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Welche Sinne werden überhaupt in der Regel von Menschen genutzt? Zu den klassischen Sinnen gehören der Seh-, Hör-, Geruchs-, Tast- und der Geschmackssinn.

Die wenigsten von uns wissen, dass wir mehr als fünf Sinne haben und ich rede hier nicht von dem berühmten Sechsten Sinn. In der modernen Physiologie werden für den Menschen noch vier weitere Sinne identifiziert: Temperatursinn, Schmerzempfindung, Gleichgewichtssinn und Körperempfindung. Doch diese Sinne sind nicht hauptsächlich für ein intensives Spielerleben erforderlich, runden es gegebenenfalls aber ab. Daher werde ich mich auf die fünf Hauptsinne konzentrieren.

Jeder erlebt die Welt mit seinen Sinnen, darauf basierend gibt es die Erkenntnis, dass jeder in seiner eigenen Realität lebt (siehe auch Konstruktivismus). Für den Spielleiter ist interessant, dass jeder Mensch einen der fünf Sinne bevorzugt nutzt, um seine Welt wahrzunehmen. Dies zu wissen kann sehr nützlich sein, um für verschiedene Spielertypen das passende „Kopfkino“ zu erzeugen.

Der Sehsinn

„Ich seh‘ Dir in die Augen, Kleines“


– Humphrey Bogart, Casablanca, 1942

 

Visuelle Menschen projizieren Bilder in Ihren Kopf. So hören wir vom visuellen Typ sehr oft  Beispielsätze wie „Ich möchte mir das gerne einmal in Ruhe anschauen“ oder „Das sehe ich genauso wie du“ und „Das sehe ich anders.“

Menschen, die Ihren Sehsinn bevorzugen (Augen-Typen), lieben visuelle Informationen und verwenden visuelle Begriffe: sehen, durchblicken, durchschauen, klar haben, schauen, angucken.

Der Augen-Typ erinnert sich primär an bestimmte Situationen, die er über den visuellen Kanal empfangen hat. Wenn also ein Visueller-Mensch gebeten wird, sich an seinen Urlaub zu erinnern, so wird jener vor seinem geistigen Auge den weiten Horizont sehen, großartige Sonnenuntergänge visualisieren und sich die reichgedeckte Tafel im Speisesaal noch einmal ins Gedächtnis rufen.

Visuelle Typen sind sehr dankbar, wenn Grafiken und Karten im Spiel verwendet werden. Diese Hilfsmittel unterstützen diesen Spieler sehr, sich „ein Bild“ von der Situation zu machen. Wenn der Spielleiter (SL) in einer Szenenbeschreibung bildhafte Vergleiche, sprachliche Bilder und alles, was das Aussehen der Szene beschreibt (z. B. Farben und Formen), verwendet, dann hat er den Visuellen Typen in seinem Bann.

Der Hörsinn

„Der Anfang des rechten Lebens ist das rechte Hören.“


– Plutarch, Moralia, Über das Zuhören, Kap. 18

 

Die Menschen, die ihr Gehör bevorzugen, werden auch „Ohren-Typ“ genannt. Dieser erinnert sich primär auditiv. Wenn der Spielleiter einen Auditiven Typen bittet, sich an seinen Urlaub zu erinnern, wird dieser sich primär an das Wellenrauschen, die Ruhe während des Strandspaziergangs und das fröhliche Geschnatter im Speisesaal erinnern.

Auditive Menschen lauschen auf ihre innere Stimme, während sie sich ins Gedächtnis rufen, was sie hörten. Die Spielleitung sollte sich dies in ihrer Szenenbeschreibung zu nutze machen, indem sie die Geräusche, die gehört oder eben nicht gehört werden, auch durch Lautstärke und Tonlage, beschreibt. Sehr hilfreich sind dabei vergleichende Beschreibungen wie „So laut wie ein Presslufthammer.“

Auditive Menschen werden daran erkannt, dass sie oft beschreiben, wie etwas für sie klingt.

„Ohren-Typen“ nutzen sehr gerne Begriffe aus dem Wortfeld der Klänge und des Hörens wie: hören, sprechen, sagen, klingen, tönen, Ton, Musik, zuhören, anhören. Beispielsätze können sein: „Höre ich ständig“, „Müsste ich mehr drüber hören“, „Klingt gut für mich“, „Klingt das logisch?“, „Wie hört sich das für sie an?“

Der Spielleiter sollte viele spannende und interessante Informationen zum zuhören liefern.
Facetten und klangreichen Erzählungen faszinieren jeden Auditiven Typen.

Doch wie kann das erreicht werden? Der Spielleiter sollte mit seiner Stimme spielen und seinen NSCs unverwechselbare Sprach- und Sprecheigenschaften geben. Darauf zu achten, kann in Filmen oder Hörspielen sehr gut geübt werden, wenn nicht nur darauf geachtet wird, was gesagt wird, sondern auch wie es gesagt wird. Zum Beispiel: lispelnd, getragen, sehr schnell, bellend, flüsternd, überakzentuiert oder sachlich. Vielleicht hat der von der SL genutzte NSC auch einen Akzent?

Der Spielleiter kann innerdeutsche Dialekte wie Kölsch, Bayerisch, Hessisch, Norddeutsch, Berlinerisch, aber auch überregionale Akzente wie z.B. Britisches Englisch, Französisch, Texanisch u.v.a. verwenden. Man sollte es hier aber nicht übertreiben, so dass die Szene nicht ins Alberne abgleitet.

Es können auch Sprachfärbungen Verwendung finden, die in bestimmten Sozialschichten genutzt werden, die so genannten „Soziolekte“. Von snobistisch/aristokratisch bis „Assi-Sprech“ ist alles möglich. Ältere Menschen sprechen überdies auch anders als Jugendliche oder Kinder.

Für eine Szenenbeschreibung können von der SL auch bestehende Vorurteile genutzt werden, um eine weitere Ebene der Kommunikation zu erzeugen. Auch für die NSC könnte es interessant sein, nicht nur Sachinformationen zu kommunizieren. Weiterführende Hinweise findet der interessierte Leser unter dem Stichwort „zweites Axiom“ bei Paul Watzlawick“.

Hintergrundmusik sollte genutzt werden, um besondere Szenen zu akzentuieren. Eine kontinuierliche Berieselung könnte sich als störend erweisen, aber die richtige Musik zur richtigen Zeit und der Auditive Typ ist der Geschichte verfallen. Es gibt viele Ambiente-CDs und auch auf YouTube können sehr schnell passende Hintergrundmusiken gefunden werden. Eine Bibliothek für verschiedenen Stimmungen wie Kampf, Dungeon Crawl, in der Kneipe usw. ist für jeden Geschichtenerzähler ein wertvolles Hilfsmittel.

Geruchsinn

„Sei mir gegrüßt mein Sauerkraut // holdselig sind deine Gerüche.“


– Heinrich Heine, Deutschland ein Wintermärchen, Caput IX

 

Wenn ein Mensch von einem Sinn nachhaltig beeinflusst wird, dann ist es unser Geruchssinn.

Alles was wir riechen, geht ungefiltert und direkt in unser zentrales Nervensystem. Das ist der Grund, warum wir so gut wie nie einen Geruch vergessen. Der Geruchssinn warnt uns vor schlechtem Essen und ist mitbestimmend, ob wir jemanden als Freund und/oder Sexualpartner in Betracht ziehen. Nicht umsonst können wir manche Menschen „gut riechen“ und Ungerechtigkeiten „stinken zum Himmel“.

So kann der Geruchssinn den Spielern sehr entschieden helfen, die Stimmung einer Situation zu erfassen. Ich selbst habe meine Angst vor dem Zahnarzt auch deswegen verloren, weil es bei meinem neuen Zahnarzt nicht nach Zahnarzt riecht. Wenn wir nur das Wort „Zitrone“ lesen, haben wir unwillkürlich einen Zitrusgeruch in der Nase und Manchen mag sogar das Wasser im Munde zusammenlaufen. Wenn also der Geruch eines Ortes beschrieben wird, sollten mehr Informationen als „wohlriechend“ oder „bestialisch stinkend“ Verwendung finden. Auch hier helfen Vergleiche oder konkrete Informationen, beispielsweise „wie gemähtes Heu“, „ein sanfter Hauch von Jasmin“, „muffig wie nach Mottenkugeln“, „der intensiv würzige Geruch von Weihrauch hängt schwer in der Luft“, „antiseptisch“ wie in einem Krankenhausflur“, „nach Gülle“ wie in einem Kuhstall usw.

