können. Auch hier muss es natürlich für die Zombies einen Respawn geben, den man aber auch gut mit einem IT-Grund versehen kann, ähnlich wie bei den menschlichen Cylonen bei der neuen Battlestar Galactica-Serie, deren Geist in einen neuen Körper transferiert wird. Das Charakterspiel ist hier natürlich nicht wirklich gegeben, und das Ganze gleicht vor allem einer etwas aufgestockten Schnitzeljagd, doch es würden mal die Zombies im Mittelpunkt stehen und einen Sieg davon tragen. Wahrscheinlich würde ein Koordinierungsstab (wahrscheinlich am besten höhere Untote, die die Massen kontrollieren) Sinn ergeben, die die Aufträge verteilen.

Pro: nicht nur „moralischer“ Sieg der Zombies, sondern auch IT-faktischer Sieg möglich

Contra: wenig bis kein Charakterspiel möglich

Untoten-Infiltrierung

Bob ist tot. Um genauer zu sein, ist Bob untot. Den Göttern sei Dank sieht man ihm das nicht an, solange er mehr oder weniger regelmäßig Nahrung zu sich nimmt. Seine Haut bleibt rosig, sein Verstand klar. Schade jedoch, dass dies durch den Verzehr von Menschenfleisch geschehen muss. Bob weiß auch, dass noch andere in seinem Dorf untot sind. Auch die restlichen Dorfbewohner wissen, dass es Untote unter ihnen gibt, lassen sich die Bissspuren und fehlende Körperteile bei ihren jüngst Verstorbenen doch ansonsten nur… schwerlich anders erklären. Jetzt suchen sie natürlich nach den Untoten, um ihnen den Garaus zu machen. Bob bleiben mehrere Möglichkeiten. Er kann sich verstecken, dann wird er allerdings degenerieren und zu einem hirnlosen Zombie werden. Also muss er Nahrung finden. Er kann versuchen, die Menschen auf andere Untote zu lenken, um von sich abzulenken… doch wer gehört noch zu seiner Art? Er kann versuchen, sie zu überzeugen, ihn nicht zu töten und zu einer Übereinkunft zu kommen… immerhin WILL er nicht töten und hat einen Willen und Bewusstsein… doch kommt er gegen die Vorurteile an, oder werden sie ihn zerstückeln? Und dann gibt es da natürlich noch das Geheimnis, wie Bob und die anderen überhaupt untot geworden sind. Wer steckt dahinter und löst dieses Geheimnis vielleicht alle Probleme, die Bob hat? Gibt es Hoffnung? Das Ganze wäre ein geschlossenes Setting und hätte Anleihen bei den Werwölfen von Düsterwald oder der Serie Salem. Das Charakterspiel steht hier ganz klar im Vordergrund, ebenso wie die Beziehungsgeflechte der einzelnen Charaktere. Es wird mehrere Fraktionen geben, die ihre eigenen Ziele verfolgen, jedoch ist nicht immer klar, wer zu welcher gehört und ob er voll und ganz mit den Zielen der Fraktion übereinstimmt. Ein Spiel voller Grautöne anstatt Weiß und Schwarz. Je nach Länge und Ergebnis des Spieles könnte es ein einzelnes Spiel werden oder aber eine kurze Reihe.

Pro: viel Charakterspiel möglich/notwendig

Contra: Spieler gegen Spieler, gecastete Rollen

Wir sind alle Untot

Warcraft zeigt in seinem Lore wunderbar, wie eine untote Fraktion aussehen kann. Die Zeit der alten „bösen“ Mittellande-Länder ist schon lange vorbei. Die Torog-Nai werden nur noch teilweise als NSC bespielt. Doch das Grundprinzip einer bösen Kultur kann überstehen. Und hier betrachten wir das Ganze mal unter einem anderen Blickwinkel. Ein Reich von Untoten, bei denen der Tod sein Grauen verloren hat, weil ihn jeder schon einmal erleiden musste. Ein Reich der Albträume, in denen all jenes an der Tagesordnung ist, was wir uns ausmalen. Es könnte ein irrgeführtes Reich sein, eine Schattenversion der lichten Lande, beherrscht von einem Tyrannen, der die Seelen der Toten knechtet, ohne dass diese es zuerst wissen. Die Spieler sind Untote in diesen Landen, treue Diener ihres Herren. Sie kämpfen gegen die Kreaturen der lichten Seite. Menschen, Elfen, Zwerge… das klassische Fantasy-Ensemble, das sie vernichten will, nur weil sie existieren. Diese Völker fühlen einen unaussprechlichen Hass gegen die Untoten, den sich die Spieler nicht einmal erklären können. Im Verlauf der Kampagne häufen sich jedoch die Zweifel an ihrem Führer. Ist er wirklich der, der er vorgibt zu sein? Warum können sie nicht in Frieden sterben und ruhen? Warum hassen die anderen Völker sie so sehr? Nach und nach entdecken sie die Antworten auf diese Fragen und erhalten damit auch mehr Gewalt über ihr (Un-)Leben. Sie können somit selbst entscheiden, in welche Richtung sie dieses entwickeln wollen.

