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Der dystopische Film Soylent Green ist in der Science-Fiction alles andere als unbekannt, zumindest den berühmten Satz „Soylent Green is people“ kennen die meisten. Er begegnet einem schließlich in unzähligen Referenzen in der Popkultur, als Bandname und als T-Shirt-Aufdruck. In dem Film geht es um eine überbevölkerte und ökologisch zugrunde gerichtete Erde, bei der die meisten Menschen in größter Armut leben, mit Schaufelradbaggern bei Protesten von der Straße entfernt und nach ihrem Ableben insgeheim zu Nahrung verarbeitet werden. Die eigentliche Handlung dreht sich um einen Polizisten, der den Mord an einem Reichen aufklären muss, sich dabei in die Konkubine des Opfers verliebt und am Ende die Wahrheit über die Herstellung von Soylent Green erfährt. Das alles im Gewand der 1970er Jahre und mit Charlton Heston.

Ich wusste sehr wohl, dass der Film auf einem Buch basiert und war entsprechend gespannt, als es uns als Rezensionsexemplar angeboten wurde. Was ich dann zu lesen bekam, war jedoch völlig anders als erwartet.

Story

Die Vereinigten Staaten haben im Jahr 1999 eine Bevölkerung von knapp 344 Millionen, die meisten von ihnen leben in bitterer Armut von der Fürsorge in alten Häusern, Autos, Schiffswracks oder auf der Straße. Das Erdöl ist aufgebraucht, Nahrung und Trinkwasser werden streng rationiert, selbst Leute mit Arbeit müssen für ihre Wasserzuteilungen anstehen.

Einer von ihnen ist der Teenager Billy Chung. Seine Familie stammt aus Taiwan, dessen Bevölkerung nach einer gescheiterten Invasion Chinas in die USA floh. Billy ist allerdings in dem Gewirr aus Schiffswracks an der Küste Manhattans aufgewachsen, opportunistisch, wütend auf die Verhältnisse, etwas schreckhaft und vor allem ständig hungrig. Er bricht in die Wohnung eines der wenigen reichen Männer ein, wird jedoch von diesem überrascht. In blinder Panik holt Billy mit seinem Brecheisen aus und tötet den Mann.

Tatsächlich werden die meisten Mordfälle in Harrisons Zukunftsvision eigentlich nie groß verfolgt. Es lohnt sich nicht und die völlig unterbesetzte Polizei könnte es auch gar nicht schaffen. Doch aufgrund einer Reihe nur dem Leser bekannter Missverständnisse gehen die anderen Reichen davon aus, dass der Täter ein gefürchteter Mafioso aus der Nachbarstadt sei und drängen auf eine ausführliche Ermittlung.

Mit dieser Aufgabe betraut wird Hauptfigur Nummer zwei, der New Yorker Polizist Andy Rusch. Er lebt mit dem zynischen alten Solomon in einer Wohnung, verbringt seine Zeit aber vorwiegend damit, während endloser Doppelschichten Krawalle um Lebensmittel oder Wasser einzudämmen. Andy nimmt seinen Job sehr ernst, auch wenn er selbst kaum davon leben kann. So macht er sich verbissen auf die Suche nach der Wahrheit und dem wahren Täter.

Direkt am Anfang der Ermittlungen lernt er Shirl kennen. Die junge, attraktive Frau versucht über die Runden zu kommen und vielleicht auch ein besseres Leben zu führen als das der meisten Menschen. Dafür ist sie die Geliebte von Männern mit Geld, so auch des Mordopfers Big Mike. Dennoch verliebt sie sich in Andy und er sich in sie.

Die Geschichte springt über ein halbes Jahr verteilt immer wieder zwischen den verschiedenen Figuren und ihrer aktuellen Situation: So versucht Billy Chung, sich zu verstecken und zu überleben, Andy führt neben seiner normalen Polizeiarbeit die Ermittlungen weiter und Shirl müht sich, ihren Platz in der Welt zu finden. Nebenbei rückt der Winter immer näher und damit der Jahreswechsel zum Jahr 2000.

Schreibstil

Harrison hat seine Geschichte bis in jede Kleinigkeit durchkomponiert, alle Details greifen ineinander. Da aus allwissender Perspektive erzählt wird, weiß der Leser immer mehr als die Figuren und kann als Einziger das Geflecht aus Fehlannahmen, zwischenmenschlichen Kommunikationsproblemen und deren Konsequenzen durchschauen.

Der Sprachstil schwankt dabei zwischen extremer Beschreibungsarmut und langen ausführlichen Passagen, die die Härte seiner Zukunftsvorstellung deutlich machen sollen. Dass er dabei die Kenntnis von New York voraussetzt, ist für einen Europäer natürlich etwas störend, aber kein wirkliches Hindernis. Mit der Beschreibungsdichte ändert sich auch die Satzlänge. Lange Beschreibungen ziehen sich über mehrere Nebensätze mit großzügig verteilten Adjektiven. Kurze Beschreibungen dagegen kommen mit wenigen Worten aus.

Leider bekommen die Hauptfiguren trotz der hohen handwerklichen Qualität nicht immer ausreichend Raum, über ihre Rolle und vor allem Funktion für die Geschichte hinaus dargestellt zu werden. Besonders bei Andy ist mir dies aufgestoßen, dass ich seine Motivation, warum er seinen Job so ernst nimmt, nicht recht greifen konnte.

Mein größter Kritikpunkt an dem Buch sind jedoch die moralischen Einschübe durch die Figur des Solomon. Der Kriegsveteran und Mitbewohner von Andy hat klare moralische Werte, womit er an sich schon eine Rarität darstellt. Leider muss er diese Ansichten immer wieder ausgiebig zum Ausdruck bringen. Zwar geschieht dies in Form von Gesprächen zwischen den Figuren und muss nicht per se schlimm sein. Aber auch, wenn Solomons Zynismus die Vorträge aufbrechen soll, irgendwann kommt dem Leser der Verdacht, dass ihn der Autor hier von seiner Ansicht der Zukunftsgestaltung überzeugen will.

Im Ganzen entwirft der Autor eine düstere Zukunftsvision, die dennoch in sich nicht so richtig zu funktionieren scheint. Denn Soylent Green tappt dabei in die Falle vieler Dystopien: Es ist nicht richtig nachvollziehbar, warum das staatliche Gebilde noch existiert oder wie es funktioniert. Seinen Polizisten hat es nichts zu bieten, sie leben in ähnlicher Armut wie die allermeisten Anderen. Sie haben also nichts davon, den Staat zu schützen. Generell bleibt die Regierung hier sehr unscharf im Hintergrund. Vermutlich wäre dies weniger störend, wenn eine der Hauptfiguren nicht Polizist wäre.

Dennoch war Make Room! Make Room!, wie das Buch im Original heißt, eine der ersten Dystopien, die sich mit ökologischen Fragen und der Endlichkeit der Erdölvorräte beschäftigte und verdient als solches seine Berechtigung. Es hat sich nur in seiner Zukunftsprognose überholt. Viele Punkte sind nach dem Stand heutiger Technik, gesellschaftlicher oder politischer Entwicklung überholt, das Buch stammt merklich aus den 1960er Jahren.

Darauf kann man sich als Leser jedoch einlassen. Ärgerlicher ist die Tatsache, dass reichlich unklar bleibt, woher die so extrem knappe Nahrung stammt. Es gibt irgendwelche Bauern, die die Wasserversorgung von Städten sabotieren, aber nie selbst auftreten. Dazu gesellen sich umgebaute Atom-U-Boote, die Plankton im Meer sammeln. Wieso ausgerechnet diese Mikrolebewesen noch existieren, bleibt unklar. Der Leser erfährt auch von Gefängnisfarmen irgendwo im Mittleren Westen der USA und fragt sich gleichzeitig, woher die Arbeitskräfte kommen, wenn die Polizei doch kaum mit der Verbrechensaufklärung beschäftigt ist.

Aber Soylent Green ist doch aus Menschenfleisch, das weiß doch jeder! Oder? Nein, ist es nicht.

Tatsächlich haben Buch und Film nur in der groben Handlung etwas miteinander zu tun. Das Wort „Soylent“ kommt nur ein paar Mal vor und bezeichnet keinesfalls verschiedenfarbige, trockene Kekse mit dem Nährgehalt von Wellpappe, sondern einfach nur Nahrungsmittel aus pflanzlichen Proteinen. Es hat nicht die zentrale Bedeutung des Films, sondern ist einfach nur eins der vielen knappen Nahrungsmittel. Es besteht nicht aus Menschenfleisch, dieser Handlungsstrang stammt, wie das allermeiste des Filminhalts auch, von den Drehbuchautoren.

Das Buch entsprechend unter diesem Titel herauszubringen, ist zwar aus Marketingsicht verständlich, der Film ist Teil des popkulturellen Gedächtnisses. Dies lässt den Leser aber zugleich enttäuscht zurück, da seine Erwartungen nicht erfüllt werden, wenn am Ende immer noch keine Menschen zu Nahrung verarbeitet wurden.

Der Autor

Harry Max Harrison (1925-2012) war ein US-amerikanischer Autor, der rund 60 Science-Fiction-Romane schrieb, dazu Kurzgeschichten, nicht-fiktionale Bücher und Comics. Zu einer seiner bekanntesten Reihen, dem Stahlratten-Zyklus, verfasste er auch ein Rollenspielbuch. Anders als viele seiner Zeitgenossen bekam Harrison nie einen der großen Preise der Science-Fiction-Literatur. Gerne verwendete er Esperanto in seinen Romanen und gab ihnen stilistisch häufig eine satirische Färbung mit. Bei Soylent Green ist dies jedoch nicht der Fall, das Buch ist ganz klar mehr Handlungsaufforderung denn Satire.

Preis-/Leistungsverhältnis

Mit einem Preis von 13,95 EUR und einem Umfang von etwas mehr als 300 Seiten ist Soylent Green relativ, aber nicht übermäßig, teuer für ein Taschenbuch. Ob es seinen Preis wert ist, muss jeder selbst entscheiden. Als E-Book ist es nicht erhältlich.

Erscheinungsbild

Soylent Green CoverDas Cover ziert einen Totenschädel voller Blutspuren mit gekreuzten Knochen vor einem meeresartigen Hintergrund. Darüber prangt in scharfkantiger Schrift der Titel, wobei besonders das rechtsbündig gesetzte Wort „Green“ ins Auge springt. Alles ist in künstlichen, unangenehmen Grüntönen gehalten und sieht generell nicht besonders appetitlich aus. Das Titelbild stammt von Helge Balzer, der dem einen oder anderen aus dem Rollenspielkontext bekannt sein könnte und sich hier mit einem Gruselcover austoben durfte. Dies ist ihm gelungen, das Cover ist sehr gut. Es hat nur leider nichts mit dem Inhalt des Buches zu tun.

Positiv überrascht war ich von der Klebebindung des Buches, die sich nicht wie befürchtet beim Lesen innerhalb kürzester Zeit auflöste, sondern sich als ausgesprochen haltbar herausgestellt hat. Zusammen mit der Papierqualität und dem schlichten Satz muss sich dieses Buch herstellungstechnisch nicht hinter denen größerer Verlagshäuser verstecken. Leider sind dem ansonsten recht guten Korrektorat ein paar hässliche Fehler durchgegangen, die diesen Eindruck etwas trüben.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Mantikore
  • Autor(en): Harry Harrison
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Taschenbuch
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN: 978-3939212362
  • Preis: 13,95 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon

 

Bonus/Downloadcontent

Downloadcontent gibt es zu diesem Buch nicht. Allerdings enthält es ein knappes Nachwort des Autors, das dieser mit großem zeitlichen Abstand zum Roman verfasste. Es beschäftigt sich damit, wie sehr seine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung zutrifft, ob dies überhaupt die Aufgabe von Science-Fiction sei und erneut zum Handeln auffordert.

Fazit

Soylent Green ist eine Dystopie aus den 1960er Jahren, in der das Erdöl aufgebracht, Nahrung und Wasser streng rationiert werden. Andy Rusch ist Polizist in New York und bekommt die Aufgabe, den Mord an einem der seltenen Reichen aufzuklären. Dabei begegnet er der Geliebten des Opfers und die beiden kommen sich während der Ermittlungen näher.

Der Roman ist sprachlich gut geschrieben und wundervoll komponiert, kann mich aber dennoch nicht so recht begeistern. Der Geist der amerikanischen 60er Jahre zieht sich zu stark durch und die moralischen Einschübe einer der Figuren wirken zu belehrend. Das Buch hat als Dokument und Dystopie seiner Zeit ganz klar seinen eigenen Wert, ist jedoch als Zukunftsvorstellung und -warnung komplett überholt.

Die Krimihandlung, die Figuren und auch die Welt von Buch und Film haben nur grob etwas miteinander zu tun. Wer glaubt, Antworten auf seine Fragen zum Film zu finden, wird hier nicht fündig. Soylent Green ist nur im Film Menschenfleisch.

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Artikelbilder: Mantikore Verlag
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

2 Kommentare

  1. Die haben das ernsthaft nochmal als Soylent Green rausgebracht? Das Buch gab/gibt es im dt. unter dem Titel New York 1999… die Auflage unter dem Filmtitel riecht so nach „hier könnte man Geld machen“.

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