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Was spiele ich sonst gern? Dungeons & Dragons und alles rund um Cthulhu und Lovecraft sind da ganz oben auf der Liste. Und Dungeon World und tremulus kamen mir damals nach ihrem Erscheinen gerade recht. Beide Systeme konnte ich dann in der Folge auch in der Praxis erleben: Dungeon World eher als Oneshots und auf Cons, tremulus einmalig als Oneshot und danach als Kurzkampagne (ca. ein Dutzend Spielsitzungen).

Eines gleich vorneweg: Auch wenn wir immer vorgefertigte Spielbögen zu existierenden Playbooks verwendet haben, also die Charaktererstellung im Ankreuzverfahren absolviert wurde, kamen dennoch immer facettenreiche, individuelle Charaktere heraus, vor allem bei tremulus. Aber selbst bei Dungeon World haben sich Spieler nie sehr auf ihren Spielbogen konzentriert, sondern hauptsächlich aufs Rollenspiel. Das ist bei Oneshots von unschätzbarem Wert! Kein Vergleich mit einem niedrigstufigen oder mittelstufigen SC bei D&D5, wo Spieler die erste Session damit verbringen, ihre Klassenfertigkeiten, die Action-Ökonomie und das Kampfsystem an sich zu verstehen. Gerade für Spieler steht pbtA eindeutig für schnelles Eintauchen in die jeweilige Welt.

Dungeon World

Es mag viele Spiele geben, die sich das Label „Powered by the Apocalypse“ anheften dürfen, aber keines ist so erfolgreich wie Dungeon World. Seit der Erstveröffentlichung 2012 scheint es nie aus der Liste „Hottest Small Press“ auf DriveThruRPG zu verschwinden. Dungeon World Produkte drängen immer wieder auf den Markt. Es hat sich sogar jemand gefunden, der auf der Basis von Dungeon World ein post-apokalyptisches Rollenspiel herausbringt. Das ist schon harter Tobak, wenn man bedenkt, wie sehr Dungeon World es geschafft hat, Apocalypse World in den Schatten zu stellen.

Erklärt ist Dungeon World als Konzept schnell: Die Playbooks sind die Klassen, die jedem D&D-Spieler geläufig sind. Man spiele in einer beliebigen (oder sogar einer rein auf Dungeons basierenden) Fantasywelt Abenteuer. Die Moves bilden die typischen Aktivitäten und Ereignisse ab, die es an einem D&D-Abend so geben kann: Auf etwas einhauen, die eigene Haut retten, ein Lager machen, einen Spruch sprechen, eine Sonderfertigkeit der Klasse einsetzen, eine Stufe aussteigen, usw.

Dungeon World CoverDungeon World orientiert sich an Dungeons & Dragons, implementiert es aber auf der Basis-Engine der PbtA-Spiele. Natürlich hat jemand, der Fantasy veröffentlicht, große Vorteile. Das ist, gelinde gesagt, ein Markt mit Potential. Aber das ist bei weitem nicht der alleinige Grund, warum Dungeon World Erfolg hat. Den Autoren ist es gelungen, blitzsaubere Moves abzuliefern und die Konzepte zweier Spielwelten miteinander zu verheiraten, ohne dass das aufgepfropft wirkt. Die Spielbögen auspacken und loslegen: Mit einem erfahrenen SL geht das schneller als bei fast allen OSR-Klonen. Ein paar Werte verteilt, ein paar Häkchen gesetzt, ein paar Boxen ausgefüllt und es geht los. Kein langes Herumoptimieren an der Ausrüstungsliste. Die Moves seiner Klasse sollte man aber definitiv gelesen haben, versteht sich.

