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Kollege Alexanders Artikel über Screentime im LARP hat mich dazu inspiriert, mir mal ein paar Gedanken zu Screentime im Pen&Paper zu machen. Screentime ist laut Alex‘ Artikel die Zeit, in der ein Charakter im Rampenlicht steht.

Im Pen&Paper finden wir eine grundsätzlich andere Situation vor als im LARP: Hier haben wir wenige Spieler, und diese Spieler sind – in der Regel – sowieso in allen Spielszenen anwesend. Das wiederum bedeutet: Der Standard-Zustand ist eine gleich verteilte Screentime für alle Anwesenden. Deshalb konzentriere ich mich auf Situationen, in denen sich das Verhältnis ändert, in denen ein Charakter also mehr Screentime einfordert als die anderen.

Dabei führe ich einen weiteren Begriff ein, dessen unscharfe Übersetzung ich oben bereits verwendet habe: Spotlight. Auch dieser Begriff kommt aus der Dramaturgie und wird hauptsächlich bei Serien verwendet. Ein Spotlight rückt einen Charakter ins Rampenlicht und beleuchtet seine Fähigkeiten, Vorzüge und Nachteile. Derartige „Spotlight-Episoden“ finden sich in vielen Serien, und diese lassen sich auch im Pen&Paper verwirklichen.

Bedeutung von Screentime für die Spieler

Zunächst habe ich mir die Frage gestellt, wie Pen&Paper-Spieler Screentime empfinden. Genauer: Was gewinnen sie, wenn sie sich ins Rampenlicht rücken, und was verlieren sie, wenn das jemand anderes tut?

Wie stark ein Spieler eine Szene genießen kann, hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab: Wie sehr ihn die Szene selbst anspricht, wie stark sein Charakter darin involviert ist und welche Handlungsmöglichkeiten sein Charakter hat.

Wie stark spricht die Szene den Spieler an?

Der Versuch, diese Frage genau zu beantworten, würde alleine schon den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Ich gehe davon aus, dass wir alle Szenen haben, an denen wir weniger Gefallen finden, oder die wir sogar eigentlich eher ungern spielen. Das fängt an bei Situationen, die nicht ganz so episch anmuten, wie man sie sich für den Charakter vorgestellt hat, und hört auf bei persönlichen Tabus. Je ausgefallener eine Szene ist, desto sicherer sollte der Spielleiter sich sein, dass alle Spieler diese Szene wirklich erleben wollen.

Beispiele für solche Szenen sind anschaulich beschriebene Foltersequenzen (als Beispiel für ein Tabu) oder eigentlich harmlos erscheinende Dinge wie Rätsel, an denen Spieler vielleicht einfach nur keinen Spaß haben.

Wie stark ist der Charakter involviert?

Szenen, an denen der eigene Charakter beteiligt ist, werden bewusster wahrgenommen, als Szenen, an denen er nicht beteiligt ist und auch nicht beteiligt sein wird. Ein Spieler, dessen Kämpfer  zu seinen Gefährten eilt, während diese angegriffen werden, wird den Kampf auch dann verfolgen, wenn er noch nicht da ist. Der Spieler eines Diebes, der in seiner Zelle auf Befreiung wartet, während die Charaktere erst noch eine Nebenqueste erledigen, wird diese vielleicht nicht ganz so aufmerksam verfolgen.

Welche Handlungsmöglichkeiten hat der eigene Charakter

Szenen, deren Verlauf der eigene Charakter beeinflussen kann, werden bewusster wahrgenommen. Um bei den bisherigen Beispielen zu bleiben: Der Kämpfer-Spieler wird sich vielleicht während des Herannahens überlegen, was er alles tun könnte – aber sobald der Charakter den Kampf erreicht hat und vor den Gegnern steht, wird der Spieler die Szene noch bewusster erleben. Jetzt ist er da und kann in das Geschehen eingreifen.

Szenen andererseits, die den Charakter zwar involvieren, ihm aber nur bedingt erlauben einzugreifen, werden gegebenenfalls minder konzentriert wahrgenommen. Beispielsweise wird der Spieler des Fahrers in einer wilden Verfolgungsjagd die Szene wesentlich intensiver und konzentrierter wahrnehmen als die Spieler seiner Passagiere im Fond. Die sind zwar grundsätzlich daran interessiert, zu erfahren, ob ihre Charaktere das ganze unbeschadet überstehen oder ob sich gar Handlungsmöglichkeiten ergeben, aber sie werden nicht so sehr mitfiebern wie der Spieler des Fahrers.

Screentime für den eigenen Charakter bedeutet also, dass der Spieler an der Szene Anteil nehmen kann. Im besten Falle, indem sein Charakter aktiv handelt und an der Szene mitwirkt, aber manchmal auch dadurch, dass er in die Auswirkungen der Szene involviert ist.

Arten von Screentime

Bei diesen Überlegungen wurde mir schnell klar: Verschiedene Spieler bevorzugen verschiedene Arten von Screentime.

Ich möchte hier keine Auflistung aller möglichen Spielertypen vornehmen, da dies den Rahmen des Artikels sprengen würde. Stattdessen möchte ich einige “Screentime-Typen” vorstellen, von denen durchaus mehrere den gleichen Spielertypen ansprechen können.

Screentime für Gruppenspieler

Gruppenspieler mögen es, wenn die Gruppe als solche etwas erreicht hat und sie ihren Beitrag dazu leisten konnten. Ihre Screentime-Momente sind das Durchatmen und gegenseitige Heilen nach einem harten Kampf, das Aufteilen der Beute und natürlich die Anerkennung der Leistung durch andere, seien es Auftraggeber oder gerettete Jungfrauen. Diese Spieler blühen auch beim wohlverdienten “Lachen am Ende” nach einem hart verdienten Sieg auf.

Das für den Spielleiter Angenehme bei dieser Screentime-Art ist, dass er fast nichts Besonderes tun muss. Er muss lediglich darauf achten, dass der betreffende Spieler ins Spiel der Gruppe und damit auch in die Lösung eingebunden ist.

Screentime Für Erzählspieler

Erzählspieler lieben den Fluss der Geschichte. Je besser das, was passiert, beschrieben wird, desto stärker ist ihre Immersion. Diese Art von Screentime ist gleichzeitig Fluch und Segen.

Segen deshalb, weil gute Beschreibungen jedes Spiel bereichern. Es können allenfalls Konflikte auftreten mit den Numbercrunchern, denen diese Art von Fluff ziemlich egal ist. Hier ist die richtige Balance der Schlüssel zum Erfolg.

Fluch deshalb, weil einige Spieler ihre Handlungen gerne ausschweifend beschreiben, um in jeder Bewegung ihres Charakters dessen Persönlichkeit durchscheinen zu lassen. Alle Handlungen. Ja, auch die, an die ihr jetzt denkt, liebe Leser – was auch immer sie sein mögen. Hier besteht eine große Gefahr, dass die Erzählspieler dadurch viel Spiel an sich reißen und damit effektiv Screentime für andere Charaktere verhindern.

Screentime für Numbercruncher

Numbercrunching ist meistens, aber nicht immer, das Gegenteil zum Erzählen. Hier haben wir es mit hoch optimierten Charakteren zu tun, die im besten Fall darauf ausgelegt sind, ihre Aufgabe innerhalb der Gruppe so effektiv wie möglich zu erledigen.

Problematisch sind derartige Charaktere nur, wenn sie darauf ausgelegt sind, jede Aufgabe möglichst effektiv zu erfüllen, und damit anderen Charakteren möglicherweise die Screentime stehlen.

Screentime für Taktiker

Taktiker lieben den Kampf, und bringen den Gegner gerne durch geschickt konzertierte Aktionen aller Charaktere zu Fall. Taktiker sind oft, aber nicht immer, auch Numbercruncher. Einige Taktiker sind auch Erzähler und erhoffen sich aus den Beschreibungen von Fähigkeiten schöne Kombinationen, ohne die genauen Regeln dahinter durchgerechnet zu haben.

Der gelegentliche Nachteil ist, dass es einige Extrem-Taktiker gibt. Diesen Spielern wird beim „normalen“ Rollenspiel schnell langweilig. Die Charaktere blühen nur im Kampf voll auf, doch in der Zeit dazwischen werden die Spieler ruhig und warten scheinbar nur auf das nächste Gefecht.

Screentime-Wunsch aus dem Charakterbogen herauslesen

Wenn der Spielleiter die Spieler noch nicht lange kennt, kann ein Studium der Charakterbögen  viel darüber aussagen, welche Screentime-Typen hier in Betracht kommen. Wenn beispielsweise bestimmte Talente besonders hohe Werte aufweisen, ist dies ein gutes Zeichen dafür, welche Spielsituationen der Spieler mit diesem Charakter gerne erleben möchte. Oder besser gesagt: In welcher Art von Spielszenen der Charakter glänzen soll.

Screentime nach Vorlieben und Fähigkeiten der Spieler

Die Szenen-Wahrnehmung der Spieler wird auch dadurch beeinflusst, wieviel Ahnung sie vom derzeit vorherrschenden Thema haben. Dieser Punkt wird häufig unterschätzt.

Sobald eine Szene Themengebiete berührt, die den Spieler interessieren, steigt die Aufmerksamkeit. Ein Spieler, der am Computer Schleicher-Spiele wie Thief, Splinter Cell oder Assassin’s Creed liebt, findet auch eher an Szenen Gefallen, in denen die Gruppe versucht, behutsam vorzugehen und sich in Gebäude einzuschleichen. Spieler, die „Heist-Movies“ wie The Italian Job oder Oceans-Eleven/Twelve/Thirteen mögen, finden meist auch an den exzessiven Planungen für Shadowruns ihren Gefallen.

Dieser Effekt kann allerdings auch im OT greifen: Wenn beispielsweise die Spielrunde ins Fachsimpeln über die Regeln gerät, können neue Spieler nicht immer mitreden und sind quasi vom Gespräch ausgeschlossen. Dabei kann genau dieses Fachsimpeln für einzelne Spieler durchaus zum Spiel gehören und dementsprechend auch als eine Art Screentime gefühlt werden – wenn auch eher für den Spieler und nicht für den Charakter.

Bedeutung von Screentime im Pen&Paper

Im Grunde kann man im Pen&Paper-Rollenspiel davon ausgehen, dass alle Charaktere in etwa die gleiche Screentime haben sollten, da die Charaktere die einzelnen Szenen in der Regel gemeinsam bewältigen.

Je nach gespieltem und eigenem Charakter erlebt jeder Spieler diese gemeinsame Zeit jedoch völlig unterschiedlich. Je mehr „gute“ Screentime ihm dabei zuteil wird, desto interessanter und schöner wird für den Spieler das Spiel.

Je besser Spieler und Spielleiter mit dieser Zielsetzung zusammenarbeiten, desto interessanter kann die Spielrunde für alle Beteiligten werden.

Zusammenfassend kann man also sagen …

Die Betrachtungen zu Screentime in LARP und Pen&Paper sind grundlegend unterschiedlich.

Im LARP ist jeder für seine Screentime selbst verantwortlich, kann dabei allerdings auch wesentlich freier agieren. Die mögliche Gleichzeitigkeit vieler Handlungen erlaubt es den Spielern, für sich Screentime zu generieren, ohne alle anderen in ihrem Spiel zu blockieren.

Im Pen&Paper findet sich eine grundlegend andere Situation. Hier gibt es den Spielleiter als Nadelöhr, da er an jeder Situation beteiligt sein muss. Das eigenständige Generieren von Screentime ist auch hier erwünscht, allerdings sollte das Augenmerk eher auf gemeinsamer Screentime für die ganze Gruppe liegen.

Eine dauerhaft asymmetrische Verteilung der Screentime zugunsten einzelner Charaktere sollte der Spielleiter nach Möglichkeit unterbinden.

Ausblick

In einem zweiten Teil dieses Artikels werde ich kurzzeitige Asymmetrie in Form von Spotlights behandeln: Situationen, in denen einzelne Charaktere deutlich hervorgehoben agieren und bewusst mehr Screentime bekommen als die Charaktere ihrer Mitspieler.

Die Charaktere werden dabei im Spiel absichtlich einzeln auf verschiedene Arten ins Rampenlicht gerückt und von allen Seiten beleuchtet. Dadurch wird jedem Spieler einzeln eine Möglichkeit gegeben, seinen Charakter umfangreicher zu präsentieren. Wie das am besten funktioniert, erfahrt ihr beim nächsten Mal!

Artikelbild: matusciac | fotolia.de

 

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