Das Konzept beruht darauf, das klassische Fantasy-Szenario umzudrehen und von Seiten der Untoten zu betrachten. Wie fühlt sich ein Untoter, der einfach niedergemetzelt wird? Würde er einen Weg finden, sein Schicksal zu ändern? Wie kann eine solche Untoten-Kultur/-Gesellschaft aussehen? Auch hier gehen wir weg von Schwarz und Weiß zu mehreren Grautönen, aber auf eine andere Art als vorhin bei der Untoten-Infiltrierung. Hier haben wir kein PvP-Konzept, sondern eine klassische Abenteuer-Con mit SC vs. NSC, nur halt mit umgekehrten Rollen und einem grauen Setting.

Pro: am ehesten am klassischen Fantasy-LARP dran

Contra: nichts wirklich Neues

Fazit

Die Möglichkeiten sind da. Wir müssen sie nur ergreifen. Wieso laufen wir immer auf den ausgetretenen Pfaden, anstatt mal etwas Neues zu versuchen, das durchaus Spaß bringen könnte? Untote haben es verdient mit Respekt behandelt zu werden. Sie sind mehr als nur Schlachtvieh… zumindest können sie so viel mehr sein, wenn wir es zulassen.

Artikelbild: Mandowar, Mythodea 2013

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4 Kommentare

  1. Mal abgesehen von der Z-Day Abwandlung fehlt mir hier die von Dir anfangs postulierte Untoten-SC Vorstellung völlig.
    Das letzte Szenario ist nichts anderes als Mythodea UF mit leicht geänderten Hintergrund. Für die restlichen Mittellande wären das aber immer noch Untote mit NSC Charakter.
    Warum es immer wieder diese Weichspülung von klaren Gegnern geben muss, verstehe ich im Übrigen überhaupt nicht. LARP lebt von Klischees. Von Schwarz und Weiss, Gut und Böse, arm und reich. Schlimm genug das wir inzwischen Dauer-Orks und Chaotiker haben, für die wir regelmäßig unser Spiel verbiegen müssen, damit irgendwie hergeleitet werden kann, das sie halt doch nicht dauerhaft weggemessert werden.

    Der Eingangssatz von wegen „was mit awesome powers“ (via FB), das wiederum kann ich unterschreiben. SC Untote, SC Chaoskultisten, Halb-Dämonen-Drachen-Engel, Drow mit Sonnenschutzfaktor 1000, Kuschelorks … für mich eine Suppe.

  2. Nachtrag: „Untote haben es ver­dient mit Respekt behan­delt zu wer­den“ … dieses Postulat am Schluss bleibt leider unbelegt und unfundiert. NSC Spieler sollten mit Respekt behandelt werden, da sie das Spiel erst möglich machen. Aber Untote an und für sich? Nur im klassischen Sinne von Respekt vor dem Feind.

  3. Weiter oben wird Spieler vs. Spieler als Contra-Punkt aufgeführt. Ist das wirklich ein Contra? Warum sollten Spieler nicht gegen Spieler spielen sollen oder können?

  4. Warum sollte ich nicht einen SC-Zombie spielen können?
    Ich sehe kein Problem darin auf einer Con umher zu wandeln, unabhängig vom Setting.
    Meiner Meinung nach ist auch der freie Wille nicht zwingend notwendig.
    Als Zombie könnte ich natürlich von einem Gebieter gesteuert werden.
    Das einzige was wohl von einem SC-Zombie gezügelt werden muss, ist sein drang jeden Menschen dem er näher kommt fressen zu wollen.
    Zum Beispiel könnte ein SC-Zombie auf eine Schlachten-Con gehen und sich an den gefallenen zu schaffen machen, statt die lebenden zu jagen.
    Solange er es schafft die Lebenden zu überzeugen ihn nicht zu zerstückeln kann ein solcher Charakter durchaus spielbar sein.
    Er könnte zum Beispiel in ein Dorf schlurfen und die Taverne besuchen. Andere SC werden mit großer warscheinlichkeit sofort zu den Waffen greifen. In genau solch einer Situation müsste sich ein SC-Zombie jedoch anders verhalten als der gewöhnliche Hirnlos-Zombie vom Band.
    Er müsste den anderen Spielern schnell vermitteln, dass dieser Zombie ein fühlendes Wesen ist und keine hirnlose Hülle.
    Ich denke dabei an eine Schutzreaktion und Gesten die unmissverständlich zeigen, dass man ungefährlich ist (ggf. sogar Angst zeigt). Vielleicht sind sogar ein paar Magier im Raum, die ein solches Verhalten höchst interessant finden und studieren wollen.
    Nachdem der Reflexartige Angriff auf den SC-Zombie unterbunden/überwunden wurde sieht die Spielbarkeit eines Zombie-Charakters schon sehr viel besser aus.

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