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Eine alteingesessene Stammtischrunde voller dickbäuchiger und rotnasiger Bauern in einem kleinen Dorf im Herzen Bayerns, so stelle ich mir euch oftmals vor, wenn ich LARPern erklären will, dass LARP nicht mehr (nur) das kleine Nischenhobby ist, in dem sich Leute ihre Kettenhemden aus silbern angesprühten Häkelpullis von Oma machen. Ich kann es echt nicht mehr hören, wie schnell ihr die „gute alte Zeit“ beschwört, wo noch „ordentlich gespielt wurde, anstatt ein Wettrüsten um Gewandung und Rüstung“ zu veranstalten. „Damals konnte man noch mit einem Schwert und einem Kettenhemd ein Ritter sein.“

UND? Kannst du heute auch noch, wenn du Leute findest, die mitspielen wollen. Da hindert dich doch nun wirklich niemand dran. Such dir deine Freunde, schnapp dir nen Häkelpulli, silberne Sprühfarbe und ab geht’s. Aber darum geht es mir noch nicht einmal. Denn eigentlich geht es mir um ein ganz anderes Wort, das viel größere Abscheu hervorruft und einen glauben lässt, man würde Vampire mit einer Sonnenbank locken wollen:

 

Professionalisierung.

 

„Da is noch nie was Jutes bei rumgekommen …“

Die Professionalisierung, das scheinbar große Übel der LARP-Szene 2015. Sofort wird von euch gesagt, sie würde den Spielspaß töten, Kreativität einengen und nur darauf ausgelegt sein, Geld zu verdienen. Okay, back to the roots and f*ck that shit mit der Professionalisierung. Aber dann bitte komplett und nicht mehr nur auf dem Standard bleiben, den wir jetzt haben. Kein LARP-Kalender, kein Mytholon, keine Ambientezelte, keine Latexwaffen , keine Online-Buchungssysteme, keine LARP-Foren, kein Facebook, keine LARPzeit, keine Teilzeithel… (wowowow… okay, da hören wir dann doch mal lieber auf mit dem Gedankenexperiment). Wir LARPen wieder wie vor 20 Jahren. Zufrieden?

Merkt ihr es eigentlich? Der ganze Standard, den ihr jetzt habt und den ihr gut findet, der ist auf Professionalisierung zurückzuführen. Und nein, Professionalisierung heißt nicht, Geld verdienen zu wollen. Professionalisierung heißt, Wissen zu nutzen, um Dinge weiterzuentwickeln, und sei es nur, um zu wissen, wie viel Klopapier ich auf einer Con einplanen muss … Ja, richtig gelesen, ohne Professionalisierung hättet ihr wahrscheinlich zu wenig Klopapier auf den nicht geleerten Plumpsklos auf Cons. Super! Das ist doch genau das, was wir haben wollten … oder nicht?

Habt ihr euch eigentlich schon einmal Gedanken gemacht, was für eine Leistung in einer Orga-Arbeit steckt? Was die Organisatoren aufbringen müssen? Die Orga ist für jede Arbeitserleichterung dankbar. Professionalisierung ist dafür da, dass nicht jeder das LARP-Rad neu erfinden und dieselben Fehler machen muss. Aber hey, jeder darf sie machen, wenn er will oder lernresistent ist. Niemand zwingt jemanden dazu, das Mehr an Wissen zu nutzen, das andere für euch aufgeschrieben haben, oder die Werkzeuge zu benutzen, die sie gebaut haben. Ihr könnt weiter in Schwarz-Weiss fernsehen anstatt auf HD oder 4K, Vollkommen in Ordnung. Aber dann mäkelt verdammt nochmal nicht herum, dass die Bildqualität bei dem Film so schlecht ist und so farblos. Professionalisierung ist dafür da, das Wissen zu teilen und zu mehren, die Arbeit der Orga zu vereinfachen und die Rahmenbedingungen für uns Spieler besser zu machen und nicht, um den Status Quo zu erhalten.

Und wofür das ganze?

Logisch …, um Geld zu machen …

Nein! Verdammt nochmal. Wenn man wirklich Geld machen will, ist LARP das falsche Pferd auf das gesetzt wurde. Ihr könnt ja mal versuchen, eine Con zu organisieren, die jeden Beteiligten fair entlohnt für seine Arbeit … Viel Spaß dabei, Spieler zu finden, die den Teilnehmerbeitrag dafür bezahlen. Von Reibachmachen fangen wir da erstmal gar nicht an. LARP funktioniert nur, wenn alle beteiligten Herzblut reinstecken. Die Zeit und Kraft, die man dank Professionalisierung spart, können Orgas in Kreativität stecken, um ein besseres Ergebnis für alle zu erzielen, zum Beispiel einen besseren Plot, coolere Props etc. Auf Spielerseite heißt das, dass ihr angenehmere Umstände habt und ihr euch mehr auf euer Spiel konzentrieren könnt.

Ich muss dazu noch erwähnen: Natürlich gibt es Leute, die für professionelle Dienstleistungen Geld nehmen. No shit, Sherlock … Wenn Dinge irgendwann so komplex werden, dass ich sie nicht mehr nur in meiner Freizeit machen kann, sondern sie mehr und mehr Kapazitäten in meiner Zeitplanung einnehmen. Wenn ich Ausgaben habe und vielleicht auch etwas essen will, schlicht also, wenn ich meinem Beitrag zum Hobby LARP mehr widmen will, als nur einen kleinen Hobby-Anteil, dann brauche ich dafür Geld. Hierbei geht es meist weniger um das Geldverdienen an sich, als um das überleben wollen. Und solange sie da etwas erarbeiten, das uns allen hilft, warum auch nicht?

Ich hätte keine Zeit, um beispielsweise eine Software zu entwickeln, mit der ich Charaktere für ein LARP schreiben und verknüpfen und Handouts kreieren kann. Und wenn die Leute da gute Arbeit abliefern, die den Orgas hilft, wieso sollen sie dafür nicht bezahlt werden? Die werden damit nicht reich werden, dazu fehlt einfach die Kaufkraft bei den Orgas, aber sie können leben und sie haben LARP weitergeholfen. Also ist auch die „Kommerzialisierung“ des LARP nicht das Zeichen der Apocalypse, als das es immer wieder hingestellt wird. Im Gegenteil ist es ein Zeichen für Weiterentwicklung, eine Verbreiterung der Möglichkeiten. Und egal, was man sagt, niemand zwingt euch, zu einer Veranstaltung zu gehen, auf die ihr nicht möchtet.

Kriegt eure Ärsche vom Stammtisch weg

Wenn ihr also genug gegen den Fortschritt gewettert habt (denn nichts anderes heißt Professionalisierung in diesem Fall), wenn ihr euren Met leergetrunken habt und vom warmen Lagerfeuer weggekommen seid –  dann fragt euch doch mal selbst, wo die Menschheit wäre, wenn man wirklich nichts geändert hätte, weil man das ja „noch nie so gemacht hat“. Werdet euch klar darüber, dass eure (wachsenden) Ansprüche nun einmal nur befriedigt werden können, wenn man Abläufe optimiert und weiterentwickelt und das es teilweise nicht nur nicht anders geht, als dafür Geld zu nehmen, sondern, dass es auch noch gerechtfertigt ist. Und überlegt vielleicht auch, ob ihr es vielleicht nicht schafft, über den Tellerrand zu gucken, sondern in einem viel zu engen Wertesystem gefangen seid.

In der Regel ist es im LARP nämlich nicht so, dass euer Gegenüber euch etwas Schlechtes wünscht oder euch abziehen will. In der Regel wollen alle Spaß zusammen  haben. Also kriegt eure breitgesessenen Ärsche vom Stammtisch weg und tut selbst etwas, um das LARP voranzutreiben, als im kleinen Kreis darüber zu murren, wie schlecht doch alles geworden ist. Erstens ist es das gar nicht und zweitens habt ihr nur ein Recht zu murren, wenn ihr selbst etwas zu verändern versucht. Tut lieber etwas für den Fortschritt und die Professionalisierung, als dagegen sinnfrei anzukämpfen. Frage also nicht, was dein LARP für dich tun kann, sondern …

Artikelbild: Robert Kneschke | fotolia.de (c) 2015

 

14 Kommentare

  1. Wat jetzt, Alex? Volles Rohr Profi oder nicht? Dann aber nich zurückrudern bei „Damit Geld verdienen“.
    Denn auch das funktioniert. Frag Philip.
    Wer n guten Plan hat und kaufmännisches Wissen anwendet und das Ganze mit einer sauberen Story verbindet, der kann damit auch gerne Kohle scheffeln. Aber so wie Du das schreibst ist das dann auch wieder unfein, oder hab ich da zuviel reininterpretiert? Wirklich überzeugt hast mich nicht.
    Davon mal abgesehen: Die meisten Punkte deiner Profiliste hatten wir schon vor 20 Jahren (larp-kalender, latexwaffen, Ambientezelte, Händler (Teuer-Discounter hiess damals Drachenschmiede und nicht Mytholon), Foren)
    – Online-Buchungssysteme sind zwar nett, kommen aber seltenst zum Einsatz,
    – facebook – die Diskussion lassen wir mal außen vor – ,
    – LARP-Zeit … ok, das erste deutsche Magazin dazu, sehe ich nicht als Professionalisierung, denn das macht *mein* LARP nicht besser oder schlechter, das ist eher ein Über-den-Tellerrand-Gucker, — ein englisches Magazin gab es, das Blatt der Adventurers Guild. Habe ich immer noch diverse Ausgaben zuhause.

    Da frage ich mich dann doch eher, wieviel mehr Professionalisierung wir benötigen oder was heutzutage wirklich professionalisiert wird oder werden sollte. Oder ob das doch eher die neuste larper.ning Sau ist, die durchs Dorf getrieben wird und eigentlich nur in den Köpfen von einer Handvoll der üblichen Verdächtigen existiert.

    Als rant irgendwie planlos.

  2. Das sind eine ganze Menge inhaltliche Leerkalorien. Ein allgemeingültiger Anspruch und Standards für eine derart fragmentierte und vielartige Szene kann nur am Ziel vorbei gehen. Warum sollte ein Spielleiter, der rundherum zufrieden ist, sein Spiel verbessern müssen?

    Die Forderung „Mehr Pro­fes­sio­na­li­sie­rung“ müsste sich vornehmlich an die Spielleiter richten, im Text wird aber eher gegen Spieler gewettert, die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung als Konzept ablehnen. Das wirkt inhaltlich ein bisserl dünn, selbst für eine angegstrebte Tirade.
    .
    Tatsächliche wäre die Frage, ob eine SL Geld verdienen darf und in welchem Grad das geschehen sollte, deutlich spannender und ergiebiger.

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