Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Natürlich kann man in jedem Rollenspiel ein gruseliges Abenteuer erleben. Auch die Helden in Dungeons & Dragons können sich fürchten und ein guter Spielleiter sogar in Plüsch, Power & Plunder Gänsehaut erzeugen. Doch für einen gelungenen Oneshot in der Nacht zum 1. November greife ich lieber auf waschechte Horror-Rollenspiele zurück. Die wohl bekanntesten dieses Genres, Call of Cthulhu und Welt der Dunkelheit, setzen aber eher auf längere Kampagnen und darauf, dass die Spieler den Mythos ihrer jeweiligen Welten nach und nach erforschen. Da passen mir schlanke Indie-Rollenspiele besser zum Spieleabend mit Gänsehaut. Drei meiner Lieblinge für solche Anlässe, möchte ich kurz vorstellen:

Was sind Indie-Rollenspiele?

„Indie“ ist dabei ein Label, das für Unabhängigkeit und Kreativität steht. Solche Rollenspiele verfolgen sie oft abgedrehte Ideen und experimentieren mit neuen Spielmechaniken. Die Regelwerke sind schmal und haben kaum Erweiterungsbände, die Menge an Indie-Publikationen ist dafür kaum überschaubar. „Indies“ räumen regelmäßig Rollenspiel-Preise ab und können locker mit ihren großen Verwandten mit dickem Regelwerk mithalten. Dabei sind die Grenzen zwischen „Indie“ und „Mainstream“ je nach Spielrunde sogar fließend.

Dread

DreadDieses Storytelling-Game ist stolzer Träger eines Ennie Awards 2006 und perfekt für kurze Spielabende mit angespannten Nerven. Denn Spannung ist schon in die Mechanik zur Konfliktlösung eingebaut: Statt Würfel verwendet Dread einen Jenga Turm. Werte gibt es nicht. Bei der Charaktererstellung beantwortet jeder Spieler 20 assoziative Fragen zu seinem Charakter, das war’s. Viele davon zielen auf seine Schwächen, Ängste und Persönlichkeitsfehler ab, die der Spielleiter im Verlauf des Abends anspielen kann. Zu Beginn des Spielabends wird dann der Turm aufgebaut und jedes Mal ein Block gezogen, wenn ein Spieler dem Spielleiter widerspricht oder sein Charakter eine gefährliche Handlung angeht. Fällt der Turm, scheidet die Figur aus dem Spiel aus. Das allein sorgt für ungewöhnlich intensive Spannung und funktioniert zugleich als Symbol der lauernden Gefahr. Allerdings spielt hier natürlich auch das tatsächliche Geschick des Spielers eine Rolle. Dafür erleichtern die simplen Regeln das Spiel mit Rollenspiel-Neulingen.

Vom Hintergrund bietet Dread drei ausgestaltete Szenarien zum Losspielen: Beneath the Full Moon ist eine Geschichte um festsitzende Studenten und einen Werwolf, Beneath A Metal Sky Sci-Fi-Horror um eine Raumschiffcrew auf Erkundungstour in einem Wrack und Beneath the Mask als Slasher-Story um Jugendliche in den Ferien und einen Serienmörder. Sie alle enthalten besondere Vorschläge, bei welchen Handlungen der Turm benutzt werden sollte und bauen parallel zu den immer stärker wackelnden Steinen die Spannung über mehrere Kapitel eskalierender Ereignisse auf. Für Spielleiter die unerfahren im Horror-Rollenspiel sind, ist Dread darüber hinaus eine große Hilfe und hat mehrere Kapitel mit Tipps zum Erzählen in unterschiedlichen Genres, von übernatürlichem Schrecken bis zu psychologischem Wahnsinn oder Gore.

Dread hat zwei Erweiterungen, die dem Spiel neue Spielarten erschließen: Dread: Tales of Terror Issue 1 Wastelands bietet zwei Szenarien in einer generischen Postapokalypse. Band Nummer zwei, Dread: Tales of Terror: Issue 02: Precious Illusions, erweitert das Spiel um kindlichen Ängste und Anderwelten samt Szenarien in einem Kinder-Irrenhaus. Das ist nett, doch andere Rollenspiele decken diese speziellen Genres einfach besser ab.

Besonders gut zu Dread passt die zugegeben etwas teure Onyx Edition von Jenga. Oder man malt die eigenen Holzsteine einfach schwarz an.
Besonders gut zu Dread passt die zugegeben etwas teure Onyx Edition von Jenga. Oder man malt die eigenen Holzsteine einfach schwarz an.