Dungeon World verwendet Attribute, Schadenswürfel und Trefferpunkte, auf den ersten Blick genauso wie bei D&D. Die Attribute rangieren von 3 bis 18 und bringen die wohlbekannten Modifikatoren von -3 bis +3. Als erste signifikante Abweichung wird der Schadenswürfel durch die Klasse bestimmt. Die Trefferpunkte ergeben sich aus dem Basiswert der Klasse und dem Konstitutions-Wert (nicht dem Modifikator). Die Trefferpunkte steigen im Spielverlauf nur dann, wenn man das Konstitutionsattribut erhöht. Man gewinnt also nicht automatisch pro Stufe Trefferpunkte hinzu. Die Möglichkeiten der Spielfigur entwickeln sich hauptsächlich über neue Moves (und neue Sprüche).

Dem zugrundeliegenden System bleibt Dungeon World aber definitiv treu. Weder SC noch Monster mutieren zu riesigen Sammelbecken an Trefferpunkten. Ein Drache hat 16 Trefferpunkte. Sein enormer Angriffsschaden durchschlägt aber die meisten Rüstungen und das gute Viech ist selbst so gepanzert, dass es schwer zu verwunden ist. Die Kombination macht’s. Die frei formulierten Spezialfähigkeiten ermöglichen es dem SL, diese flexibel so auszuspielen, so dass sie zum Konzept des Monsters passen, anstatt auf lange Listen fest definierter und zu balancierenden Zusatzregeln zurückzugreifen.

Fazit: Ein rundes Ding

Dungeon World beweist, wie man ein sauberes *World-Spiel designt. Die Moves sind klar formuliert. Die Basic Moves verteilen sich gut über die vorhandenen Attribute. Der Move „Defy Danger“ kann in vielen Situationen zum Einsatz kommen, die von anderen Moves nicht abgedeckt sind und dabei wird immer das am besten passende Attribut geworfen. Viele Moves lassen dem SL die Freiheit, bei einem Ergebnis von 6- mit eigenen SL-Moves zu reagieren, anstatt diese fix in der Beschreibung festzuschreiben.

Daumen5maennlichNeuUmgekehrt hat es auch ein paar (kleine) Schwächen. Die Formulierungen im Regelbuch sind oft unnötig umständlich und abstrakt. Banalitäten der Praxis werden da gerne etwas gestelzt hingeschrieben. In der Regel gibt es für die meisten Spiele ein Regelwerk und die Leute spielen damit. Dungeon World schien aber bei genug Leuten bleibende Fragen zu hinterlassen, so dass ein Fan einen Leitfaden herausgebracht hat, der einem das Spiel auf 59 Seiten noch einmal verständlicher nahebringt. Man könnte sagen, dass die ursprünglichen Autoren eine 7-9 gewürfelt haben: Ja, Dungeon World ist zweifelsohne eine ausgezeichnete Fantasy-Engine und ja, Dungeon World enthält viel ausgezeichneten Inhalt, um Spiele zu gestalten, aber beim Vermitteln des Spiels selbst gab es noch Verbesserungsbedarf.

Es ist definitiv kein Zufall, dass sich dieses System so großer Beliebtheit erfreut. Dungeon World hat vielen das Spielen „powered by the Apocalypse“ erst nahe gebracht, und für Oneshots ist es kaum zu schlagen. Auch erfahrene Charaktere lassen sich auf wenig Platz beschreiben und erfordern nicht die Kenntnis von vielen Seiten Sonderregeln. Erfahrene Dungeon World Spieler vermitteln das System schnell und effektiv. Eigentlich sollte es ein jeder, der Fantasy mag, einmal gespielt haben – alleine wegen all der Dinge, die *World-Spiele einem über Rollenspiel und Erzählstruktur an sich vermitteln.

 

tremulus

Über tremulus habe ich bereits einmal hier geschrieben. Kurz zusammengefasst versucht es, die pbtA-Regeln so abzuwandeln, dass sich damit Cthulhu-Lovecraft-Horror spielen lässt. Wenn Dungeon World mein Paradebeispiel ist, wie man gute Moves schreibt, so ist tremulus inzwischen für mich zum Gegenstück geworden: So macht man es jedenfalls nicht.

Der Autor hat die zugrundeliegende Engine „Haiku“ genannt. Haikus zentrales Element ist der „Hold“ des SL. „Hold“ ist ein Konzept, dass es sonst nur bei Spielern gibt. Es ist normalerweise die Anzahl der Optionen, die man bei einem erfolgreichen Wurf gleichzeitig wählen darf. Ein typisches Beispiel ist der Move „Defend“ aus Dungeon World:

Defend

When you stand in defense of a person, item, or location under attack, roll+Con.

On a 10+, hold 3. On a 7–9, hold 1. So long as you stand in defense, when you or the thing you defend is attacked you may spend hold, 1 for 1, to choose an option:

  • Halve the attack’s effect or damage
  • Open up the attacker to an ally giving that ally +1 forward against the attacker
  • Deal damage to the attacker equal to your level

Tremulus CoverDas Entscheidende hier ist, dass sich der Spieler etwas aufheben darf, um es später auszugeben. tremulus dreht den Spieß teilweise um: Der SL darf bei bestimmten Moves sich einen Punkt „Hold“ gegen den Spieler aufschreiben. Diesen darf er dann zu einem beliebigen Zeitpunkt einsetzen, um selbst einen „Hard Move“ zu machen, also eine Aktion mit ernsten Konsequenzen ausführen, die den Charakteren schadet. Das passt ganz gut ins Horrorgenre. Aber es passt nicht so gut zu den Prinzipien, die hinter den *World-Spielen stecken: Die Konsequenz wird sehr stark von der ursprünglichen Tat entkoppelt und es ist schwierig, diesen Zusammenhang später wieder herzustellen. Außerdem unterbricht man die Eskalation der aufeinander aufbauenden Moves. Selbst sehr gute SL werden hier gefordert sein, ständig neue Szenenschnippsel zu generieren, auf die man sich später beziehen kann. Klischees wie „Chekov’s Gun“ können hier sehr wertvoll sein, damit man dann später auf dieser minimalen Vorarbeit aufsetzen kann.

In der Praxis hat sich das Prinzip des „Hold“ für den SL bei mir jedenfalls nicht bewährt. Je mehr Spieler man hat, desto schneller sammelt sich der Hold. Entweder man gibt ihn gleich in irgendeiner Form aus oder man weiß recht schnell nix mehr damit anzufangen. Da sind die Prinzipien, die Dungeon World zugrunde liegen, schon wesentlich eingängiger.

Grobe handwerkliche Fehler

Im Amerikanischen spricht man von „RAW“ – den „Rules As Written“ – wenn man ein Rollenspiel ohne jegliche Hausregel oder Weglassen von Regeln spielt. Das kann ich bei tremulus jedenfalls nicht empfehlen.

Mal sind die Regeln zu schwammig: Da wären zum Beispiel die „Physical Debilities“ und die „Mental Disorders“. Beide kann man auf sich nehmen, um keinen weiteren physischen oder mentalen Schaden zu erleiden. Eine genaue Verregelung bleibt aus, man könnte also immer munter weitermachen und so Schaden abwenden, der normalerweise der Spielbarkeit eines SC ein Ende setzt. Bei solch schwammigen Formulierung könnten die Spielfiguren beinahe ewig auf Cthulhu starren, solange sie nur schön brav weiter mentale Handicaps ansammeln. Die Gnadenlosigkeit von Call of Cthulhu oder Trail of Cthulhu fehlt hier.

Mal sind die Regeln zwar spezifisch, aber laufen den Prinzipien eines pbtA-Spiels völlig zuwider: Bei einem Move wie „Resort to Violence“ kann die Spielfigur Schaden erleiden, wenn der Spieler schlecht würfelt. Erhält man Schaden, muss man gleich nochmal einen „Damage Move“ hinterherwerfen. Würfelt man hier 10+, passiert etwas besonders Schlechtes, bei 6- war es nicht so schlimm. Man muss also zwei Moves ausführen, die die Würfelengine diametral entgegengesetzt abhandelt. Schlechter Wurf ist plötzlich guter Wurf. Und manchmal muss man den Wurf sogar bei 0 Schaden machen. Vom Design her ging hier alles schief, was nur schiefgehen konnte. Verzichtet man aber auf diesen Extrawurf, muss man die Basis-Moves umschreiben.

Und manchmal ist der Move an sich okay, aber die Balance ungünstig. „Act under Pressure“ ist als Universalrettungswurf das Gegenstück zu „Defy Danger“ in Dungeon World. Nur kommt hier immer nur ein Attribut zum Einsatz: „Reason“. Da dies zugleich auch noch der Rettungswurf gegen mentalen Schaden, also der Sanity Check dieses Systems, ist es einfach völlig suboptimal, wenn jemand das Attribut nicht von Anfang an hoch hat.

Fazit: Durchwachsen mit gutem Settingteil

Daumen3maennlichNeuSchon in der Erst-Rezension gab es für die Mängel im Regelbereich Schelte. Je länger ich tremulus gespielt habe, desto mehr haben mich und meine Spieler diese bereits bekannten Mängel irritiert und führen zu einer negativeren Einschätzung, als ich sie schon nach mehreren Spielabenden hatte. tremulus bleibt entgegen meiner ursprünglichen Einschätzung definitiv im Schrank.

Wer sich für den Aufbau von Horrorgeschichten interessiert, für den ist der zweite Teil eine Goldgrube. Man kann diesen Teil auch jederzeit dazu verwenden, ein Abenteuer für andere pbtA-Systeme maßzuschneidern.

Dafür aber mehr Geld als für Dungeon World ausgeben? Eher nicht. Das ist ein Fall fürs Sonderangebot oder für den Erwerb über das Bundle of Holding.

 

Artikelbilder: Realiry Blurs, Sage Kobold Productions

 

3 Kommentare

  1. Manche Sachen in Tremulus sind nicht ganz rund, dass sehe ich auch so. Manchen Kritikpunkt zu Tremuls sehe ich in dieser Rezension jedoch als nicht gerechtfertigt. Es ist eher so, dass Dungen World einige Dinge anderes macht, als die meisten anderen Varianten der Powerd by the Apocalypse Reihe. Nicht umgekehrt. Was man eher sagen kann, ist dass im Tremulus Band die Regeln ausführlicher hätten beschrieben werden können. Wenn man sich die Regeln anderer Varianten der Powered by the Apocalypse Reihe durchliest, wird vieles klarer. Im Übrigen, Kritikpunkte wie dem, dass bei einem Damage Move ein weiterer Wurf nötig wird zeigen für mich, dass der Rezensent sich gar nicht richtig mit der Powered by the Apocalypse Reihe auskennt. Solche Moves gibt es auch in anderen Varianten. Hier zwei Beispiele: Der Harm Move auf S. 206 in Apocalypse World 2e oder der Indure Injury Move auf S. 92 in KULT Divinity Lost – Players Guide. Für mich macht die Rezension eher den Eindruck, dass man seiner Antisympathie kund tun wollte und nicht ganz objektiv bleiben konnte. Das mit dem Sanity Check lässt sich übrigens ganz einfach lösen indem man anstatt Reason einfach nur Shock hinzunimmt. Man handelt das dann ganz ähnlich wie einen Damage Move ab, da man dann anstatt Harm halt Shock bekommt. Nur die Ergebnisse sind dann halt anders. So werden dann nur noch zwei Moves mit Reason abgehandelt. Genauso wie zwei Moves mit Might abgehandelt werden. Klingt fair. Man kann in diesen Punkt noch weiter dran rumfeilen aber damit ist das Problem denke ich schon größtenteils gelöst.

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