Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Die letzte Fahrt der Demeter war das wohl spannendste LARP, auf dem ich seit Langem war, und das, obwohl alle Spieler mit ihrer Anmeldung schon wussten, wie es ausgehen würde. Denn jedem, dem es gelang, einen der heiß begehrten Plätze in der Verlosung zu bekommen, war von vornherein klar: Die Demeter würde mit keiner einzigen lebenden Seele an Bord ihren Zielhafen erreichen…

Spoiler-Alarm: Da für kommendes Frühjahr ein internationaler Re-Run des Szenarios geplant ist, ist allen, die dort teilnehmen werden empfohlen, diesen Artikel mit Vorsicht zu genießen. Harte Spoiler sollten nicht dabei sein – dafür aber einige Details, die womöglich Geschichten und Zusammenhänge verraten.

Organisatorisches

„Log of the ‚Demeter‘ Varna to Whitby“… so fängt der zweite Akt von Bram Stokers Klassiker Dracula an. Ein russischer Schoner setzt von der rumänischen Schwarzmeerküste über nach Whitby in England. Für uns Spieler fing das LARP in Kappeln an der Schlei an, wo wir unsere Kajüten an Bord des Traditions-Schiffes „Pippilotta“ bezogen. Schon gegen 21 Uhr war die Pipilotta auf dem Weg nach Dänemark und unsere Charaktere – dank sehr zügigem Spielstart – irgendwo kurz vor dem Bosporus auf hoher See.

Da der Kapitän der Demeter in Varna Probleme gehabt hatte, seine Mannschaft aufzustocken, durften auf dem Frachter ausnahmsweise ein paar Passagiere mitfahren, die jedoch im Gegenzug mit anpacken mussten. Insgesamt waren die 28 Spieler damit entweder Seeleute oder Gäste, und alle gemeinsam in Segelcrews eingeteilt, die sich abwechselnd um alle Arbeiten an Bord kümmerten. Der Kapitän wurde durch einen Bootsmann der Pippilotta gespielt, was uns die Möglichkeit gab, die Befehlskette auch im Spiel abzubilden. Darüber hinaus gab es noch zwei Nicht-Spieler an Bord, die sich im Navigationsraum versteckten und für Notfälle sowie Hafen-Anfahrten zur Verfügung standen. Die Immersion wurde dadurch aber kaum gestört.

Mit 250 EUR war die Con für einen Viertäger relativ teuer. Dazu kam für Viele die doch recht weite Anreise (für mich waren es circa 900km). Dafür gab es eine einmalige Location mit Einbindung in alle Vorgänge an Bord – vom Reinigen der Kombüse über das Klettern im Klüver-Netz bis hin zum Segel hissen – all das waren Erfahrungen, die alleine für sich schon den Trip wert gewesen wären. Aber nein – wir wollten ja nicht nur Segeln, sondern auch noch Spielen.

Leider gab es genau hier die größten Probleme, denn wir hatten bald eine überraschend hohe Anzahl an Seekranken an Bord. Zwar war die See durchgehend ruhig und wir hatten nur geringe Windstärken. Doch war unsere Demeter trotz ihrer 43 Meter immer noch ein Segelschiff und sobald Freitag Morgen Haupt, Schoner, Besan und Klüver gehisst wurden, ging das große Schwanken und Spucken los.

Tapfer kämpften sich die meisten Betroffenen durch die Übelkeit und versuchten, zumindest auf Deck weiter am Geschehen teilzunehmen. Ein paar jedoch lagen große Teile der Fahrt völlig flach. Diese Entwicklung betraf leider indirekt auch die Gesunden, da große Teile des Plotkonzepts auf die von der Spielleitung vorab entwickelten und sehr detailliert ausgearbeiteten Spieler-Charaktere, sowie deren Verknüpfungen untereinander abzielte. Als hier nun unerwartet Einige ausfielen (noch verschärft durch eine sehr kurzfristige Absage, was man bei nur 28 Teilnehmern schon schmerzlich merkt) fehlte es vielen anderen an sozialer Reibung, gegenseitigem Ansporn oder einfach unterstützender Darstellung.

