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Seit Jahren frage ich mich, wann die TV-Zombieepidemie wieder verschwindet. Schon 2012 hat Chefredakteur Roger an dieser Stelle gefragt, wieso es immer wieder Zombies sind und wie lange man dieses Thema noch breit schlagen möchte.

Was sind Untote überhaupt?

Bei dieser Frage möchte ich beginnen. Untote sind bei weitem nicht so klar definiert wie wir das immer glauben. Denken wir an die populäre Serie The Walking Dead, so denken wir an eine Epidemie. Irgendein Virus, irgendeine Katastrophe, etwas noch am Rande rational Erklärbares, rafft Menschen dahin und lässt sie als geistlose Untote wieder auferstehen. Diese Beißer sind instinktgesteuert und laben sich am Fleisch der Lebenden. Warum sie das tun, sei auch in dieser Serie dahingestellt. Auch die Spinoff-Serie Fear the Walking Dead lässt das bisher vollkommen offen.

Wer wissen möchte wo Zombies literarisch herkommen, der ist bei Rogers Glosse „Zombies, wieso immer wieder Zombies?“ sehr gut aufgehoben. Nein, es geht mir nicht um eine objektive Definition des Begriffes „Zombie“, sondern des subjektiven Begriffes des Untoten. Ich teile Rogers Meinung, dass die modernen Adaptionen des Themas die Menschheit verblöden können. Seit 2012, als die Glosse hier veröffentlicht wurde, teile ich das sogar mehr denn je. Man könnte fast glauben, dass die Beißer aus oben genannten Serien Smartphones im Hirn verbaut bekommen haben und deswegen agieren wie sie agieren. Die Zombieapokalypse ist schon lange da, wenn wir das Verhalten dieser Gattung Untoter auf moderne Smartphone-Zombies übertragen. Da sind die Zombies aus Land of the Dead sogar weiter: Die schauen bei Feuerwerk wenigstens noch fasziniert nach oben.

Nein, untot bedeutet an sich viel mehr als das bloße Zombiedasein. Die gesamte Faszination beginnt mit der rein subjektiven Interpretation des Begriffes. Für die einen ist der typische Untote eine seelenlose, fressende und mordende Kreatur. Aber ist nicht auch Mary Shelley‘s Frankenstein irgendwo ein Untoter? Viktor Frankenstein erschafft hier ein Leben aus dem Tode. Was ist das anderes als untotes Leben? In dieser Geschichte es geht um die Kernfaszination dieses Themas: Gibt es eine Möglichkeit den Tod zu überlisten? Wenn wir auch alle zustimmen würden, dass Frankensteins Monster keine liebenswerte Kreatur ist, so ist sie doch weit vom Hollywood‘schen Zombie entfernt. Das Wesen dort ist vernunftbegabt. Im Fokus der Geschichte stehen metaphysische Fragen, die über Leinwand-Effekthascherei hinausgehen. Hier ist der Untote mitunter gar eine tragische Figur, die ihren eigenen Platz in der Welt finden will und muss. Der Mensch wird hier zum Schöpfer. Frankenstein ist für seine Kreatur das, was Gott für Adam war. Achtung, hier herrscht Blasphemie-Potenzial!

Und wo wir gerade bei Blasphemie sind, so landen wir bei Bram Stoker‘s Dracula und bei Vampiren. Auch diese sind per Definition untot. Ihre Existenz ist an bestimmte Verhaltensmuster gebunden. In der Regel, wenn man den romantischen Aspekt der Twilight-Saga außen vor lässt, sind Vampire monströse Kreaturen. Auch sie entstehen jedoch in den meisten Fällen nicht einfach so. Den Ursprung diverser verschiedener Arten, basierend auf allgemeinen Mythen, behandelt Markus Heitz in seinen Judas-Romanen. Vampire gelten in der Regel als verfluchte Kreaturen. Mal ist es die eigene Arroganz des Menschen, die ihn zum Vampir verdammt und mal sind die Verdammenden Gott, der Teufel oder eine andere mächtige mythische Sagengestalt. Mit ihrem Fluch gehen besondere Kräfte und Einschränkungen einher. Sie müssen Blut trinken oder Asche verzehren, um sich nähren zu können. Das Sonnenlicht ist ihnen verwehrt, wenn sie nicht verbrennen wollen. Dafür sterben sie nicht mehr auf natürliche Weise, altern nicht und besitzen zumeist ein wildes Sammelsurium an übernatürlichen Fähigkeiten.

Egal ob nun durch moderne Seuchen, wissenschaftlichen Experimenten oder den Fluch Gottes geschaffen, so haben alle diese drei Wesen eines gemeinsam: Sie existieren in ihrem eigenen Körper weiter und haben doch die Schwelle des Todes überwunden. Damit unterscheiden sie sich essenziell von Geistern. Geister leben in anderen Sphären, auch wenn ihnen nachgesagt wird mit der unsrigen interagieren zu können. Wenn sie nicht gerade einen Körper besetzen können, so sind sie feinstofflich. Sie haben ihre Körperlichkeit hinter sich gelassen. Damit beweisen sie auch, dass es einen Zustand, ein Dasein, nach dem vollständigen Verfall des Körpers gibt.