 

Little Fears: Nightmare Edition

Little FearsStell dir vor, du bist ein Kind und ein Monster wohnt unter deinem Bett. Es lauert in Closetland, einem bizarren Reich jenseits unserer Welt. Doch mit den knuffigen Plüschfiguren von Monster AG hat das nichts zu tun. Das Monster entstammt den schlimmsten Kindheitsängsten. Sie kommen dich zu holen aber kein Erwachsener will dir glauben …

Little Fears ist ein Rollenspiel, das Spieler in eine ungewöhnliche Lage versetzt. Diese spielen Kinder und sind damit im Handlungsrahmen stark eingeschränkt. „Schlafenszeit.“ „Aufessen.“ „Gleich setzt es was!“ Gegen ernste Gefahren haben sie nur Taschenlampen, Actionfiguren und ihren Glauben – der hier tatsächlich hilft. Die kindliche Weltsicht wird damit zur Magie, durch die sogar Teddybären lebendig werden und den Besitzer verteidigen können. Meiner Erfahrung nach hat das Setting auf Spieler eine eigenartige Wirkung und versetzt sie in den ersten Spielszenen in die Nostalgie glücklicher Kindheitstage. Von da aus kann ein Abend Little Fears den leichten Ton beibehalten oder richtig düster werden – je nach Vorlieben der Spielrunde. Wer es richtig düster mag, kann sogar einen Ausflug ins Closetland wagen.

Als Spielsystem verwendet Little Fears ein sehr einfaches W6-Würfelpool-System mit wenigen Werten (Move, Fight, Think, Speak, Care) und ein paar frei formulierten Eigenschaften. Interessant ist dabei das Glaubenssystem, quasi die Magie. Charaktere riskieren Glauben und erhalten ihn bei Gelingen einer verstärkten Handlung zurück oder verlieren ihn bei Misserfolg. Jüngere Charaktere haben dabei mehr Glauben, kriegen aber weniger Punkte bei der Charaktererstellung. Auch nett: Wer das Alter von 13 Jahren erreicht verliert den Glauben, wird erwachsen und damit unspielbar.

Die Nightmare Edition ist bereits die zweite Version des Spiels, nachdem die erste Edition zu Unrecht in Verruf geraten war. In der gab es noch die das Monster Defiler als Personifikation der Angst vor Kindesmissbrauch. Das ging einigen „besorgten Spielern“ zu weit und Forenproteste im Internet taten ihr übriges. Die aktuelle Version ist jedoch frei davon und bietet eine ausführliche Beschreibung von Closetland sowie einen Guide zur Erschaffung eigener Monster. Es gibt mehrere Erweiterungen: Book 2: Among the Missing dreht sich um weggelaufene Kinder und ihr Schicksal. Die Campfire Tales sind sechs kurze Mini-Erweiterungen mit Monstern oder Abenteuern.

Little Fears gibt es auch übersetzt als Kleine Ängste von Feder & Schwert bei u.a. Amazon
Nicht immer bist du das Ziel. Manchmal kommen sie auch, um deinen Bruder zu holen …
Nicht immer bist du das Ziel. Manchmal kommen sie auch, um deinen Bruder zu holen …
Monster and other Childish Things

Monsters and other childish thingsAn dieser Stelle muss ich zumindest Monsters and other Childish Things kurz erwähnen. Dieses Rollenspiel ist Little Fears, nur umgekehrt. Auch hier spielt man Kinder mit Monstern. Diese halten sich aber für den „allerbesten Freund auf der ganzen weiten Welt“ und bringen die Kinder regelmäßig in Schwierigkeiten. Horror ist hier deutlich subtiler und weniger vorhanden. Spielabende sind mehr von Nostalgie und Abenteuer geprägt – etwas für Spielrunden zu Halloween, die gar keine richtige Gänsehaut wollen.

 

Stalker

Stalker„Mulder übernehmen sie den Fall!“ Das finnische Rollenspiel StalkerThe Science-Fiction Roleplaying Game (kurz und ab hier „Stalker“ genannt) bedient eine besondere Art von Horror: Das Fremde; Verschwörungstheorien und Aliens wie in Akte X. Die Story ist schnell erzählt: Außerirdische haben vor 13 Jahren heimlich unsere Welt besucht und „veränderte“ Zonen hinterlassen, voll mit verändertem Leben, seltsamen Naturgesetzen und bizarren Artefakten. Die Spieler verkörpern Stalker, die in Teams in das Sperrgebiet eindringen und dort Wertvolles für den Schwarzmarkt herausholen. Es sind Getriebene und zwielichtige Personen – gezeichnet durch das, was sie in den Zonen überlebt haben.

Stalker bedient sich bei einem hervorragenden Roman: Picknick am Wegesrand von Boris Strugatsky, einem russischen Vorreiter der modernen Science-Fiction. Sein Universum hat es auch als zu einem Film und einer Videospielreihe geschafft. Als Rollenspiel ist es eine Mischung aus Shadowrun, Numenera und Überlebenskampf gegen eine tödliche Umgebung. Das erinnert an Postapokalypse. Der Horror des Settings entsteht aus Kontakt mit dem kaum Verstehbaren der Alien-Artefakte, die fremde Naturgesetze um sich erzeugen und erbarmungslose Fallen sein können – Cthulhu lässt grüßen. Dazu werden Stalker von Agenten des Institutes gejagt, einer geheimnisvollen Organisation, die die Zonen studiert.