Doch damit wäre auch schon alles Kritische erwähnt, was ich über die Letzte Fahrt der Demeter sagen kann. Denn alles in allem haben die Veranstalter echt eine Menge Sachen richtig gut gemacht. So gab es zum Beispiel im Vorfeld immer wieder PDFs mit dem „Daily Graph aus Whitby“. Aufgemacht wie eine Tageszeitung fanden wir darin anfangs Tipps zur Gewandung des 19. Jahrhunderts und später kurze Texte zur LARP Philosophie der Veranstalter. Was für Regeln gibt es? Wie werden Konflikte und Kämpfe dargestellt? Was war 1897 schon erfunden und was gab es noch nicht? Wie weit darf das Spiel gehen und wie kann ich deutlich machen, dass mir das Geschehen „zu hart“ wird? All das wurde in kleine Häppchen verpackt verschickt. Das war zum einen sehr informativ und hat zum anderen über mehrere Monate hinweg immer mehr Lust auf die Fahrt gemacht.

Die Reise in den Tod…

Abel Petrovics, der erfolglose Autor
Abel Petrovics, der erfolglose Autor

Das Spiel selbst war in drei Akte unterteilt. Der erste Akt dauerte etwa 16 Stunden und spielte kurz nach Ablegen in Varna. Die Stimmung an Bord war noch recht gut, obwohl es schon bald zu einem ersten mysteriösen Zwischenfall kam. Im zweiten und längsten Akt (ca. 24 Stunden) war eine Woche vergangen und die Demeter ankerte irgendwo vor der spanischen Küste. Hier standen insbesondere die Weiterentwicklung der Charaktere, sowie deren Beziehungen untereinander im Vordergrund. Zugleich ereigneten sich immer mehr unheimliche Zwischenfälle und der in jedem Schatten lauernde Horror ließ sich kaum noch leugnen. Wahnsinn zog in die Gedanken der Passagiere und Mannschaft ein und ließ ihre Entscheidungen und Handlungen immer fragwürdiger werden.

Im finalen dritten Akt kam es schließlich zum großen Showdown. Wie zuvor von den Spielregeln festgelegt, sollten in diesem Akt alle Charaktere ein frühzeitiges Ende finden, da wir kurz davor waren, die englische Küste zu erreichen. Schließlich kann man auch bei Bram Stoker nachlesen, dass man in Whitby keine lebende Seele an Bord vorfand.

Obwohl der Spielraum sehr begrenzt war – was an und für sich schon eine spannende Erfahrung auf einem LARP ist – wurde es langsam schwer, allen Handlungssträngen zu folgen. Aber das war auch gar nicht nötig, um eine Menge Spaß zu haben. Denn ohne Ausnahme war es ein Fest, die Darstellung der in den Wahnsinn abgleitenden Mannschaft & Passagiere zu beobachten. Bei jeder Figur kamen die inneren Dämonen zum Vorschein und so dauerte es nicht lang, bis Blut in Strömen über die Schiffsplanken floss…

Der Kniff mit den getrennten Akten

Natürlich ist eine solche Unterteilung in zeitlich getrennte Akte ein Wagnis für die Spielleitung und auch im Fall der Demeter gab es hier kleinere Defizite. Leider war es in den kurzen Pausen zwischen den Akten nicht möglich, mehr als 3-4 soziale Kontakte weiter zu erzählen. Eigentlich ist es ja ziemlich schwer, große Geheimnisse – wie etwa Liebeleien – über Tage oder Wochen hinweg auf einem Schiff geheim zu halten. Tatsächlich bekam man aber nur die offensichtlichsten Entwicklungen mit und ich selbst hatte leider selbst nach zwei Wochen gemeinsam auf See (was real etwa 24 Stunden entsprach) noch Probleme die Namen und Berufe aller zu kennen.

