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Um fair zu sein und es gleich zu Beginn aus dem Weg zu räumen, kann Spielziel im LARP so ziemlich alles sein. Es kann vom Lösen von Rätseln über Charakterinteraktion, Darstellung einer konsistenten Welt bis hin zum Ausleben der eigenen Stärken und Schwächen gehen. Die Belohnung für unser Handeln ist, dass wir uns gut fühlen und Spaß haben, auf dem LARP. Ich möchte euch mit diesem Artikel eines dieser Spielziele einmal genauer beleuchten. Hierbei ist mir nicht wichtig, zu sagen, dieses Spielziel wäre besser oder schlechter als andere.

Ein gutes Spielziel ist, was euch selbst Spaß bringt. Nein, dieser Artikel ist dazu da, euch vielleicht einmal etwas über euren Horizont hinausblicken zu lassen und mehr zu entdecken. Vielleicht findet der eine heraus, dass ihm das nicht gefällt. Das ist okay. Vielleicht findet der andere heraus, dass es ihm gefällt. Das ist auch okay. Sinnig ist nur, zu wissen, was einem gefällt und was nicht. Denn nur dann können wir danach suchen und dem, was uns nicht gefällt, aus dem Weg gehen, oder damit umgehen. Doch fangen wir erst einmal mit einem Versuch einer Definition an. Was ist eigentlich diese ominöse „Screentime“?

Begriffserklärungen

„Screentime“ kommt aus dem Film-/Serien-Umfeld und bezeichnet die Zeit, die eine bestimmte Rolle aktiv auf dem Bildschirm oder der Leinwand zu sehen ist. Übertragen ins LARP ist Screentime also die Aufmerksamkeit, die wir durch unsere Aktionen auf uns ziehen. Als Beispiel wären hier also coole Aktionen zu nennen, an die sich andere noch erinnern, die aber auch uns im Gedächtnis bleiben.

Der Typ, der heldenhaft gegen den Lich gekämpft hat in „Vergessene Krieger 13“? Klar kann ich mich daran noch erinnern. Epischer Kampf! Das eine Mal, als das eine Mädel den Hauptmann vor versammelter Mannschaft zur Sau gebrüllt hat? Good times! Die Hochzeit damals auf dieser Diplomatencon? Herzerweichend schön. Solche Beispiele kennen wir wohl alle, und viele, wenn nicht die meisten von uns wünschen sich insgeheim ein Stück weit diese Aufmerksamkeit.

Hier empfinde ich auch den von vielen LARPern benutzten und ebenfalls aus dem Film entliehenen Begriff der „Szene“ als mehr oder minder abgegrenzten kurzen Handlungsabschnitt an einem Ort als treffend. Auch wenn LARP im Gegensatz zum Medium Film oftmals keine wirklich klaren Abgrenzungen von Szenen zulässt, da alles fließend ineinander übergeht, ist der Begriff dennoch im Bewusstsein der meisten verankert.

Wir hatten mit diesem oder jenem tolle Spielszenen, wir haben ihm seine Szene gelassen und wir können uns an mehrere Szenen erinnern. Daher ist auch hier also die Szene als Begriff verwendbar und bezeichnet den begrenzten Zeitraum, in dem jemand seine Screentime hat.

LARPer sind Selbstdarsteller und (un-)freiwillige Helden

Wenn Du ein Goblin bist, mußt Du nicht nach vorne treten, um ein Held zu sein – es reicht, wenn alle anderen einen Schritt zurück machen!“

Biggum Flodrot – Goblinveteran
(Flavortext der Magic: The Gathering-Karte „Held der Goblins“)

Ähnlich verhält es sich auch mit der Screentime im LARP. Da ein LARP durch alle Anwesenden geprägt wird, ist es nicht immer nötig, sich selbst Screentime aktiv zu suchen. Oftmals reicht es, wenn alle anderen schneller als du sind, und sich dieser entziehen um dich als einzige Option übrig zu lassen, etwas zu tun. So wird dir eine Screentime aufgedrängt, für die man dann aber eventuell nicht bereit ist oder die man, im schlimmsten Fall, nicht mal wollte.

Denn nicht nur die Umstände geben einem Screentime sondern auch und vor allem die eigenen Fähigkeiten, sich zu präsentieren und die gestellte Situation zu meistern. Das können beispielsweise, wie beim obengenannten Kampf gegen einen Lich, kämpferische Fähigkeiten sein. Das können aber auch schauspielerische oder ganz andere sein. Das alles hängt von der konkreten Situation ab, in der man sich befindet.

Daraus lässt sich natürlich schlussfolgern, dass man sich, wenn man Screentime möchte, diese in dem Feld sucht, in dem man am ehesten brillieren kann. Wenn man gut mit dem Schwert aber schlecht mit der Zunge ist, ist eine motivierende Rede wohl nicht das geeignete Mittel der Wahl, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und im Rampenlicht zu glänzen. Einmal mehr zeigt sich hier also meine Forderung nach mehr Selbstreflektion der LARPenden bestätigt. Wenn man mehr über sich, seine eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten weiß, kann man sich die für sich passende Screentime besser suchen und damit auch bessere Erlebnisse für die „Zuschauer“ erwirken.

LARPer sind Selbstdarsteller und zu einem nicht geringen Teil Rampensäue. Sie wollen im Scheinwerferlicht stehen und genießen diese Aufmerksamkeit. Das ist auch kein Problem, immerhin befindet man sich auf LARP da ja in guter Gesellschaft. Dies gilt allerdings nur solange, wie man auch anderen ihre Screentime zugesteht und ihnen damit die Aufmerksamkeit zukommen lässt, die sie haben wollen. Denn wir wollen ja nicht nur selbst im Mittelpunkt stehen, wir wollen auch andere schöne Geschichten sehen und erleben.

Let’s get the drama started

Weiter oben ging ich auf die unfreiwilligen Helden genauer ein, die sich nicht selbst dazu entschließen, sich Screentime zu nehmen, sondern denen sie aufgezwängt wird. Dies kann gut funktionieren, wenn man sich selbst unterschätzt oder schüchtern ist und so dazu gebracht wird, sein Potential zu entfalten. Auf Dauer sollte das aber nicht der Lösungsweg sein, wenn man Screentime möchte. Dann sollte man sich selbst diese suchen und aktiv starten. Der Hauptpunkt hier ist Eskalation. Auf dem Broken Crown spricht heute noch jeder vom Table-Flip des Fürsten Leonhart, als dessen Spieler den Charakter einfach ausrasten hat lassen und die gesamte diplomatische Versammlung gesprengt hat.

Er hat sich in diesem Moment die Screentime einfach genommen und eine Szene gestartet, die Leuten im Gedächtnis geblieben ist. Ähnliches sieht man auch immer wieder auf Großcons wie dem ConQuest. Die Leute, die aktiv sind und sich Screentime suchen, bekommen diese auch. Sie warten nicht darauf, dass die Screentime zu ihnen kommt. Sie wollen etwas bewegen, also suchen sie sich die Möglichkeiten dazu oder schaffen sie sogar selbst.

Und genau das ist etwas, das ich euch mit diesem Artikel sagen möchte. Wenn ihr Screentime haben wollt, dann fangt verdammt nochmal an, sie euch zu schaffen. Eskaliert (was nicht immer negativ gemeint ist) und schmiedet Pläne, die ihr dann bitte auch in die Tat umsetzt(!). Sagt nicht, ihr seid zu unwichtig. Wenn ihr Aufmerksamkeit wünscht, holt sie euch! Ihr könnt darauf warten, dass andere euch Screentime verschaffen, aber dann dürft ihr auch nicht meckern, wenn ihr keine bekommt. Nein, ihr seid selbst dafür verantwortlich, euch diese Screentime zu suchen.

Und gewährt diese Screentime auch anderen. Wenn ihr sie anderen gewährt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass andere sie euch gewähren. Genießt ab und an einfach die Show und lehnt euch zurück, um andernorts dann mit frischer Kraft erneut in eine starke Szene einzusteigen.

Mehr von euch bringt mehr für euch

Geht als Spieler weg von dem Gedanken, dass euer Charakter als „Gewinner“ aus einer Szene herausgehen muss. Das Spielziel hier ist die Screentime und das damit verbundene intensive Spiel und die geile Szene. Dafür muss man das Duell nicht gewinnen. An den Hauptmann, der zusammengeschrien wurde, wird sich genauso erinnert wie an das Mädel, das es getan hat. Es gibt beim LARP keine Gewinner oder Verlierer von Szenen. Der einzige Gewinn, den man hat, ist wenn man selbst und die anderen Spaß haben. Der einzige Verlust ist dann, wenn die Anwesenden keinen Spaß haben. Oft muss man sich dazu von seiner Erwartungshaltung, was mit seinem Charakter passieren soll, loslösen.

Und ja, damit geben wir unseren Mitspielern ein Stück weit Macht über unseren Charakter. Aber soweit sollten wir ihnen auch vertrauen können, denn sie geben diese Macht im Umkehrschluss auch uns. Je mehr Leute sich an diese Grundsätze halten, umso spannenderes und schöneres Spiel mit umso mehr Screentime für alle wird sich ergeben. Wenn jeder darauf hinarbeitet ein paar äußerst coole Szenen zu generieren, dann wird sich auch die Anzahl an coolen Szenen auf einem LARP, die wir beobachten oder mitgestalten dürfen, vervielfachen. Dann könnte es solchen Problemen wie dem Samstag-Nachmittagsloch vorbeugen und diese stattdessen mit Awesomeness füllen. Dann entwickelt sich ein LARP weg von einer 08/15-Standard-Kost hin zu einem Blockbuster-Movie, bei dem sich eine intensive Szene an die nächste reiht. Doch dafür müssen wir halt selbst das Rad erst mal ins Rollen bringen.

Und daher schließe ich erneut mit meinem Satz: Frage nicht, was dein LARP für dich tun kann, sondern …

Artikelbild: Nabil Hanano, Drachenfest 2015

 

4 Kommentare

  1. Ich kann nur begrenzt zustimmen. Gut, ich bin Neuling auf dem Gebiet, also korrigiert mich ruhig, wenn ich mich irre, aber Screentime gibts nur für recht wenig Charaktere.
    Wenn ein Offizier seine Soldaten mit einer zündenden Rede auf den Kampf einschwört; ein kleiner Wasserträger durchdreht und den König abmurkst oder jemand spektakulär verurteilt wird/selber verurteilt, dann sind das außergewöhnliche Aktionen. Die stechen gerade deshalb heraus. Sprich: Machen es viele, verliert es völlig den Witz. Was bringen zündene, emotionale Reden, wenn die ständig gehalten werden? Was bringt mir das Ausrastenlassen meines Charakteres, wenn das alle machen?
    Natürlich nichts.

    Also können solche epischen Aktionen, die einem die genannte Screentime verschaffen, nur von einigen wenigen gemacht werden. Eben wie im Film, da gibts ja auch wenige Hauptdarsteller und eine Menge Statisten.

    Wenn man jetzt aber Screentime zum Spielziel erhebt, dann wird man sich u.U. schnell gefrustet fühlen, weil man solche Momente nur selten erleben kann. Jedenfalls dann wenn sie auch ihre Bedeutung behalten sollen.

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