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170 LARP-Events in 20 Jahren. Diese beiden Zahlen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Damit zählt das Twilight-Team mit Abstand zu den wohl erfahrensten Orgas im deutschsprachigen Raum und vermutlich auch in Europa. Mit Fantasy, Endzeit und Zombie-Survival haben Mercedes und Oliver, die führenden Gesichter hinter dem Twilight-Team, einen reichen Erfahrungsschatz in verschiedenen Settings. In einer ihrer beiden Haus- und Hof-Locations, dem Alten Fort in Köln, nahmen sie sich für die Teilzeithelden etwas Zeit, um über ihre Erlebnisse der letzten 20 Jahre zu plaudern und auch einen Blick in die LARP-Zukunft zu riskieren.

Mercedes
Mercedes

Mer­ce­des Buyala stu­dierte zunächst Medi­zin in Bonn, um sich dann als Free­lan­cer im Bereich Events & Design selbst­stän­dig zu machen. Seit zwölf Jah­ren ist sie gemein­sam mit Oli­ver Geschäfts­füh­re­rin der Agen­tur ZEIT­GEIST. Außer ihrer Arbeit als Orga ist sie noch seit vie­len Jah­ren Vor­sit­zende desDeut­schen Live-Rollenspielverbandes.

Oliver
Oliver

Oli­ver Hom­bach stu­dierte in Bonn Ger­ma­nis­tik und Anglis­tik. Er begeis­terte sich schon früh für Pen&Paper-Rollenspiele und über­setzte Dungeons&Dragons–Regel­werke ins Deut­sche, damit auch alle in der Gruppe mit­spie­len konn­ten. Fan­tasy war schon immer seine große Lei­den­schaft. Gemein­sam mit Mer­ce­des führt er heute die Agen­tur ZEIT­GEIST.

 

 


Interview

Heute

Teilzeithelden: Wie kommt man nach 20 Jahren eigentlich noch auf neue Geschichten?

Oliver: Das geht erstaunlich gut. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass sich mit der Zeit Wiederholung nicht vermeiden lassen. Zumal viele Grundideen schon einmal da waren. Aber man kann es besser machen und das treibt mich an.

Teilzeithelden: Aber es ist ja nicht nur das „Bessermachen“.

Oliver: Nein, keine Frage. Was ich brauche, ist ein Funken von einem Setting. Ein Bild. Und aus diesem Bild, das ich habe, forme ich die Geschichte. Nehmen wir zum Beispiel unsere Herbstreihe Into the Woods, die Idee dafür kam mir, ganz banal, bei einem herbstlichen Waldspaziergang. Zack, da hatte ich ein Bild und schon ging das Kopfkino los.

Mercedes: Was jetzt aber so schöngeistig und kreativ klingt, bedeutet auch Disziplin und Ordnung.

Oliver: Ich habe mir da einen Rat von Margaret Weis, Autorin vom Drachenlanze-Zyklus, zu Herzen genommen. Vor einem Con zwinge ich mich dazu, jeden Morgen drei Stunden Plot zu schreiben. So schreibt sie nämlich ihre Romane, wie sie mir einmal im persönlichen Gespräch erzählte.

Teilzeithelden: Wenn ihr auf die letzten Jahre zurückblickt, würdet ihr sagen, die Szene ist kommerzieller geworden?

Mercedes: Ja und nein. Kommerzielle Ansätze gab es schon immer. Nehmen wir zum Beispiel die ersten Regelwerke. Der Gedanke hinter dem Rüstpunktsystem war zum Beispiel kommerziell getrieben, weil man damit den Verkauf von Rüstungen fördern wollte. Kommerzialität fällt nur stärker auf, weil es dank der vielen Spieler auch viel mehr Anbieter für das Hobby gibt. Was sich aber tatsächlich stark verändert hat, ist die Anspruchshaltung vieler Spieler.

Teilzeithelden: Kannst Du das genauer erläutern, was meinst Du mit Anspruchshaltung?

Mercedes: Die Ansprüche an eine Orga sind erheblich gestiegen, da viele Spieler eine Orga nicht mehr als Hobbyisten, sondern Dienstleister wahrnehmen. Das mag sicherlich bei den großen kommerziellen Orgas der Fall sein und auch die nicht-kommerziellen wollen gute Gastgeber sein. Aber manchmal nimmt das groteske Züge an.

Teilzeithelden: Könnt ihr das an einem Beispiel verdeutlichen?

Oliver: Ein Klassiker, der immer wieder geschieht, ist der kranke Spieler, der auf dem Zimmer liegt. Das ist natürlich nicht schön und wenn wir helfen können, werden wir das gerne machen. Aber wenn dann der Kumpel kommt und uns fragt, ob wir seinem kranken Freund nicht Essen ans Bett bringen können und noch bitte auf seine Laktoseunverträglichkeit achtgeben, dann sind für uns Grenzen erreicht.

Mercedes: Das beschreibt es wirklich gut und es passiert fast auf jeder Con. Ich rate dann in der Regel dazu, dem Freund doch selber was zu bringen, da er sich auch sicher über ein bisschen Besuch von Freunden freut, wenn er schon krank ist. Meist klappt das, aber ich ernte auch schon mal verständnislose Blicke.

Teilzeithelden: Da steht definitiv der Dienstleistungsgedanke als Anspruch ganz vorn. Kann man da nicht schon von einer Konsumhaltung sprechen?

Mercedes: Ja, das hat man in den letzten Jahren immer deutlicher gemerkt. Viele LARPer wollen konsumieren. Es beginnt allein schon damit, dass es immer schwieriger wird NSCs zu finden. Wir sind zwar in der glücklichen Situation, einen sehr motivierten und konstanten Stamm zu haben, aber auch wir spüren das. Kleinere oder nicht so etablierte Orgas stellt das vor große Schwierigkeiten. Darüber hinaus, habe ich auch den Eindruck, dass es in manchen Regionen immer weniger Orgas gibt und die, die es gibt, vermehrt auf Einladungs-Cons setzen. So wie früher.

Teilzeithelden: Wenn dieser Trend anhält, sind wir dann nicht irgendwann wieder bei den elitären Kreisen wie vor 15 oder 20 Jahren?

Mercedes: Nein, die Gefahr sehe ich nicht. Dafür hat die Community eine kritische Masse überschritten. Wenn ich mich irgendwo nicht willkommen fühle oder gar nicht erst zugelassen werde, kann ich woanders hin. Es wird also eher zu einer Diversifizierung kommen. Das deckt sich aber durchaus mit dem Konsumgedanken. Die Anforderungen an eine Orga, keine Einladungs-Cons bzw. Cons einer bestimmten Größenordnung organisiert, werden sich in den kommenden Jahren sicherlich verändern und man wird nicht drumherum kommen, sich noch mehr zu professionalisieren, um Spieler zu gewinnen. Das gilt auch für Teammitglieder und NSC. Es reicht heute zum Beispiel manchmal nicht mehr, einem NSC günstige Teilnehmerbeiträge zu bieten, hier muss ich neue Wege finden. Wir zum Beispiel ermöglichen den NSC ihre Rollen im Vorfeld aktiv mitzugestalten, andere Orgas spendieren kleinere oder größere Goodies.

Aber auch die Spieler müssen hoffen, dass genügend Orgas Lust darauf haben, sich ehrenamtlich, unter Aufopferung ihrer Freizeit diesem Druck zu stellen und vielleicht auch entsprechende Dankbarkeit für diese Leistung zu zeigen – sonst wird es keine kleinen Cons mehr geben. Das sollte man sich bei all seinen Ansprüchen immer wieder vor Augen halten.

Morgen

Teilzeithelden: Wenn wir schon bei Trends sind. Wo geht die Reise der LARP-Community hin?

