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In meiner Kolumne „Die letzte Seite“ möchte ich in regelmäßigen Abständen Schlaglichter auf Phantastik und Co. werfen. Heute geht es um die Frage, ob die zeitliche Länge eines kreativen Prozesses auch etwas über das Endprodukt aussagt.

Die alte Weisheit besagt ja, dass jede Reise mit einem kleinen, ersten Schritt beginnt. Dagegen ist nichts einzuwenden – viel wichtiger ist jedoch die Frage, wie lange eine Reise eigentlich dauert. Wie lange dauert es ein „gutes“ Buch zu schreiben? Was ist eigentlich „gut“? Und kann man kreatives Schaffen wirklich so einfach mit Zeit bemessen? Fragen über Fragen, denen ich mich in der heutigen Kolumne widmen möchte.

Kennt ihr den National Novel Writing Month (NaNoWriMo)? Es handelt sich um einen seit 1999 bestehenden Wettbewerb, bei dem alle, die sich berufen fühlen, binnen eines Monats – dem November – eine Geschichte mit 50.000 Wörtern schreiben und einreichen können. Initiiert wurde die Ausschreibung von Chris Baty und erfreut sich mittlerweile einer unglaublichen Beliebtheit. Während 1999 gerade einmal (wobei diese Zahl schon bemerkenswert ist) einundzwanzig Personen aus dem Umfeld des Autors teilnahmen, waren es 2014 atemberaubende 325.142 Personen auf der ganzen Welt. Natürlich haben nicht alle Teilnehmer binnen der Monatsfrist ein komplettes Werk abliefern können, aber das ändert ja nichts am Charakter der Veranstaltung.

Offensichtlich ist es möglich, binnen eines sehr kurzen Zeitraums eine Geschichte zu Papier zu bringen. Natürlich, den Teilnehmern des NaNoWriMo wird geraten, die notwendige Vorarbeit – Recherche, Plot, Charakterausgestaltung usw. – bereits vor dem 1. November eines Jahres zu leisten. Es geht bei der Ausschreibung also um die reine Schreibzeit, wenn man so will.

Geht das denn?

Und ich höre sie schon, die Unkenrufe. Für viele Menschen scheint nicht vorstellbar, dass innerhalb eines so kurzen Zeitraums eine gute Geschichte entstehen kann. Da herrscht die Meinung vor, dass eine Geschichte viel mehr Zeit braucht – dass Wochen, Monate oder Jahre vergehen müssen, bevor eine Erzählung das Licht der Welt erblicken kann. Ich frage mich dabei ja immer: Wer hat diese Regeln aufgestellt? Wer hat irgendwann festgelegt, dass ein Buch, das innerhalb von drei Wochen entstanden ist, schlechter ist als eines, das drei Jahre gebraucht hat? Zu oft bin ich mittlerweile an Kollegen geraten, die ins gleiche Horn gestoßen haben.

Will man sich dem Sachverhalt nähern, muss man erst einmal überlegen, an welchen Maßstäben sich die Güte eines Buchs bemessen lässt. Und hier fängt es schon an. Ist ein Buch, dass im Feuilleton hochgelobt, vom Publikum jedoch verschmäht wird ein gutes Buch? Ist das Buch, das von der Fachpresse nicht wahrgenommen, von den Kunden aber gekauft wird, ein gutes Buch? Eine Frage der Maßstäbe, die man anlegt. Der Selbstwahrnehmung und der Frage, für welches Publikum der Autor eigentlich schreibt.

Persönlich habe ich immer eine ganz einfache Schlagrichtung: Der Erfolg eines Buchs lässt sich einzig und allein an seinen Verkaufszahlen messen. Für den Autor, der davon leben will, kann es im Grunde keine andere Bewertung geben. Verkaufszahlen wiederum sagen nicht zwangsläufig etwas über die Güte eines Buches aus, so viel ist auch klar. Qualität liegt eben auch im Auge des Betrachters. Und das ist letztlich das Problem.

Um den Bogen zurück zum NaNoWriMo zu schlagen und die plakative Eingangsfrage zu beantworten: Ja, natürlich geht das. Im Laufe der letzten siebzehn Jahre haben 351 der im Wettbewerb eingereichten Geschichten traditionelle Verleger gefunden, weitere 176 sind durch Selfpublishing erschienen. Und wer es jetzt noch auf die leichte Schulter nimmt und über die entstandenen Werke schmunzelt, der sollte einen Blick darauf werfen, welche Bücher ihre Ursprünge im Wettbewerb hatten. Da wäre beispielsweise das 2006 entstandene Wasser für die Elefanten von Gruen (das wiederum 2011 verfilmt wurde); der Nachtzirkus von Morgenstern oder aber Wie Monde so silbern von Meyer. Allesamt Werke, von denen man sagen kann: Ja, sie waren erfolgreich und sie sind binnen dreißig Tagen entstanden.

1667 Worte

Die Rechnung ist einfach: Wer 50.000 Wörter innerhalb von dreißig Tagen zu Papier bringen will, der muss täglich 1.667 Wörter zu Papier bringen. Über den Daumen gepeilt sind das sieben Normseiten. Ein Aufwand, der durchaus zu schaffen ist, auch mit einem regulären Vollzeitberuf. Die Frage, ob es quantitativ möglich ist, innerhalb eines kurzen Zeitraums eine Geschichte zu Papier zu bekommen, stellt sich mir daher überhaupt nicht.

Vergleicht man die notwendigen 1.667 Wörter aus dem NaNoWriMo übrigens einmal mit dem Output von Autoren, die von ihrer Schreibe leben können, so merkt man, dass die Zahl eher im Mittelfeld liegt. So sagt Nicholas Sparks von sich, er schreibe täglich um die 2.000 Wörter, der Kinderbuchautor Hamilton lag bei 4.000, Doyle brachte 3.000 zu Papier und Crichton gibt für sich 10.000 pro Tag an. Weitere Autoren und ihr täglichen Schlagzahlen finden sich übrigens bei Writerswrite.com.

Nimmt man den kommerziellen Erfolg einer Publikation als Gradmesser für die Güte einer Geschichte, so kann man nur zu dem Schluss kommen, dass umfangreiche und gute Bücher binnen kurzer Zeit entstehen können.

Warum aber hält sich die Meinung, dass ein gutes Buch Zeit braucht?

Perfektionismus …

Einer der Gründe könnte im Perfektionismus liegen. Jeder der schreibt, möchte im Grunde eine perfekte Arbeit abliefern. Jedoch ist das so eine Sache: Wann ist etwas perfekt? Welchen Ansprüchen will ich als Autor eigentlich genügen?

Ich bin da ganz ehrlich. Die perfekte Geschichte gibt es in meinen Augen nicht und der Grund dafür ist schnell erklärt: Geschmäcker sind eben verschieden. Es wäre utopisch anzunehmen, dass man eine Geschichte zu Papier bringen könnte, die allen Lesern gleichermaßen gefallen wird. Es geht immer nur um eine bestimmte Gruppe von Lesern, die man erreichen kann. Und es ist, wie es ist: Die einen halten Martins Lied von Eis und Feuer für eine großartige Geschichte, andere wiederum können mit der Erzählung nichts anfangen. Ähnlich ist es beispielsweise auch mit Rowlings Harry Potter oder Butchers Harry Dresden (zwei magiebegabte Protagonisten mit demselben Vornamen? Ein Schelm, wer da Böses denkt!).

Der Traum eines Autors ist natürlich, irgendwann den Volltreffer zu landen, der es ihm ermöglicht, vom Schreiben zu leben. Insofern ist der an den Tag gelegte Perfektionismus irgendwo verständlich und nachvollziehbar. Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass es sich damit um den größten Stolperstein auf dem Weg zu einer Geschichte handeln kann. Ich bin überzeugt davon, dass zahlreiche Autoren an ihren eigenen Idealen scheitern. Der Drang, von Anfang ein eine perfekte Arbeit abliefern zu wollen, beflügelt dann nicht, er ist dann ein Hemmschuh. Dabei ist es doch eigentlich ganz einfach: Übung macht den Meister. „Gutes“ (also erfolgreiches) Schreiben ist ja keine Qualität, die einem in die Wiege gelegt wurde. Es ist eine Kompetenz, die erlernt werden kann – und zu jedem Lernprozess gehört Übung.

Ein Autor wächst im Grunde mit jeder Geschichte, die er schreibt und mit jedem Buch, das veröffentlicht wurde. Er lernt neue Techniken kennen und weiß später vielleicht, wie man eine Geschichte noch besser hätte erzählen können. Er erhält Feedback und kann dadurch viel besser einordnen, wo er den Geschmack der Leserschaft getroffen hat und wo nicht. Sicher, es gibt auch solche Autoren, die angeben, Geschichten eher für sich zu schreiben; aber die spielen in dieser Betrachtung keine Rolle.

… und Vorbereitung

Der Schlüssel zum Schreiben liegt für mich in der Vorbereitung. Es ist eine einfache Fingerübung, täglich 2.000, 4.000 oder 8.000 Wörter zu schrieben, wenn ich mir im Vorfeld klar darüber bin, wohin ich eigentlich will.

Die eigentliche Arbeit liegt also nicht im Schreibprozess, sondern in der Zeit vorher, in der Ideen abgewogen, Schauplätze erdacht und Charaktere geformt werden. Das ist für mich der eigentliche kreative Prozess, der die meiste Energie erfordert. Wenn der einmal abgeschlossen ist, dann müssen die Worte nur noch zu Papier gebracht werden. Ohne Vorbereitung kommt der ganze Schreibprozess ins Stocken, es wird an dieser oder jener Stelle gestolpert.

Sicher, die Vorbereitungszeit muss dann eigentlich auf die reine Schreibzeit eines Buches aufgerechnet werden. Aber auch hier macht Übung den Meister. Mir ging es zu Beginn beispielsweise so, dass ich mich richtig lange hinsetzen und planen musste. Mittlerweile geschieht das ganz automatisch, quasi während ich andere Dinge mache. Ist wohl ein bisschen wie mit dem Autofahren. Zuerst schwitzt du Blut und Wasser, doch wenn du dann einige Jahre die Straßen unsicher machst, gehen all diese notwendigen Handgriffe in Fleisch und Blut über, verselbstständigen sich. So ist es für mich mittlerweile eigentlich auch mit guter Vorbereitungen. Während Auto- oder Bahnfahrten denkt man ganz beiläufig an das nächste Projekt, beim Einkaufen ist man gedanklich dabei einen Handlungsstrang zu begradigen. Und wenn man dann daheim sitzt, muss man im Grunde nur noch schreiben.

Routine

Über den wichtigsten Aspekt habe ich aber noch gar kein Wort verloren. Es geht um Routine, und das ist vielleicht der schwerste Teil. Wer sich tagtäglich Zeit zum Schreiben nimmt, der wird am Ende auch ordentliche Schlagzahlen erreichen, die wiederum dazu führen, dass eine Geschichte recht schnell erzählt sein kann. Mit zwei bis drei Stunden reiner Schreibzeit am Tag – das wäre zumindest der Rahmen, den ich anlegen würde – ist es durchaus möglich, eine Geschichte binnen weniger Tage oder Wochen zu erzählen.

Das setzt natürlich Disziplin voraus. Es ist nicht immer einfach, sich konsequent Abend für Abend (oder wann auch immer es einem die innere Programmierung vorgibt) vor den Rechner zu setzen und in die Tasten zu hauen. Manchmal war der Tag schon stressig genug, die Arbeit steckt einem noch in den Knochen und der innere Schweinehund rät von weiteren Anstrengungen ab. Es kostet schon ein bisschen Kraft, sich gegen diese Verlockungen zu stellen und sich anstatt für das Sofa und einige Stunden Netflix dazu zu entscheiden, zu schreiben.

Aber es lohnt sich. Im Grunde gibt es nichts Schöneres als das Gefühl, eine schier unerschöpfliche Ölquelle angezapft zu haben. Wenn die Worte einfach so aus einem heraussprudeln und ihren Weg auf das (virtuelle) Papier finden, dann weiß man, genau in seinem Element zu sein.

Artikelbild: Flickr, Christine Olson, CC-Lizenz: CC BY-ND 2.0

 

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