Für die meisten Menschen ist dies noch fantastischer als das Wesen des Zombies. Geister als eine Unterart der Untoten, deren Dasein primär fern unseres Diesseits in einem Jenseits stattfindet, fanden wir bereits im Artikel „Geisterwesen – Von dunklen Kellern, Kirchengewölben und Medien“

Was Geister mit den hier behandelten Untoten gemeinsam haben ist jedoch einer der wichtigsten Punkte der die Faszination erklären kann.

Der Tod – Ein lebenslanges Rätsel

Der griechische Philosoph Epikur von Samos sagte über den Tod:
„Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.“

Für mich persönlich war dieser Satz, der gerne mit „Der Tod ist uns ein Nichts“ verkürzt wird, schlicht Beruhigung. Der Tod ist unausweichlich. Wir alle werden sterben. Wenn es sonst keine Gewissheit im Leben gibt, so gilt diese. Die einen von uns gehen mit dem Tod frei nach Epikur um und beschäftigen sich nicht mit ihm. Er kommt unweigerlich, dann soll er halt kommen. Solange wir leben, solange ist er nicht da. Wenn wir sterben, so werden wir nicht mehr da sein um uns geistig damit zu beschäftigen. Zu dieser Gattung Mensch zähle ich mich nicht, kann ich mich nicht zählen. Mich fasziniert der Tod fast genauso wie er mir eine grausige Angst einzujagen in der Lage ist. Das Ende aller Existenz, das Ende von Bewusstsein.

Egal wie ein jeder Mensch subjektiv mit dem Tode umgeht, so lässt sich nicht abstreiten, dass er um uns herum allgegenwärtig ist und auf einen jeden von uns warten wird. Das mag sich fatalistisch anhören, ist jedoch nur richtig. Was nach dem Tod geschieht sei hier einmal völlig ausgeklammert. Ob wir in ein Himmelreich einfahren, ob wir in der feurigen Hölle enden, ob wir an Odins Tafel in Walhalla mit den Göttern speisen, wiedergeboren werden oder als Geister durchs eigene Badezimmer poltern: Irgendwann stirbt jedes Leben.

Solange es Menschen gibt fasziniert der Tod als etwas absolut unerklärliches. Auch heute können wir nur feststellen, dass der Tod mit dem Ende der Hirnaktivität eintritt. Ob es eine Seele gibt, lässt sich wissenschaftlich nicht erfassen. Für uns ist der Tod besiegelt, sobald unser Hirn seinen Dienst versagt. Was danach kommt, und ob überhaupt etwas danach kommt, ist ungewiss.

Sehen wir nun eine untote Kreatur, und sei es nur ein Zombie, so sehen wir, dass der Tod überwindbar ist. Eine gewisse Form der „Greifbarkeit“ haftet Untoten an. Sie enträtseln für uns den Tod, beweisen uns, dass er überwindbar ist. Viktor Frankenstein schlägt dem Tod ein Schnippchen und holt einen Körper aus dem Zustand des unabwendbaren Todes zurück. Ein Vampir ist über diese dunkle Schwelle geschritten und auch der gemeine Zombie zeigt uns ein Leben nach dem Tod, sei es noch so rudimentär und instinktgesteuert.

Auch wenn wir in den aktuellen Hollywoodinterpretationen diesen Fokus, den Mary Shelley noch als Kernelement ihrer Geschichte nutzte, nicht mehr direkt spüren, so ist er doch da. Tief in unserem Unterbewusstsein sehen wir bei einem Untoten auch dem Tod selbst ins Auge. Der Untote beantwortet für uns die Frage, ob ein Leben nach dem Tod möglich ist. So verquicken Tod und Leben in diesen Kreaturen, egal ob sie uns feindlich gesonnen sind, ob sie Bewusstsein besitzen oder ob sie unter uns wandeln wie einer von uns.

Die Sozialisation eines Zombies

Wie bereits erwähnt stellt der Tod eine Schwelle da. Etwas, was wir bei fast allen Adaptionen des Themas der Untoten wiederfinden, ist eine Trennung von der Welt der Lebenden. Obschon diese wandelnden Leichen unter uns sind, so sind sie doch von uns getrennt. Die Zombies bedrohen ganz klar unsere Existenz. Für Vampire sind Menschen wie Vieh, an dem sie sich laben. Frankensteins Monster hätte die geringsten Resozialisierungsschwierigkeiten möchte man meinen, doch stellt er sich letzten Endes doch als nicht in die Gesellschaft integrierbar heraus.