Mercedes: Ich glaube, die Szene wird sich weiter diversifizieren und auch kommerzialisieren. Es wird sicher auch in 20 Jahren noch LARP geben, wie wir sie heute kennen. Aber ich denke, anteilig an der gesamten Community wird es weniger werden. Das kann man heute schon beobachten: Mit den Escape Rooms, die gerade wirklich sprießen, erschließen sich neue Zielgruppen und aus Live Action Roleplay wird Live Action Gaming. Auch die geplanten Themenpark in den USA und China mit LARP-Elementen schlagen in diese Kerbe (Anm. d. Red.: Disney plant unter anderem interaktive Star Wars-Parks). Werde Teil eines fiktionalen Universums mit großartigen Kulissen, bezahlten Schauspielern und allem Drum und Dran. Ich sehe da ein ganz großes Potential für die Zukunft.

Oliver: Nicht zu vergessen die rasante Entwicklung im Bereich der virtuellen Realität. Hier werde ich bald, ganz gemütlich von zu Hause aus, zu jeder Tages- und Nachtzeit, in eine fiktive Welt eintauchen und mit Spielern auf der ganzen Welt Abenteuer erleben können. Man wird Dinge darstellen können, die in der Realität nicht möglich sind oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand. Aber auch ich glaube, LARP wird sich weiter halten. Es ist haptisch und persönlich, so schnell wird man diese beiden Dinge nicht ersetzten können.

Teilzeithelden: Also werden wir uns auch in 20 Jahren hier zu einem Interview über 40 Jahre Twilight-Team wiedersehen?

Oliver: (lacht) So weit planen wir nicht. Wir planen gerade mal zwei bis höchstens drei Cons im Voraus. Wie oft saß einer von uns schon nach einer Con da und hat sich geschworen: „Nach der nächsten ist Schluss“.

Teilzeithelden: Glücklicherweise habt ihr das nicht wahr gemacht. Was hat euch davon abgehalten?

Mercedes: Wir waren nie gleichzeitig in so einer Phase und haben uns dadurch immer gegenseitig motiviert weiter zu machen. Aber wir haben auch gelernt von Con zu Con zu denken, um uns Druck zu nehmen. Motivierend sind aber auch die schönen Momente, für die man das macht.

Teilzeithelden: In 20 Jahren kommen da sicher einige solcher Momente zusammen. Sind euch da welche in besonderer Erinnerung geblieben?

Mercedes: Oh eine ganze Menge sogar. Viele Spieler haben schon als Jugendliche bei uns gespielt und wir haben sie quasi aufwachsen und sich entwickeln sehen. Darunter waren auch Spieler, die ihren Partner bei uns kennengelernt haben und nun als Familie zu uns kommen. Das macht einen schon auch irgendwie stolz, Teil davon zu sein.

Oliver: Das sind die Momente die jeden Stress und Ärger wettmachen. Auf unseren Veranstaltungen haben schon die ein oder anderen Menschen zueinander gefunden und dass wir da sozusagen beigetragen haben, ist schon cool. Aber es gab auch andere krasse Momente, zum Beispiel das Päckchen mit der Magnum Flasche Moët & Chandon.

Mercedes: Du musst Dir mal vorstellen. Da schenkt Dir einer eine Flasche Champagner, die mehr gekostet hat als der ganze Conbeitrag, nur um danke zu sagen. Also kann das wohl nicht ganz schlecht sein, was wir machen.

Oliver: Was uns wieder und wieder motiviert und begeistert ist, dass wir Menschen emotional bewegen und mitnehmen. Uns ist es wichtig, dass wir spüren, dass die Spieler tief in der Geschichte sind und Emotionen erleben. Wir nehmen die Spieler auf eine emotionale Reise mit: Wenn sie in liebevoll dekorierten Räumen spielen, die Geschichte durch NSC-Charaktere erleben oder der Moment, wenn ein Ruck durch die Schlachtreihe geht, begleitet von Musik und Effekten.

Teilzeithelden: Wenn ich schon keinen Termin in 20 Jahren abmachen darf, so ein bisschen Zukunftsgedanken habt ihr sicher trotzdem. Was würde euch reizen?

Mercedes: Na ja, da gibt es durchaus etwas. Aber ich will nicht zu viel verraten, vielleicht setze ich das tatsächlich doch mal um. Ich würde gerne Spieler viel öfter an ihre Grenzen bringen. Ab und wann versuchen wir das schon, aber bei der heterogenen Spielerschaft unserer Cons ist das sehr schwierig.

