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Unseren regelmäßigen Lesern ist die Spielbuchreihe Einsamer Wolf von Joe Dever durch unsere Rezensionen wahrscheinlich ein Begriff, für alle anderen kommt hier eine Einführung in das Setting: Einsamer Wolf spielt in einer fiktiven Welt, deren Universum aus dem Kampf zwischen den guten und den bösen Götter entstanden ist. Die einzelnen Welten darin sind einer der beiden Seiten zugefallen, alle bis auf eine – Magnamund. Der Kampf um diese Welt ist die finale Schlacht zwischen Gut und Böse. Die Kontrolle über Magnamund wird den Ausgang des Konflikts entscheiden. Statt selbst zu kämpfen, bedienen sich die Götter jedoch ihrer sterblichen Diener.

Der Roman Vermächtnis der Kai von John Grant und Joe Dever liefert die Vorgeschichte des Protagonisten der Spielbücher: Einsamer Wolf.

Ein kleiner Hinweis für alle, die nicht wissen, was ein Spielbuch ist (wie meine Wenigkeit bis vor kurzem). Stellt euch vor, ihr habt ein normales Buch in der Hand, bei dem ihr selber die  Entscheidungen trefft, á la „Du stehst vor einer Tür mit drei Knöpfen, welchen drückst du? A: den Roten (lies weiter auf Seite 3), B: den Blauen (lies weiter auf Seite 5), C: den Gelben (lies weiter auf Seite 7)“. Auf der entsprechenden Seite findet ihr dann die Konsequenzen eurer Handlung – und weitere Entscheidungen.

Story

Die Story beginnt sehr lebhaft, mit einem hitzigen Dialog zwischen dem Gildenmeister der Magiergilde und Vonotar, einem ihrer Mitglieder. Vonotar ist unzufrieden mit der Entwicklung der Gilde, da sie seiner Meinung nach ihr Ziel, die Gewinnung von Macht, aus den Augen verloren hat. Anstatt nur dem Pfad der Linken Hand, dem Weg des Guten, zu folgen, versucht er sich auch am Pfad der Rechten Hand, dem Weg des Bösen. Denn nur durch die Kombination beider Pfade, so glaubt er, könne die Gilde wieder zu ihrer alten Macht und Stärke zurückkehren. Der Gildenmeister ist anderer Ansicht und weist Vonotar in seine Schranken. Beschämt von dieser Rüge, beschließt Vonotar, sich Zagarna anzuschließen, dem Schwarzen Lord und Führer des Bösen auf Magnamund.

Zur ungefähr selben Zeit sitzt ein Junge namens Lautloser Wolf im Unterricht des Kai-Klosters. Die Kai-Magier sind Kämpfer des Guten und folgen den Göttern Kai und Ishir. Lautloser Wolf ist ein eher unkonzentrierter Schüler; ständig muss er Strafarbeiten verrichten, weil er mal wieder beim Unterricht eingeschlafen ist. Sein Lehrer Sturmfalke, zugleich der Leiter des Klosters, sieht jedoch Potential in ihm und begibt sich deshalb zusammen mit Lautloser Wolf auf eine Mission, um die Geheimnisse des finsteren Zagarna auszuspionieren.

Neben Vonotar und Lautloser Wolf gibt es noch eine dritte Person, die einen eigenen Handlungsstrang in der Story erhält: Banedon. Als schlechtester aller Magier der Gilde wird er als sogenannter Wanderer zum Kai-Kloster geschickt, um eine wichtige Botschaft zu überbringen. Dabei hat er natürlich mit einigen Hindernissen zu kämpfen.

Wie diese Zusammenfassung vielleicht schon gezeigt hat, ist die Handlung des Romans nicht ganz stringent. Das Ganze wird noch verwirrender, da immer wieder Sequenzen zum Hintergrundwissen eingeschoben werden. In diesen wird dem Leser auf wenigen Seiten, und wie ich finde, vollkommen unverständlich, die komplette Weltgeschichte mit einem Umfang von etwa 17.000 Jahren erzählt. Eine Jahreszahl jagt die nächste, ungeachtet der Tatsache, dass dem Leser nicht einmal mitgeteilt wurde, in welcher Zeit der Roman überhaupt spielt.

Um den Leser noch mehr zu verwirren, werden die einzelnen Handlungsstränge wild hintereinander gesetzt. Man erhält keine Einordnung dazu, bei welchem Charakter man sich gerade befindet, oder ob man sogar gerade ein Kapitel über das Hintergrundwissen liest. Dies ist manchmal so undurchsichtig, dass mir teilweise erst auf der Hälfte der ersten Seite eines Kapitels bewusst wurde, was ich gerade lese. Es ist alles so durcheinander geschrieben, dass man als Leser schnell den Überblick verliert, zumindest mir ist es so ergangen. Außerdem wird der Zusammenhang zwischen den einzelnen Geschichtssträngen zwar gelegentlich angedeutet, aber bis kurz vor Schluss nie wirklich ausgeführt. Dementsprechend wirkte die gewollte Zusammenführung am Ende des Romans für mich eher unglaubwürdig.

Fast so, als hätten die Autoren selbst beim Schreiben den Faden verloren, springen sie in den Kapiteln über das Hintergrundwissen in den Zeiten hin und her. Während man gerade noch im Jahre 4219 nach 0 war (0 bezeichnet im Roman das Jahr der Erschaffung des Mondsteins, von dem der Leser nicht erfährt, was es damit auf sich hat), befindet man sich zwei Seiten weiter im Jahre 3810 nach 0. Und auch in der aktiven Handlung bekommt man den Eindruck, die Autoren wüssten nicht, was sie schon geschrieben haben und was nicht. So beschreiben sie zum Beispiel, wie ein Charakter, der eben noch stand, plötzlich von seinem Stuhl aufsteht.

Durchdacht ist die Story definitiv nicht. Sie folgt auch keinem intelligenten Aufbau. Ebenso wenig besitzt sie glaubhafte Charaktere. Die Autoren unternehmen zwar den Versuch, diese lebhaft und mit Tiefe erscheinen zu lassen, versagen jedoch auf ganzer Linie. Die Charaktere sind halt einfach da, mehr aber auch nicht. So passiert es den Autoren halt auch einfach mal, dass sie ihre Hauptfigur, Lautloser Wolf, bei ihrem erst viel später angenommenen Namen nennen, also Einsamer Wolf. Auch die Spannung lässt definitiv zu wünschen übrig. Lediglich auf den letzten 20 Seiten kommt ein bisschen Action auf, die dabei allerdings so kompliziert und verwirrend geschildert wird, dass das Lesen wenig Freude bereitet.

Schreibstil

Ein Schreibstil ist auch dann ein Stil, wenn er schlecht ist. Und genau das trifft hier zu. Der Roman lebt von unnötig komplizierten und ewig langen Schachtelsätzen, die sich dabei einer Grammatik bedienen, die für den Leser unschön zu lesen ist. Ein Beispiel sind die Nebensätze: „Jeder Wanderer aus der Bruderschaft des Kristallsterns ist willkommen, in unserem Haus ein Bad zu nehmen, und besonders, wenn du verstehst was ich meine, du“. War es so schwer, den Nebensatz hinter den Hauptsatz zu stellen? Solche Makel durchziehen den gesamten Roman. Bei Vermächtnis der Kai handelt es sich um einen aus dem Englischen übersetzten Roman, daher weiß ich nicht, ob diese Art des Schreibens der Stil der Autoren ist, oder ob einfach der Übersetzer des Romans ein ungewöhnliches Sprachgefühl hat.

Abgesehen von ganz offensichtlichen grammatikalischen Fehlern, die den Lesefluss ungemein stören, fehlen in manchen Sätzen auch einfach mal Wörter: „[…] einer riesigen Kreatur, von der sich hatte verschlucken lassen“ (das Wort „er“ fehlt). Oder es werden falsche Wörter benutzt: „Vor ihm bog die Straße ab, und er konnte eine Gruppe von Kühen sein […]“ („sein“ anstatt „sehen“). Auf die ganzen Zeichensetzungsfehler will ich hier gar nicht weiter genau eingehen, lediglich einen möchte ich erwähnen: Klammern in wörtlicher Rede. Die wörtliche Rede, gekennzeichnet durch Anführungszeichen, soll ein aktives Gespräch simulieren; ich kenne keinen Menschen, der in Klammern sprechen kann… Beispiel: „Das Abendessen ist fast fertig (glaube ich zumindest)“.

Kurz und knapp: Das Lesen dieses Romans ist für mich eine pure Qual gewesen!

Erschwerend kommt hinzu, dass ein chaotischer auktorialer Erzähler den Leser unstrukturiert durch die Geschichte leitet. Der Erzähler versucht jeden Aspekt eines Charakters aufzudecken, so dass er gezwungen ist, innerhalb eines Satzes in den verschiedenen Zeitformen zu springen: „In seinem späteren Leben würde er den Namen Sonnenadler angenommen haben; wenig war von seinem früheren Leben bekannt, außer dass er ein Baron von Toran war.“ Es erschwert das Lesen des Romans ungemein, und zumindest ich habe ständig den Faden verloren.

Die Autoren

Zu Paul Barnett alias John Grant finden sich nur sehr wenige Informationen. Er ist am 22. November 1949 in Schottland geboren und ein Fan der Science-Fiction und Fantasy. Die Zahl seiner Veröffentlichungen beläuft sich wahrscheinlich auf an die siebzig Werke unter verschiedenen Namen. Mal schrieb er als Paul Barnett, mal als John Grant, mal als Ghostwriter. Seine Roman-Reihe Legends of Lone Wolf, verfasst zusammen mit Joe Dever, umfasst zwölf Romane. Barnett gewann einige Preise, unter anderem den World Fantasy Award mit seiner The Encyclopedia of Fantasy 1998.

Joe Dever hingegen ist wesentlich bekannter. Er ist am 12. Februar 1956 in Chingford, England geboren und hat 1982 als erster Brite die Advanced Dungeons & Dragons Championships gewonnen. Als Erschaffer der Spielbuchreihe Einsamer Wolf, die 1984 in England ihr Debüt feierte, hat er mittlerweile 29 Bände dieser Reihe veröffentlicht, viele davon nur auf Englisch. Die Spielbücher wurden auf der ganzen Welt über zehn Millionen Mal verkauft und erleben, nach einer Flaute um 1995, seit ca. 2009 ein Comeback in Deutschland und weltweit. Insgesamt hat Dever an die 90 Printmedien veröffentlicht (Romane, Spielbücher, Karten usw.) und an knapp 20 Computerspielen mitgewirkt.

Preis-/Leistungsverhältnis

Der Roman ist, zumindest in seiner deutschen Fassung, so schlecht, dass man ihn höchstens verschenken kann.

Erscheinungsbild

Vermächtnis der Kai - Lone Wolf 1 CoverDas Cover des Romans ist prinzipiell gut gestaltet. Man sieht einen Mann mit wehendem Umhang und Schwert in seiner Hand, vor dem Hintergrund eines brennenden Tempels oder ähnlichem, wobei man auch sagen könnte, dass der Mann selber brennt. Optisch gut gemacht, mit dem Inhalt des Romans hat es jedoch nichts zu tun. Aufgrund des Covers war mein erster Eindruck des Romans eigentlich gut und ich hatte mich darauf gefreut, ihn zu lesen, auch wenn sich das sehr schnell geändert hat.

Das Papier ist sehr holzhaltig und etwas rau. Das Gewicht ist für ein Taschenbuch im A5 Format mit 328 Seiten Umfang absolut normal. Die Textgröße ist gut und der Textsatz prinzipiell auch, doch ist es schon sehr bezeichnend, wenn mitten in einem Satz auf einmal eine komplett leere Seite eingefügt ist.

Was dem Roman wirklich helfen würde, wären ein Register und eine Karte! Ständig tauchen neue Orte, Namen und Zeiten auf, so dass ich schon auf der zehnten Seite absolut den Überblick verloren hatte.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore-Verlag
  • Autor(en): John Grant und Joe Dever
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: deutsche Übersetzung (Originalversion: Englisch)
  • Format: Taschenbuch A5
  • Seitenanzahl: 328
  • ISBN: 978-3-939212-55-3
  • Preis: 13,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Nicht vorhanden.

Fazit

Ich mach es kurz und bündig: Dieser Roman ist einfach schlecht.

Die Idee der Story ist prinzipiell gut, doch wurde sie so unübersichtlich, chaotisch und unstrukturiert umgesetzt, dass man als Leser vollkommen aufgeschmissen ist. Ich weiß nicht, ob Leser, die auch die Spielbücher gelesen haben, besser den Überblick behalten können, für einen Neuleser wie mich jedoch war es unmöglich. Hinzu kommen komplizierte Schachtelsätze, grammatikalische Fehler, vergessene Wörter, falsche Wörter und eine unmögliche Zeichensetzung. Es ist gut möglich, dass das englische Original von Vermächtnis der Kai einen wesentlich besseren Schreibstil hat, die deutsche Übersetzung jedoch ist absolut miserabel! Man kann seine Zeit besser nutzen, als sie mit diesem Buch zu verbringen.

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Artikelbilder: Mantikore Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

2 Kommentare

  1. Danke für die Rezension. Ich wollte mir das Buch zu Ostern bestellen, bin jetzt aber davon abgerückt.

    Falls ich aber mal jemanden beschenken will, den ich nicht mag, kann ich es ja doch noch erwerben (siehe Abschnitt Preis-/Leistungsverhältnis) ;)

    Schöne Ostertage an alle Teilzeithelden

    • Hi Florian,
      freut mich, dass ich helfen konnte!
      Das Teilzeithelden-Team wünscht dir auch schöne Ostern! :)

      Liebe Grüße, Julia

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