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Endlich mal wieder Science-Fiction oder Horror oder auch irgendwie beides. Arcadia war weniger und zugleich mehr, als ich erwartet hatte. Deshalb vorweg: Lasst euch nicht davon abhalten, euch ein eigenes Bild zu machen. Solange das nicht geschehen ist (aber gerne auch danach), hier erst einmal mein Eindruck.

Story

Der freie Journalist Nigel White hat über seine Berufsjahre hinweg, nach eigener Aussage, jeden Idealismus verloren. Heute arbeitet er für denjenigen, der zahlt und schreibt das, was ihm Geld einbringt. Ob es sich dabei immer um die Wahrheit handelt, ist ihm, wenn die Bezahlung stimmt, ziemlich egal. Sein Ruf ist nicht der Beste. Deshalb erstaunt es ihn, das Angebot zu bekommen, eine Forschungsexpedition in die Antarktis zu begleiten und mit der Berichterstattung darüber eine Menge Geld zu verdienen. Aber wozu hinterfragen, was einem Vorteile bringt? Nigel schließt sich dem reichen Mister Bailey und seinem Expeditionsteam an und reist auf dem Eisbrecher Nimrod zu einem Meteoriten-Fundort, mit dessen Erkundung Bailey, so heißt es, Ruhm ernten will. Plagen den Journalisten anfangs nur die Wellen und die Angst, der Eisbrecher könnte am Eis zerschellen, so hat er bald ganz andere Gründe besorgt zu sein.

Offenbar lässt sich kein Kontakt mehr zum Basislager aufnehmen und auch der zweite Eisbrecher, die Arcadia, reagiert nicht auf die Funksprüche. Nigels Verdacht, dass etwas mit dem Auftrag an sich nicht stimmt, verhärtet sich, als ihm Einschusslöcher am Hubschrauber auffallen, welcher zur Arcadia geflogen ist, um herauszufinden, was dort los ist. Zu spät allerdings. Da sitzt er bereits mit zwei anderen Expeditionsteilnehmern im verlassenen Basislager fest – und die drei müssen feststellen, dass dieses bei weitem nicht verlassen genug ist.

Von da an heißt es: überleben – und im besten Fall irgendwie die Antarktis verlassen! Und wenn man nebenher noch erfährt, was hier eigentlich los ist, umso besser.

Erzählstil und Setting

Eine hervorragende Wahl war die Ich-Perspektive in diesem Roman. Wir erfahren die ganze Geschichte von Nigel selbst, der nicht nur Fakten, sondern auch Einschätzungen, Ängste und Verdachtsmomente sowie ganze generell seine Einstellung mit uns teilt. Das bringt uns von Beginn an sehr nah an den Hauptcharakter des Buches und vermittelt uns die Geschichte deutlich umfassender, als ein personaler Erzähler es gekonnt hätte. Nigel gibt uns einen tiefen Einblick in seinen Charakter, in seine Einschätzungen über die anderen und die Situation und sobald er unsicher wird, besorgt oder misstrauisch, wird auch der Leser darauf aufmerksam gemacht und kann das Umschwenken in der Stimmung Nigels bestens verstehen und stellenweise teilen.

Gut gefallen haben mir auch die sorgsam recherchierten Hintergründe. Münter schafft es, die Reise in die Antarktis überzeugend darzustellen und zwar aus dem Blickwinkel von jemandem, der selbst nicht dort war und von den Eindrücken stellenweise fast überfordert ist. Man merkt dem Text an, dass eine Menge Recherchearbeit dahinter steckt und dadurch wird das Grundsetting des Romans sehr authentisch.

Die Charaktere

Mit den Charakteren dieses Romans hatte ich so meine Schwierigkeiten. Im ersten Zuge des Lesens war mir die Hauptperson unsagbar unsympathisch. Ein ewig nörgelnder, selbstsüchtiger und wenig moralisch erscheinender Journalist, dessen Sprache in einen billigen Nachtclub passte und das, obschon er den Eindruck machte, halbwegs intelligent zu sein. Er kam mir so gar nicht wie jemand vor, dessen Geschichte ich erfahren möchte. Und noch weniger wollte ich sie mir von ihm selbst erzählen lassen.

