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Malmsturm – Die Regeln und Malmsturm – Die Welt sind 2011 erschienen. Zu dieser Zeit war Malmsturm eines der ambitioniertesten und vielversprechendsten Projekte der deutschen Fate-Szene: Dominik Pielarski (geb. Dießlin), Stefan Frink, Werner Hartmann und Björn Lensig hatten eine deutsche Übersetzung der über zahlreiche Veröffentlichungen verstreuten Fate 3-Regeln herausgebracht. Malmsturm – Die Regeln war als Universalsystem für das Bespielen verschiedenster Fantasysettings geeignet. Darüber hinaus hatten sie mit Malmsturm – Die Welt ihrer Vision einer grimmen Sword&Sorcery-Welt Leben eingehaucht, die sichtbar von Größen des Genres wie Robert E. Howard, Clark A. Smith, Catherine L. Moore und Fritz Leiber inspiriert war. Im Anschluss sollte ein erster Abenteuerband für Malmsturm erscheinen, doch der erfolgreiche Fate Core-Kickstarter von Evil Hat machte den beiden einen Strich durch die Rechnung. Erstmalig gab es ein aktuelles, generisches Fate-System, das noch vor seinem Erscheinen unzählige Rollenspieler begeisterte und eine enorme Weiterentwicklung der vorherigen Fate-Regeln darstellte.

Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie enttäuschend es für die Autoren gewesen sein muss, zu realisieren, dass die Halbwertszeit ihres eigenen Regelwerkes durch das Erscheinen von Fate Core enorm gesunken war. Anstatt an ihren ursprünglichen Plänen festzuhalten beschlossen sie schließlich, eine auf Fate Core basierende Neuauflage der Regeln herauszubringen, die anders als das ursprüngliche, 2011 erschienene generische Fantasysystem auf die Malmsturm-Welt maßgeschneidert war. 2016 wird Malmsturm – Die Fundamente nun endlich erscheinen und enthält neben den aktualisierten Regeln auch einen ersten Einblick in die Welt von Malmsturm, ein ausführliches Spielleitungskapitel, ein Bestiarium und eine intelligente Analyse der Genrekonventionen von Sword&Sorcery-Geschichten. Was euch dort erwartet und wie die Fate Core-Regeln auf die düstere Fantasywelt angepasst wurden, erfahrt ihr schon jetzt in unserer Vorschau.

Die Welt als Wille und Vorstellung

Die Welt von Malmsturm wird durch die Wünsche, Träume, Vorstellungen und Ängste der Menschen geprägt, die in ihr leben. Weil jeder Bewohner der Stadt es erwartet, lebt im düsteren Hafenviertel auch tatsächlich eine Bande gefährlicher Messerstecher, und weil zahlreiche Erzählungen die Vorstellung vom naiven Helden geprägt haben, wird die freundliche, hilfsbereite und unscheinbare Person am Ende der Geschichte als Gewinner dastehen. Lokale Legenden werden dadurch mächtiger, dass sie über Generationen mündlich weitergetragen und am Lagerfeuer erzählt werden.

Malmsturm | (c) Björn Lensig
Malmsturm | (c) Björn Lensig

Die Welt von Malmsturm ist auch eine alte Welt voller vergangener Zivilisationen und unverstandener Artefakte aus der Vergangenheit. In Malmsturm – Die Fragmente werden die drei Hauptregionen der Welt beschrieben: Der Norden, die Waismark und das Imperium. Im Norden herrscht ein Klima ähnlich der irdischen Eiszeit und Mammuts, Wölfe und Säbelzahntiger streifen durch düstere Nadelwälder. Die nordischen Völker, die von Wikingern, Germanen, Kelten, Slaven, Inuit und Kosaken inspiriert sind, leben größtenteils in Stammesverbänden und in wenigen Städten entlang der Küste. Barbarei, raue Stammesriten und eiserne Ehrencodizes prägen das Miteinander, während der Glaube an die Götter höchstens in der Form von Heldensagen eine Rolle im Leben der Nordmänner spielt. Die Waismark ist historisch an das europäische Mittelalter angelehnt und besteht aus vielen Kleinstaaten, deren Fürsten sich kontinuierlich bekriegen. Einzig die totalitäre tristantische Kirche bietet Hoffnung auf Frieden und Vereinigung der ewig streitenden Fürstentümer – aber zu welchem Preis? Das dekadente Imperium ist eine Übersteigerung der Spätantike und des antiken Orients, die von monumentalen Prunkbauten, blutigen Intrigen und einer großen Kluft zwischen dem dekadenten Adel und den zerlumpten Armen geprägt ist. Geschichtsschreibung ist verboten, um die Illusion zeitloser Unveränderlichkeit zu wahren, doch selbst skrupellose Alchemisten und Technosophen vermögen den Niedergang des Imperiums nicht mehr zu stoppen.

Malmsturm 2.0 – Eine saubere Adaption von Fate Core

Mich begeistert Malmcore, wie der Arbeitstitel des neuen Regelwerkes während der Entwicklungsphase lautete, da es eine elegante, schlanke Adaption der Fate Core-Regeln für das Malmsturm-Setting ist. Immer wenn die Autoren von den Vorgaben des Regelwerks abweichen, indem sie beispielsweise die Erholungsrate zu Beginn des Spiels von drei auf fünf Fatepunkte erhöhen, den Dilemma-Aspekt restlos streichen oder das Phasentrio durch Beziehungsaspekte zu SCs und NSCs ersetzen, erklären sie zunächst die spielmechanische Funktion dieses Regelelements und begründen dann aus den Eigenheiten des Sword&Sorcery-Genres, warum sie diese Regeländerung vornehmen. Eine solche Transparenz von Designzielen und deren Umsetzungen finde ich vorbildlich!

Malmsturm | (c) Björn Lensig
Malmsturm | (c) Björn Lensig

Die meisten Settingeigenheiten werden von Aspekten, Stunts und Extras gut abgedeckt. Die Malmsturm-Aspektschablone besteht aus dem Konzept, der Motivation, der Beziehung zu einem SC, der Beziehung zu einem NSC und einem freien Aspekt. Einzelne Fertigkeiten aus der Fertigkeitenliste wurden dem Setting entsprechend umbenannt und die Fertigkeit „Überleben“ wurde ergänzt. Jede dieser Fertigkeiten ist noch einmal kurz beschrieben und wird anschließend anhand dreier Beispielstunts, die sich sehr genau an die Fate Core-Stuntvorlagen halten, in ihren Ausprägungen illustriert. Abschließend werden im Regelwerk verschiedene Archetypen wie der Adelige, der Bauer, der Händler, der Schaukämpfer und der Auserwählte mit typischen Höchstwerten und Beispielstunts sowie kulturspezifischen Ausprägungen in den drei Hauptregionen der Welt vorgestellt. Natürlich können sich Spieler auch von Grund auf eigene Charaktere überlegen, aber ich finde die Archetypen sehr inspirierend, weil sie mir gleich ein Gefühl von den Kulturen und Gepflogenheiten der unterschiedlichen Regionen vermitteln. Ich zumindest wäre ohne den Archetypen des nordischen Murmlers nicht auf die Idee gekommen, einen Auserwählten zu spielen, der in epileptischen Anfällen von schrecklichen Visionen heimgesucht wird, die er am liebsten niemals mehr erleben würde.

Ergänzt werden die Charakteraspekte durch ein Gruppenkonzept und ein Gruppendilemma, die zusammenfassen, aus welchem Grund die Charaktere miteinander reisen, welche Ziele sie verfolgen und welche Konflikte es in der Gruppe gibt. Diese Aspekte können bei jedem großen Meilenstein umformuliert werden. Tolle Idee! Ich frage mich, warum diese Idee nicht schon in das generische Fate Core aufgenommen wurde.

Die Unberechenbarkeit der Magie

In jeder Settingkonvertierung stellt die regeltechnische Umsetzung magischen und übernatürlichen Wirkens immer eine besondere Herausforderung und einen großen Streitpunkt dar. Werden besondere Regeln für übernatürliches Wirken eingeführt, weil man es von Fantasy-Rollenspielen gewohnt ist, oder erfüllen diese Regeln einen erzählerischen Zweck? In Malmsturm stellt die Unberechenbarkeit der Magie einen der Eckpfeiler des Settings dar, weswegen es Sinn macht, dass diese besonders in den Regeln berücksichtigt wird.

Jeder bedeutsame Charakter – egal ob magisch oder nicht – verfügt über eine arkane Stressleiste, auf der er Stress einstecken kann, um einen Bonus auf seine Fertigkeitsproben zu erhalten. Dies spiegelt wider, dass sich die Wünsche und Willensanstrengungen bedeutsamer Individuen direkt auf die Welt auswirken. Diese Stressleiste leert sich jedoch erst bei Erreichen eines großen Meilensteins, sie kann aber auch schon zuvor durch das Nehmen einer arkanen Konsequenz (einer kurzfristigen körperlichen Veränderung oder Mutation) abgebaut werden. Mitglieder der großen magischen Traditionen haben darüber hinaus noch andere Wege, arkanen Stress mehr oder weniger kontrolliert über ihre Umgebung abzubauen.

Die neun großen, im Buch vorgestellten magischen Traditionen verfügen jeweils über eine der normalen Fertigkeitenliste entnommene Schlüsselfertigkeit, mit der sie ihre Magie wirken. Regeltechnisch handelt es sich bei einer Tradition um ein Extra, das aus einem Aspekt, der Schlüsselfertigkeit, der durch die Schlüsselfertigkeit modifizierten arkanen Stressleiste und einer für die Tradition spezifischen Art und Weise, arkanen Stress abzubauen, besteht. Eine solche magische Tradition kostet drei Stuntplätze. Im Gegenzug wird die Schlüsselfertigkeit der Tradition so erweitert, dass in der Regel jede der vier Aktionen in der Färbung der jeweiligen magischen Tradition mit ihr durchgeführt werden kann. Magie anzuwenden erzeugt dabei erst einmal keinen arkanen Stress; dieser tritt erst auf, wenn sich der Spieler bewusst dafür entscheidet.

In einem Malmsturm zeigt sich eine völlig chaotisch gewordene dramatische Realität, deren Formbarkeit bis zum Zerreißen überspannt wurde. Ein Malmsturm kann das Ergebnis von planvoll eingesetzter Magie, aber auch roher Emotion sein. Wer in dieser Welt Hass, Liebe oder Furcht fühlt, kann so die Wirklichkeit verändern, auch unbewusst. Im schlimmsten Fall droht dann der Kollaps dieser Wirklichkeit in Gestalt eines Malmsturms – vor allem, wenn magische Gewalten auf tobende Gefühle prallen. In dieser Welt werden daher große Schlachten in den Weiten des Nordens schnell ebenso bedrohlich wie eine mit Gift und Drogen gewürzte Orgie des imperialen Hochadels oder eine fröhliche Massenhinrichtung von Ketzern auf einem Marktplatz in der Waismark …

Das letzte Element der chaotischen Magie ist die Manifestation von Malmstürmen und der dazugehörigen Malmsturm-Aspekte. In jeder dramatischen, emotional bedeutsamen Szene kann ein Situations- oder Charakteraspekt zu einem Malmsturm-Aspekt werden oder beim unkontrollierten Entladen der arkanen Stressleiste ein neuer Malmsturm-Aspekt erschaffen werden. Dieser Aspekt kann von jedem bedeutsamen Charakter ausgenutzt werden, um einen Würfelwurf zu wiederholen oder einen +2-Bonus auf eine Probe zu bekommen, ohne dass der Spieler oder die Spielleitung dafür Fatepunkte zahlt. Allerdings spitzt sich der Malmsturm-Aspekt dadurch zu, wird also noch chaotischer und bedrohlicher, wodurch es zu einer Verschärfung der Situation kommt. Ich mag die Idee dahinter, einen mechanischen Anreiz zu bieten, die Geschichte zur Eskalation zu treiben.

Tolle Artworks, viel Liebe zum Detail

Da das Buch bislang noch nicht erschienen ist und das Layouten noch nicht abgeschlossen ist, kann ich nur wenig dazu sagen. Doch so viel: Die Artworks von Björn Lensig sind wie immer einzigartig und fangen die düstere Sword&Sorcery-Welt packend ein. An unzähligen Stellen im Buch finden sich Fragmente – kurze Erzählungen, Sagen und Legenden aus den verschiedenen Regionen der Spielwelt. Sehr gut gefällt mir auch, dass sich am Ende eines jeden Kapitels eine Zusammenfassung der wichtigsten Regelelemente findet. Einzig mit den Songtiteln, die sich auf jeder Seite des Regelwerks finden, kann ich wenig anfangen – unabhängig davon, dass ich kaum einen davon kenne, frage ich mich, ob sie nicht gezielter und in geringerer Häufigkeit eingesetzt werden könnten, um Settingelemente zu betonen. So haben sie auf mich vor allem wie auszublendende Ablenkungen gewirkt.

Malmsturm | (c) Björn Lensig
Malmsturm | (c) Björn Lensig

Die harten Fakten:

  • Verlag: Uhrwerk
  • Autor(en): Dominik Pielarski, Werner H. Hartmann, Björn Beckert, Helge Willkowei, Sebastian Pleis
  • Erscheinungsjahr: Sommer 2016
  • Sprache: Deutsch
  • Format: Hardcover, PDF
  • Seitenanzahl: ca. 400

 

Eine unberechenbare, heldenhafte, dramatische Sword&Sorcery-Welt

Mich hat Malmsturm seit der ersten Seite begeistert. Ich liebe Sword&Sorcery und zähle Joe Abercrombie, R. Scott Bakker, Steven Erikson und Fritz Leiber zu meinen Lieblingsautoren. Umso bedauerlicher, dass ich Malmsturm wohl nie spielen können werde, weil ich die einzige Person in meinem Umfeld bin, die dieses Genre derart mag.

Malmsturm macht alles richtig: Die Autoren nutzen die eleganten, universellen Fate Core-Mechanismen und passen sie an einigen Kernstellen an, um ihr Verständnis von Sword&Sorcery zu transportieren. Der Rest von Malmsturm – Die Fundamente besteht aus einer hervorragenden Genreanalyse und vielen Beispielen und Empfehlungen, wie sich spezifische Settingelemente in Fate umsetzen lassen. Erfreulich ist auch, dass bereits eine kurze, aber ausreichende Weltbeschreibung im Grundregelwerk enthalten ist, auf deren Basis man mit ein wenig Kreativität in der eigenen Spielrunde sofort losspielen kann.

Neben Malmsturm – Die Fundamente sollen in diesem Jahr noch eine Neuauflage des Weltenbandes (Malmsturm – Länder des Sturms) sowie eine Abenteueranthologie (Malmsturm – Stätten der Verdammnis) erscheinen.

Artikelbilder: Björn Lensig/Uhrwerk
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

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