Regeln gibt es in Stalker nur wenige. Ein Großteil des Buches beschäftigt sich mit Atmosphäre (sehr lesenswerter Fluff!) und den Schrecken der Zonen. Auf Würfel und Zufall verzichtet das Spiel sogar ganz und nutzt stattdessen das FLOW-Spielsystem. Dabei werden die Werte des Charakters mit einem Zielwert verglichen. Nur gutes Rollenspiel und Beschreibung von Handlungen können das Ergebnis verbessern. Das legt viel Gewicht auf den Spielleiter und ist sicher nicht jedermanns Fall – insbesondere, da die viele Gefahren der Zonen tödlich enden können. Ein Stalker-Spielabend ähnelt dabei einem finsteren Dungeoncrawl ohne Dungeon, wobei die Spieler sich ständig auf neue Gefahren einstellen müssen.

 

Stalkers Zonen sind vor allem Rahmen für Spielleiter, sie mit allerhand übernatürlichen Schrecken zu füllen.
Stalkers Zonen sind vor allem Rahmen für Spielleiter, sie mit allerhand übernatürlichen Schrecken zu füllen.

Lasst uns gemeinsam gruseln!

Halloween bietet heutzutage neben Kommerz vor allem eins: ein Anlass zum genüsslichen Gruseln. Teenager gegen Werwölfe, Kinder gegen ihre Alpträume, gebrochene Typen gegen den Einfluss fremder Aliens … die hier vorgestellten Indie-Games bietet gute Ideen abseits von Dungeon-Heldengruppen. Doch Rollenspiel entsteht erst am Spieltisch. Deshalb gibt es zum Schluss meine drei Tipps für ein gelungenes Horror-RPG:

  • Handlungsmöglichkeiten einschränken: Charaktere, die zu viele Optionen haben, glauben eventuell, das Böse bezwingen zu können. Dadurch wird aus Horror nur eine weitere Herausforderung. Das Gefühl der Angst entsteht aber vor allem in einer Situation der Machtlosigkeit. Wer im Angesicht eines Monsters seine Laserkanone+4 auspackt oder seine lange Zauberspruchliste durchgeht, der gruselt sich einfach nicht.

  • Sparsam sein mit Jumpscares: Filme wie Paranormal Activity oder Videospiele wie Slender: The Arrival setzen auf das Erschrecken als Trick. Das funktioniert im Rollenspiel aber nicht gut, da der optische Reiz fehlt. Jumpscares lassen sich höchstens mit Soundeinsatz behelfsmäßig simulieren. Horror entsteht in einem Rollenspiel viel eher aus der Situation und natürlich einer guten Beschreibung.

  • Lasst euch auf die Atmosphäre ein: Wer sich am Spieltisch nicht auf die Atmosphäre einlässt oder das Gefühl heranschleichenden Unwohlseins direkt mit einem Witz abbaut, tut sich selbst und seinen Mitspielern keinen Gefallen. Damit alle Spaß am Gruseln haben, müssen alle mithelfen. Dann verstärkt sich der Schrecken in der Spielrunde von ganz allein.

Ich wünsche viel Spaß bei Halloween! Was sind eure Horror-RPG Tipps? In welchem Abenteuer am Spieltisch habt ihr euch so richtig gegruselt? Schreibt es mir in die Kommentare.

Artikelbilder: Genannte Verlage und Produzenten

Banner_Geister

Wir stel­len den Okto­ber 2015 unter das Ober­thema „Geis­ter, Wie­der­gän­ger und ande­res Gesin­del“. Dabei rich­ten wir unser Augen­merk auf alles, was gru­se­lig, vol­ler Spuk und umheim­li­cher Dinge ist. Viele Bei­träge wer­den sich um das Thema dre­hen. Alle Arti­kel des The­me­mo­nats fin­det ihr mit einem Klick auf das Ban­ner. Ihr habt einen eige­nen Blog oder eine ver­gleich­bare Platt­form im Inter­net und wollt euch betei­li­gen mit Arti­keln zu dem Thema? Dann weist uns bitte kurz mit einer E-Mail an kontakt@teilzeithelden.de auf euren Bei­trag hin. Wir ver­lin­ken die­sen dann im Abschlussbeitrag.

 

6 Kommentare

  1. Wollt ihr nicht noch erwähnen, dass es Kleine Ängste auch auf Deutsch bei Feder&Schwert gibt, sogar fett überarbeitet und gerade erst auf 20€ runtergesetzt? =)

  2. Von welchen Rollenspielen stammen die Cover auf dem Titelbild. Das ganze Links müsste ein Ausschnitt des Dreadcovers sein. Aber speziell der Ausschnitt der Illustration ganz rechts spricht mich irgendwie an… von daher würde mich da eine gezielte Aufschlüsselung gerade unglaublich interessieren.

  3. Schöner Artikel, da ist durchaus das ein oder andere interessante dabei.
    Was noch gut dazu passen würde, wäre „Ten Candles“: http://cavalrygames.com/ten-candles
    Ein Spielabend lässt sich relativ schnell ohne große Vorbereitung starten, und durch die zunehmende Dunkelheit und den teils ritualhaften Charakter kann sich das Horrorelement richtig gut entwickeln.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein