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Bevor die Spiel in diesen Jahr stattfand, hatte ich eigentlich vor, über viele neue und tolle Spiele zu berichten, die im Bereich Fantastik erscheinen würden. Aber schon bei der Sichtung der Neuerscheinungsliste auf Board Game Geek wurde mir klar: Irgend etwas stimmte da nicht. Ja, es gab sie, die Neuerscheinungen. Aber es fehlte etwas, das so richtig Begeisterung auslöste. Statt dessen sah ich immer öfter einen Passus, der mir ganz und gar nicht gefiel (dazu später mehr).

Legenden von Andor
Solche jungen Klassiker fehlten.

Aber ich hatte eine Liste mit immerhin knapp 20 Spielen, die mein Interesse erweckt hatten. Mehr als genug Material für ein paar Artikel, dachte ich mir. Und natürlich auch für eine Erweiterung meiner Spielesammlung.

Doch als die Messe dann tatsächlich begann, und ich so langsam aber sicher die Liste abarbeitete, setzte immer mehr Ernüchterung ein. Die Spiele waren größtenteils völlig in Ordnung. Aber es fehlte ein Legenden von Andor, ein Terra Mystica oder ein Five Tribes. Also begann ich, über diese generelle Problematik nachzudenken und genau diese zum Thema dieses Artikels zu machen.

Erweiterungswahn, Rebranding und Remixing

Versteht mich nicht falsch, es gab zu dem einen oder anderen guten phantastischen Titel, unter anderem dem gerade erwähnten Five Tribes, durchaus Erweiterungen. Aber eben keine wirklich neuen Spiele. Ein bekanntes Franchise ist mittlerweile bei 13 Erweiterungen angekommen.

Star Wars Carcassone
Rebranding um des Hypes Willen?

Andere Spiele wiederum kommen wieder und wieder heraus, lediglich irgendwie leicht anders. Star Wars Carcassonne, Carcassonne: Über Stock und Stein, Love Letter Batman, Love Letter Adventure Time oder Der Hobbit: Kampf um den Arkenstein (Love Letter: The Hobbit). Und all diese verschiedenen Love Letter, nachdem im letzten Jahr bereits Loot Letter (Love Letter im Munchkin-Stil und Universum) herauskam. Aber die meisten dieser Spiele, mit Ausnahme vom Hobbit, der für mich völlig unverständlich sogar den RPC Award dieses Jahr gewann, sind wenigstens so ehrlich und geben schon durch ihren Titel an, dass sie eigentlich nur Rebrandings oder kleine Variationen bestehender Spiele sind. Viele andere Spiele haben zwar neu klingende Titel, aber bieten dennoch wenig Neues im Spiel selbst.

Wo ist der Mut für Neues? Für Bahnbrechendes? Ach ja, der ist auf Kickstarter, oder?

Kickstarter coming soon

Wie schon in den letzten Jahren gab es auch dieses Jahr diverse Produkte auf der Messe zu kaufen, die vorher über Kickstarter finanziert und realisiert worden waren. Das war und ist auch eine gute Sache, da hierdurch Spiele eine Chance erhalten, die bei den großen Verlagen vielleicht durchs Raster gefallen wären.

"Coming soon" oder "Just now!" gab es auch in der Rollenspielhalle
„Coming soon“ oder „Just now!“ gab es auch in der Rollenspielhalle

Aber leider war das nicht der Haupteindruck, den Kickstarter dieses Jahr hinterließ. Erinnert ihr euch an den oben erwähnten Passus aus der BGG-Liste? Dieser war „Kickstarter coming (soon/early 2016/etc.)“. Und er war auch auf der Messe allgegenwärtig. Gigantische Banner hingen an manchen Ständen, die davon kündeten, dass man dort Spiele ansehen und ausprobieren konnte, die in einigen Monaten dann auf Kickstarter verkauft werden würden. Denn etwas anderes ist Kickstarter damit nicht mehr. Es geht bei diesen Projekten offensichtlich nicht mehr um eine Anschubfinanzierung für die Produktion oder gar die Entwicklung des Spiels. Denn das war ja eigentlich schon fertig. Kickstarter ist zu einer Plattform geworden, über die Hersteller direkt und ohne Zwischenhändler an die Kunden verkaufen können und dabei auch noch das Risiko minimieren, eine zu hohe Stückzahl zu produzieren. Und das braucht natürlich Werbung im Vorfeld, damit in dem kurzen Zeitraum, über den so ein Kickstarter läuft, auch genug Leute teilnehmen.

Wo ist die Leistung der Verlage geblieben, so etwas zu kalkulieren? Und ist es wirklich sinnvoll, Leuten ein Spiel zu zeigen und dann zu sagen: Wenn es dir gefällt, kannst du in ein paar Monaten in Vorkasse gehen und es dann in etwa einem Jahr dein Eigen nennen?

Kickstarter war vielleicht mal eine gute Idee, aber in letzter Zeit habe ich immer häufiger den Eindruck, dass die Plattform dem Markt eher schadet als nützt. Und diesen Eindruck hat die letzte Spiel eindeutig verstärkt.

Also alles schlecht?

Das klingt jetzt ziemlich danach, dass die Messe ein totaler Reinfall war. Aber das stimmt so auch nicht. Natürlich sind einige er erschienenen Erweiterungen durchaus interessant und machen Spiele wieder spannend, die ansonsten vielleicht im Schrank verstauben würden. Und ein geschicktes Remixing von vorhandenen Mechanismen kann ein neues und interessantes Spiel entstehen lassen.

Eine der Innovationen - 504
Eine der Innovationen – 504

Bestes Beispiel dafür: Das Spiel 504 von Friedemann Friese. Im Grunde handelt es sich dabei nicht um ein Spiel, sondern um derer gleich 504 verschiedene. Zu Beginn jeder Partie wählt man hier nämlich drei verschiedene Mechanismen aus unterschiedlichen Regelsegmenten aus und erhält so die Regeln für das aktuelle Spiel. Remixing ist hier also maßgeblicher Teil des Spiels selbst, wodurch es ein Stück weit sogar zu einer Persiflage der aktuellen Marktsituation wird. Ein gelungener Schachzug, der auch auf der Messe durch entsprechenden Erfolg honoriert wurde.

Und auch Neuauflagen können durchaus Sinn ergeben. So geschehen bei Mega Civilization. Mit dieser Neuauflage des Avalon Hill-Klassikers aus den 1980er Jahren (nicht zu verwechseln mit Sid Meiers Civilization) können nun neue und alte Fans des Spiels mit bis zu 13 Spielern die Besiedelung Europas und Asiens durchspielen. Vorausgesetzt, sie haben die 10 Stunden Zeit, die man dafür in etwa braucht.

Oder Pandemic: Legacy, das eine Idee von Risiko: Evolution aufgreift und mit den Mechanismen von Pandemie verbindet. Spielplan und sogar Regelbuch verändern sich im Laufe des Spiels massiv, wodurch das Spiel zwar im Grunde nur ein einziges Mal spielbar ist (was nicht ein Spiel bedeutet, sondern ein Durchspielen der in diesem Fall 12 Phasen/Monate), dafür jede Partie etwas völlig eigenes entwickelt und eine eigene Geschichte dadurch geschrieben wird.

Pandemic: Legacy
Pandemic: Legacy

Auch auf der positiven Seite zu vermerken wäre die Tatsache, dass die Herstellung von Miniaturen immer günstiger wird und dadurch viele neue Spiele einfach fantastisch aussehende Miniaturen enthalten, ohne gleich fürchterlich teuer zu werden. Gerade im phantastischen Bereich eine tolle Sache, die Spiele im wahrsten Sinne des Wortes attraktiver werden lässt. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass man die Miniaturen auch einfach zweckentfremden kann und dann plötzlich als SL eine ordentliche Horde Wikinger oder Dämonen oder ähnliches auf die taktische Karte stellen kann.

Und natürlich gab es auch das ein oder andere interessante Spiel, über das ihr hier in den kommenden Wochen oder Monaten etwas lesen werdet. Aber es sind einfach erheblich weniger, als ich mir erhofft hatte.

Hoffen wir also, dass sich das in den kommenden Jahren ändert und die Spielbranche zu alter Größe zurückfindet, neue Mechanismen findet und damit wirklich neue Spiele herausbringt, die dann auch nicht erst über Kickstarter von den Kunden vorfinanziert werden müssen.

Fotografie: Roger Lewin
Artikelbilder: Genannte Produzenten

 

1 Kommentar

  1. Sehr schöne Analyse der Kickstarter-Situation. Das Problem, auf das ich mit blutiger Nase gestoßen bin ist die Konsequenz daraus: die Leute erwarten mittlerweile genau das: ein komplett fertiges Produkt, das über Kickstarter nur „vorverkauft“ wird.

    Ganz konkret: die Leute wollen schon in der Finanzierungsphase ein komplett fertiges Spiel mit allen Artworks und Materialien sehen. Das geht natürlich völlig am Konzept vorbei, denn gerade für diese Dinge soll ja das Funding gesammelt werden. Hat man das nicht, wird man im besten Fall ignoriert, im schlechtesten Fall mit bösen Kommentaren beschossen.

    Bitter dabei ist, dass Kickstarter selbst hier völlig opportunistisch agiert und kleine Projekte weitgehend ignoriert und sich selbst überlässt, Projekte aber featured und massiv pusht, die genau diesen „Pre-Order“-Charakter haben. Aus rein ökonomischer Sicht ist das natürlich völlig in Ordnung, nur geht das irgendwie an der eigenen Idee vorbei wie ich finde. Auch die gesamte Kommunikation von Kickstarter an die Projektgründer und das ganze Verfahren ist massiv auf Wertschöpfung durch Kickstarter „gestreamlined“.

    Insofern fand ich die Reaktionen auf „Kickstarter ist jetzt eine gemeinnützige Organisation“ sehr amüsant: aus meiner Sicht hat das hier weder was mit Menschenfreundlichkeit oder Gemeinnützigkeit zu tun sondern ist ein reines Steuersparmodell.

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