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Nach einiger Literatur aus dem Bereich der Science-Fiction, wie zum Beispiel Das Schiff, war mal wieder klassische Fantasy an der Reihe für eine Rezension. Ein eher unbekanntes Buch sollte es sein, aus hierzulande weniger bekannter Hand. Die Wahl fiel auf Das Haus des Hirschs, das sich als durchaus ungewöhnliche, aber vor allem schwer zugängliche Lektüre entpuppte.

Story

Zu Beginn des Buches findet ein junges Paar des überaus friedliebenden Volkes der Yendri ein Baby in der Wildnis und beschließt, den Jungen gemeinsam mit dem eigenen Sohn aufzuziehen. Gard, wie sie den Jungen nennen, ist ein Halbdämon, wodurch er mehr Wut und Gewaltbereitschaft in sich trägt als die Yendri.

Eine Weile hält er seine Gefühle unter Kontrolle, bis mysteriöse Reiter brutal über die Yendri herfallen, diese vertreiben oder versklaven. Doch wo die Yendri sich verstecken und Trost bei einem spirituellen Anführer und Propheten finden, beginnt Gard einen Guerillakampf. Dabei kommt durch seine Schuld sein Ziehbruder ums Leben und Gard wird verbannt. Seine weitere Reise führt ihn in die Sklaverei machtvoller Magier, wo er erst zum Gladiator ausgebildet wird, dann selbst die Kunst der Zauberei erlernt, sich Feinde macht und neue Freunde gewinnt. Doch damit ist seine Wanderung noch nicht abgeschlossen …

Gard durchlebt zahlreiche Situationen, die teilweise willkürlich eingefügt wirken und den Spannungsbogen immer wieder unterbrechen. Einige reißen Handlungen und Figuren an, die nicht wieder aufgegriffen werden und die Geschichte an sich nicht weiter vorwärts treiben. Ein Teil der Ideen ist frisch und ungewöhnlich, andere entsprechen den Erwartungen eines erfahrenen Lesers, weitere verwirren einfach nur.

Ebenso irritierend ist die Entwicklung einiger Figuren. So wird beispielsweise eine Figur am Ende als einer von Gards Erzfeinden bezeichnet; zwar ist die Figur als Kontrahent Gards angelegt und aufgetreten, es ist jedoch nicht nachvollziehbar, wie er plötzlich zum Erzfeind wurde. Auch zum Titel bleiben am Ende Fragen. Zwar hat Gard immer wieder Träume, in denen ein Hirsch auftritt, den er auch im Verlauf der Geschichte als Wappen führt, doch was es mit dem Tier auf sich hat, bleibt unverständlich.

Mich persönlich hat die Liebesgeschichte im hinteren Teil des Buchs am meisten gestört, die sich innerhalb einer Nacht von einem Missbrauch zu der beidseitig größten Liebe des Lebens entwickelt, ohne dass dieser Prozess für den Leser nachvollziehbar wäre.

Schreibstil

Baker verwendet Sprache sehr präzise, ihr entspannter Stil ließe sich, von den Einschüben in die Story abgesehen, recht flüssig lesen, ist abseits der Handlungen jedoch sehr beschreibungsarm. Baker erspart dem Leser die langatmigen, ausufernden Welt- und Settingbeschreibungen einiger Autoren, vieles bleibt aber bis zum Ende der Fantasie des Lesers überlassen oder wird höchstens angedeutet. In Kombination mit der phasenweise konfusen und unzusammenhängend wirkenden Geschichte ist das leider wenig hilfreich und der Leser wird immer wieder ratlos zurückgelassen. Selbst die doch sehr wichtigen Dämonen sind am Ende immer noch nicht ausreichend in den Fokus gerückt worden. Ihr Herkunftsort ist ebenso unklar wie das meiste andere außer ihrem Aussehen.

Auch viele Ereignisse geschehen gefühlt sehr plötzlich und ohne Anlass, da für den Leser Grund und Motivation oft völlig unklar bleiben. Das beste Beispiel sind die Reiter, die zu Beginn überaus brutal die Yendri überfallen und versklaven, aber keinerlei erkennbaren Antrieb dafür haben.

Gard selbst wird einem im Verlauf des Buches nie sympathisch, der gesamte Schreibstil macht es schwer, überhaupt Gefühle für ihn zu entwickeln. Er wird stark von außen betrachtet, auch seine eigenen Emotionen werden sehr faktisch genannt, was Mitfühlen nicht erleichtert. Dazu ist Gard in allem außerordentlich gut, was er macht. Er ist ein grandioser Kämpfer, magisch hochbegabt, ein Ausnahme-Schauspieler, ein guter, zuverlässiger Freund, ein toller Liebhaber und so weiter. An einigen Stellen könnte man ihm soziale Defizite unterstellen, aber keiner dieser Punkte wird genutzt, die Figur plastischer und dadurch authentischer oder sogar liebenswerter zu machen. Gard verändert sich im Lauf des Buchs vorwiegend in seinen Fähigkeiten, sprich, er wird besser, aber an einigen Stellen scheint sich die Figur auch innerlich zu verändern. Der Leser kann an diesem Prozess jedoch nicht teilhaben und auch Gards Motivation nicht immer nachvollziehen.

Das Buch begleitet nicht nur den Halbdämon, sondern auch immer wieder einzelne andere Figuren. Einige von ihnen sind sehr zentral, wie die sogenannte Heilige, die junge spirituelle Führerin der Yendri. Andere dagegen sind reine Randfiguren, die kurz angerissen werden und dann ebenso rasch wieder verschwinden. Für sie gilt dasselbe wie für Gard: sie bleiben immer relativ eindimensional. Sie haben ein paar wenige entscheidende Charaktereigenschaften, bekommen aber nie die Chance, plastischer zu werden. Eine böse Figur ist immer böse, eine tragische immer tragisch und so weiter.

Preis-/Leistungsverhältnis

Für 13,99 EUR gibt 536 eng bedruckte Seiten. Eigentlich ist der Preis für ein Taschenbuch dieses Umfangs im üblichen Bereich, aber aufgrund der großen inhaltlichen Schwächen ist das Geld anderweitig besser investiert. Als E-Book ist das Werk nicht erhältlich.

Erscheinungsbild

Das Cover zeigt eine dunkle Männersilhouette mit leuchtenden Augen und einem teilweise abgebrochenen Hirschgeweih vor einer unregelmäßig roten und dunkelblauen Landschaft und einem stilisierten Sternenhimmel. Der Name der Autorin geht etwas unter, doch die bedrohliche Stimmung des Covers passt ansonsten gut zum Buch.

Innen überzeugt die optische Qualität allerdings weniger, die Schrift ist relativ klein und die Seiten sind vollgequetscht, der letzte Text des Romans steht sogar auf dem Vorsatzpapier. Dazu hat das Korrektorat sehr wechselhaft gearbeitet. Phasenweise häufen sich Fehler in Rechtschreibung und Interpunktion. Das wirkt, als ließe sich die Konzentrationsspanne des Korrektors anhand der Aussetzer direkt nachverfolgen.

Das Buch hat fünf Kapitel mit einzelnen Unterabschnitten. Ein Inhaltsverzeichnis, das die Navigation in dem Buch etwas erleichtern würde, fehlt.

Die Kalifornierin Kage Baker ist in Deutschland weitestgehend unbekannt, wohl auch, weil nur ein kleiner Teil ihrer Bücher ins Deutsche übersetzt wurde. Sie hat etliche Romane, Erzählungen und Kurzgeschichtensammlungen verfasst, im Ganzen knapp 30 Werke. Die meisten sind um die Zeitreisefirma Dr. Zeus Inc. angeordnet, ein Teil von ihnen ist unter dem Reihentitel Zeitstürme auch auf Deutsch erschienen.

Das Haus des Hirschs ist zu ihrem Spätwerk zu zählen, die Autorin starb 2010 an Krebs. Eigentlich ist es ein Prequel zum Roman Der Amboss der Welt, der ebenfalls in Übersetzung bei Feder&Schwert vorliegt.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Feder&Schwert
  • Autor(en): Kage Baker
  • Erscheinungsjahr: Juli 2012
  • Sprache: Deutsch (Originalsprache: Englisch)
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 536
  • ISBN: 978-3867621199
  • Preis: 13,99 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Es gibt keinen Downloadcontent oder anderweitigen Bonus zu diesem Buch.

Fazit

Mit überaus präzise verwendeter Sprache erzählt die Autorin in Das Haus des Hirschs, wie der Halbdämon Gard sich vom Findelkind eines pazifistischen Volks zu einem Kriegsherrn, Magier und mehr entwickelt. Sie breitet dabei ein sehr klassisches Set-Up der phantastischen Literatur aus. So hat die Hauptfigur etwa neben der geheimnisvollen Abstammung einige genrekonforme Charakteristika wie herausragendes Talent und Begabung in allem.

Darüber hinaus bleibt Gard als Charakter jedoch eher flach und unklar in seinen Motivationen und Gefühlen. Diese werden ausgespart oder so beschrieben, dass es schwer fällt, mit ihm mitzufiebern oder überhaupt einen Bezug zu ihm herzustellen. Auch die anderen Figuren sind oft wenig plastisch. Leider werden dem Leser außerdem zu viele Hintergrundinformationen vorenthalten, so dass die Welt des Buches bis zum Ende ebenso schwer zugänglich wie verständlich bleibt.

Gepaart wird dies mit einer nicht wirklich überzeugenden Buchqualität und einer überaus fragwürdigen Liebesgeschichte. Der sorgfältig eingesetzten Sprache und den teilweise frischen Ideen zum Trotz kann ich Das Haus des Hirschs nicht weiter empfehlen.

Daumen1weiblich

Artikelbild: Feder&Schwert
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

 

1 Kommentar

  1. Witzig. Ich fand das Buch sehr cool und zusammen mit Kage Bakers „Der Amboss der Welt“ genial. Die Vergewaltigung hat mich auch geärgert. Ich fand schon ziemlich fragwürdig, dass die beiden sich hinterher so toll finden …, aber ansonsten hab ich die Bücher echt gern gelesen und mag Bakers Steam-Fantasy-Welt, weil sie so ungewöhnlich ist.

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