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Vampire gehören zur Königsklasse der Monster. Sie sind stark, sie sind mächtig und (fast) immer sexy. Nicht umsonst tauchen sie in Filmen, Büchern, Computerspielen und natürlich auch im LARP auf. Ihre geschichtlichen Ursprünge reichen weit zurück und sind auch heute noch der Stoff für zahlreiche Neuinterpretationen des Vampirmythos. Gemeinsam mit Werwölfen, Mumien und Drachen gehören Vampire zu den wenigen Monster, die auch denen bekannt sind, die sich nicht im Fantastik- oder Rollenspielbereich bewegen.

In beinahe allen Darstellungen kommen die Vampire auf den ersten Blick ziemlich gut weg. Sie sehen gut aus, sind wohlhabend und glänzen durch Stil und Gerissenheit oder große Emotionen. Was dabei schnell vergessen wird ist, dass Vampire unter dieser schönen Fassade alles andere als coole Kreaturen sind, denen bloß besondere Gaben in die Wiege gelegt wurden.

Denn tatsächlich machen gerade die unschönen und leicht vergessenen Facetten des Vampirs den Reiz an ihm aus. Es sind seine Nachteile und Schwächen, ohne die er bloß ein übermächtiger Mensch mit ungewöhnlichen Ernährungsbedürfnissen und damit ziemlich langweilig wäre. Um einen Vampir als vielschichtige Figur mit Tiefgang zu erleben, sollte man sich deshalb gerade mit seinen Nachteilen auseinandersetzen. Denn erst diese Makel machen ihn zu jemand ganz Besonderem.

Die Fassade strahlt

Ohne Frage sind die nächtlichen Blutsauger faszinierende Kreaturen. Ob als personifiziertes Böses oder als tragischer Held, Vampire sind irgendwie immer coole Säue. Als Antagonisten sind sie grausamer und intriganter als der normale Durchschnittsgegner, und als Protagonist leiden sie dramatischer und intensiver als ein schnöder Mensch. Für viele spannend ist, dass Vampire sich abseits der menschlichen Regeln bewegen und nicht wie wir durch unzählige Gesetze und menschlichen Verhaltensregeln gebunden sind – wenn sie sich nicht gerade unerkannt unter Sterblichen bewegen wollen. Und auch ihre übernatürlichen Fähigkeiten sind nicht von schlechten Eltern.

Zudem sind Vampire intensiv. Du wirst kaum einem langweiligen Vampir begegnen, sondern fast nur extremen Vertretern ihrer Art. Und diese Intensität ist mitreißend, denn wir sind unglaublich empfänglich für starke Impulse. Selbst durch und durch böse Vampire können deshalb das Publikum faszinieren und uns in ihrer Funktion als Superschurken schaudern lassen.

In den Darstellungen sind Vampire oft von den Zeichen des Erfolgs umgeben. Sie besitzen Schlösser oder moderne Luxusunterkünfte und können auf einige Ressourcen zurückgreifen. Auch das trägt zu einer faszinierenden und coolen Fassade bei, denn Reichtum und Erfolg sind immer begehrenswert.

Unter der Fassade bröckelt es

Hinter dieser intensiven Ausstrahlung sieht es allerdings weitaus weniger glamourös aus. Blickt man hinter die verlockende Fassade aus übermenschlichen Fähigkeiten und Unsterblichkeit, sieht man plötzlich eine gebrochene, armselige Kreatur, die ihren toten Körper durch gestohlenes Blut am Leben hält und sich vor der Welt versteckt.

Ein Vampir zu sein bedeutet mehr, als Blut zu trinken und dafür einen Haufen Sonderfertigkeiten zu erhalten.

Es gibt verschiedene Interpretationen des Vampirs, in denen ihm eine oder mehrere seiner Schwächen genommen wurden. Manchmal gelingt dies, und es entstehen dennoch tiefgründige Charaktere. Sehr oft aber ist das Ergebnis ein Supermensch, bei dem das Gleichgewicht zwischen Vor- und Nachteilen ungünstig verschoben ist.

Willkommen in der Welt der Dunkelheit

Ein Vampir zu werden ist ein traumatischer Schritt. Der Körper stirbt und erwacht zu neuem, untoten Leben. Der Prozess zu sterben und neu zu erwachen ist schmerzhaft und eine Zerreißprobe für Körper und Geist. Dies prägt einen Vampir auf Existenzdauer. Wurde der junge Vampir nicht auf sein neues Leben vorbereitet, sondern einfach so in die Welt der Vampire gestoßen, ist der Schock umso größer.

Und ist diese Wandlung erst überstanden, steht dem jungen Vampir eine Zeit voller krasser Einschnitte bevor. Fast immer gehört dazu eine Trennung von seinem gesamten früheren Leben, die er parallel zu seinem neuen Dasein als Vampir verkraften muss. Die Vorstellung, dem Alltagsleben und der Familie für eine Weile zu entkommen kann sicherlich verlockend sein. Aber sie von jetzt auf gleich und für immer zurückzulassen und nie wieder zu sehen ist doch etwas anderes.

Der Saft des Lebens

Vampire ernähren sich von Blut, das ist bekannt. Aber was bedeutet das im Detail? Ein nie endender Hunger nach Blut, der sich beim Anblick eines entblößten Halses oder dem Geruch eines Menschen regt. Blut zu beschaffen ist nicht einfach, und wenn Not am Mann und der Vampir am Verhungern ist, muss er sehr schnell kreativ werden. Er sieht sich immer mit der Wahl konfrontiert, jagen zu gehen und die Fänge in die Hälse wildfremder Menschen zu schlagen, oder aber zum Beispiel in der Nachtschicht in Krankenhäusern zu arbeiten und heimlich Blutkonserven zu stehlen.

Beides ist keine sonderlich angenehme Vorstellung, aber sich nicht zu ernähren ist auch keine Lösung. Er ist eine permanente Gefahr für die Menschen um sich herum und es macht keinen Unterschied ob sie ihm nahestehen oder nicht. Und je größer der Hunger wird, desto wahrscheinlicher wird er sich auf sein nächstes Opfer stürzen und es austrinken.

Ganz entscheidend an diesem Punkt ist auch die Abhängigkeit des Vampirs von lebenden Kreaturen. Egal, wie mächtig ein Vampir auch ist, wenn er nicht wenigstens Ratten zum Austrinken findet, wird er kläglich zugrunde gehen.

Machtlos bei Tageslicht

Die Sonne ist der natürliche Feind des Vampirs. Trotz all seiner übernatürlichen Fähigkeiten ist er am Tage erschreckend machtlos. Egal, ob ihn das Sonnenlicht nur schwächt oder direkt vernichtet: Während der Vampir in der Nacht jedem Menschen weit überlegen ist, ist er ihm tagsüber relativ schutzlos ausgeliefert. Und selbst, wenn er wach ist und bloß dem Sonnenlicht fernbleiben muss, ist dies eine gewaltige Schwäche.

Und daraus ergibt sich, dass eine so großartige Kreatur wie ein Vampir sich vor an sich schwachen Menschen verstecken muss. Denn dass diese sofort die Gefahr erkennen würden, die von ihm ausgeht, und alles daran setzen würden um diese Gefahr zu bannen, ist klar. Zwar könnte der Vampir sich eine Trutzburg einrichten, die kaum einzunehmen ist. Aber letztlich ist keine Unterkunft absolut einbruchssicher. Der einzige Schutz dieses mächtigen übernatürlichen Wesens ist es, sich zu verstecken und im Schatten herumzudrücken.

Ein Vampir ist eine Leiche

Dass der Vampire eine Leiche ist, wird schnell vergessen, wenn man einen attraktiven Vampir vor sich auf der Leinwand sieht: Ein Vampir ist und bleibt ein toter Körper, der nur durch übernatürliche Macht wie ein lebendiger Körper wirkt. Das ist für Menschen, die darum wissen, schon anstrengend genug zu verkraften. Schlimmer ist es allerdings für den Vampir, denn der ist sich in jeder Minute seiner Existenz bewusst, dass er eine laufende Leiche ist.

Nicht mehr am Leben zu sein hat durchaus physische Vorteile. Verletzungen sind zum Beispiel längst nicht mehr so schädlich, wie für einen Menschen. Aber die psychische Komponente dieses Punktes kann große Auswirkungen auf den Vampir haben: Tot zu sein macht ihm solange er existiert bewusst, dass um ihn herum das Leben pulsiert, während er als untoter Schmarotzer davon zehrt, um sich ein widernatürliches Leben durch gestohlenes Blut zu bewahren – für alle Zeit.

Ein Vampir ist unsterblich

Und damit stellt sich auch eine der großen Stärken eines Vampirs als eine seiner größten Schwächen heraus. Denn Unsterblichkeit ist ein zweischneidiges Schwert. Während es einerseits großartig ist ewig jung zu bleiben und niemals unter Altersgebrechen zu leiden, ist der Vampir durch seine Unsterblichkeit herausgelöst aus der Welt um ihn herum. Während sich alles ständig verändert, bleibt er stets gleich. Und nach ein paar Jahrzehnten entstammt er dann einer Zeit, die längst vergangen ist, und hängt immer zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart fest.

Aber nicht nur die Welt um ihn herum vergeht, sondern auch jedes sterbliche Wesen. Jeder Freund, jedes Familienmitglied wird unaufhaltbar älter und stirbt dem Vampir unter den Fingern weg, ehe er sich versieht. Jede Freundschaft und jede Liebe ist dazu verdammt zu enden, und er wird immer derjenige sein, der den anderen zu Grabe trägt.

Ein Vampir ist einsam

Ein Vampir ist eine einsame Kreatur. Selbst, wenn er sich Menschen offenbaren sollte, werden diese niemals begreifen was es heißt, ein Vampir zu sein. Sie werden nie seinen Hunger auf Blut spüren und kennen nicht seine Angst vor der Sonne. Sie wissen vielleicht wie es ist, eine laufende Leiche zu berühren, aber nicht was es heißt, diese Leiche zu sein. Und in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sie dies begreifen sollten, werden sie dennoch altern und schließlich sterben, und der Vampir wird wieder alleine sein.

Eine Ausnahme sind vielleicht andere Vampire. Aber dort bleibt immer das Misstrauen, ob der andere es ehrlich meint, oder ob man nicht bloß zur Schachfigur in dessen langfristigen Plänen wird. Denn kein Vampir bleibt seine gesamte Existenz über gut, viel eher setzt früher oder später eine Pervertierung seiner ursprünglichen guten Einstellung ein. Dieser Verlust der Menschlichkeit lässt den Vampir immer kälter und grausamer werden, bis er schließlich bereit sein wird, jeden zu opfern, um die eigenen Ziele zu erreichen.

Vampire sind nicht cool

Aber es ist cool, einen Vampir zu spielen.

Vampire bieten im Rollenspiel die Möglichkeit, unglaublich vielschichte Charaktere zu erleben. Es ist das Zusammenspiel aus großer Macht und großen Schwächen, aus gleichzeitiger Unabhängigkeit und Abhängigkeit von Menschen, und aus der Erkenntnis, dass große Macht zu besitzen nicht gleichzusetzen ist mit persönlichem Glück. Auf der philosophischen Ebene kann man mit der Frage spielen, wie viel das Leben wert ist, wenn man nicht sterben wird, oder ob nicht gerade der sichere Tod das ist, was das Leben lebenswert macht.

Fazit

Vampire sind deutlich mehr als die coolen, mächtigen Untoten, die einem so oft im Film oder in Büchern begegnen. Unter der schillernden Fassade sind sie bösartige, kaputte und erbärmliche Kreaturen, die vom Blut der Lebenden schmarotzen. Das Zusammenspiel einer schillernden Fassade und eines widerlichen Monsters dahinter macht den Reiz dieser Kreaturen aus.

Genau dieses Zusammenspiel dieser beiden Extreme macht Vampire zu den faszinierenden Wesen, die sie sind, und ermöglicht im Rollenspiel einen unglaublichen Spannungsbogen für alle Beteiligten.

Artikelbild: darkbird | fotolia.de

 

6 Kommentare

  1. Im Laufe der letzten 200 Jahre hat sich die „Vampirmythologie“ ziemlich grundlegend geändert – und dabei rede ich nicht nur von dem erst durch den Stummfilm „Nosferatu“ etablierten Motiv der tödlichen Sonnenlichtallergie. Bis zum frühen 19. Jahrhundert ähnelten die europäischen Vampire in der Folklore eher den „Walking Dead“ aus der gleichnamigen Fernsehserie: von reiner Blutgier getriebene Leichen, die ihren Gräbern entstiegen und die Lebenden des Nachts verfolgten. Mit Bram Stokers „Dracula“ (der zwar nicht der erste, aber doch bei weitem der einflussreichste Vampir des neuen Typs war) wurde der untote Blutsauger dann zur Verkörperung britischer Ängste vor der „Gegenkolonialisierung“ durch orientalische Unmoral und sexuelle Freizügigkeit, der nur standfeste Mittelklasseprüderie und -frömmigkeit etwas entgegenzusetzen hatten. Allerdings wurde auch diese Figur in den nachfolgenden hundert Jahren zunehmend anders interpretiert. Dort trat der Status des reichen, verführerischen Vampirs stärker in den Vordergrund als seine Nationalität. Inzwischen ist der Vampir zu DER Symbolfigur des elitären „Raubtierkapitalisten“ geworden – und Bücher wie „Twilight“ spiegeln (so schlecht sie auch geschrieben sein mögen) wider, wie sehr sich die Konsumgesellschaft danach sehnt, sich mit dieser Verkörperung des Spätkapitalismus auszusöhnen: vielleicht gibt es ja „gute“ Vampire, die durch Lifestyle-Veganismus zur Schau stellen, dass sie „besser“ sind als die anderen Blutsauger – auch wenn sie trotzdem im Geld schwimmen und sich Inseln zur Freizeitgestaltung kaufen.

    • Der Vampir hat sich defnitiv stark verändert.
      Damit die Figur des Vampirs im Rollenspiel spannend ist (zumindest im Vampire Live, wo der Fokus auf ihr liegt), ist es in meinen Augen eben wichtig, auch auf die unschönen Seiten des Blutsaugers acht zu geben, damit eine vielschichtige Figur entsteht.

      Ich finde im Bezug auf die sexuelle Komponente den Vergleich von Bram Stokers Dracula und Twilight spannend. In beiden verkörpert der Vampir die Sexualität, die irgendwo ersehnt wird, aber kaum zu finden ist. Bei Dracula ist es das düstere verführerische, was Du schon aufgeführt hast. Bei Twilight ist es das Gegenteil: mit dem Sex bis zur Ehe zu warten und bis dahin eine reine Liebe zu leben ist heutzutage nicht unbedingt überall typisch. Wenn man sich anschut, dass sie selbst religiös geprägt ist, finde ich es spannend, dass sie den Vampir nicht mehr als Warnung vor der Sexualität nutzt, sondern viel mehr zum Tugendwächter macht.
      Alerdings leidet der Typ Vampir darunter, dass sie ihn von seinen negativen Seiten befreit hat, und wird zu einem Supermenschen, statt ein Monster zu bleiben.

  2. Hallo Frauke, vielen Dank für den schön zu lesenden Artikel! Hat echt Spaß gemacht. Seit ich als kleines Kind „Den kleinen Vampir“ von Angela Sommer-Bodenburg gelesen habe, bin ich sozusagen auch Vampir-infiziert und du hast den Nagel auf den Kopf getroffen ;-)

    • Ah, Rüdiger… Ich habe die Serie damals geliebt, auch wenn sie manchmal fast schon zu gruselig war. Ich war wirklich noch klein :D

      Es freut mich, dass der Artikel dir gefällt :)

    • Vielen Danke :)
      Heroinsüchtige finde ich einen sehr schönen Vergleich zu Vampiren. Den muss ich mir für das nächste Gespräch mit einem Neuspieler merken :)

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