Das änderte sich ironischerweise erst, nachdem Maria auftauchte – mit der ich noch weniger anfangen konnte. Maria ist eine Wissenschaftlerin, die recht früh an Bord Nigels Nähe sucht und mit ihm schläft, ehe sie später mit ihm und einem weiteren Besatzungsmitglied im Basislager um ihr Leben rennt. Bei ihrem ersten Gespräch mit Nigel beschließt sie spontan wieder mit dem Rauchen anzufangen, weil … ja, warum eigentlich? Und wenn jetzt so einfach, warum nicht schon vorher? Wo Nigel meine Geduld mit seiner herablassenden „Ist mir doch egal“-Attitüde belastete, war Maria einfach nur nicht nachvollziehbar. Beispielsweise ihre Ermahnungen an Nigel, wann immer er einen Verdacht hegte, dass etwas nicht stimmte. Als sei er ein kleines Kind, das die Lage nicht einschätzen kann. Oder das intensive Leugnen seiner Beobachtungen und ihre spätere Weigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen, während durchaus die Aussicht bestand, andernfalls von monsterhaft anmutenden Wesen getötet zu werden … all das hat mir diese Frau leidlich verdorben. Ihre ständige Hilfsbedürftigkeit und gleichzeitige Weigerung selbst irgendwas für das allgemeine Überleben zu tun, waren ärgerlich genug, mir in jeder Szene zu wünschen, sie würde endlich von den Wesen erwischt werden.

Anders sah es da bei dem zweiten Besatzungsmitglied aus: Jyrki, einem Russen, den man klischeehafter nicht hätte zeichnen können, dem man aber zum Glück genug Selbstironie zutraut, „absichtlich“ klischeehaft zu sein. Der Fels in der Brandung, wenn man so will, denn von allen dreien verkraftete Jyrki – von ein, zwei Wutausbrüchen abgesehen – die Situation noch am besten und trug etwas Optimismus in die Gruppe. Der war, mit Miss „Ich kann das nicht“ und Mister „Ich hab da eigentlich keinen Bock drauf“ auch dringend nötig.

An Nigel White selbst habe ich mich im Verlauf des Textes gewöhnt, man muss aber dazu sagen, dass die Extremsituation ihn auch stellenweise deutlich umgänglicher machte, als er sein wollte und vor allem deutlich wurde, dass unter der amoralischen Haltung durchaus noch ein gutes Stück Moral steckt, wenn es drauf ankommt.

Interessant war die Charakterzusammenstellung durchaus, aber mit Maria leider kaum zu ertragen. Auch hatte ich dadurch, dass Nigel als Charakter sehr genau gezeichnet war, den Eindruck, dass die beiden anderen etwas platt und wenig durchdacht waren, was aber zumindest den Russen nicht weniger sympathisch machte. Schade fand ich, dass letztlich selbst Nigel, von dessen genereller Intelligenz man dann doch halbwegs überzeugt ist, keine klaren Schlüsse aus dem ziehen konnte, was die Gruppe über die Menschen in der Basisstation erfahren hatten. Da heißt es: „Jemand war auf der Arcadia, ist krank zurück gekommen und hat alle angesteckt.“ und dennoch versucht man, zurück an Bord der Nimrod, niemanden vor den diesmaligen Rückkehrern von der Arcadia zu warnen? Sondern muss erst hören, dass jemand krank ist, um vorsichtig zu werden? Nicht sehr überzeugend.

Gut und glaubwürdig an den Charakteren war deren Prioritätensetzung: erst unser Leben, dann das der anderen und wenn dann noch einen Moment Zeit ist, erfahren wir noch, was hier eigentlich los ist. Dass sie nicht von sich aus losgezogen sind, um Antworten zu suchen, war stimmig und psychologisch sinnvoll. Insgesamt finde ich, hat Münter es mit den menschlichen Reaktionen auf Grausamkeiten und Angst recht gut getroffen. Und an Nigel hat er uns letztlich auch bewiesen, dass er einen Charakter tiefschichtig darstellen kann, auch wenn selbiger Versuch bei Maria und Jyrki nicht gemacht wurde.

Standard plus – aber da geht noch was!

Die Grundidee des Romans ist nicht besonders einfallsreich: Eine Expedition geht schief und letztlich müssen drei Personen, die auf so etwas nicht vorbereitet sind, vor seltsamen Kreaturen fliehen, um ihr Leben laufen, sich verstecken … und dann alles noch einmal von vorne. Und zwar so lange, bis sie es zum einen schaffen, sich wieder in Sicherheit zu bringen und zum anderen irgendwie mitbekommen, was hier eigentlich gespielt wird. Das hört sich erst einmal ziemlich standardmäßig an und das ist es wohl auch. Gerade die Grundsituation mit eingesperrten Menschen in irgendwelchen Gebäuden und draußen gefährlichen, nicht mehr menschlichen Wesen, kam mir so ungemein bekannt vor. Ich überlege noch jetzt, in welchen Büchern und Filmen mir das schon begegnet ist. Und ich bin mir ziemlich sicher, es waren mehrere.

Die Handlung ist insgesamt recht vorhersehbar und gerade im mittleren Teil stolpern die Charaktere von einer Jagd- und Kampfszene in die nächste. Dadurch wird zwar die allgemeine, ängstliche Beklemmung vermittelt, in der die drei sich befinden müssen und eine gewisse, nicht abbrechende Grundspannung erzeugt – andererseits wird aber auch seitenweise Potenzial für das verschenkt, was mir am Ende gefehlt hat: Details. Seitenhandlungen. Antworten auf all die Fragen, die der Roman aufwirft.

Ein Plus erhält der Plot dafür, dass die letztliche Auflösung dessen, was im Basislager und auf der Arcadia los ist, nicht komplett das Klischee eines Horror-Romans erfüllt, sondern es durchaus spezifische Gründe für die Geschehnisse gibt. Schade ist, dass wir davon lediglich die Grundrichtung erfahren und viele Fragen offen bleiben. Hier sehe ich das nicht ausgeschöpfte Potenzial der Idee. Es ist ein bisschen, als habe Münter nur die Grundidee erfunden und für den Rest nicht mehr die Muße gehabt. Natürlich kann es auch komplett andersherum gewesen sein und Münter hat die Fragen mit Absicht offengelassen, weil es zu Nigel passt mit dieser Sache abzuschließen, sobald er es aus der Antarktis geschafft hat. Zumal er ja auch im Anschluss nicht mehr davon sprechen darf. So bleiben wir mit unserem Wissensstand bis zuletzt ganz bei der Hauptperson.

Dennoch: Mir persönlich hat die Handlung, das Fliehen von einer Gefahr in die nächste, nicht ausgereicht. Es fehlen die Höhen und Tiefen. Insbesondere zum Schluss hin erscheint mir die Auflösung der Situation übereilt und weniger durchdacht als der Anfang.

Der Autor

Felix Münter ist Diplom-Sozialarbeiter und Notfallseelsorger, selbstständig im Sozial- und Gesundheitswesen tätig, ab und an Übersetzer und seit 2014 Autor. Arcadia ist nach The Rising 1 und 2 sein drittes Buch. Er ist Rollenspieler und Lektor bei den Teilzeithelden, wo er inzwischen zudem regelmäßig auch seine eigene Kolumne Die letzte Seite verfasst. Sein Erstlingswerk The Rising wurde auf der RPC 2015 mit dem Jury Fantasy Award ausgezeichnet.

Schreibstil

Münter schreibt flüssig und leicht verständlich, aber auch recht schlicht. Stellenweise finden sich in zwei aufeinanderfolgenden Absätzen nahezu identische Formulierungen wieder, was ein wenig die Lust an der Lektüre nimmt, wenn man auch an den sprachlichen Qualitäten eines Textes interessiert ist. Der Text beschreibt angemessen die Situationen, Charaktere und Gedanken, ist aber rein sprachlich darüber hinaus nicht sonderlich mitreißend. Mir fehlte beim Schreibstil das gewisse Etwas: ein Wiedererkennungswert im besten Sinne und eine erweiterte sprachliche Bandbreite und Vielfalt.

Preis-/Leistungsverhältnis

Mit einem stolzen Preis von 12,95 EUR bewegt sich der Roman in einem vergleichsweise teuren Bereich für ein Taschenbuch. Daran ist bei der passenden Qualität nichts auszusetzen, allerdings fehlt auch diese hier. Es wurde bei der Leimbindung an Geld gespart. Beim ersten Öffnen des Buches lässt es sich nur sehr schwer komplett aufschlagen und in eine Position bringen, in der man auch die Worte nah am Bund gut lesen kann. Der verwendete Leim ist nach dem Austrocknen zu hart und bricht bei dem Versuch, das Buch entsprechend zu öffnen. Dies ist leider danach an einigen Stellen am Bund zu erkennen. Die Seiten sitzen nicht mehr einwandfrei und sind hier und da leicht eingerissen. Verloren hat mein Exemplar bisher noch keine dieser Seiten und macht auch noch einen recht stabilen Eindruck, aber schön ist es nicht.

Erscheinungsbild

Arcadia CoverDas Cover zeigt in dunkler Umgebung einen dick gegen die Kälte verpackten Mann mit glühend roten Augen. Im Hintergrund ist Schnee zu entdecken. Die dunklen Farben sind dem Setting angemessen, die Gestalt indessen deutet an, was erst im Buch dann grausiger zu Tage treten soll. Somit schafft das Cover des Buches durchaus eine beklemmende Vorfreude auf den Text und eine gewisse Neugier dahingehend, worum es sich bei der Gefahr in der Antarktis genau handelt. Auch auf der Rückseite erkennt man eine verwischte Menschengestalt in einer grau-verwischten Fläche, als habe sie sich in den antarktischen Weiten verirrt. Ein sehr passendes Bild für die Situation, in welche die Buchcharaktere geraten. Der Text im Buch ist ordentlich gesetzt und in einer gut lesbaren Schriftart und Größe verfasst. Der Roman hat einen Umfang von 296 Seiten und ein Format von 11,8 x 3 x 18 Zentimetern.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore-Verlag
  • Autor(en): Felix A. Münter
  • b>Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 296 Seiten
  • ISBN: 9783939212850
  • Preis: 12,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Es ist kein Bonusmaterial vorhanden.

Fazit

Auf Arcadia habe ich mich richtig gefreut, war dann zwischenzeitlich ziemlich enttäuscht und bin rückblickend nicht mehr vollständig sicher, wie gut oder schlecht ich den Roman nun fand. Er hat zweifellos einen gewissen, durchdachten Aufbau und vor dem so geplanten Hintergrund weiß ich die Umsetzung zumindest stellenweise zu würdigen. Aber ganz anders zu sein als der Mainstream-Horror und nicht nur ein bisschen, hätte ihm auch nicht geschadet.

Mit persönlich war die Handlung zu seicht und die Auflösung dessen, was Nigels Auftraggeber Bailey gewusst hat und warum er diese Expedition wollte, war mir deutlich zu rasch und offenkundig. Das schnelle und wenig überraschende Ende lässt die Handlung insgesamt platter wirken, als sie es ist. Auch der Schreibstil und die Konzeption von Maria haben mir das Lesen und die abgemessene Würdigung der positiven Aspekte des Romans erschwert. Dazu zählen beispielsweise die ausführliche Hintergrundrecherche, der letztlich vielschichtig dargestellte Hauptcharakter – so wenig ich ihn am Anfang leiden konnte – und die konsequent durchgesetzte Ich-Perspektive, durch die wir nah bei Nigel sind, aber auch nur das erfahren was er weiß.

Klar gegen eine Kaufempfehlung würde zudem die Tatsache sprechen, dass Mantikore offenbar nicht bereit ist, das Taschenbuch mit einer ordentlichen Qualität herstellen zu lassen. Andererseits bin ich mir bei der Bewertung des Romas so unsicher, dass ihr auf der sicheren Seite seid, wenn ihr euch selbst ein Bild macht. Und dann darf mir auch gerne widersprochen werden.

Daumen2weiblich

Artikelbilder: Mantikore Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt

 

Über die Autorin

Stefanie SpieseckeStefanie Spiesecke ist Buchhändlerin und Redakteurin im Ressort für phantastische Literatur. Sie unterstützt teilzeithelden.de mit Berichten rund um das geschriebene fantastische Wort.

 

 

 

 

2 Kommentare

  1. Zumindest was die Bindung angeht muss ich dir anhand meines Exemplars widersprechen – da war alles in Ordnung. Und auch mit dem Aufschlagen und der Lesbarkeit kann ich die Kritik nicht nachvollziehen.

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