Aber ganz grob gesagt: Stell Dir vor, du fährst auf eine gewöhnliche Fantasy-Abenteuercon und plötzlich wird das Ganze zu einem Horror-Survival-Szenario, in dem die Grenzen von Spiel und Realität verschwimmen.

Teilzeithelden: Das klingt sehr spannend. Warum habt ihr das noch nicht ausprobiert?

Oliver: Auf unserer ersten Zombie Attack hatten wir so Ansätze. Die Spieler haben nach der Anmeldung einen schwarzen Umschlag bekommen, den sie erst kurz vor Abfahrt zur Con öffnen sollten. Der Umschlag enthielt genaue Anweisungen, was zu tun ist. Hinzu kamen noch Videos, ein Facebook-Account und eine fingierte Internetseite mit Intime-Infos. So konnte man sich bereits im Vorfeld einstimmen und auch die Anfahrt war bereits Intime. In der Umsetzung hat das gemischt funktioniert, weil Spieler so etwas nicht gewohnt waren. Aber die, die es angenommen hatten, haben uns danach nur positives berichtet.

Mercedes: So ein Konzept hat sowohl organisatorische und logistische Finessen, benötigt aber auch eine Spielerschaft, die sich voll auf so was einlässt. Mal sehen, vielleicht machen wir es ja doch irgendwann.

Teilzeithelden: Langsam trudeln hier die ersten Spieler ein und ihr müsst mit der Taverne loslegen. Daher habe ich nur noch eine abschließende Frage: Wenn ihr einen Wunsch an die Community hättet, der euch erfüllt würde, welcher wäre das?

Mercedes: Das kann ich dir sogar aus dem Stand beantworten. Ich würde mir wünschen, dass die Szene sorgsamer mit sich umgeht. Manchmal mangelt es am respektvollen Miteinander, gerade Anfänger haben es wieder so schwer wie früher. Aber nicht, weil es schwer ist auf eine Con zu kommen oder in eine Gruppe, sondern weil sie wegen ihren Konzepten oder Gewandungen regelrecht gedisst werden. Hier wäre es schön, wenn mehr Leute sich bemühen würden zu beraten und zu unterstützen. Natürlich gibt es da auch beratungsresistente Fälle, allerdings reguliert sich die Szene auf dem LARP da selbst ganz gut. Aber auch erfahrene Spieler gehen untereinander manchmal seltsam mit sich um und das führt zu Blüten wie „Mein LARP ist besser als dein LARP“.

Kurzum: Mehr Miteinander, auch oder gerade im Konfliktspiel, statt ein Gegeneinander wäre schön.

Oliver: Dem kann ich nichts hinzufügen.

Teilzeithelden: Dann bedanke ich mich vielmals für eure Zeit und freue mich auf die nächsten 20 Jahre mit dem Twilight-Team.

Artikelbilder: (c) Nabil Hanano & Twilight-Team 1995-2015

 

2 Kommentare

  1. Schönes Interview! Herzlichen Glückwunsch ans Twilight-Team zum Jubiläum. Ich gehöre zu den Spielern, die die Cons von Mercedes und Oliver schon in den frühen Jahren besucht haben. Seitdem waren wir als Gruppe nahezu jedes Jahr einmal als Spieler zu Gast. Die Fantasy-Cons versprühen für mich den Charme der klassischen D&D-Abenteuer und haben das gewisse Retro-Flair. Spezialeffekte, Soundbeschallung und Kulissen sind immer wieder eine echte Show.

    Was man auf jeden Fall hervorheben sollte, ist die Einsteiger-Freundlichkeit von Twilight. Einige Edel-Larper mögen über das Gewandungsniveau einiger Neulinge die Nase rümpfen. Aber die im Vergleich zu vielen Einladungs-Cons geringe Einstiegshürde hat ganz sicher vielen Spielern das Kennenlernen dieses tollen Hobbys ermöglicht. In diesem Sinne: weiter so, Twilight!

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