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„Nur deswegen gibt es noch Vampire, weil einfach niemand glaubt, dass es welche gibt…“

Bram Stoker’s Dracula

Carolan Calavanti ist eigentlich nur ein halbelfischer Streuner, der seinem nicht ganz gesetztestreuen Handwerk in den Gassen von Havena nachgeht, als er sich unvermittelt in einem Abenteuer wiederfindet. Und genauso ist es gewollt, denn bei Carolan handelt es sich um die Spielfigur, deren Handlung man in dem noch taufrischen Soloabenteuer von DSA5 übernehmen darf. Damit schafft Ulisses nicht nur einen Zugang für Einzelkämpfer zum neuen System, sondern auch eine weitere Möglichkeit, Einsteiger an DSA heranzuführen, denn für eben diese ist das Abenteuer ausgelegt.

Handlung – Im Nebel der Gassen

Die bereits aus der DSA5-Beta bekannte ikonische Heldenfigur Carolan hält sich derzeit in der von Bürgerkrieg und Sturmflut gezeichneten Hafenstadt auf, die durch den Seehandel und politisches Geschick langsam wieder eine efferdgefällige Brise im Rücken spürt.

Der Spieler taucht bereits am Anfang des Abenteuers direkt in das Spielgeschehen ein und befindet sich auf einer rasanten Verfolgungsjagd durch die nächtlichen Gassen der Stadt. Wer sich ins kalte Wasser geworfen fühlt, wird schnell durch die einsteigerfreundlichen Hilfskästen beruhigt, die in einfachen Worten und Schritt für Schritt das Regelsystem erklären. So kann auch ein DSA– oder Rollenspiel-Neuling schon auf den ersten Seiten die Mechanismen für Fähigkeits- und Eigenschaftsproben kennenlernen und eventuell sogar einen ersten kleinen Kampf ausfechten.

Carolan Cavalanti
Carolan Cavalanti

Durch die teilweise sehr langen Erzähltexte ließ sich leider nicht verhindern, dass gerade die Kampfregeln nur dann gefunden werden, wenn man nach gelesenem Absatz noch eine Seite weiter blättert. Dafür sind diese dann aber auch umfassend auf fast einer ganzen Seite erklärt.

Erst nach der Hatz erfährt der Spieler in einer Rückblende die wahren Hintergründe des Abenteuers. In Havena hat es mehrere Morde gegeben, die sogar die Inquisition auf den Plan gerufen haben. Die sehr traditionsbewusste, aber auch sehr abergläubische Bevölkerung Havenas vermutet, dass es sich bei dem Täter um einen Vampir handeln muss. Indizien liefern dafür verschiedene Aussagen von Zeugen, die die Leichen als blutleer beschrieben und deutlich zwei rote, kreisrunde Male an den Hälsen der Opfer gesehen haben wollen.

Carolan, der in mehreren aventurischen Städten gesucht wird, macht sich seine eigenen Gedanken darüber und kann seine Neugier kaum im Zaum halten. Doch dann wird er in einer Taverne angeworben, bei der Wiederbeschaffung gestohlener Handelsware behilflich zu sein, was seine Gedanken zunächst von den Morden ablenkt. Während er sich im weiteren Verlauf des Abenteuers auf seine Fähigkeiten als Einbrecher konzentrieren muss, wird er immer weiter in den Strudel der Ereignisse gesogen.

Was in den Lagerhäusern und Kontoren der Händler beginnt, führt Carolan schließlich bis in die sagenumwobene Unterstadt. Die Überreste des von Efferds Zorn – einer gewaltigen Flutwelle –getroffenen Stadtteils sind nicht einmal am Tage sicher, geschweige denn bei Nacht. Und ausgerechnet hierhin verschlägt es den aufstrebenden Helden dieser Geschichte. Ob er die Unterstadt wieder lebend verlässt, hängt dabei, wie so oft, von den Entscheidungen des Spielers ab. Nun ja, und vielleicht von dem schicksalshaften, roten Faden, der sich durch das gesamte Abenteuer spinnt.

Regeln – Einsteiger willkommen!

Schon auf der Rückseite des Abenteuers ist zu lesen „Erfahrung der Helden: unerfahren bis kompetent (bei eigenem Helden)“ und das kann wörtlich genommen werden. Das Abenteuer ist so konzipiert, dass es sich hervorragend für Einsteiger eignet und bietet mit zahlreichen Infoboxen regeltechnische Hilfestellungen. Dem Spieler steht es offenen einen eigenen Helden in das Abenteuer zu schicken, wenngleich die Erzähltexte deutlich aus Sicht des Streuners Carolan geschrieben sind. Der reflektiert im Verlauf seiner Reise insbesondere das Heldendasein und wird des Öfteren gezwungen über sich hinauszuwachsen. Wer sich für Carolan entscheidet, findet im Anhang des Abenteuers ein vierseitiges Heldendokument mit allen wichtigen Werten. Ebenfalls im Anhang lassen sich nummerierte Grundrisse finden, die das Spiel in verschiedenen Gebäuden erleichtern sollen. Leider befinden sich die Grundrisse aller relevanten Gebäude auf ein und derselben Seite, wodurch bereits frühzeitig ein kleiner Teil des Abenteuers vorweggenommen wird. Das unterstützende Kartenmaterial, wie beispielsweise die Gebäudepläne im Anhang, ist nützlich, um den Weg des Helden nachzuvollziehen. Die Stadtkarte von Havena ist zwar nur indirekt für das Abenteuer von Bedeutung, aber für die Stadtbeschreibung eine willkommene Ergänzung.

Das Abenteuer bedient sich überdies verschiedener Spielmechanismen, um die Spannung zu erhöhen oder Handlungsfortschritte aufzuzeigen. Für Ersteres werden „Lärmpunkte“ vergeben, die dem Spieler schon beim Betreten eines Hauses bewusst machen, dass er sich nicht viele Fehler erlauben darf. Der Handlungsfortschritt hingegen kommt immer dann zum Tragen, wenn der Spieler einen Handlungsort erneut besucht, was dazu führen kann, dass er am selben Ort Unterschiedliches erlebt.

Schreibstil

Sebastian Thurau schafft es, die Magieverbotszone Havena in einen magisch-düsteren Ort zu verwandeln. Seine Beschreibungen der nebligen Gassen und die Spannung aufbauenden Spielmechanismen tragen ihren Teil dazu bei. Die detaillierten Schilderungen der Umgebung und Umwelt sorgen für das richtige Maß an geheimnisvoller Atmosphäre, welche diese „Detektivgeschichte“ benötigt. Die Figuren des Spiels, ganz gleich ob Carolan, sein Auftraggeber oder die mysteriöse Thorwalerin, die mehrere Auftritte hat, wirken ob ihrer Darstellung sehr lebendig.

Cover zu Fluch des Mantikor von Ugurcan YüceMit dem Bedienen von Klischees durch Sätze wie etwa: „Wie viele an die Existenz des Vampirs glauben, wird schon am Geruch in der Taverne deutlich. Neben dem penetranten Gestank der Seeleute nach der typischen Mischung aus Meerwasser und Schweiß […], riecht es vor allem nach Knoblauch“ oder „Meistens verraten die Inhalte solcher Schubladen auch viel über das Leben ihrer Besitzer. Diese Schubladen verraten dir vor allem, dass der Besitzer des Schreibtisches den langweiligsten Beruf der Welt hat.“, bekommen die Szenen oft auch eine Prise Humor mit, was ihrer Authentizität keinen Abbruch tut.

Überdies hat Thurau in seinem sehr stimmigen Setting verschiedene Cover des verstorbenen Künstlers Ugurcan Yüce untergebracht und auch Bezug auf ältere Werke wie beispielsweise Esche & Kork genommen, sodass auch Alteingesessene die ein oder andere Überraschung entdecken können.

Spoiler

Wer schon immer davon geträumt hat, einem albernischen Klabautermann zu begegnen, erhält in diesem Abenteuer die Chance dazu.

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Im Prinzip ist die Geschichte, die sich als roter Faden durch Havenas Gassen zieht, recht einfach gesponnen. Dies mag zum einen daran liegen, dass das Abenteuer darauf abzielt, ein typisches, aventurisches Setting zu beschreiben, wie es für Einsteiger am ehesten greifbar ist. Zum anderen wird der Spieler durch den Spielmechanismus häufig in seinen Entscheidungen eingeschränkt.

Spoiler

Sowohl das Ende der Verfolgungsjagd, am Anfang des Abenteuers, als auch der Erfolg des Einbruchs in das Handelskontor, sind bereits unabänderlich vorherbestimmt.

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Die einzige Kritik zu der teilweise fast märchenhaften Detektivgeschichte bezieht sich weniger auf den Schreibstil, als vielmehr auf einen inhaltlichen Fehler, den der Autor gemacht hat. Im Abenteuer wird an mehreren Stellen explizit darauf hingewiesen, dass die Spielfigur Carolan die Hafenstadt Havena noch nie verlassen hat. Im Anhang hingegen, der die Hintergrundgeschichte des Helden beschreibt, heißt es, dass er sich bereits in Grangor, Kuslik und Vinsalt einen Namen (als Dieb und Hochstapler) gemacht hat.

[alert style=“1″]Ulisses Spiele ließ uns wissen, dass dieser Fehler in der Redaktion verursacht wurde und nicht vom Autoren.[/alert]

Preis-/Leistungsverhältnis

Mit 14,95 EUR ist das Soloabenteuer durchaus in einem sehr guten Preis-Leistungsverhältnis. Die ansprechende Optik und die spannende Geschichte sind den Preis auf jeden Fall wert. Das dargebotene Zusatzmaterial wie Stadtkarte und Gebäudepläne bestärkt dies.

Erscheinungsbild

Vampir von Havena DSA CoverDas düstere Coverbild von Christoph Grobelzki ist ebenso der mystischen Stimmung zuträglich wie die restliche Bebilderung des Abenteuers. Auf 64 Seiten präsentieren sich Porträts und Landschaftsbilder in Farbe, wie auch das gesamte Werk in Farbe gehalten ist. Das DIN-A4-Format ist für das unvermeidlich häufige Umblättern gut geeignet. Leider gibt es neben den Seitenzahlen keine zusätzliche Beschriftung, die das Suchen nach Abschnittsnummern erleichtern würde. Dafür sind aber die Seiten auf Glanzpapier gedruckt, was ihnen auch beim Umblättern eine angenehme und griffige Oberfläche verleiht. Infoboxen und Wertekästen von Gegnern, die sich grafisch abheben, unterstützen das Spiel zudem besonders für Einsteiger.

Das reliefartige Cover ist eine Besonderheit, die man auch auf andere DSA5-Publikationen bislang bewundern konnte. Sie rundet den tollen Gesamteindruck ab.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Ulisses Spiele GmbH
  • Autor(en): Sebastian Thurau
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch/Englisch
  • Format: DIN A4
  • Seitenanzahl: 64 Seiten
  • ISBN: 978-3-95752-231-3
  • Preis: 14,95 EUR, gebundene Ausgabe
  • Bezugsquelle: Amazon, Ulisses Ebooks, Sphärenmeister

 

Bonus/Downloadcontent

Boni oder Downloadcontent sind nicht vorhanden.

Fazit

Sebastian Thurau präsentiert eine spannende Detektivgeschichte, die den „nicht ganz so gesetzestreuen Helden“ bis in die düstere Atmosphäre der Unterstadt Havenas treibt. Mit Wortgewandtheit und der nötigen Prise Witz erschafft er ein authentisches Setting mit stimmungsvollem Hintergrund. Das recht lineare Abenteuer eignet sich besonders für Einsteiger, da diese an vielen Stellen regeltechnisch unterstützt werden. Aber auch für Alteingesessene DSA-Liebhaber lassen sich kleine Überraschungen entdecken. Die verschiedenen Spielemechanismen, wie beispielsweise Lärmpunkte, tragen zur Spannungssteigerung bei und erhöhen den Spielspaß. Die farbigen Seiten und zahlreiche, gelungene Illustrationen tragen ebenfalls zur Steigerung der Atmosphäre bei. Die abgebildete Karte und kurze Beschreibung der Hafenstadt sind zudem ein willkommener Bonus.

Abgesehen von einigen kleinen Kritikpunkten, den Inhalt und die Handhabung betreffend, handelt es sich bei diesem Soloabenteuer um ein stimmungsvolles Gesamtwerk – es sei denn, man hat Angst vor Blutsaugern. Mein Tipp: Es sich an einem verregneten Nachmittag mit dem Abenteuer auf dem Sofa gemütlich machen und dazu ein heißes Knoblauch-Baguette genießen.

Daumen4Maennlich

Mit Tendenz nach oben

Artikelbilder: Nadine Schäkel, Ugurcan Yüce, Christoph Grobelzki ©Ulisses Spiele GmbH
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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2 Kommentare

  1. Nicht erschrecken: „Verfickte Kacke, ich wollte DSA doch nie wieder lieb haben!“ Der Gedanke schoss mir durch den Kopf, als ich diese lesenswerte Rezension las. Danke.

    Ullisses scheint tatsächlich gut vorzugehen und ich wäre erfreut, wenn ganz viele DSA-Spieler und Spielerinnen mal die Idee in Betracht ziehen, das Ullisses, oder Kickstarter der Fans, das Insolvente Herokon Online aufkaufen könnte. Weil es gut anfing, bevor es vermurkst wurde. ;-)

    Am Ende der Rezension blieb mir nur die Befürchtung, das der Protagonist überstilisiert wird und wie ein ‚Überheld‘ auf Neulinge wirken könnte.

    Ich bin bei DSA eher auf Seiten der Antagonisten. Doch gegen die Diskriminierung von Goblins habe ich diese klitzekleine Geschichte verzapft:

    https://pietroschekblog.wordpress.com/2016/09/17/erzdeutsche-mini-geschichte-das-schwarze-auge-dunkle-offenbarungen/

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