Trotzdem fand ich persönlich die Sprünge sehr wichtig und auch gelungen, da durch diese die Entwicklung der Charaktere noch deutlicher wurde. Es ist einfach glaubwürdiger, wenn eine Figur innerhalb von 2-3 Wochen dem Wahnsinn verfällt, als binnen 36 Stunden (falls man die Con „am Stück“ gespielt hätte). Eventuell wäre eine OT-Namensliste vorab hilfreich gewesen – schließlich sind wir alle 2-3 Tage nach Ablegen ins Spiel gestartet. Hier hätten wir uns die „Kennenlernphase“ im Spiel sparen können und der Fokus wäre noch stärker auf den finsteren Geheimnissen und düsteren Veränderungen der Figuren gelegen. Aber das ist wirklich Nörgeln auf sehr hohem Niveau.

Die Angst vor der Angst – Kleine Kniffe zum besseren Horror

Gewürzt wurden die allesamt sehr schön vorbereiteten, ordentlich instruierten und sehr liebevoll dargestellten Figuren durch dezente Horror-Momente. Dabei legte die Spielleitung sehr viel Wert auf das „weniger ist mehr“ Konzept. Nichts ist schließlich gruseliger als die eigene Phantasie. Um ein Spoiler-freies Beispiel zu nennen: Ich durfte einen erfolglosen Autor in den Fußspuren Karl Mays darstellen, der von den Personen und Ereignissen an Bord derart inspiriert wurde, dass er bald anfing, seine Gedanken in Form eines neuen Reise-Romans zu Papier zu bringen. Und als dann seine abenteuerlichen Phantasien anfingen, sich zu bewahrheiten, als Unfälle genau so passierten wie er es nur wenige Stunden zuvor beschrieben hatte – dann ist das nicht nur für den Autor selbst sehr gruselig, sondern trägt auch ein wenig zur aktuellen Grundgereiztheit bei (und hat womöglich geholfen, das Ableben meiner Figur drastisch zu beschleunigen).

Auch logistische Probleme wurden von der SL schnell und souverän gelöst. Als wir mitten im dritten Akt wie geplant in Dänemark vor Anker gingen, der Hafenplatz jedoch sehr belebt und hell war, entschied man spontan mit dem Kapitän noch einmal abzulegen, damit das Finale auf offener See passieren konnte, was die Stimmung um ein Vielfaches steigerte.

Verstorbene Spieler durften im dritten Akt als schattenhafte Geister zurückkehren und so endete die Con in einem wunderschönen Moment in finsterster Nacht auf hoher See, als der Kapitän einsam am Steuerrad stand, von den düsteren Echos seiner Mannschaft umgeben… nur noch wenige Meilen von seinem geliebten England entfernt…

Fazit

Eine sehr gute und gelungene Con, die trotz ein wenig Seekrankheit aus zahllosen tollen Momenten, rund um sehr gutem und gegenseitig unterstützendem Spiel sowie einer tollen Prise Horror und viel offener See bestand.

Fotografien: Nabil Hanano | Die letzte Fahrt der Demeter, 2015
Veranstalter:  Operation: Brainfuck

Über den Autor

Fabian GeussAls Ver­an­stal­tungs­lei­ter des Con­Quest hat Fabian Geuß seit den Anfän­gen 2004 maß­geb­lich zu des­sen Ent­wick­lung und Ein­fluss auf das deut­sche LARP beige­tra­gen. Abseits von Mytho­dea ist er seit 1997 begeis­ter­ter Rol­len­spie­ler. Dabei ist er zwar fest im Fantasy-Genre ver­wur­zelt, aber hin und wie­der auch auf Gegen­warts– und Endzeit-Cons zu finden.

 

 

 

6 Kommentare

    • Im Zweifel bei sowas immer mal bei der Orga nachfragen, was möglich ist. Das sind normale Menschen die das für andere machen und nicht, um sich zu bereichern.

      Anfahrt ließe sich mit Mitfahrgelegenheiten lösen (evtl. andere Spieler), das preisliche beispielsweise über eine Ratenzahlung. Manche Orgas wie die des MittelPunkt bieten Preisnachlässe, wenn man vor Ort hilft oder sogar wenn man unter 25 ist. Nächstes Jahr gibt es noch einmal den international Run, vlt schreibst du die Orga einfach mal an, was möglich ist…. Wäre doch auch ein gutes Weihnachtsgeschenk für dich. ;) ^alexander

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein