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Im Mai 2012 erschien im englischen Original der erste Band der Reihe Destiny Quest, der durch seinen enormen Umfang schnell eine treue Fangemeinde um sich scharen konnte. Inzwischen hat Autor Michael J. Ward insgesamt drei Bände über das Land Valeron veröffentlicht, von denen der erste mit dem Titel Die Legion der Schatten nun auch auf Deutsch beim Mantikore-Verlag erhältlich ist.

Handlung

Die Geschichte von Die Legion der Schatten erstreckt sich über drei umfangreiche Akte mit insgesamt 939 Abschnitten. Dabei wird diese Aufteilung nicht vom Text selbst übernommen, stattdessen findet der Leser zu Beginn des Buches drei einseitige Übersichtskarten, auf denen er einzelne Questen auswählen kann. Hier offenbart sich schon die erste Stärke von Destiny Quest: Der Spieler ist frei in der Gestaltung der Reihenfolge, in der er die vielen angebotenen Abenteuer bewältigen will – theoretisch spricht auch nichts dagegen, eine Queste ganz auszulassen.

Allerdings suggeriert die Übersichtskarte schon direkt einen Ablauf der Ereignisse, da jede Queste durch ein von vier Symbolen gemäß ihrer Schwierigkeit von leicht (Speer) bis sehr schwer (Schwert) gekennzeichnet ist. Weitere Symbole runden das Bild ab: Städte und Dörfer sind gerade zu Beginn eines Aktes eine Anlaufstelle. Legendäre Monster bieten besonders herausfordernde Kämpfe, die nur wenige Abschnitte umfassen. Jeder Akt wird zudem mit einem separaten Endgegner abgeschlossen.

Die Karte der Handlung
Die Karte der Handlung

Akt 1 gibt sich noch sehr beschaulich. Nachdem der eigene Held ohne Gedächtnis nach einem Räuberüberfall wieder erwacht, erhält er von einem im Sterben liegenden Knappen dessen Empfehlungsschreiben für die Ausbildung als Ritter bei Meister Avian Dal. In der ländlichen Region, in der dieser Lehrer sein Refugium hat, sorgen sich die Dörfler und Bauern allerdings um eine Dürre und andere Unbill, die sie einer Hexe zuschreiben – oder ist dies vielleicht doch nur Aberglaube und jemand anders steckt dahinter? Am Ende des Aktes wird der Held jedoch unvermittelt in die eigentliche Geschichte gestoßen, als die Magie des purpurnen Schattenmal auf seinem Arm der titelgebenden Legion der Schatten die Rückkehr durch das lange verschlossene Schattentor ermöglicht.

Akt 2 läuft so zwar auch auf die Suche nach dem Einsiedler Cornelius hinaus, um Hinweise für die Bekämpfung der Legion zu erhalten, vor allem aber erkundet man das Areal in abwechslungsreichen Questen. So steigt der Held in die Lavaschlucht unter einem Meteoriteneinschlag hinab oder sucht nach einer versunkenen Stadt am Grund eines Sees. Erst in Akt 3 nimmt der Konflikt mit der Legion unaufhaltsam an Fahrt auf. Hier trifft man auch auf Kampfgefährten wie Heilerin Langburg oder die Kämpfer Nyms und Kaleb, mit denen man mehrere Questen durchlebt und die der Geschichte einen tieferen Zusammenhalt geben. Eine finale Schlacht ist unausweichlich, doch das letztliche Schicksal des Protagonisten selbst wird mit einem überraschenden Cliffhanger offen gelassen.

Die einzelnen Questen des gesamten Bands bieten viel Abwechslung und decken voller Wonne eine Vielzahl von Fantasyklischees und -genres ab. So sucht man beispielsweise nach einer verschwundenen Bauerntochter, forscht man nach der Ursache für einen sterbenden Wald, verfolgt Echsenwesen durch deren Sumpf oder besucht ein Vampirschloss. Das Land Valeron selbst, in dem Destiny Quest spielt, erhält dabei aber leider nur geringen Wiedererkennungswert. Die Eigenheiten und Geschichte des Schauplatzes kann man nur erahnen, wenn man im ersten Akt immer wieder auf die wirklich schweren logischen Rätsel einer untergegangenen Zwergenkultur stößt, oder wenn im letzten Akt der Konflikt gegen die verheerende Legion aus dem Buchtitel näher rückt.

