Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Golem Arcana ist nicht das erste Brettspiel, welches versucht, klassisches Brettspiel mit anderen Medien zu verbinden. So gibt es Spiele, bei denen man nebenbei eine CD laufen lassen muss oder auch dazugehörige digitale Apps, die einem das Würfeln abnehmen. Dieses Kickstarterprojekt vom Spieleentwickler Harebrained Schemes LLC, dem immerhin 2194 Unterstützer mit 512.538 USD ihr Vertrauen schenkten, versucht nun aber die Verbindung zwischen digitaler App und klassischem Brettspiel zu vertiefen: Ohne das Eine kann das Andere nicht funktionieren – aber im Endeffekt funktioniert diese Mischung überraschend gut!

Spielablauf

Der Spielablauf beginnt wie bei jedem anderen Brettspiel mit dem Aufbau des Spielfeldes nach Vorgabe des Spielszenarios, also wie die schachbrettartig mit topografischen Details wie Bergen und Seen bedruckten, quadratischen Geländeplatten hingelegt werden müssen und wo bestimmte Manapunkte etc. platziert werden sollen. Allerdings stehen diese Vorgaben nicht in einem Regel- oder Szenarienbuch, sondern werden direkt in der Spiel-App angezeigt.

Und dann kann es auch schon losgehen: Immer abwechselnd kann jeder Spieler seine Spielfiguren, die namensgebenden magischen Golems, aktivieren und mit ihnen verschiedene Aktionen durchführen: Angriffe auf andere Golems, mächtige Zauber oder auch Bewegungen über das Spielfeld. Dabei werden diese Aktionen aus einem sehr begrenzten „globalen Pool“ verbraucht, sodass man sich häufig entscheiden muss, ob man nun eine einzelne Figur mehrere Aktionen durchführen lässt, oder sie lieber auf mehrere Figuren aufteilt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Aktionskosten nach jedem Einsatz verdoppeln. Beispielsweise könnte ein magischer Angriff oder eine Bewegung beim ersten Einsatz nur zwei Aktionspunkte kosten, wenn man ihn diese Runde dann nochmal einsetzen will aber schon vier Aktionspunkte. Erst in der nächsten Runde kehren die Aktionspunkte dann wieder auf ihren Normalwert zurück, da sich die Golems sozusagen von der Aktion erholt haben.

Kommt es zu einem Kampf, wählt man erst seinen entsprechenden Angriff aus. Davon hat jeder Golem mehrere zur Auswahl, die meistens auch noch magische Nebeneffekte haben. Beispielsweise kann der Flügelschlag der Goldenen Harpyie eine Figur um ein Feld zurückstoßen, die Lava-Lanze des Teufels-Dschinn ignoriert zehn Rüstungspunkte und der Bebende Boden des Geflügelten Hüters lässt das Ziel für die nächsten zwei Runden je zwei Bewegungspunkte einbüßen.

Ob solch eine Attacke erfolgreich ist, entscheidet ein W100-Wurf mittels zwei zehnseitiger Würfel: Dabei muss ein Ergebnis unter oder gleich dem Zielwert geschafft werden. Dieser Zielwert setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen, nämlich der Schwierigkeit des Angriffs, dem Ausweichwert des Ziels, magischer Sondereffekte und Geländevorteile. Würfelt man einen Pasch, gilt dies als kritischer Treffer, welcher besonders starken Schaden anrichtet.

Moderne App-Unterstützung

Soweit haben wir hier also ein klassisches Brettspiel mit einer ganzen Menge Mikromanagement. Was soll daran nun die Zukunft des Brettspiels sein? Die Antwort fällt leicht: die konsequente Vermischung von analogem Brettspiel und digitaler App. Denn die App, welche man auf sein Android-Smartphone/Tablett oder Iphone/Ipad vorab installieren muss und ohne die das gesamte Spiel nicht funktioniert, ist zugleich Schiedsrichter, Regelbuch, Tutor, Würfler, Armeeverwalter und Mikromanager.

Gesteuert wird Golem Arcana mit Hilfe eines sogenannten TDI Stiftes, welcher sich per Bluetooth mit der App verbindet. Mit dem klickt man Figuren, Karten oder das Spielfeld an, um auf dem Smartphone/Tablet-Bildschirm nicht nur sofort alle notwenigen Infos zu lesen, sondern auch alle erlaubten Aktionen zu sehen. Lästiges Nachschlagen im Index nach der Sonderregel für Zauber XYZ oder die modifizierten Deckungswerte von Golem ABC entfallen, weil die App einfach alles kontextsensitiv anzeigt. Man kann also einfach losspielen und muss sich außer über die eigene Taktik über absolut gar nichts Gedanken machen! Und, gerade für Gelegenheitsspieler, die nur ab und zu eine Runde spielen, man muss sich nicht über Regeln streiten, da die App immer Recht hat.

Die Technik muss vor dem ersten Spiel natürlich erst vorbereitet und installiert werden, allerdings ist dies recht einfach und in wenigen Minuten geschehen:

  1. Zuerst muss man sich bei Google Play oder im App-Store die kostenlose App herunterladen. Die Systemvoraussetzungen sind trotz der 3D-Grafik gar nicht mal so hoch, auf einem alten Samsung Galaxy S3 lief alles problemlos.

  2. Dann muss das Spielerkonto erstellt werden, eine aktuelle E-Mail-Adresse reicht. Dies ist notwendig, um eigene Armeen zu erstellen und zu verwalten. Außerdem werden auf diese Konten eventuelle digitale Turniergewinne wie beispielsweise besondere Aufwertungen (z.B. Golemreiter, die als Piloten besondere Bonusfähigkeiten mitbringen) gutgeschrieben.

  3. Schließlich muss der TDI Stift in Betrieb genommen werden: Die passenden Batterien einlegen (bereits im Grundspiel enthalten), eine Bluetooth-Verbindung aufbauen und über den Stiftmanager den passenden Stift zum passenden Account zuordnen. Das funktioniert bei einem oder zwei Stiften übrigens vollkommen reibungslos. Auf einem Turnier mit sechs bis acht aktiven Stiften jedoch wollte die Verbindung oft erst nach mehreren Versuchen zustande kommen.

  4. Bevor man sich dann in seine erste Schlacht stürzt, kann man im Armee-Editor seine eigene schlagkräftige Truppe zusammenstellen. Dafür bestimmt man erst seine Fraktion: Zur Wahl stehen die Durani (Steingolems) oder die Gudanna (Blutgolems), sowie Urugal (Knochengolems) und Zikia (Naturgolems) als Söldnerfraktion. Die Söldner können aber auch selbstständig ohne Golems der Hauptfraktionen gespielt werden. Dann stellt man innerhalb eines Punktelimits seine Armee aus den verschiedenen Golems sowie den Golemreitern und Zaubern zusammen.

Preis-/Leistungsverhältnis

Die mittlerweile auch deutschsprachige App ist kostenlos erhältlich, diese ist allerdings noch nicht vollständig ausgereift und produzierte im Testzeitraum zwei Abstürze. Die Grundbox gibt es bei verschiedenen Fachhändlern schon für knapp unter 50 EUR, die offizielle UVP beträgt 59,95 EUR. Ein durchaus akzeptabler Preis. Zwar sind bloß sechs Figuren (je drei für die Durani und die Gudunna) enthalten, doch schon die bringen, zusammen mit einer ordentlichen Auswahl an digitalen Golemreitern, genug Punkte mit, um eine wettbewerbsfähige Turnierarmee aufzustellen.

Auch langfristig sollte man mit Golem Arcana viel Spaß haben, denn einerseits werden schon spannende Szenarien mitgeliefert und neue hinzugefügt, andererseits sollte es bei so einem einsteigerfreundlichen Spiel nicht schwer fallen, immer neue Spieler für ein paar Runden begeistern zu können.
Die Erweiterungen sind mit 29,95 EUR für 3 normalgroße Figuren bis hin zu 64,95 € für eine riesige Koloss-Figur recht hochpreisig. Jedoch sind sie nicht zwingend für ein erfolgreiches Spiel notwendig. Bei einem Turnier konnte meine Startboxarmee sehr gut mithalten und sogar einen Koloss vereint zusammenprügeln.

Ausstattung

Golem Arcana Cover BoxIn der quadratischen, ca. 30 x 30 x 10 cm großen, stabilen und mit fast 2 kg recht üppigen Box ist eine ganze Menge Material enthalten. Wie oben erwähnt, die sechs Golems, welche auf dem Schlachtfeld verschiedene Rollen wie Nah- und Fernkämpfer einnehmen können und so verschiedene Taktiken ermöglichen. Die für ihre Größe eher klobig modellierten Figuren sind bereits zusammengebaut und auch schon bemalt, allerdings teilweise eher grob und manchmal unsauber. Damit sind sie aber immer noch über dem typischen Brettspielstandard, aber weit unterhalb Tabletopniveau. Dabei ist die Auswahl diesbezüglich etwas ungünstig, einige der Erweiterungsfiguren sehen sowohl von der Modellierung als auch von der Bemalung wesentlich besser aus. Desweiteren enthalten sind die notwendigen Einheitenkarten.

Die Spielfelder können zusammengesetzt werden aus den insgesamt sechs enthaltenen, jeweils 3 x 3 Felder großen, doppelseitig bedruckten Spielplatten. Außerdem dabei ist der TDI Stift, zwei W10 (falls man der App nicht traut, kann man manuell würfeln und das Ergebnis eintippen) und eine vollfarbige Schnellstartanleitung.

Diese Schnellstartanleitung umfasst inklusive Umschlag 16 Seiten. Klingt eigentlich ausreichend, allerdings enthält sie jeweils sowohl die deutschen als auch die englischen Texte. Abzüglich des Umschlages bleiben also 7 Seiten Anleitung übrig, was zugegebenermaßen auch für einen Schnellstarter sehr wenig ist. Eine Seite befasst sich mit der Technik (App runterladen etc.), zwei Seiten mit den Spielmechaniken, der Rest mit der Spielwelt und wichtigen Persönlichkeiten. Nun sind die wenigen Seiten Regeln/Spielanleitung nicht schlimm, da die App als Lehrmeister fungiert und nach und nach die entsprechenden Mechaniken erklärt. Bei einer solch interessanten Spielwelt voller Magie, mit konkurrierenden Fraktionen und epischen Helden, ist aber viel Fluff-Potential verschenkt wurden.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Pegasus Spiele
  • Autor(en): Jordan Weisman
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: Box
  • EAN: 4250231706783
  • Preis: 59,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Überraschenderweise gibt es keinen spielrelevanten Downloadcontent, weder auf der deutschen noch auf der englischen Seite. Lediglich ein paar Promobildchen und Avatare.

Fazit

Brettspiel-Zukunft oder Spielerei? Ich tu mich ein wenig schwer bei der Beantwortung dieser Frage. Auf der einen Seite ist die App-Einbindung eine enorme Hilfe zur Vereinfachung des Spielablaufs. Nicht immer durch ein dickes Regelwerk blättern, sondern die App als Schiedsrichter, Regelbuch, Tutor, Würfler, Armeeverwalter und Mikromanager dabei zu haben, ist wirklich phantastisch. Auch die Steuerung über den TDI Stift geht nach einer kurzen Eingewöhnung überraschend schnell von der Hand. Und es hat schon so eine ganz eigene Magie, wenn man mittels „Zauberstab“ mächtige Zauber beschwört. Auf der anderen Seite muss man die Figuren ja noch immer selbst verschieben und der ständige Wechsel zwischen Spielbrett und Bildschirm reißt ein wenig aus der Immersion.

Ich denke, da muss jeder Spieler für sich selbst entscheiden, ob er solch digitale Unterstützung eher als Hilfe oder als Spielerei ansieht. Trotzdessen mag ich aber behaupten, dass wohl noch kein Spiel die Vermischung von analogem Brettspiel und digitaler App-Unterstützung so gekonnt hinbekommen hat.

Unabhängig von dieser Frage jedoch: Golem Arcana macht viel Spaß, ist für ein Brettspiel überraschend taktisch und ungemein einsteigerfreundlich. Der Pegasus Verlag gibt als empfohlene Altersangabe „ab 8“ an, und selten hatte ich so ein komplexes Spiel, bei dem ich vollkommen überzeugt war, dass es wirklich auch Achtjährige nach Absolvierung des App-Tutorials problemlos spielen können.

Punktabzüge gibt es für die viel zu kurze gedruckte Anleitung, die noch nicht 100% fehlerfreie App und die mittelmäßigen Figuren. Außerdem, das ist aber nicht wertungsrelevant, sondern meine persönliche Enttäuschung, wurde hier ganz schön viel Potential beim Fluff verschenkt.

Daumen4Maennlich

Artikelbilder: Pegasus Spiele, Fotografien: Philipp Lohmann
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

4 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein