Geschätzte Lesezeit: 9 Minuten

Der Roman Marsbound ist der Auftakt zu Haldemans neuer Trilogie. Es ist entgegen aller Erwartungen kein primär kriegerisches Buch. Was im Klappentext wie das feindliche Aufeinanderprallen zweier Welten klingt, ist im Buch selbst hauptsächlich kultiviert, interessant und stellenweise rätselhaft beschrieben. Was gut ist, wenn man diese Richtung mag und nach der Lektüre des Klappentextes keine allzu anderen Erwartungen hatte. Und weniger gut, wenn man auf spannende Weltraumaction hofft. Werfen wir also einen genaueren Blick auf dieses Buch.

Story

Carmen Dula ist 19 Jahre jung und wird mit ihren Eltern für fünf Jahre auf den Mars ziehen. Die probeweise Besiedelung des Mars wurde als Lotterie ausgeschrieben und Carmen und ihre Familie haben gewonnen. Beide Elternteile sind Wissenschaftler, so wie auch die Eltern vieler anderer Jugendlicher, die dorthin ziehen. Die Auswahlkriterien für Erwachsene, um eine Chance zu haben, an diesem Projekt teilzunehmen, sind Bildung und soziale Anpassungsfähigkeit. Die Kinder müssen sich in einem Test als stabil und normal erweisen, also haben Carmen und ihr Bruder Card für den Test gebüffelt, um in das Projekt zu kommen. Die Familie hat diverse Eignungstests und vorbereitende Übungen hinter sich, die sie auf die schwindende Schwerkraft im Weltall und das Leben auf dem Mars vorbereiten sollen. Zwei Jahre nach ihrem Antrag ist schließlich die Abreise. Mit einem Aufzug geht es hinauf ins Weltall. In diesem leben Carmen, ihr Bruder und ihre Eltern zwei Wochen lang zusammen mit 32 anderen Leuten.

Der Aufzug endet an einer Raumstation, in der sie ein paar Stunden verbringen, ehe sie mit dem Shuttle zum Mars aufbrechen. Sechs Monate sind sie in diesem Shuttle unterwegs, ehe sie schließlich auf dem Mars landen. Auf der Hinreise fängt Carmen etwas mit dem Piloten des Shuttles an, was auf dem Mars zu Problemen führt. Dort gibt es bereits eine bestehende Gemeinschaft und Carmen und ihre Familie bekommen strenge Tagesabläufe und Regeln auferlegt. Dargo Solingen, die Kommandantin dort, sieht es gar nicht gerne, dass ein Pilot ein Verhältnis zu einer jungen Passagierin hat und behandelt Carmen strenger als alle anderen. In einem Anflug jugendlichen Trotzes nach einer Bestrafung verlässt Carmen nachts die Basis – und gerät auf dem Mars in Schwierigkeiten. Hierbei begegnet sie einem Außerirdischen, über dessen Herkunft und Rolle sie erst nach und nach Erkenntnisse sammeln wird. Der erste Kontakt zwischen Menschen und Außerirdischen entsteht. 

Mein Eindruck

Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen. Die Idee eines Aufzugs ins Weltall fand ich spannend, wenn es auch die Beschreibungen nicht schaffen, ein klares Bild davon zu zeichnen, wie genau das funktionieren kann. Sehr gelungen sind die Beschreibungen von Carmens Alltag sowohl im Aufzug als auch im Shuttle und später auf dem Mars. Von den täglichen Abläufen der Jugendlichen bekommt man ein detailliertes Bild. Was mir in der Geschichte fehlt, sind Informationen darüber, was genau man in der Marsstation eigentlich erforscht.

Die Eltern sind den ganzen Tag damit beschäftigt, man hat aber den Eindruck, als würden sie Carmen nie etwas von ihrer Arbeit erzählen, sodass das ganze Besiedlungsprojekt von Erwachsenenseite aus komplett ungeklärt bleibt. Klar ist, dass bevorzugt gebildete Leute ausgewählt werden und dass viele der Erwachsenen dort Wissenschaftler sind. Sie haben ebenso einen Zeitplan wie die Jugendlichen und verbringen viel Zeit bei ihrer Arbeit, die nicht näher erklärt wird. Was schade ist, denn am Anfang hat man den Eindruck, die ganzen Wissenschaftler vor Ort würden auf etwas Bestimmtes abzielen und dass man als Leser auch erfährt, was das sein könnte. Aber dann dreht sich die ganze Geschichte doch ausschließlich um Carmen, die Leben ihrer Familienmitglieder bleiben leer und werden auch nicht insoweit erwähnt, wie Carmen eigentlich Interesse zeigen sollte.

Unnötig und auch nicht sehr realistisch erscheint mir die entstehende Beziehung zwischen dem etwa 30-jährigen Paul und der knapp 19-jährigen Carmen. Ihr Anflug von Teenager-Trotz, sich noch schnell entjungfern zu lassen und zwar in dem Raumschiff im Schwebezustand, ist dann selbst für ihre rebellische Art ein wenig viel. Womit wir auch zu den Charakteren kommen.

Die Charaktere

Carmens Charakterzüge wirken stellenweise recht formlos. Zu Beginn macht sie einen kühlen, unnahbaren Eindruck, begleitet von jugendlichen Anflügen von albernem Trotz. Beispielsweise der Überlegung, dass sie keine Lust auf den Mars hat, weil es dort keine Jungs geben wird. Das ist etwas irritierend, weil man als Leser viel mehr Verständnis für die enthusiastische Carmen hat, die sie nach eigenen Worten zwei Jahre zuvor war. Das Mädchen, das die Vorstellung zum Mars zu fliegen aufregend fand. Zumindest bleibt die Darstellung von Carmen als nur vage interessiert durch das ganze Buch hinweg erhalten. Selbst in den Momenten, in denen sie „wirklich etwas tun möchte“, schafft Haldeman es nicht, sie allzu enthusiastisch darzustellen. Da das Buch aus ihrer Sicht verfasst wurde, wird alles in sehr pragmatischem Ton berichtet, stellenweise als sei sie gar nicht wirklich dabei gewesen.

Auch später im Buch, wenn Carmen eine wichtige Position einnimmt, sieht man sie nicht wirklich auf dieser Position. Sie macht das, was sich eben ergeben hat, aber ohne Elan. Für einen Nebencharakter könnte das alles als schlichtes Zeichen charakterlicher Eigenart durchgehen – für den Protagonisten ist es dafür aber nicht gut genug erklärt. Womöglich war es auch nicht Haldemans Intention, sie so wirken zu lassen, aber mir persönlich fehlt komplett jede Identifikationsmöglichkeit mit Carmen.

Ich habe schon erwähnt, dass man von Carmens Familie wenig erfährt. Sie taucht immer dann auf, wenn sie etwas mit Carmens Leben zu tun haben, und verschwinden dann wieder in der Versenkung. Was sie sonst so treiben, bleibt recht unklar.

Paul indessen, besagter Pilot, mit dem Carmen eine Beziehung eingeht, ist aus Gründen, die wir nicht verstehen, weiterhin mit Carmen zusammen und bei beiden wirkt es mehr wie eine Sexbeziehung als etwas Ernsthaftes. Später mischt sich ab und an so was wie Eifersucht hinein. An manchen Stellen wird deutlich, dass sie aufgrund ihrer Pläne (Carmen wird den Mars in fünf Jahren wieder verlassen, Paul will dort sesshaft werden) nichts Langfristiges planen, was dann bei einer Jugendlichen, die vor Paul noch nie Sex hatte (oder ernsthafte Interessenten) etwas deplaziert erscheint.

Wo die Ich-Perspektive andere Romane richtig gut macht, weil man intensiv mit dem Charakter fühlt und seine Beweggründe versteht und die Emotionen teilt, rettet diese Perspektive Marsbound so gerade davor, eine rein sachliche Erzählung zu werden. 

Zuletzt vielleicht noch ein Wort zu den Außerirdischen. Im Nachhinein wird vieles dahingehend klar, warum sie sind, wie sie eben sind, aber sie erscheinen einem, was die Kommunikation und das Grundverständnis angeht, doch recht menschlich. Das große Mysterium schlechthin ist ihr Verhalten nicht. Bei der Beschreibung ihres Aussehens habe ich kein richtiges Bild bekommen, deshalb hat sich in meinem Kopf im Nachhinein auch nur das „sah aus wie eine Kartoffel“ festgesetzt. Eine vergammelte Kartoffel, wohlgemerkt. Insgesamt ist die Grundidee dessen, warum diese Außerirdischen dort sind, was ihre Funktion ist und warum das notwendig ist, allerdings ziemlich neu und beeindruckend.

Aufbau und Auflösung

Obwohl ich bei Marsbound nicht von einem wirklichen Spannungsbogen reden kann, weil auch dramatische Situationen eigentlich nicht sehr dramatisch, sondern eher pragmatisch beschrieben werden, bleibt der Roman doch durch die neue Idee und die detaillierten Beschreibungen durchgehend interessant und regt zum Weiterlesen an. Der Hinflug nimmt etwa ein Drittel des Buches ein, was überraschend viel war, letztlich aber auch einen guten Eindruck vermittelt hat, sodass Haldeman sich künftig ausführliche Erklärungen zum Shuttle und dem Aufzug sparen kann. Das zweite Drittel befasst sich mit der ersten Kontaktaufnahme mit den Außerirdischen und den daraus resultierenden Problemen und das Dritte führt die Geschichte zu einem vorläufigen Ende. Gerade wenn man bedenkt, dass es eine Trilogie wird, ist diese Aufteilung im Grunde gut gelöst.

Die Auflösung ist erneut eigentlich dramatisch, aber nicht sonderlich fesselnd geschrieben und insgesamt entbehrt der Roman an echten Emotionen und nimmt sich sehr sachlich aus. Das muss nicht einmal unbedingt schlecht sein, denn gefallen hat er mit trotzdem und man erfährt viele wissenschaftliche Überlegungen zu dem, was geschieht, aber Weltraum-Action oder Weltall-Romanze ist es nicht und Carmen bleibt mir persönlich im Nachhinein auch eher fremd.

Der Autor

Joe Haldeman ist ein amerikanischer Science-Fiction-Schriftsteller, der unter anderem schon mit dem Nebula und dem World Fantasy Award ausgezeichnet wurde. Sein wohl bekanntester Roman ist Der ewige Krieg für den er den Hugo Award bekam. Dies war auch sein erster Roman, erschienen im Jahr 1977.

Schreibstil

Joe Haldeman versteht es, sich interessante Hintergründe auszudenken und diese dann auch anschaulich zu berichten. An den meisten Stellen werden seine Beschreibungen recht klar, wenn auch nicht durchgehend. Gerade im technischen Bereich schaffen es die Worte hier und da nicht ganz, ein lebendiges Bild von dem zu zeichnen, was der Autor sich vorgestellt hat.  Die Gestaltung seiner Charaktere lässt etwas zu wünschen übrig, es mangelt ihnen an Glaubwürdigkeit, weil man wenig über ihr Innenleben erfährt und über Gründe für das, was sie tun.

Preis-/Leistungsverhältnis

Mit einem Preis von 13,95 EUR liegt Marsbound für ein einfaches Taschenbuch im oberen Bereich der üblichen Preisskala. Die Bindung ist leider, wie es uns oft bei Taschenbüchern begegnet, wieder eine Katastrophe. Beim ersten Öffnen hört man es knacken und obschon die Seiten nicht herausfallen sondern fest sind, sieht man hier und da, gerade in der Mitte, umgehend die kleinen Einrisse am Innensteg der Seiten. Das Papier hat eine ordentliche Qualität, der Text ist anständig gesetzt und nicht zu nah am Innenbund. Aufgrund der mangelhaften Bindung und des hohen Preises fällt das Preis-/Leistungsverhältnis insgesamt aber eher schlecht aus.

Erscheinungsbild

Marsbound CoverBuchumschlag und Cover sind in einfachem Schwarz gehalten, darauf prangt wenig einfallsreich ein roter Planet. An die seltsam beschriebenen, kartoffelartigen Außerirdischen hat man sich wohl eher nicht herangewagt. Der Umschlag selbst ist gut gearbeitet und besteht aus passender, etwas festerer, biegsamer Pappe, wie man es von den meisten Taschenbüchern gewohnt ist. Der Roman hat einen Umfang von 369 Seiten und das übliche Taschenbuch-Format.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore-Verlag
  • Autor(en): Joe Haldeman
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch-Ausgabe
  • Seitenanzahl: 369 Seiten
  • ISBN: 9783945493120
  • Preis: 13,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Nicht vorhanden.

Fazit

Kein Sternenkrieg, keine Laserwaffen und keine per se aggressiven Weltraum-Monster, die gekommen sind, um uns zu schaden. Haldeman schafft es, die Bedrohung als eine deutlich Verständlichere darzustellen. Präventiv. Aus Angst vor den Menschen. Geplant, und doch mit diplomatischen Gesprächen und Unsicherheiten auf beiden Seiten. Zu viel möchte ich an dieser Stelle nicht verraten – aber in der Art und Weise wie Haldeman letztlich die Gegner der Menschen gestaltet hat, liegt ein großes Plus dieses Romans.

Wo die Andersartigkeit der Kartoffel-Wesen uns gefehlt hat, gleicht er das letztlich doppelt und dreifach wieder aus. Neue, innovative Ideen sorgen dafür, dass man über die Charaktergestaltung, die nicht jedermanns Fall sein muss, und einen mittelmäßigen Schreibstil hinwegsieht. Den Roman als spannend zu bezeichnen, wäre nicht ganz richtig, aber dafür schafft er es über lange Strecken hinweg, interessant zu bleiben und ein deutliches Bild vom Alltag der neuen „Astronauten“ zu zeichnen.

Als Auftakt für eine Trilogie ist Marsbound durchaus gelungen und ich bin gespannt, welche neuen Ideen die nächsten beiden Teile bereichern werden.

Daumen3weiblich

Artikelbilder: Mantikore Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

Über die Autorin

Stefanie SpieseckeSte­fa­nie Spiesecke ist Buch­händ­le­rin und Redak­teu­rin im Res­sort für phan­tas­ti­sche Lite­ra­tur. Sie unter­stützt teilzeithelden.de mit Berich­ten rund um das geschrie­bene phan­tas­ti­sche Wort.

 

 

 

 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein