Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

In meiner Kolumne „Die letzte Seite“ möchte ich in regelmäßigen Abständen Schlaglichter auf Phantastik und Co. werfen. Heute geht es um das Prinzip „Hoffnung“, dass mich mittlerweile viel stärker anspricht als abgehalfterte, bösartige Dystopien

Als Leseratten und Rollenspieler haben wir alle wahrscheinlich schon eine Menge Welten gesehen und – auf die eine oder andere Art – bereist. All das hat uns wahrscheinlich eine ganze Menge Spaß gemacht (oder tut es immer noch), denn ansonsten hätten wir nicht für Band X eines Geschichtszyklus oder Band Y einer Rollenspielwelt Geld ausgegeben und uns in die darin ausgebreitete Welt gestürzt.

Wieso ich Dramen liebe

Nun komme ich – und immer, wenn ich das schreibe, fällt mir auf, wie viel Zeit meines Lebens darein geflossen ist – seit zwanzig Jahren nicht von dieser Droge Namens Rollenspiel los, stürze mich immer wieder und mit Freude in die eine oder andere Welt. Die meisten dieser Orte, an die es mich in meiner Freizeit zieht, sind weder besonders angenehm, noch wohnlich. Beispielsweise habe ich ein Faible für das gute alte Deadlands, Call of Cthulhu, Corporation oder Das Lied von Eis und Feuer. Fallout reißt mich mit jeder neuen Inkarnation immer wieder aus meinem gewohnten Alltag und ich liebe die Welt von The Witcher. Game of Thrones ist eine der wenigen Serien, die es tatsächlich schafft, mich zu fesseln.

Soweit eigentlich nichts Besonderes. Ich schätze, dass ich mit diesen Vorlieben nicht allein auf weiter Flur stehe. Offensichtlich interessieren mich düstere Szenarien weit mehr, als dass es relativ friedliche könnten. Wie gesagt: Die meisten dieser Szenarien sind brutal und lebensfeindlich, beschreiben Welten, in denen die meisten Menschen eigentlich nicht leben wollen. Nun ist es ja so, dass Rollenspiele, Bücher, Filme und Computerspiele für uns schon immer wunderbare Werkzeuge sind und waren, um dem Alltag zu entfliehen und Sachen zu erleben, die man sonst eben nicht erleben kann. Es macht Freude, in diese Welten einzutauchen, anders ist ihr Erfolg ja nicht zu erklären.

Diese „geschützte“ Auseinandersetzung mit dem Bösen und Unaussprechlichem, mit dem Grauen und der Gewalt, mit Pessimismus, Lebensfeindlichkeit und Untergangsstimmung scheint die Menschen zu beflügeln. Ich kann mich gar nicht davon freisprechen, dass es mir viele Jahre auch so gegangen ist. Mittlerweile jedoch laufen die Dinge anders. Ich kann schwer sagen, ob es einfach mit Reife und dem Bewusstsein, dass die Welt, in der wir leben eben nicht so behütet ist, wie man es in jungen Jahren wahrnimmt, zu tun hat. Jedenfalls entdecke ich bei mir selbst, dass die wirklich düsteren Dystopien und die üblen Szenarien mich nicht mehr so kitzeln, wie sie es früher einmal taten. Eine Zeitlang war es ganz nett, sich anzusehen, wie das Böse eine treibende Kraft ist, wie die Welt (maximal) aus grauen Schattierungen besteht und wie die Ruchlosen immer die sind, die mächtiger werden und am Ende gewinnen. Viele Jahre habe ich mich rollenspielerisch beispielsweise in der World of Darkness getummelt, einem Szenario, das per Definition mit den bereits genannten Dingen gespielt hat und die Abgründe einer Gesellschaft versuchte zu beleuchten. Das kann sehr nett sein, doch irgendwann war eben der Punkt erreicht, an dem ich merkte, wie mein Interesse abflachte.

Frei fliegen in der Fantasie

Möchte ich heute meinem Alltag entfliehen, dann darf es immer noch hart und brutal zugehen, und natürlich dürfen auch einmal die Falschen gewinnen. Aber diese Geschichten machen eben nicht mehr so viel Spaß wie früher, vielleicht, weil mir irgendwann aufgefallen ist, dass es im realen Leben (gefühlt) oftmals ähnlich ist. Heute fühle ich mich eher zum Prinzip „Hoffnung“ hingezogen: Mich interessieren eher Geschichten, in denen die Menschlichkeit noch nicht ganz versagt hat, in denen Moral und Anstand vorhanden sind und „die Guten“ mitunter klar zu erkennen sind.