Sehr passend finde ich dies in der aktuellen Serie Penny Dreadful dargestellt. Hier haben wir nach dem Leben lechzende Vampire die das Dasein bedrohen, wir haben aber auch Viktor Frankenstein in einer anderen Interpretation. Dieser hadert noch immer mit dem Bezwingen des Todes, muss sich jedoch auch mit seiner eigenen Schöpfung auseinandersetzen, die einen Platz in der Welt sucht.

Isolation und Separation zwischen Lebenden und Untoten sind ein elementarer Bestandteil der Thematik. Diese beiden Welten treffen sich an manchen Stellen, doch endet dies nicht selten genauso tragisch wie die Shakespear‘sche Liebensgeschichte von Romeo und Julia. Obschon Untote auf bizarre Weise in die Welt der Lebenden zurückkehren, so bleiben sie doch von ihr getrennt. Sie sind gezwungen ihren eigenen Platz zu finden und müssen erkennen, dass sie den Lebenden weiterhin fremd sind, wie die Lebenden für sie fremd wurden. Selbst wenn sie sich gegenseitig nicht direkt bedrohen, wie es bei Zombies und Vampiren der Fall ist, so finden sie in der sozialen Mitte keinen Platz mehr.

Warum faszinieren uns also die Untoten?

Untote sind all das, was wir nicht sind. Sie sind das Andersartige. Sie beantworten für uns die Frage, ob der Tod besiegt werden kann. Sie können die Helden in Geschichten sein, an deren Ende die Welt untergeht. Sie können tragische Figuren sein, die selbst keine Antworten zu ihrer Existenz besitzen und die ihren Platz finden müssen. Untote zerreißen unseren Alltag und klammern sich sowohl an Urängste wie Wünsche. Sie vereinen Tod und Wiedergeburt in sich, selbst wenn sie unsere Lebern fressen.

Fürwahr gibt es heutzutage immer mehr Adaptionen dieses Themas, die ein Niveau erreichen, bei dem man sich als Konsument fühlt als würde wirklich ein Zombie einem bei lebendigem Leib das Hirn aus dem Schädel fressen. Doch auch diese Geschichten beinhalten zwangsweise eine Verbindung zu des Menschen Urangst: dem Tod. Es ist daher vermutlich weniger die Faszination nach Epidemien oder plumpem blutigem Gemetzel, die auch die dümmlichsten Zombie-Schinken, die glitzerndsten Vampirgeschichten und die stumpfesten Reanimationsfilme vor unsere Augen treibt. Vielleicht ist es eher die Jahrtausende alte unterbewusste Frage, was uns der Tod bedeutet und was ihm folgen könnte, ob er für uns je besiegbar wird, die uns fasziniert.

Und selbst wenn das einmal nicht gilt, schließlich sind wir nicht immer ernst:
Mit einer Flasche Whisky in der Hand macht auch der unlogischste Vampir-Splattermist manchmal Spaß. Wenn wir unser Hirn abschalten, sind wir manchmal ohnehin nicht weit vom Zombie entfernt. Dafür muss man sich nur ansehen was betrunkene Smartphone-User so auf Facebook tippen.

Fotografie: Roger Lewin, Ehrenfriedhof Recklinghausen

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4 Kommentare

  1. Ich arbeite mich dieser Tage erstmals durch die Serie #TheWalkingDead und finde das eigentlich zwei Themen, die ich auch in den anderen Leinwandgeschichten sehen kann. Einmal das, was ich erstmals mit „Herr der Fliegen“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Herr_der_Fliegen) kennen lernte: Was Menschlichkeit oder etablierte Regeln und Normen unter Extremsituation bedeuten. Da stehen die Zombies jetzt gar nicht mal im Vordergrund, aber die ganzen Ränkespiele in den Gruppen und auch das Misstrauen der verschiedenen Gruppen sind ja Leitmotive in den Geschichten.
    Der zweite wichtige Aspekt ist im deutlichen Kontrast dazu ein klares Schwarz/Weiß. Menschen/Zombies. Kein Mitgefühl notwendig, eine klare Struktur, was Böse ist. Das hilft auch dem Zuschauer bei der Orientierung. Und so sind Zombies immer gute Gegner auch im Rollenspiel, denn sie sehen zwar aus wie Menschen, sind aber Monster. Und kein Held muss sich für einen Gewaltexzess an ihnen entschuldigen.

  2. Was mir in der Aufzählung fehlt ist die neue und zugegebenermaßen wenig beachtete Serie IZombie.
    Dort ist der Zombie Protagonistin und kann durch Gehirnverzehr ihre Menschlichkeit bewahren.
    Oder auch Warm Bodies, wo teile der Zombies wieder gut werden und vor allem am Anfang der Blickwinkelwechsel echt Spass macht.
    Warum Zombies im Moment? Kann man bestimmt viel drüber rätseln. Was ich aber sehe ist, dass es gelungen ist aus dem vielleicht eindimensionalsten Monster der Horrorgeschichte vielschichtige Erzählungen zu holen.

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