Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Die Reihe Die Welt der 1000 Abenteuer von Jens Schumacher erschien bisher in acht Bänden bei Schneiderbuch im Egmont Verlag. Der letzte Band wurde 2014 vom Mantikore-Verlag veröffentlicht, der sich seit langem einen Namen unter Fans von Spielbüchern gemacht hat.

Handlung

In den Fängen der Seehexe hält sich gar nicht erst mit einer komplexen Vorgeschichte auf: Der Protagonist erfährt bei seiner Ankunft im Inselkönigreich Corallia von der Gram des Monarchen Chaldur über seine entführte Tochter. Diese ist in der Gewalt der Seehexe Stormothra, die für die Rückgabe der Prinzessin nicht weniger fordert als den Thron. Schon vor fünfzig Jahren war ein Staatsstreich der Schwarzmagierin gescheitert, die daraufhin von König Chaldurs Vater mit einem magischen Bann belegt wurde, ihr Dasein künftig im Meer zu fristen.

So obliegt es nun dem Protagonisten, in 300 Abschnitten allein bis zum durch einen mächtigen Strudel geschützten Palast Stormothras durchzudringen und dort die Seehexe zu stellen. Damit der Held überhaupt unter Wasser überleben kann, hat er von Hofmagier Marmali einen magischen Trank verabreicht bekommen, der ihm Kiemen wachsen lässt. Auch erhält er zwei Atemperlen, die die schwindende Kraft des Tranks wieder aufzufrischen vermögen. So spielen diese Perlen auch eine wichtige Rolle im Verlauf des Abenteuers: ist ihr Vorrat aufgebraucht, findet die Queste sofort ein unrühmliches Ende. Zum Glück kann der Leser mit etwas Glück seine Reserve durch entsprechende Funde wieder auffrischen.

Der Weg zu Stormothras Palast ist vielseitig, immer wieder trifft der Leser auf neue seltsame Meeresbewohner wie etwa gigantische Muscheln, Anglerfische oder plappernde Seepferdchen. Mit etwas Glück schließt sich auch eine junge Seeschlange dem Protagonisten als Begleiter an. Immer wieder entdeckt man die Opfer von Stormothras Tücke: versunkene Schiffe, verfluchte Seelen oder eingeschüchterte Seemagier. Das unterseeische Szenario ist letztlich aber doch nur schmückendes, wenn auch stimmungsvolles Beiwerk. Sämtliche Rätsel und Begegnungen funktionierten auch problemlos an Land, dennoch versprühen ausgefallene Ideen wie Trollakudas, Aqua-Utans oder Schwammgolems ihren eigenen Charme.

Schaut man sich nur gründlich genug um, so stößt man auf immer wieder auf Hinweise, wie man aus der Konfrontation mit Stormothra und ihren Schergen siegreich hervorgehen kann: Mal hört man hier das Losungswort für die Zugbrücke, erfährt dort von einem machtvollen Gegenstand oder von einer Verwundbarkeit der Seehexe.

All diese umfangreiche Vorarbeit macht In den Fängen der Seehexe aber im Finale wieder zunichte. So ist etwa die letzte Passage durch Stormothras Palast mit einer Falle versehen, für die der Spieler zwingend die nötigen Hinweise gefunden haben muss, nur mit Grips lässt sich dieses Hindernis nicht überwinden. Ähnlich unfair geht es weiter: Anstatt dem Leser auf Grundlage der gefundenen Hinweise und Gegenstände die letzte Konfrontation mit Stormothra mehr oder weniger schwierig zu gestalten, erweist sich letztlich nur ein einziger Weg als der richtige. Selbst der Einsatz eines gut im Spiel versteckten Artefakts führt schließlich nur in eine Endlosschleife, in der der Held bis zum bitteren Ende von den Schergen der Seehexe attackiert wird.

So bleibt am Ende der Lektüre ein schaler Beigeschmack: In den Fängen der Seehexe nutzt sein eigenes Potential nicht aus und bestraft den Leser erbarmungslos dafür, nicht den einzig richtigen, vom Autor vorgesehenen, Weg beschritten zu haben.

Regeln

Die Regeln von In den Fängen der Seehexe geben sich sehr kompakt, so dass der Leser während seines Abenteuers lediglich Ausrüstung und Hinweise notieren muss. So verzichtet der Band auch auf die tiefgehende Erschaffung eines individuellen Charakters, wie sie in vielen Spielbüchern üblich ist. Der Leser hat lediglich die Wahl zwischen den fünf Talenten Klettern, Tiersprache, Schriftenkunde, Verbergen und Vorahnung, von denen sich das letzte als am nützlichsten erweist.

Auch die weiteren Regeln sind sehr reduziert: Als Zufallsgenerator fungiert eine einzelne Seite, auf der etliche Runensteine abgebildet sind. Immer wieder wird der Leser aufgefordert, das Schicksal herauszufordern, blind auf die Runenseite zu tippen und abhängig vom getroffenen Symbol weiterzulesen. Allerdings kommt es nicht selten vor, dass ein Ergebnis auch zu einem jähen Tod des Protagonisten führt und der Leser seine Queste von vorn beginnen muss, so er nicht schummelt und einfach zurückblättert.

Als ähnlich tödlich erweist sich das minimalistische Kampfsystem. Jedes Gefecht geht über maximal fünf Runden, für die das Buch jeweils fünf Codes zwischen 1A und 8E anbietet. Der Leser sucht sich genau einen davon aus und schlägt diesen in einer Tabelle nach, um das durch ein Symbol gekennzeichnete Ergebnis Sieg, Niederlage oder Unentschieden zu ermitteln; bei letzterem wird der Kampf in der nächsten Runde fortgesetzt. Dabei sind nicht alle Kämpfe gleich gestaltet: gegen einen sehr starken Gegner ist es wahrscheinlicher, auf das Niederlage- als auf das Erfolgssymbol zu tippen. Manchmal folgen die Gefechte auch einer gewissen Dramaturgie, so dass es in einer Runde etwa gar kein Sieg zu erreichen und das beste Ergebnis ein Unentschieden-Symbol ist. Da das Spielbuch aber auf Lebenspunkte oder ähnliches verzichtet, kann somit eine einzige, im Grunde willkürliche, Entscheidung zum plötzlichen Ende des Abenteuers führen. Natürlich kann ein Spieler sich im Vorfeld die tödlichen Kombinationen einfach einprägen, um dieses Risiko zu umgehen. Ich selbst bin dazu allerdings nicht in der Lage und fand mich den doch recht zufällig wirkenden Codes hilflos ausgeliefert.

Eigentlich gefällt mir ein solcher Minimalismus sehr gut, bei dem das Spielbuch selbst dem Abenteurer bereits alle nötigen Utensilien an die Hand gibt. In der Umsetzung allerdings ergeben sich daraus zahlreiche Sackgassen, in denen der Leser sich mit dem jähen Ableben des Protagonisten konfrontiert sieht. Eine gewisse Frusttoleranz sei bei der Lektüre also anempfohlen.

Schreibstil

Das Spielbuch ist routiniert geschrieben und fängt den exotischen Charme der Unterwasserwelt wirkungsvoll ein. Man merkt schnell, dass In den Fängen der Seehexe nicht das erste Werk von Autor Jens Schumacher ist. Die verschiedenen Pfade zum Ziel erweisen sich als abwechslungsreich und spannend, bis in der finalen Begegnung mit der Seehexe allerdings nur ein Weg zu einem Triumph führt.

Preis-/Leistungsverhältnis

Der Preis für das Spielbuch ist mit 9,95 EUR vergleichbar mit ähnlichen Werken im Taschenbuchformat. Die Erkundung der vielseitigen Pfade wird den Leser lange beschäftigen, allerdings muss er sich auch, wie oben beschrieben, auf etliche frustrierende Sackgassen gefasst machen.

Erscheinungsbild

In den Fängen der Seehexe - Mantikore Verlag - CoverDas Spielbuch erscheint im klassischen Taschenbuchformat. So liegt es gut in der Hand und verträgt das für Spielbücher typische Blättern sehr gut. Die einzelnen Abschnitte sind großzügig gesetzt und mit angenehm großen Ziffern versehen.

Die wenigen Regeln werden auf den ersten zehn Seiten erklärt, hier finden sich auch eine Übersichtskarte des Landes der 1000 Abenteuer, die Tabelle für die Kampfergebnisse sowie die Seite mit den Runen für Zufallsergebnisse. Daran schließt sich ein kurzer Prolog an, nach dem dann das eigentliche Abenteuer mit Abschnitt 1 beginnt.

Insbesondere die Illustrationen und Vignetten von Hauke Kock haben es mir angetan. Diese bestechen durch einen sehr dynamischen Strich mit einem Auge für feine Details, die die besondere Stimmung der Unterwasserwelt gut einfangen.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore-Verlag
  • Autor: Jens Schumacher
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Deutsch
  • Format: broschiert
  • Seitenanzahl: 280
  • ISBN: 978-3-939212-74-4
  • Preis: 9,95 EUR (Taschenbuch), 4,99 (Kindle)
  • Bezugsquelle: Amazon (Taschenbuch), Amazon (Kindle)

 

Fazit

Das Spielbuch In den Fängen der Seehexe entführt den Leser in ein unverbrauchtes Unterwasserszenario, das gekonnt die Exotik dieses Schauplatzes einfängt. Vielseitige Wege führen zum Palast der Seehexe Stormothra, um dort die entführte Tochter des Königs der Insel Corallia zu befreien. Dieser gute Eindruck wird aber getrübt durch einige Makel.

Die reduzierten Regeln verlangen vom Leser nur, Ausrüstung und Tipps zu notieren, erweisen sich dabei aber während der Lektüre als umso tödlicher. Eine falsche Entscheidung in einem Scharmützel, oder eine schlechtes Ergebnis bei einer Zufallsrune, führen zum sofortigen Ableben des Helden und verlangen vom Leser einiges an Frusttoleranz.

Das größte Ärgernis erwartet den Protagonisten aber auf dem Weg zum Finale. Hat man nicht den einzig richtigen Weg eingeschlagen, so übersieht man wichtige Ratschläge für das Überwinden von Fallen, die nur mit Grips nicht zu lösen sind. Auch das finale Duell mit der Seehexe ist erbarmungslos: Hat man im Laufe der Lektüre noch vielseitige Hinweise für eine siegreiche Konfrontation mit Stormothra sammeln können, so ist letztlich nur genau ein Vorgehen von Erfolg gekrönt – alle anderen Tipps führen unweigerlich zu einer Niederlage.

So bleibt In den Fängen der Seehexe letztlich ein Spielbuch, das sein eigenes Potential leider nicht ausnutzt und am Ende einen unnötig schalen Beigeschmack hinterlässt.

Daumen3maennlich

Artikelbilder: Mantikore Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein