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Alle Rollenspiele sollten Spaß machen, schließlich ist die gemeinsame Unterhaltung einer der Gründe, warum wir uns für das Hobby entschieden haben. Normalerweise klappt das sogar in düsteren Welten wie Westeros. Doch es gibt Spielabende, in denen der Spaß einfach fehlt. Dann sitzt eine Runde missmutig beisammen, verbeißt sich in grummeligen Charakteren oder einer drückenden Handlung. Oft ist dabei gar nicht das Rollenspiel selbst Schuld, sondern einfach Stress in oder außerhalb der Spielrunde. Aber was tun?

In solchen Situationen ziehe ich gern ein „Spaß-Rollenspiel“ aus dem Schrank. Das unterhält für einen oder zwei Spielsitzungen und ist durch überzogene Albernheit das beste Mittel gegen Stress und missmutige Gesichter. Ohne auf Charaktertiefe, Immersion oder Authentizität zu achten, können die Spieler sich damit richtig austoben. Und wo findet man so ein Spaß-Rollenspiel? Natürlich unter den Indie-Games. Das Etikett steht schließlich für abgedrehte Ideen und verrückte Spielmechaniken. Aber genug der Vorrede … bei Spaßmangel am Spieltisch empfehle ich die folgenden Rollenspiele in kleiner Dosis, am besten einzunehmen mit einem gemütlichen Bierchen.

Kobolde auf der Pirsch! Die großen Zähne und dummen Knopfaugen gehören einfach dazu!
Kobolde auf der Pirsch! Die großen Zähne und dummen Knopfaugen gehören einfach dazu!

„Ups, ich habe das Baby fallenlassen …“ – Kobolds ate my baby!

In diesem Rollenspiel spielt ihr einen Kobold und damit ein kleines, hungriges, dummes und unfassbar gieriges Geschöpf am unteren Ende der Fantasy-Nahrungskette. Alle Kobolde dienen König Torg (GEPRIESEN SEI KÖNIG TORG!) und werden von ihm gezwungen, die sichere Koboldhöhle zu verlassen, um einen besonderen Leckerbissen zu finden: Menschenbabys. Das ist der Ausgangspunkt dieses Klamauk-Rollenspiels, bei dem gewöhnlicherweise alles schief läuft und ganze Koboldgruppen auf der Strecke bleiben. Der Hintergrund ist simpel aber unterhaltsam. So gibt es etwa den roten Gott Vort, der wütend und gegen seinen Willen über die Kobolde wacht oder den inkompetenten Magier Tabriz, der Kobolde als Versuchskaninchen und Lakaien missbraucht.

KAMB
Kobolds ate my baby!

Auch bei den Regeln nimmt sich Kobolds ate my baby! gar nicht ernst; nicht umsonst heißt die Regelversion BIER. Man würfelt mit W6 gegen die Schwierigkeit des eigenen Attributes. Von denen gibt es Brutalofaktor, Irrelevantes, Ego und Reflexe, zu denen sich ulkige Fähigkeiten (wie Schleppen, Höhlen und Winden) und Vor-/und Nachteile (etwa wuschig, gut gepolstert oder Schmeckt wie Baby) gesellen. Natürlich werden die Punkte ausgewürfelt und sogar die Ausrüstung auf Tabellen ermittelt. So kann ein Kobold etwa mit einer toten Ratte, einer Bratpfanne oder sogar mit Nix ins Spiel starten. Besonders heiter wird es bei Zaubersprüchen, wie „Hagens Larpdunklung“ oder „Gar Schöcklichen Dämon beschwören, der mit Vorliebe Kobolde verspeist“. Hier nimmt das Spiel gleich die ganze Fantasyszene aufs Korn.

Kobolds ate my baby! versteht sich als Bier & Bretzel-Rollenspiel und taugt durch einige Sonderregeln sogar als Trinkspiel. So kann der Spielleiter festsetzen, dass wann immer der Name des Koboldkönigs Torg fällt (GEPRIESEN SEI KÖNIG TORG!), eine entsprechende Lobbekundung folgen oder getrunken werden muss. Auch andere Regelvarianten erfordern Albernheiten am Spieltisch: So können wütende Gnarl-Geräusche die eigene Erfolgswahrscheinlichkeit bei Proben erhöhen und ein gemeinsames Kobold-Trinklied den Spielleiter bei einer Entscheidung umstimmen. Misslingt einem Kobold eine Handlung (oder behandelt ein Baby nicht sachgemäß), muss er auf einer „Tabelle für einen Schrecklichen Kobold-Tod“ würfeln, wo dann ein ulkiger Tod warten kann, von „Kuh aus heiterem Himmel“ bis zu „der große Kuthobold erscheint.“ Der nächste Kobold ist aber schnell erstellt.

Abgerundet wird Kobolds ate my baby! von einer Hilfe zum Erstellen von Dörfern, sowie dem Beispielabenteuer „Was gibt’s zum Mittagessen?“. Meine deutsche Übersetzung von Pegasus Press mit dem Namen Kobolde! Das Bier und Brezel-Rollenspiel ist mittlerweile leider ein Sammlerstück, doch Ulisses Spiele übersetzt nach einem erfolgreichen Crowdfunding das Spiel als Kobolde fressen Babys gerade neu. Dass die Übersetzer dabei in Kobold-Stimmung sind und wie das Ganze am Spieltisch funktionieren kann, zeigen sie in einem Let’s Play.

Hier findet sich eine umfangreiche Besprechung von Kobolds ate my Baby
Das sollte jeder einmal gespielt … äh getanzt haben.
Das sollte jeder einmal gespielt … äh getanzt haben.

„Tanz mir einen Seelöwen“ – Sea Dracula

Geht es noch abgedrehter als Kobolde? Es geht! Sea Dracula ist das erste Tier-Anwälte-Tanz-Rollenspiel. Die Spieler verkörpern anthropomorphe Tier-Anwälte in der magischen Stadt Animal City. Dort sind Anwälte nicht nur für das Rechtssystem verantwortlich, sondern auch zur Verteidigung gegen riesige Monster. Viel mehr Hintergrund gibt es nicht. Jeder Spieler tanzt sich als Tier-Anwalt in vier Schritten durch komplizierte Rechtsfälle: Tatort, Eröffnungsplädoyer, Gerichtsverhandlung und Geschworene.

Sea Dracula
Sea Dracula

Das Regelwerk ist dabei so simpel wie absurd: Wann immer jemand einem Anwalt widerspricht, muss getanzt werden (ja, wirklich!). Damit ist Sea Dracula kein reines Tischrollenspiel mehr, sondern irgendetwas zwischen Erzählspiel, LARP, Improvisationsworkshop und großem Klamauk. Sich vor der Spielrunde beim Tanz lächerlich zu machen, ist dabei Sinn der Sache. Durch das Tanzen lassen sich Anwaltspunkte sammeln, mit denen man am Ende des Spiels den Rechtsstreit für sich entscheidet. Man kann aber auch eine Party ausrufen (alle tanzen für Punkte) oder gegen ein Monster kämpfen (eine Reihe von Tänzen, um Punkte zu stehlen).

Ein witziges Detail ist die Aufmachung des Spiels. Es passt auf eine große Doppelseite zwischen zwei Hardcover-Deckel und macht sich damit über Regelschwergewichte und Sammelwahn des Rollenspielhobbys lustig. Richtig lustig wird Sea Dracula natürlich erst mit (angetrunkenen) Mitspielern, die peinliche Bewegungen nicht scheuen und passender Musikuntermalung. Bei uns funktionieren alte Bravo-Hits aus den 90ern ganz gut. Wer Sea Dracula einmal in Action sehen möchte, dem sei ein Video von Orkenspalter-TV! ans Herz gelegt.

Die Superhelden-Abenteuer im alten Ägypten erinnern an Exalted ohne überladenes Regelwerk.
Die Superhelden-Abenteuer im alten Ägypten erinnern an Exalted ohne überladenes Regelwerk.

 

„Super Ägypto Awesome-Dice-Fu Deluxe“ – Nefertiti Overdrive

Keine Lust auf Klamauk? Enthemmter Spaß kann beim Rollenspiel auch durch überzeichnete, coole Rollen, große Erfolge und eine Menge Action entstehen. Bühne frei für Nefertiti Overdrive! Darin verkörpert man Helden im alten Ägypten. Der Hintergrund ist gut ausgearbeitet, verzichtet aber auf jede historische Korrektheit. Die Charaktere sind Mitglieder der 25. Dynastie, dem Haus von Kashta, die in einem gespaltenen Reich von Verbündeten der Assyrer bedroht werden. Von deren militärischer Überlegenheit zurückgedrängt, flieht Pharao Tanwetamani in die heilige Stadt der Götter: Thebes. Dort soll sich das Schicksal wenden! Der perfekte Ausgangspunkt für epische Abenteuer.

Nefertiti Overdrive
Nefertiti Overdrive

Etwas ungewohnt ist das Regelsystem von Nefretiti Overdrive, das einige Spieler vielleicht aus Marvel Heroic Roleplaying kennen. Jeder Charakter wird als Konzept (z.B. König, Ritter), Element (z.B. Blitzfäuste, Vipernfänge), Eigenschaft (physisch, sozial) und Motivation beschrieben, wobei jedem Wert ein eigener Würfel zugeordnet wird (von W4 bis W20). Bei einer Probe wählt der Spieler einen Wert jeder Kategorie und erhält damit vier Würfel unterschiedlicher Größe. Ein Glücks-Pool kann die Erfolgschancen weiter modifizieren. Statt endlose Listen von Sonderfähigkeiten abzusuchen wird hier einfach gewürfelt, dann Ergebnisse verteilt und drauflos beschrieben – das erinnert an Erzählspiele wie FATE.

Das Ziel des Spiels sind epische Aktionen, die dem Haus Kashta zum Sieg verhelfen. Erfolg ist dabei auf lange Sicht quasi garantiert. Die Besonderheit von Nefretiti Overdrive ist der Verzicht auf ein Schadenssystem. Die Spielercharaktere sollen triumphieren und können nur schwer durch Stress aus einer Szene genommen werden. Charaktertod und permanente Niederlage sind einfach nicht vorgesehen.

Für frustrierte Spielleiter ist Nefretiti Overdrive eine Selbsttherapie. Mehrere Kapitel drehen sich um Spielphilosophie und lesen sich wie ein Essay um Etikette am Spieltisch oder Tipps für Improvisation. Die Quintessenz davon lautet: „Do whatever makes the game fun“ und „Just enjoy the ass-kickery“. Leitsätze, die sich Nefretiti Overdrive dick auf die Fahnen geschrieben hat.

ROLF scheut sich auch nicht vor Satire von Geschlechterrollen und legt damit den Finger auf die klischeehaften Frauenfiguren in vielen Tischrollenspielen.
ROLF scheut sich auch nicht vor Satire von Geschlechterrollen und legt damit den Finger auf die klischeehaften Frauenfiguren in vielen Tischrollenspielen.

„Ich Krieger, du hässlich!“ – ROLF

Manchmal muss es eben simpel sein. Gegen zu komplexe Plots und politische Korrektheit hilft ROLF – The Roleplaying Game of Big Dumb Fighters. Es verzichtet auf jeden Schnickschnack und steckt die Spieler in die Rolle von stumpfen Muskelpaketen im Lande Gog. Das wurde erst kürzlich im Krieg mit dem Nachbarreich Magog von seltsamer Magie verwüstet. Die anschließende Strahlung  ließ viele Bewohner zu gefährlichen Monstern mutieren. Die wenigen Überlebenden durchstreifen nun das Land auf der Suche nach Nahrung und Sexualpartnern. Wie wir, so schafft auch das Regelwerk die Hintergrundbeschreibung in rekordverdächtigen vier Sätzen.

ROLF
ROLF

ROLF ist ein Spiel um körperlichen Konflikt. Ein Großteil des 10-seitigen Regelwerks dreht sich um den Kampf. Charaktere bestehen aus den drei Attributen: Brawn, Body und Brains. Brawn dient dabei dem Nahkampf, während Brains für Kampfmanöver und Zaubersprüche entscheidend ist. Man ahnt es schon: Das ganze Regelsystem ist eine Satire auf Rollenspiele. Weibliche Charaktere haben keine Nachteile, sind aber klüger. Als Kampfmanöver ist „Debate Philosophy“ möglich, um den Gegner zu verwirren oder per „Seduce Enemy“ zum Beischlaf zu überreden. Mit optionaler Regel für Charaktereigenschaften kann ein Charakter „Too sexy for my shirt“ erhalten und verliert regelmäßig im Kampf sein Oberteil. Zauber in ROLF haben so treffende Namen wie „Die, Die, Die!“ oder „MORTAAAL COMBAAAAT!“ und die Initiativereihenfolge ist mit ABCCBA herrlich unsinnig. Die Beispielcharaktere Rolf, Ralf und Rebah tun ihr übriges, damit das Spiel nicht ernst genommen wird.

Zugegeben, der pubertäre Humor von ROLF ist nicht jedermanns Sache. Das Spiel ist bewusst unfertig (in den Regeln wird ein Spielleiter nicht einmal erwähnt) und erfordert etwas Nacharbeit. Gerade das Thema des dummen Kriegers in einer entvölkerten Pseudo-Steinzeit ist sehr ergiebig und heilsam für Spielrunden, die drohen an überzogenen Ansprüchen zu scheitern. Wer es noch absurder mag, sollte einen Blick auf die passenden Erweiterungen werfen: In ROLF: The Associated Shades of Hades kommt ein Gentlemans-Club ins Spiel, in dem berühmte Persönlichkeiten ihren Zwist mit Gewalt lösen. In ROLF: The Breast Hope for Peace löst ein Bikini-Zwischenfall eine internationale Krise aus und die Beispielcharaktere umfassen Papst Benedikt, Präsident Obama und Chuck Norris.

Artikelbilder: Genannte Verlage

 

4 Kommentare

  1. In der Aufzählung fehlt mir eindeutig „Paranoia“ (Vertrauen Sie dem Computer, der Computer ist Ihr Freund) :P
    Ansonsten sehr interessant, besonders das Kobold-Rollenspiel

  2. Vielen Dank für die Diskussion “ ROLF ! “ in Ihrem Artikel . (Und ich entschuldige mich, wenn ich Deutsch bin schlachten … es 30 Jahre her, seit ich es benutzt habe. :)

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