Der Umfang der Questen unterscheidet sich stark. Nicht selten hat der Spieler nur wenige Entscheidungsmöglichkeiten mit kurzfristiger Bedeutung, so dass die Handlung nur wenige Abschnitte später wieder auf denselben Punkt zuläuft. Manchmal obliegt es dem Leser auch nur, sich zwischen zwei Gegnern zu entscheiden, so dass taktisches Geschick in den Gefechten im Vordergrund steht. Nicht selten ist Die Legion der Schatten auch über mehrere Abschnitte damit beschäftigt, linear die Erzählung voranzutreiben, ohne den Spieler überhaupt vor irgendeine Wahl zu stellen. Zum Glück schließen sich an diese gradlinigen Passagen innerhalb einer Queste oft doch wieder Abzweigungen und Entscheidungen an, mit denen man das Abenteuer auf verschiedenem Wege beenden kann.

Mitunter folgt auf einen gradlinigen Anfang sogar ein verzweigter Komplex, bei dem diverse Entscheidungen anstehen und es durchaus möglich ist, nicht bis zum letzten Geheimnis dieses Abenteuers vorzudringen. Es sind gerade diese Questen, wie im Krater des Meteoriteneinschlags oder in der Gruft eines legendären Helden, in denen Die Legion der Schatten für mich das volle Potential entfaltet.

Regeln

Eine wirkliche Charaktererschaffung findet in Destiny Quest nicht statt: Der eigene Held verfügt über die Attribute Kraft, Magie, Flinkheit und Rüstung, die jeweils mit dem Wert 0 beginnen; dazu kommt eine Lebensenergie von 30. Boni auf die Attribute gewähren nur Gegenstände, von denen man während des eigenen Abenteuers Dutzende entdecken kann. Jeder Fund ist dabei einem von 11 Ausrüstungsfeldern zugewiesen, so etwa Haupt- und Nebenhand, Brust, Kopf, Füße, Halskette oder Ring. Dazu kommen einmalig nutzbare Dinge wie Tränke. Diese Fülle an Gegenständen reizt ständig dazu, den eigenen Abenteurer optimal auszurüsten und zu vervollkommnen, zumal jedes Feld nur genau ein Objekt fassen kann.

Die Verbesserungen steigen dabei kontinuierlich, während man in der Geschichte fortschreitet: Freut man sich zuerst über einen einfachen Bonus von +1 auf ein Attribut, so erhält man auf dem Weg zum Finale stets Zuschläge auf zwei Attribute von +2 bis zu +5. Zuletzt verleihen auch fast alle Gegenstände Spezialfertigkeiten, von denen Die Legion der Schatten unglaubliche 160 verschiedene bereithält. Diese meist nur einmal pro Kampf verwendbaren Sondereffekte erhöhen beispielsweise für kurze Zeit ein Attribut, fügen dem Gegner langfristigen Giftschaden zu oder ermöglichen das Durchschlagen der Rüstung.

Wie aber läuft der Kampf nun genau ab? Der Spieler würfelt sowohl für seinen Charakter als auch den Gegner mit je 2w6 und addiert die jeweilige Flinkheit hinzu; der Kontrahent mit der größeren Gesamtsumme hat einen Treffer gelandet. Der verursachte Schaden entspricht beim Helden wahlweise dem Attributwert in Kraft oder Magie plus 1w6 minus der Rüstung des Getroffenen; bei Gegnern ist nur einer der beiden Werte vorgegeben. Dadurch, dass der Spieler beim Schaden zwei Attribute als Basis zur Auswahl hat, gestaltet sich die optimale Wahl der gefundenen Ausrüstung für den eigenen Fokus noch einmal interessanter.

Ähnlich dem Helden verfügen aber auch die Gegner oftmals über Sonderfertigkeiten, die viel Abwechslung in die Kämpfe bringen. Neben vergleichbaren Effekten, wie zum Beispiel dem Durchschlagen der Rüstung, stehen einigen Kontrahenten auch Gefährten zur Seite, nach deren Niederlage der Hauptschurke geschwächt wird, andere Kontrahenten wiederum werden von Runde zu Runde stärker. Selbstredend werden auch die Attribute und Fertigkeiten der Gegner mit Fortschreiten der Geschichte immer mächtiger, so dass der Spieler stets gefordert wird.

Ein Kampf endet, sobald die Lebensenergie einer Seite auf 0 reduziert ist. Hat der eigene Held die Konfrontation verloren, darf der Spieler entweder eine gänzlich neue Queste beginnen, oder aber den Kampf erneut versuchen. Die Lebensenergie beider Seiten ist dann wieder hergestellt, nur die einmal einsetzbaren Gegenstände sind verloren. Auch wenn man einen Kampf erfolgreich beenden konnte, ist die eigene Lebensenergie wieder vollständig zurück. Diese Zähigkeit des Helden scheint auf den ersten Blick nur dem Spielfluss geschuldet sein. Tatsächlich aber offenbart die Geschichte im weiteren Verlauf eine gute Begründung für diese ungewöhnliche Fähigkeit, die zum Finale hin noch eine zentrale Rolle spielen wird.

Durch die Wahl, ob ein Spieler seine Widersacher eher mit Kraft oder Magie besiegen möchte, ergibt sich auch ein weiteres Element bei der Auswahl der gefundenen Ausrüstung. Zum Ende des ersten Akts hat man zudem die Wahl zwischen einem von drei Pfaden: Krieger, Magier oder Schurke. Hier hilft das Buch auch, abhängig von der bisher gewählten Vorliebe bei den Ausrüstungsboni, die passende Entscheidung zu treffen: Krieger verfügen über hohe Kraft und Rüstung, Magier über hohe Flinkheit und Magie, und Schurken über hohe Flinkheit und Kraft.

Neben einem einmaligen Bonus auf die Lebensenergie zwischen 5 und 15 findet man im weiteren Spielverlauf immer wieder Gegenstände, die nur von einem der drei Pfade benutzt werden können. Auch verstecken sich in den Questen ab Akt 2 spezielle Berufe für die jeweiligen Pfade, wie beispielsweise Gladiator oder Hexenjäger, Taschendieb oder Schwertmeister und Alchemist oder Heiler, die wiederum neue Spezialfertigkeiten verleihen.

Die Vielseitigkeit dieser Kombinationen aus Pfad, Beruf und Spezialfähigkeiten durch die angesammelte Ausrüstung gibt den zunehmend schwereren Gefechten eine ungeheure taktische Tiefe und erhöht den Wiederspielwert von Die Legion der Schatten enorm.

Schreibstil

Michael J. Ward gelingt es in seinem Debüt gekonnt, den Eindruck von Größe zu vermitteln. Stets hat man den Eindruck, dass sich dem Protagonisten nach dem beschaulichen Anfang in Akt 1 zunehmend Machtvolles entgegenstellt und man Zeuge von historischen Ereignissen wird. Gerade im Finale von Akt 3 gelingen Ward wahrhaft epische Schlachtenbeschreibungen, bei denen man sich im Zentrum eines sagenhaften Konflikts wähnt.

Im dritten und letzten Akt, in dem verschiedene Kampfgefährten den Leser auch längere Zeit begleiten, gelingt es dem Autor zwar, diese einzelnen Figuren individuell auszubauen, dennoch stehen klar die Questen und nicht die Nebenrollen im Fokus der Erzählung.

Preis-/Leistungsverhältnis

Mit 19,95 EUR liegt Die Legion der Schatten zwar über ähnlich umfangreichen Romanen in Taschenbuchausgabe, dafür bekommt der Leser aber einen wahrlich dicken Wälzer in die Hand, der auf lange Zeit Lesevergnügen verspricht. Abgesehen vom Umfang reizt der erste Band von Destiny Quest aber auch zum wiederholten Spielen, um die taktischen Möglichkeiten der verschiedenen Klassen, Spezialisierungen und Ausrüstungskombinationen auszuprobieren.

Erscheinungsbild

Destiny Qzest 1 CoverDie Aufmachung des Spielbuchs ist eher zweckmäßig, punktet aber durch seine gute Strukturierung. Neben den ausführlichen Regeln finden sich vier leere Heldenbögen. Besondere Erwähnung verdient der umfassende Glossar im Anhang, der auf unglaublichen 16 Seiten die rund 160 Spezialfähigkeiten erklärt, die man durch Ausrüstung hinzugewinnen kann.

Das Papier des Taschenbuchs scheint mir etwas dünner zu sein als bei anderen Spielbüchern des Mantikore-Verlags, dies wird aber wohl dem Umfang von rund 660 Seiten geschuldet sein. Das übliche Hin- und Herblättern verkraftet Die Legion der Schatten dennoch sehr gut.

Illustrationen finden sich keine, lediglich auf den ersten Seiten ist das Titelbild der englischen Erstausgabe in schwarz-weiß wiedergegeben, dazu zeigen drei Seiten die Übersichtskarten mit den Arealen der drei Spielakte. Die Titelillustration von Dominic Harmann ist handwerklich zwar gut, erinnert mich aber mit ihrer Darstellung eines kraftstrotzenden Finsterlings samt überdimensionaler Waffen eher an ein peinliches Heavy-Metal-Albumcover aus den tiefsten 80ern – Manowar etwa lassen grüßen. Als potentiellen Käufer hätte mich diese in Klischees watende Aufmachung eher abgeschreckt denn zum Erwerb aufgefordert, und das hat Die Legion der Schatten wirklich nicht verdient.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore-Verlag
  • Autor: Michael J. Ward
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Broschiert
  • Seitenanzahl: 662
  • ISBN: 978-3-939212-75-1
  • Preis: 19,95 EUR (Taschenbuch), 9,99 (EBook)
  • Bezugsquelle: Amazon (Taschenbuch), Ulisses Ebooks

 

Bonus/Downloadcontent

Der Mantikore-Verlag bietet zu Die Legion der Schatten den Heldenbogen sowie die Übersichtskarten der drei Akte zum Download an. Diese vier Dateien stehen allerdings nur als .jpg-Grafiken und nicht im pdf-Format zur Verfügung.

Fazit

Mit Destiny Quest – Die Legion der Schatten legt Spielbuch-Neuling Michael J. Ward ein beeindruckendes Debüt vor. Dem Leser wird durch die lose Verknüpfung von zunehmend schwereren Questen auf einer offenen Landkarte die freie Wahl gelassen, wie er sein Abenteuer gestalten will. Die verschiedenen Aufgaben sind abwechslungsreich und vermitteln im Lauf von drei umfangreichen Akten zunehmend das Bild eines wahrlich epischen Konflikts. Die Vielzahl an Berufen, Ausrüstung und Sonderfertigkeiten, die die eigene Figur dabei ergattern kann, ermöglichen eine taktische Tiefe, die ich so in anderen Spielbüchern so noch nicht vorgefunden habe.

Ganz makellos ist Die Legion der Schatten dabei aber nicht: Oft opfert der Autor die für Spielbücher charakteristische Entscheidungsfreiheit längeren Passagen aufeinanderfolgender Abschnitte, um geradlinig die Geschichte voranzutreiben. Auch führen Verzweigungen oft nach nur wenigen Optionen wieder zum selben Punkt zusammen. Die Questen jedoch, in denen der Leser allein durch schlaues und besonnenes Vorgehen bis zum letzten Geheimnis vorstoßen kann, sind dafür umso mehr ein Höhepunkt der Lektüre.

So kann ich Destiny Quest – Die Legion der Schatten jedem Freund von Spielbüchern nur wärmstens ans Herz legen, derweil ich voller Spannung auf den angekündigten zweiten Teil Im Feuer der Dämonen warte.

Daumen5maennlich

Artikelbilder: Mantikore Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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