Der Geschmacksinn

„Alle Organe des Menschen sind doppelt angelegt – vor allem die Zunge.“


– Gerhard Uhlenbruck, No Body is perfect!, Rhein Eifel Mosel-Verlag,1989, S. 74

 

Der Geschmackssinn ist sehr stark mit unserem Geruchssinn verbunden. Menschen, die nichts mehr riechen können, können auch kaum noch etwas schmecken. Riechen wir also die salzige Meeresluft unseres Strandurlaubes oder auch das Heu, in dem wir geschlafen haben – schmecken wir es auch. Auch schmecken wir bittere Galle, wenn wir uns Ekeln oder Angst haben. Gerade die Speisen, die unsere Charaktere zu sich nehmen, zeigen, in welcher sozialen und gesellschaftlichen Situation diese sich befinden. So kann der Spielleiter ein weiteres Element der Spieltiefe anbieten.

Ist es z.B. wieder der labberige verwässerte Soykaff aus dem Lieblings-Stuffer-Shack? Oder vielleicht der allzu bekannte und viel zu bittere Kaffee aus dem Automaten der Polizeiwache (er schmeckt grausam, hält aber wach). Es könnte sich aber auch um den Kopi Luwak handeln. Der Kopi Luwak ist der teuerste Kaffee der Welt, dessen Kaffeebohnen im Darm von Zibetkatzen fermentiert werden. Das ist ein Kaffee, den die „Hohe Gesellschaft“ genüsslich vom Porzellanrand ihrer Tasse schlürft.

Der Berührungssinn

„Man kann vieles unbewusst wissen, indem man es nur fühlt aber nicht weiß.“


– Fjodor Dostojewski

 

Menschen, die Ihre Welt durch ihren Berührungssinn erfahren, oder im wahrsten Sinne des Wortes „begreifen“, werden auch „Kinästheten“ genannt. Der Spielleiter erkennt solche Sinnestypen an Gefühls- oder aktionsorientierter Sprache wie z.B. „Ich kann das jetzt nicht Hals über Kopf entscheiden, da möchte ich noch einmal drüber schlafen“, „Das möchte ich in Ruhe entscheiden.“ Wenn ein Kinästhet gebeten wird, sich an seinen Urlaub zu erinnern, wird er den Sand zwischen den Zehen spüren, den Muskelkater nach dem anstrengenden Aufstieg (Schmerzsinn) und die „Lasersonne“, die unerbittlich auf sein Haupt schien (Temperatursinn). Für diesen Menschen ist gerade das „Fühlen“ sehr wichtig. „Wie fühlt es sich an?“ und „Wie fühle ich mich dabei?“

Der „Fühl-Typ“ möchte Dinge „be-greifen“. Es ist also wichtig einen Gegenstand so zu beschreiben, als ob der Charakter und der Spieler den Gegenstand in Händen hielten. Der Spielleiter sollte nicht nur die Frage beantworten, wie die Oberfläche sich anfühlt (rau, wie Samt und Seide, wie kühler Stahl, …), sondern auch, was dieses Gefühl mit dem Charakter macht z.B.:

Scharf schneiden die Schnallen des Rucksacks in deine Schultern, der morastige Boden gibt nur zögernd und mit viel Kraftanstrengung die schweren Kampfstiefel wieder frei und macht jeden Schritt (auch dank der schmerzhaften blutigen Blasen an deinen Füßen) zu einer Qual …“

Introspektion

Körperempfindung / Innere Organe / Schmerzempfindung / Gleichgewichtssinn

Reaktionen auf Wahrnehmungen können Sinneseindrücke in uns auslösen. Diese wahrzunehmen und zu beobachten, nennt man „Introspektion“. Quasi eine nach innen gerichtete Beobachtung.

Für die Spieler ist es nicht minder wichtig zu wissen, welche Reaktionen das außen Wahrgenommene in seiner Figur auslöst oder auslösen soll. So ist es für Spieler einfacher, sich tiefer in seinen Charakter hineinzufühlen und tiefer die Emotionen seiner Figur zu verstehen.

Als der Ordensgroßmeister dir den seidenen Umhang deiner Weihe umhängt, empfindest du ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und des Stolzes. Nun bist du ein vollwertiges Mitglied des Ordens und du weißt, dass du in seinem Namen großes vollbringen wirst!“

Die Traumfrau zu erblicken, kann bei uns Schmetterlinge im Bauch verursachen (weiche Knie sind weitere Symptome). Durch Nervosität und Angst zieht sich unser Magen zusammen und verkrampft, unser Bauch fährt Achterbahn, wenn uns übel ist. Ein gleißender, schmerzender Blitz kann den Körper durchzucken, ein dumpfes Gefühl der Taubheit kann sich in unserem Arm breitmachen.

Faszinierend ist, dass wir in der Regel unseren eigenen Körper nicht wahrnehmen, eigentlich nur, wenn etwas unangenehm oder anders ist. Wenn es uns als Spielleiter gelingt, nicht nur die äußere sondern auch die innere Erlebenswelt der Charaktere für unsere Spieler erfahrbar zu machen, haben wir meiner Meinung nach die höchstmögliche Stufe der Rollen-Spielerfahrung erreicht.

Eine verbale Reizüberflutung?

Dumpf (auditiv) werden eure Schritte von der undurchdringlichen Dunkelheit der kathedralenartigen Halle (visuell) verschluckt. Mit jedem Schritt tiefer in die Dunkelheit merkt ihr, wie der moschusartige Modergeruch von einem allzu bekannten süßlichen Unterton durchdrungen wird (olfaktorisch). Bilder von verwesendem Fleisch drängen sich euch auf (visuell). Angstschweiß strömt aus allen Poren und verbreitet den Gestank der Angst (olfaktorisch), euer Magen verkrampft vor Anspannung (kinästhetisch) als ihr erkennen müsst  – Untote!

Dieser Text liest sich so erst einmal spannend. Alle Sinne werden angesprochen, schönes Kopfkino wird erzeugt. Doch immer alle Sinne ansprechen zu wollen, würde irgendwann einfach nur noch nervig sein und langweilen.

Warum ist das so?

Ein Grund ist, dass eine sorgfältige Beschreibung Realzeit braucht und eine sehr gute Zuhörfähigkeit auf Spielerseite verlangt, da diese auf das passive Zuhören beschränkt sind. Die Spieler können während einer Beschreibung nicht selber tätig werden.

Ein weiterer Grund ist, dass nicht alle Sinneseindrücke für alle Szenen gleichermaßen relevant sind. Der Spielleiter muss vorselektieren, welche Sinne bei den Spielern aktiviert werden sollen. Durch gezielte Beschreibung kann die SL den Fokus der Spieler lenken und steuern, worauf sie im späteren Spiel Bezug nehmen werden.

Praxisvorschlag

In der Regel sind Geschichten in verschiedene Kapiteln und diese Kapitel in verschiedene Szenen eingeteilt. Eine Beschränkung der Tiefenbeschreibung nur zu Beginn einer Szene einzusetzen (Ortwechsel, neue Protagonisten), schafft die nötige Balance zwischen Spieltiefe und Erzählfluss.

Im normalen Spiel ist es vollkommen ausreichend zwei Sinne zu bedienen, was schon schwierig genug ist.

Ich hoffe dass meine Anregungen helfen, all den Spielleitern da draußen, ein wenig mehr Würze in spannende Rollenspielrunden zu bringen.

Artikelbild:  ap411vm auf sxc.hu

 

5 Kommentare

  1. Ein sehr sehr guter Artikel, finde ich. Zumal man wissen sollte, das diese Sinnestypen eben auch nicht nur in einem Rollenspiel sehr wichtig sind, sondern auch im ganz normalen Leben, vor allem im Berufsleben. Indem man sich auf die Sinneswahrnehmung des Gegenübers einlässt und lernt, dann ebenfalls über diesen Kanal kommunizieren zu können, erzeugt man Vertrautheit und dem Gegenüber wird klar, das man eine gemeinsame Sprache spricht/dieselbe Perspektive hat/sich gut riechen kann etc.

  2. Dieser Artikel hat mir sehr gefallen. Ich fand ihn gut geschrieben, das Thema klar und interessant umrissen. Er macht auch Lust darauf, das Thema weiter auszuarbeiten um die Erkenntnisse in praktische Methoden umzusetzen, was mich gleich zur Frage führt: wie geht´s weiter, d. h. wie würden effektive (kurze aber möglichst prägnante) Beschreibungen in anderen möglichen Szenen in Rollenspielen aussehen? Wie, konkret, könnte ein SL bei der Vorbereitung eines Spielabends diese Beschreibungen kreieren und einbinden?

  3. Hallo Dralte, danke für dein Lob und für die weiterführende Frage.
    Tatsächlich plane ich einen Artikel zu schreiben, der die Grenzen und Möglichkeiten von Szenischer-Beschreibung beleuchten soll. Auch plane ich darauf einzugehen wie ein Spielleiter eine Szene / seine NSCs effektiv ausgestallten kann um eine höhere Dichte in die Geschichte zu bringen. Ich bitte jedoch um ein wenig Geduld, so ein Thema schreibt sich nicht so schnell wie eine Rezension ;-) LG Karsten

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