Natürlich ist es jetzt einfach, das Ganze mit Gefühlsduselei abzutun.  Eine solche Herangehensweise klingt vielleicht zu sehr nach Klischee und eitel Sonnenschein. Doch wenn man einmal genau ins Detail geht, ist die andere Seite der Medaille, die der Hoffnungslosigkeit, ähnlich mit Klischees und Vorurteilen belastet, wie jene, die ich gerade beschrieben habe. Mich interessieren die Geschichten, in denen die Welt den Bach heruntergeht und sich jeder wie ein – pardon – Arschloch verhält eben nicht mehr. Das kann ich haben, wenn ich täglich die Nachrichten anschalte und mit offenen Augen durch das Leben gehe (An dieser Stelle einen Gruß an die Deppen der AfD, an Orbán oder an Monsanto, um nur einige zu nennen). Was mich heute viel mehr interessiert, ist, wenn man so will, das Licht am Ende des Tunnels – in der Hoffnung, dass es kein Schnellzug ist, der einem entgegenkommt.

Das Prinzip Hoffnung

Ich glaube, das Prinzip „Hoffnung“, also Geschichten, in denen es wirklich Hoffnung auf eine bessere Zukunft und einen Sieg des Guten gibt, hat viel mehr Potenzial. Mich interessieren in den Zeiten, in denen wir leben, viel mehr solche Geschichten, in denen wir den Fremdenhass besiegen, eine Lösung für das Flüchtlingsdilemma finden und uns nicht zur schutzlosen Masse für das Großkapital degradieren lassen. Denn im Grunde sollen Geschichten und fremde Welten doch zum Träumen anregen. Ich mag Geschichten lesen, hören, erleben und schreiben, die lösungsorientiert sind und mir eben nicht von Problemen erzählen, für die es keine Lösungen gibt.

Wie gesagt, das klingt, alles in allem, vielleicht etwas verträumt. Und natürlich mag es zahlreiche Gegenentwürfe geben (fühlt euch frei, mir in den Kommentaren davon zu berichten!), in denen schon mit dem Prinzip Hoffnung gespielt wird. Aber wenn ich einen Blick darauf werfe, was in den letzten paar Jahren so en Vogue war, dann entdecke ich subjektiv vor allem einen Schwerpunkt bei solchen Geschichten, die Hoffnungslosigkeit verbreiten. So erfreuen sich Zombies immer noch einer gewissen Beleibtheit (wenngleich sicher nicht mehr so stark wie noch vor zwei Jahren). Ja, ich kann verstehen, dass Geschichten vom Überlebenskampf einer kleinen Gruppe gegen eine Übermacht interessant sind. Oder auch das Phänomen Game of Thrones, wo im Grund jeder, der mir als Leser ans Herz gewachsen ist (weil er allzu menschliche Eigenschaften zeigt), sein Pfund wegbekommt. Ich habe es weiter oben schon eingeräumt, ich bin durchaus ein Fan dieses Phänomens, aber dennoch: Ist es so schwer, dass eine, sagen wir, „hoffnungsvollere“ Strömung das Interesse der Leute weckt? Ich finde beispielsweise, dass in einer Welt, die quasi schon „zur Hölle gefahren“ ist und deren Überlebende sich nun an einen Neuanfang machen, viel spannender, als eine Welt, die gerade eben kollabiert.

Worum es wirklich geht

Bevor ich falsch verstanden werde: Es geht gar nicht um eine Welt (oder Erzählungen) ohne Konflikte, denn die sind das Salz in der Suppe. Es geht darum, dass am Ende ein Gefühl der Hoffnung bleibt. Dass es eben kein Schleppen von Katastrophe zu Katastrophe wird (wobei einer schlimmer als die vorherige ist), sondern am Ende die Aussicht auf Besserung steht. Als eines der Beispiele möchte ich an dieser Stelle Equilibrium (2002) nennen. Der Zuschauer wird in eine Welt geworfen, die befremdlich ist, kalt und emotionslos. Wir haben ein Regime, dass sich nach einem Konflikt aufgeschwungen hat, die Menschheit in ein neues Zeitalter zu führen und dabei glaubt, die Wurzel allen Übels entdeckt zu haben: Gefühle. In der logischen Schlussfolgerung werden Gefühle mittels Drogen unterdrückt und eine angeblich bessere Gesellschaft geformt. Diese Gesellschaft ist jedoch keine, in der wir als Zuschauer leben wollen – zumindest würde ich das behaupten wollen. Der Film erzählt dann vom Kampf gegen das im wahrsten Sinne des Wortes unmenschliche – weil emotionslose – System und endet mit dem Sturz des Regimes. Als Zuschauer wissen wir im Grunde nicht, wie sich die Zukunft dieser Welt entwickeln wird – aber wir haben ein gutes Gefühl. Es gibt Hoffnung, so dünn sie auch sein mag, die Zukunft erscheint lebenswerter.

Genau das ist es, was ich meine. Genau das würde ich mir viel öfter wünschen. Eben ein kokettieren mit der Hoffnung, nicht mit der Hoffnungslosigkeit.            

Artikelbild: kieferpix | fotolia

 

3 Kommentare

  1. Schöner Artikel! Meiner Meinung nach hängt das Ende einer Geschichte auch vom Format ab.
    Für Kurzgeschichten eignen sich düstere, hoffnungslose Enden hervorragend, denn sie wollen dem Leser auf wenigen Seiten einen drastischen Eindruck vermitteln. Bei Romanen, egal, durch welche Finsternis sie die Protagonisten während der Haupthandlung schicken mögen, finde ich Enden ohne jede Hoffnung ebenfalls sehr unbefriedigend aus den von dir genannten Gründen. Für Romanreihen gilt dies natürlich nur für den Abschluss der gesamten Reihe.

  2. Den Artikel habe ich sehr gerne gelesen und er hat mich zum Denken angeregt. Stimmt schon, dass düster und hoffnungslos gerade cool ist und ich denke das kommt auch daher, dass die Autoren dieser düsteren Themen mit der Lektüre von allzu hoffnungsvoller Fantasy-Literatur groß geworden sind. Ich meine die ganzen Bücher, in denen der Held einfach per Definition zu den „Guten“ gehört, und das die armen Bauern beschützt und der böse Lord und seine missratenen Minions getötet werden müssen. Das ist natürlich ein Plot, der die Realität sehr simplifiziert, aber letztendlich tut die absolute Hoffnungslosigkeit als Stilelement das Gleiche. Ich finde Autoren in diesem „Hoffnungslos-Genre“ stellen jetzt ihrerseits die Realität zu simpel dar, denn wir Menschen denken halt schon in Gut und Böse und auch wenn „Gut“ jetzt nicht „Frei von jeglicher Sünde“ oder „Pazifistischer Hyper-Altruismus“ bedeutet, kann man „Gut“ meiner Meinung nach schon definieren, nämlich vielleicht mit: „Zum Wohle der Gemeinschaft“. Das eine Tat dann mehrere Aspekte haben kann, etwa: „Ich erschieße jemanden, damit er nicht meine Familie erschießt“, heißt ja nicht, dass der Aspekt „Familie schützen“ nicht „gut“ sein kann.
    Ich finde es ist vom Story-Telling her ein Fehler, wenn man jeder Tat einen „bösen“ Aspekt hinzufügt einfach aus dem Grund, dass „es kein gut oder böse gibt im Reallife, wacht auf ihr Schafe“. Dieses Hinzufügen kann vielen Situationen Würze und Realismus geben, aber wenn wirklich jeder Mensch in der Geschichte ein bösartiger Zyniker ist, dann kann das eben in den von Felix Münter beschriebenen Effekt umschlagen. Die Geschichte wird unglaubwürdig und dann trotz der ganzen düsteren Dinge eben doch wieder schal.

    Tja, warum ich das jetzt geschrieben habe weiß ich auch nicht. Da habe ich die Aussage des Artikels noch mal in eigenen Worten wiedergegeben! Wohl bekomms!

  3. Mir geht es genauso. Für mich kann ich sagen, dass die Anziehungskraft von Dramen und Dystopien nicht zuletzt daher rührt, dass es mir sonst sehr gut geht. Da suche ich mir das Düstere eben als Ergänzung und als Konktrast zum strahlenden, wirklich wundervollen Alltag.

    Was das Prinzip Hoffnung angeht, habe ich vor ein kurzem erst erkannt, wie einzigartig und grossartig Earthdawn in der Hinsicht eigentlich ist. Das Grundsetting ist schon optimisitsch: Die Plage ist vorbei, die Welt will wieder aufgebaut und gereinigt werden. Aber auch weitere Details enthalten total viel Hoffnung: So it das „Book of Tomorrow“, dass die Zwerge vor der Plage in die Caers haben liefern lassen, ja quasie eine Erklärung der Menschen- bzw. Namensgeber-Rechte, wieder die Sklaverei. Und wenn ich mich nicht sehr irre denkt Varulus III selber ja sogar über demokratische Struktur in seinem Konigreich und damit in ganz Barsaive nach.

    Das spiegelt so einen der wichtigsten Momente des Fortschritts in der Geschichte der (echten) Menschheit und ist gleichzeitig trotzdem ein total spannendes Setting. Ich bin seit 20 Jahren echt immer wieder angetan von der Brillanz, mit der die damaligen Autoren dem Genre einen neuen Glanz, eine neue Dimension der Hoffnung gegeben haben.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein