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In diesem Artikel geht es um eine rein gamistische Betrachtung von Begriffen und Balancing. Wer mit derlei in seinem Spielumfeld nichts anfangen kann, der wird auch von diesem Artikel vermutlich recht enttäuscht sein und sei hiermit vorgewarnt.

„OP“ (gesprochen „Ou-Pi“, kurz für Overpowered), „Trash“ und „Broken“ stammen alle drei aus dem Bereich der Computerspiele, sowohl im Rollen- als auch Kartenspielbereich. Aber auch ins Tischrollenspiel haben sie in den letzten Jahren vermehrt Einzug gehalten und beschreiben meist gefühlte Bewertungen von Dingen. Und genau wie der artverwandte Begriff des Power Creep werden sie dabei gerne nicht völlig korrekt verwendet. Das ist auch völlig OK so, denn die meisten Leute verstehen auch die veränderte Bedeutung dieser Begriffe und wissen somit, was gemeint ist.

In diesem Artikel möchte ich aber versuchen, die ursprüngliche Bedeutung der Begriffe klarzustellen und an Hand von Beispielen aus meinem Lieblingssystem – Pathfinder – für euch zu erklären.

Um das tun zu können, muss ich aber erst einmal ein wenig weiter ausholen und Kosten und Nutzen zumindest in Grundzügen definieren:

Kosten und Nutzen

Die meisten Dinge, die man im Laufe seines Abenteurerlebens erwirbt, haben irgendwelche Kosten. Ob es sich dabei um schnöden Mammon handelt oder um andere begrenzte Ressourcen, ist erst einmal egal. So sind die Kosten eines Talents zum Beispiel das Talent selbst sowie eventuelle Voraussetzungen (Ränge in Fertigkeiten, andere Talente, etc.), die erfüllt werden müssen. Bei einem mächtigen magischen Schwert ist es der Preis in Goldmünzen, aber vielleicht auch die Schwierigkeit, es überhaupt erst einmal zu finden. Aber auch abstraktere Dinge können zu den Kosten gezählt werden. So zum Beispiel die Opportunity Cost, also die Menge Optionen, die man nicht mehr nehmen kann, sobald man sich für einen Weg entschieden hat.

Auf der anderen Seite des Ganzen steht den Kosten natürlich der Nutzen entgegen. Und wie schon bei den Kosten, so ist auch dieser Nutzen nur in den wenigsten Fällen einfach zu sehen. Aber im Allgemeinen lässt er sich als Bonus auf irgend etwas ausdrücken. Seien es nun Schaden, Rettungswürfe oder die Menge der sinnvollen Optionen, die dem Charakter zur Verfügung stehen.

Diese beiden Grundwerte, so abstrakt und schlecht zu beziffern sie auch sind, ergeben üblicher- und sinnvollerweise eine stetig wachsende Kurve. Was also mehr kostet, bringt auch mehr. Und diese Kurve ist die wichtigste Grundlage bei der Überlegung, ob etwas nun OP, Trash oder gar Broken ist. Denn in einem Vakuum betrachtet, ist jede Option alles oder keines davon. Auch ist ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen hier wenig hilfreich. Es ist ziemlich uninteressant zu wissen, dass ein Stufe-20-Krieger viel heftiger zuschlägt als ein Stufe-2-Schurke. Das macht weder den Schurken zum Trash (das schafft die Klasse von ganz alleine), noch den Krieger OP oder Broken.

Wichtig ist lediglich, dass relativ vergleichbare Dinge auch vergleichbare Kosten und Nutzen haben. Zumindest grob, denn natürlich gibt es immer mal wieder Dinge, die etwas besser oder schlechter sind als vergleichbare andere Dinge. Aber genau dieses „etwas“ ist dabei der wichtige Punkt.

