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Wir schreiben das Jahr 2046. Japan ist sechs Monate nach dem Kuro-Vorfall, der unerklärlichen Explosion vor der Küste, noch immer von der Außenwelt abgeschottet. Nahrung wird rationiert, die Menschen beginnen die Beschwichtigungen der Behörden zu hinterfragen und das normale Leben bröckelt. Immer häufiger machen Gerüchte von übernatürlichen Phänomenen und Geistersichtungen die Runde. Da taucht plötzlich eine mysteriöse Liste mit Namen von „Potentialen“ auf. Auch der Name der Charaktere steht darauf und plötzlich erhalten sie seltsame Nachrichten und werden gejagt. Die seltsamen Vorkommnisse in Shin-Edo verdichten sich …

Inhalt

Makkura enthält sechs Abenteuer für Kuro, das düstere Cyberpunk-Rollenspiel von Cubicle 7 Entertainment, das wir Teilzeithelden bereits Ende 2013 besprochen haben. Damals gefiel uns besonders die einzigartige Asia-Atmosphäre zwischen Horror und Near-Future. Der erste Abenteuerband dreht sich nun um die Geistererscheinungen in Shin-Edo (dem umbenannten Tokio) und erinnert tatsächlich an klassische, asiatische „Ghost-Stories“. Nicht umsonst bedeutet der Titel übersetzt „Tiefste Finsternis“. Die Abenteuer können einzeln gespielt werden, bauen aber stark aufeinander auf und bilden eine Kampagne, die das Setting weiterentwickelt.

Makkura schließt nahtlos an das Einstiegsabenteuer Origami aus dem Grundregelwerk an und ist daher auch für neu erstellte Charakteren geeignet. Die Spielercharaktere geraten dabei in das Zentrum der mystischen Vorkommnisse des Settings. Sie werden von den Ereignissen um die mysteriöse Liste getrieben und müssen sich am Ende direkt den Kräften des Yomi, der japanischen Unterwelt, entgegenstellen. Der Spielleiter erfährt derweil endlich, was es mit dem Kuro-Vorfall auf sich hatte und kann das Setting um einen ausgefeilten Metaplot erweitern. Regeltechnisch enthält Makkura vier neue Skill-Spezialisierungen, die aber kaum der Rede wert sind.

Die sechs Makkura-Abenteuer in Kurzübersicht

Fugu: Die Charaktere geraten auf die Spur eines Serienmörders, der seine Opfer gezielt anhand der Liste aussucht. Um ihn zu stoppen, führt der einzige Weg ins Kaijin-Viertel vor der Küste.

Mizuiro: Studenten verschwinden aus einem Wohnheim, in dem ein Student beim Erzählen von Geistergeschichten Selbstmord beging. Natürlich sind alle auf der Liste. Haben sie etwas Schreckliches erweckt?

Kujira: Ein Walskelett strandet an der Küste von Shin-Edo. Sein Schädel ist mit seltsamen Symbolen beschrieben, die eine Art Anleitung zu sein scheinen. Doch sobald sich die Charaktere mit dem Rätsel beschäftigen, macht ein mächtiger Oni (ein japanischer Dämon) Jagd auf sie.

Yukidomari: In einem Vorort von Shin-Edo ereignen sich seltsame Wetterphänomene und Zeichen. Hier können die Charaktere die Wahrheit über den Kuro-Vorfall erfahren und müssen mit einer seltsamen Mutation kämpfen.

Tsukurigoto: Sieben Agenten der Dunkelheit jagen die Schlüssel von vier mystischen Wächtern und die Spielercharaktere geraten in das Schussfeld. Als ein Stromausfall die Stadt heimsucht, müssen die Charaktere ihren Verbündeten zu Hilfe eilen.

Kami: Gefährliche Donnergeister versuchen ein Portal ins Höllenreich des Yomi zu öffnen. Die Stadt versinkt derweil im Chaos.

 

Für Spieler: Der Aufstieg der Geisterjäger

Spieler werden mit Makkura in eine Geschichte hineingezogen, die größer ist, als das gesamte bisherige Setting. Alles dreht sich dabei um die Liste mit Potentialen aus dem Einstiegsabenteuer Origami, auf der auch die Spielercharaktere stehen. Makkura geht dabei nur davon aus, dass die Charaktere einander kennen – mehr nicht. Wie im Grundregelwerk von Kuro beschrieben, sind sie normale Bürger der Gesellschaft von Shin-Edo, mit einem sozialen Netz und einem geregelten Alltag. Ihr Kontakt mit der Yomi-Geisterwelt soll gruseln, ganz in der Tradition des japanischen Horrorgenres.

Die sechs Abenteuer führen an interessante Orte, etwa in ein Unterwasser-Viertel, zu einem belagerten Kloster oder in ein rätselhaftes Geisterreich.
Die sechs Abenteuer führen an interessante Orte, etwa in ein Unterwasser-Viertel, zu einem belagerten Kloster oder in ein rätselhaftes Geisterreich.

Die Illustrationen des Grundregelwerks waren stimmiger. In Makkura erinnern einige Figuren an Anime und Manga.

Makkura aber ist nicht nur eine Abenteuersammlung im Stil des Grundregelwerks; es ist vielmehr ein Metaplot, der sich um die Charaktere entfaltet und dabei den Ton des Settings selbst verändert. In den sechs Abenteuern geht es um mehr als den Kontakt mit Geistern, nämlich darum, das „heldenhafte Potential“ der Charaktere freizulegen. Zwar bleiben die Geschehnisse im Horror verankert, erhalten aber einen epischen Anstrich. Naturkatastrophen oder rätselhafte Omen verleihen Makkura dabei einen bedrohlichen, fast apokalyptischen Unterton. Die Spielercharaktere sind dabei „auserwählt“ und erhalten zwangsweise Einblick in die Hintergründe des Settings. Das Potential lässt sie die Geister des Yomi sehen und mit ihnen interagieren. Das kann man mögen oder auch nicht: Es verändert jedenfalls das, was das Grundregelwerk ausgemacht hat. Der ungewohnte Asia-Zukunfts-Horror vermischt sich mit einer Rollenspiel-typischen Abenteuergeschichte; die Helden verwandeln sich dabei notgedrungen zu lösungsorientierten Geisterjägern.

Die Handlung ist dabei von Detektivarbeit geprägt und führt die Spieler an interessante Orte, wie eine bizarre Traumwelt oder das Unterwasser-Viertel Kaijin. Dabei stoßen sie immer wieder auf Spuren des Übernatürlichen und erschließen sich nach und nach die wahren Hintergründe des Settings. Das ist perfekt für Spielrunden mit Spaß an Rätseln und dem Okkulten; aber auch Action-Freunde kommen auf ihre Kosten und kämpfen bald mit uralten Waffen gegen wild gewordene Geister. Nur Fans von Cyberpunk gehen leer aus – Technologie und gesellschaftliche Dystopie spielen in Makkura nur eine untergeordnete Rolle. Mindestens zwei der sechs Abenteuer hätte man ohne Probleme in die Gegenwart verlegen können; hier wird das Kuro-Setting nicht ausgereizt. Auch, wer lieber bodenständige Geistergeschichten spielt und mit einem „Heldendasein“ nichts anfangen kann, hat in diesen Abenteuern das Nachsehen.

Für Spielleiter: Der gute Wille zählt

Die Makkura-Kampagne macht eines deutlich: Es geht den Autoren nicht darum, das Setting von Kuro mit erwartungsgemäßen Abenteuern zu versorgen, sondern darum, es zu erweitern und in etwas Anderes zu transformieren. Das Ganze erinnert stark an den Ablauf einer TV-Mystery-Serie: Jedes Abenteuer (Episode) ist in sich schlüssig, gibt mehr vom mysteriösen Hintergrund preis und führt neue Fraktionen ein. Der Spielleiter orchestriert und begleitet den Aufstieg der Charaktere von Normalbürgern zu Helden der Kami.

Neue Fraktionen (Vorsicht Spoiler!):

Spoiler

Die Digitale Demokratische Partei: Die politische Bewegung erhielt kurz nach dem Kuro-Zwischenfall massive Unterstützung in der Bevölkerung. Sie fordert die Gleichstellung von Androiden und stellt einen eigenen Androiden als Kandidaten für die nächste Reigerungswahl. Sie spielen für den Metaplot keine große Rolle, beeinflussen aber die Ereignisse zwischen den Abenteuern.

Die Shi-Tenno: Diese unsterblichen „Wächter der vier Himmelsrichtungen“ beschützen Japan und das Kaiserhaus seit Jahrhunderten vor dem Bösen. Sie erscheinen zwar als Menschen und verbergen sich in der Gesellschaft, sind aber in Wahrheit mächtige übernatürliche Wesen mit außerordentlichen Kräften. Sie sind die wertvollsten Verbündeten der Charaktere.

Die Furikazan-Sekte: Diese traditionelle Sekte dient den Kami und den Shi-Tenno. Sie suchen nach den Potentialen, in deren Blut sich die „Siegel der Kami“ befinden. Ihre Aufgabe ist es, diese zu prüfen, ob sie es wert sind, die Macht der Kami zu tragen. Dazu stoßen sie die Charaktere auf Ereignisse und versuchen sie aus dem Hintergrund anzuleiten. Sie spielen für den Plot eine zentrale Rolle.

Mr. Makita (und seine Schmuggler): Ein Sammler von okkulten Gegenständen, der Schmuggler in ganz Japan beauftragt. Kann er etwas nicht haben, bedient er sich illegaler Beschaffungsmethoden. Er spielt im Abenteuer Kujira eine Rolle.

Das Erwachen der Dunkelheit: Diese Weltuntergangssekte um den Potential-Träger Fujizake Nori fühlt sich durch das Kuro-Ereignis in ihrem Glauben bestärkt. Die Teilnehmer ziehen predigend durch die Straßen, werden in letzter Zeit aber von Unbekannten bedroht. Die Sekte kommt in Nebengeschichten vor.

Neue Komeito: Die nationalistische Partei Japans will die Isolation von der Außenwelt fortsetzen. Ihr Plan ist eine militärische Unterwerfung der Insel mit Hilfe eines Geistersoldaten-Programms des Zweiten Weltkriegs. Sie sind die Gegenspieler im letzten Kapitel.

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Die Illustrationen des Grundregelwerks waren stimmiger. In Makkura erinnern einige Figuren an Anime und Manga.
Die Illustrationen des Grundregelwerks waren stimmiger. In Makkura erinnern einige Figuren an Anime und Manga.

Makkura schleust die Spielercharaktere nicht durch feste Abläufe, legt aber besonderen Wert auf die Einordnung in die Kampagne. Vor jedem Abenteuer finden sich die „Lektionen“, die die Charaktere daraus mitnehmen sollen. Die Abenteuer selbst sind gut aufbereitet: Personen und Schauplätze werden ausführlich beschrieben und sogar Gerüchte und alternative Vorgehensweisen für Spielercharaktere bereitgestellt. Kästen erläutern Spielleitern Zusatzinformationen oder stellen Personen und Gruppierungen genauer vor. Nach jedem Kapitel folgen Vorschläge für Zufallsbegegnungen und Nachforschungen, die sich leicht zu Zwischenabenteuern ausbauen lassen.  Dieser Aufbau gibt dem Spielleiter genug Freiheit, auf unvorhergesehene Handlungen zu reagieren, lässt ihn aber auch mit einigen Fragen allein.

Ein Problem von Makkura ist die Forderung einer hohen Kooperationsbereitschaft der Spieler. Diese sollen Eigeninitiative zeigen, sich für die Potential-Liste interessieren und bestimmte Schlüsse ziehen. Die Aufhänger für die ersten Abenteuer sind daher etwas dünn: Warum sollten sich „normale Bürger“ in einen Mordfall einmischen und die Aufklärung nicht den Behörden überlassen? Warum sollten sie überhaupt zusammenarbeiten und nicht einander misstrauen, wo doch gerade ein Killer umgeht, der offenbar die Liste benutzt? Ein anderes Beispiel: Im zweiten Abenteuer sollen Spieler durch eine mysteriöse Nachricht („Das fordert ihre Aufmerksamkeit“, S.24) mit auf die Ereignisse gestoßen werden. Weiß man später um die Drahtzieher und Hintergründe, ergibt das Sinn, wirkt im ersten Moment aber zu forciert und wie eine Falle. Die Hilfestellungen der Abenteuers, etwa „eine Serie von seltsamen Ereignissen ließ die Charaktere sich für den Vorort Yukidomari interessieren“ (S. 65), sind dabei wenig brauchbar. Die Ereignisse in Verbindung mit dem Horror-Genre provozieren geradezu das Misstrauen der Spieler, welches wiederum den Ablauf der Abenteuer erschwert und viel Improvisation vom Spielleiter notwendig macht. Für einen Anfänger auf dem SL-Platz ist Makkura damit sicher nichts.

Ein anderes Problem von Makkura sind Unsicherheiten im Ton. So passen die Ereignisse der Kampagne nicht immer zum im Grundregelwerk vorherrschenden Horror. Visionen der Spielercharaktere von schattenhaften Samurais, die dazu auffordern „auf das Blut“ zu hören, wirken etwa kitschig. Dass sich einer der Shi-Tenno als professioneller Wrestler mit Namen „Phoenix“ tarnt, und so mit schwelender Haut in der Gesellschaft davonkommt, ist schlichtweg albern.

Preis-/Leistungsverhältnis

Mir lag die PDF-Version von Makkura zur Rezension vor. Mit 24 EUR liegt diese im oberen Preissegment für Rollenspiel-Abenteuer. Man kann alle sechs Abenteuer dabei an je einem Spielabend durchspielen und kommt damit auf sechs gefüllte Spielabende für den Preis. Unsere Spielrunde hat für alle Abenteuer mit Nebengeschichten allerdings ein halbes Jahr gebraucht. Ob das preislich in Ordnung geht, muss wohl jede Spielrunde selbst entscheiden. In meinen Augen hätte die PDF-Version aber ein paar Euro günstiger sein können.

Erscheinungsbild

Kuro_coverDas Äußere des Kampagnenbandes ist solide. Das Cover mit der japanischen Oni-Maske passt zum Inhalt des Rollenspiels. Das Layout ist sehr gut aufgebaut und wird durch erklärende Kästen aufgelockert. Unterschiedliche Schriftbilder und Größen erleichtern das Navigieren am Spieltisch. Die Illustrationen (etwa zwei pro Abenteuer) sind weitgehend stimmig und betonen die düsteren Aspekte der Handlung. Nur einige weichen vom Stil ab und hätten wohl besser in ein Anime gepasst. Karten und Bodenpläne fehlen leider und die Werte der NSC befinden sich nicht im Anhang, sondern in den einzelnen Kapiteln, was das Rauskopieren erschwert. Abgerundet wird das Ganze von einem ausführlichen und sehr brauchbaren Glossar von japanischen Fachbegriffen, die verwendet werden.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Cubicle 7
  • Autor(en): Julien Heylbroeck, Laurent Devernay and Willy Favre
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Englisch
  • Format: PDF, Softcover
  • Seitenanzahl: 131
  • ISBN: 978-0-85744-161-4
  • Preis: 24,99 EUR (PDF & Softcover)
  • Bezugsquelle: DriveThruRPG.com, Sphärenmeisters Spiele, Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Auf der Homepage von Cubicle 7 finden sich Ausschnitte des Grundregelwerks zum Download, darunter die Archetypen zum Charakterbau, eine Kurzbeschreibung der Welt sowie eine Übersicht der Kampfregeln. Diese können einer Spielrunde als Handouts dienen und bei der Vorbereitung der Makkura-Kampagne helfen. Für Spielleiter gibt es noch Werte zu Oni und Tengu, sowie eine Beschreibung populärer Kulte und Sekten. Auf RPGNow findet sich zudem das kostenlose Bonusabenteuer Last Stop.

Fazit

Makkura lässt mich unschlüssig zurück: Einerseits ist der Abenteuerband handwerklich gut gemacht und setzt auf Freiheit des Spielleiters mit zahlreichen Aufhängern für Nebengeschichten. Auch die Verneigung vor der japanischen Kultur, in meinen Augen eine Stärke von Kuro, wird ausgebaut. Kleine kulturelle Details wie das Kaidan-Fest oder Erklärungen zum Okina-Theter machen Makkura definitiv lesenswert. Die Geschichten greifen geschickt ineinander über, sind richtig spannend und teilweise mit gravierenden Twists versehen. Der Metaplot treibt die Charaktere dabei voran und verbindet die sechs Abenteuer zu einem epischen Ganzen.

Auf der anderen Seite wirken der Aufstieg der Spielercharaktere und ihr Kampf gegen die Geister des Yomi seltsam unpassend. Die Suche nach Artefaktwaffen, belagerte Klöster, Treffen mit dem Kaiser und böse Dämonen (samt Endkampf) erinnern mich zu sehr an typische Fantasygeschichten. Damit verändert sich Kuros Atmosphäre von japanischem Horror eines The Ring zu einem apokalyptischen Szenario eines Akira. Das ist zwar immer noch spannend, verliert aber den Charme eines pointierten Indie-RPGs und wirkt mehr wie ein punkiges Shadowrun mit Gruselgeschichten und japanischem Anstrich –  eine Assoziation, die ich nach der Lektüre des Grundregelwerks so jedenfalls noch nicht hatte. Vielleicht ergibt das Ganze erst mit dem 2016 erscheinenden dritten Band Kuro Tensei wirklich Sinn, in dem die Charaktere als Verteidiger von Japan mit mystischen Kräften direkt gegen die Oni antreten. Scion in Japan? Ich bin ja mal gespannt. Was bis dahin bleibt, ist ein unabgeschlossener Metaplot, der das ursprüngliche Setting von Kuro stark modifiziert.

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Artikelbilder: Cubicle 7 
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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