Trash

Manchmal kommt es vor, dass Gegenstände, Talente oder andere Optionen vom Nutzen her relativ vergleichbar sind, von den Kosten her aber Meilenweit auseinander liegen. Ein solches Beispiel sind die leichten Rüstungen von Pathfinder:

(Quelle: Pathfinder PRD)

Rüstung

Preis

Rüstungs-/ Schildbonus

Max. GE-Bonus

Rüstungsmalus

Chance für arkane Zauberpatzer

Waffenrock

5 GM

+1

+8

0

5 %

Lederrüstung

10 GM

+2

+6

0

10 %

Beschlagene Lederrüstung

25 GM

+3

+5

-1

15 %

Kettenhemd

100 GM

+4

+4

-2

20 %

Auf den ersten Blick wirkt hier alles in Ordnung. Was mehr kostet, schützt auch die meisten Leute besser. Bei normaler, unmagischer Ausrüstung ist also alles, wie es sein sollte. Das ändert sich aber ganz schnell, wenn man eine Lederrüstung +1 mit einem Mithral-Kettenhemd vergleicht :

Rüstung

Preis

Rüstungs-/ Schildbonus

Max. GE-Bonus

Rüstungsmalus

Chance für arkane Zauberpatzer

Lederrüstung +1

1155 GM

+3

+6

0

10 %

Mithralkettenhemd

1100 GM

+4

+6

0

10 %

Plötzlich hat man zwei Rüstungen, die vom Preis her fast identisch sind, bei denen die eine aber in dem entscheidensten Wert von Rüstungen, dem Rüstungsbonus, ganz klar die Nase vorn hat. Und damit noch nicht genug: Weitere Verzauberungen sind beim Kettenhemd auch noch erheblich günstiger, da es ja noch nicht magisch ist und die Preise der Boni quadratisch anwachsen.

Jetzt könnte man meinen, dass Mithral doch total selten sei und damit das Mithralkettenhemd auch viel seltener sein müsste. Aber auch das wird von der Spielmechanik absolut nicht abgebildet. Denn auch das Mithralkettenhemd ist als normaler magischer Gegenstand gelistet und folgt damit exakt den selben Regeln zur Verfügbarkeit wie die magische Lederrüstung. Ergo gibt es keinen sinnvollen Grund, warum die Lederrüstung +1 überhaupt irgendjemand haben wollen sollte. Dennoch taucht sie bei NSC immer wieder als Ausrüstung auf und fällt dann als Beute eindeutig in den Bereich „Trash“.

OP/Overpowered

Das Gegenstück zum Trash ist etwas, das Overpowered ist. Also ein deutliches Stück oberhalb der imaginären, oben erwähnten Kurve liegt. Und genau dieser Punkt ist das, was die Verwendung der Begriffe auch häufig eher emotional werden lässt denn sachlich. Denn ob nun die Lederrüstung Trash ist oder das Mithralkettenhemd OP, ist lediglich eine Frage des Standpunktes. Welcher der beiden Gegenstände ist die Norm und welche ist das, was aus dem Rahmen fällt – eben dann nach oben oder unten. Im Falle der Rüstungen ist es, zumindest aus meiner Sicht, das Mithralkettenhemd. Denn ohne die Existenz dessen können die Träger leichter Rüstungen mit anderen Rüstungsträgern kaum mithalten.

Eindeutiger ist es hingegen, wenn eine der Optionen älter ist als die andere. Dann ist die alte Option erst einmal der Standard und entscheidet darüber, in welcher Richtung die Abweichung liegt. Ein solches Beispiel ist die Falcata. Erschienen im Ausrüstungskompendium und den Expertenregeln, vereint sie die kritischen Treffer des Bastardschwertes und der zwergischen Streitaxt und hat lediglich einen minimal schlechteren Schadenswürfel. Selbst ohne irgendwelche weiteren Boni über Magie, Barden oder Talente macht sie damit schon bei einem Stärkebonus von +2, also etwas, das eigentlich jeder Nahkämpfer haben sollte, im Schnitt mehr Schaden bei üblichen Gegnern; also solchen, die nur in 50 % der Fälle getroffen werden. Und mit jedem weiteren Bonus auf den Schaden wird der Vorteil der Falcata größer. Und nicht nur das: Sie kostet auch noch weniger. Sie ist also, im Vergleich zu den älteren Waffen, einfach OP.

Broken

Und nicht nur das: Die Falcata könnte sogar Broken sein. Denn sie ist im gesamten System die einzige Waffe, die insgesamt 4 Mal Zusatzschaden durch kritische Treffer macht. Alle anderen Waffen machen 2 Mal (19-20/ *2 oder 20/ *3, also zweimal einfachen oder einmal doppelt) oder 3 Mal (18-20/ *2 oder 20/ *4, also dreimal einfach oder einmal dreifach) Zusatzschaden. Sie bricht also an der Stelle eineindeutig vorhandenes System. Und genau das ist die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes Broken.

Aber nicht nur bestehende Systeme können gebrochen werden, sondern ganz einfach das Balancing an sich. So zum Beispiel mit dem Talent Kranichstil, bevor dieses mittels eines Erratas auf den Boden der Tatsachen geholt wurde. Denn bevor dies geschehen war, konnte der Anwender des Stils jede Runde einen Nahkampfangriff komplett abwehren und dafür einen Gelegenheitsangriff ausführen. Ohne Wurf, ohne irgendwas. Und mit der richtigen Kombination von Klassen war es möglich, diese Option schon auf Stufe 3 zu haben, also zu einem Zeitpunkt, wo viele Gegner nur einen einzigen Angriff haben. Man wurde also im Zweikampf nahezu unbesiegbar. Glücklicherweise kam bei unserem damaligen Turnier niemand außer mir auf diese Idee. Und da ich als Schiedsrichter nicht teilnehmen konnte, war das Turnier sicher.

Nicht alle derartigen Dinge sind aber von den Machern des Systems repariert worden. Denn es gibt zum Beispiel noch immer den Zauber Windschild. Dieser sorgt dafür, dass Armbrust- und Bogenschützen auf der anderen Seite des Kampfes vollständig neutralisiert werden. Und das mit einem Zauber, der auf die gesamte Gruppe wirkt und mehrere Minuten anhält. Ein Zauber also, dessen bloße Existenz dafür sorgt, dass Bogenschützen nur bis zu einer gewissen Stufe als Gegner für eine übliche Gruppe verwendet werden können.

Oder die Federleichten Schuhe. Sie sorgen dafür, dass der Träger schwieriges Gelände vollständig ignorieren kann. Etwas, das zuvor nur mit drei Talenten möglich war, von denen man das letzte sogar nur als Elf nehmen konnte und nur in der Natur funktionierte (Behände Bewegung, Geschmeidige Bewegung, Leichtfüßige Bewegung). Und zu welchem Preis? 2000 Goldmünzen. Das ist soweit außerhalb der oben gedachten Kurve, dass es getrost als Broken zu bezeichnen ist.

Fazit

Jedes System kennt bessere und schlechtere Optionen. Ob nun bei den Charakterwerten oder bei der Ausrüstung. Und anders ist es auch gar nicht möglich, denn absolut gleich können diese Optionen nur dann werden, wenn das System extrem simpel ist oder schlichtweg kaum Optionen bietet. Aber die allermeisten dieser (benutzten) Optionen bewegen sich in einem relativ engen Korridor um eine gedachte Kosten-Nutzen-Linie, die stetig ansteigt.

Die Optionen jedoch, die aus diesem Korridor ausbrechen – egal in welcher Richtung – werden mit den im Titel genannten Begriffen bezeichnet. OP, Trash und Broken sind also keine Begriffe, die allgemeingültig sind, sondern sie existieren nur innerhalb des Referenzrahmens eines bestimmten Systems und Spielumfeldes. Dort jedoch beschreiben sie Dinge, die für das Spiel problematisch sind. Entweder, weil sie so schlecht sind, dass es eigentlich keinen Grund gibt, sie jemals zu verwenden, oder weil sie so gut sind, dass sie alle anderen Optionen in den Schatten stellen oder sogar das System an dieser Stelle brechen.

Kennt ihr auch solche Beispiele aus Pathfinder oder euren Lieblingssystemen? (Be-)Schreibt sie mir  doch in den Kommentaren.

Artikelbild: http://www.joshnizzi.com/

 

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