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Der steigende Löwe flatterte auf vielen spätmittelalterlichen Flaggen, sei es der schottische Löwe oder der von Richard Löwenherz während des Dritten Kreuzzuges. Der für Frostgrave und eine Vielzahl historischer Sachbücher bekannte Verlag Osprey Publishing hat mit Lion Rampant ein quasi generisches Tabletop veröffentlicht, dass mit Einfachheit, Geschwindigkeit und einer guten Portion Schlachtenchaos punkten will. Wir stellen das System vor und zeigen euch, neben den bekannten SAGA und Bolt Action, ein weiteres interessantes historisches Tabletop.

Aus der Geschichte

Wenn man sich für Plattenpanzer und riesige Schlachten im europäischen Mittelalter interessiert kommt man schwer um das 14. und 15. Jahrhundert herum. Der Hundertjährige Krieg und der Krieg der Rosen sind wohl die bekanntesten Ereignisse dieser Zeit, aber bei weitem natürlich nicht die einzigen. Lion Rampant konzentriert sich hauptsächlich auf diese zwei Jahrhunderte, ist aber gleichzeitig so ausgelegt, dass auch Zulu, Samurai, Römer oder Wikinger mit exakt dem gleichen Regelsatz gespielt werden können. Das Grundregelwerk stößt erst beim Einsatz von Schießpulver und Artillerie an seine Grenzen. Dazu aber weiter unten mehr.

Zur Heerschau

Der Autor Daniel Mersey schlägt als Spielgröße 24 Punkte vor, wobei auch Spiele mit 12, 20, 48 Punkten oder asymmetrische Gefechte funktionieren. Anders als bei SAGA hat jede Einheit einen unterschiedlichen Punktwert. So kosten beispielsweise:

  • 6 Ritter zu Pferd 6 Punkte
  • 12 Bogenschützen 4 Punkte und
  • 12 Bauern nur 1 Punkt

 

Je nach Verteilung der unterschiedlichen Truppentypen kommt man so auf 40 bis 60 Modelle. Reine Reitergefolge, wie sie von den Mongolen aufgestellt werden, kommen aber auch mit 24 Modellen aus. Im Buch werden dazu insgesamt elf Einheitstypen vorgestellt, die zusätzlich jeweils über Optionen verfügen. Schwere Reiterei kostet 6 Punkte, wenn man ihnen zusätzlich noch Bögen gibt – beispielsweise für Samurai – kosten sie 2 Punkte zusätzlich. Das macht in Summe 26 Einheitstypen, ohne selber kreativ zu werden.

Natürlich kann man seine Truppen nicht vollkommen frei zusammenstellen. Jeder Truppentyp darf maximal für 12 Punkte bzw. viermal gemustert werden.

Wie in den meisten Tabletops steht auch hier ein Anführer mit im Schlachtgetümmel. Dieser ist aber fester Bestandteil einer Einheit und ersetzt eines der regulären Modelle. Als kleines Zufallselement besitzt der Anführer eine besondere Eigenschaft, die vor der Schlacht ausgewürfelt wird. Dies sind beispielsweise:

  • Nicht inspirierend: gibt keinen Moral-Bonus
  • Rasend: Einheit erhält die Fähigkeit „Wilder Angriff“
  • Kommandeur: darf einen misslungenen Aktivierungswurf wiederholen
  • Gesegnet: immun gegen Glückstreffer
  • Mutig: wird im Duell nur bei einer 6 getroffen

 

Ein typisches Gefolge: Reiter, Nah- und Fernkämpfer. (aus dem Regelwerk)
Ein typisches Gefolge: Reiter, Nah- und Fernkämpfer. (aus dem Regelwerk)

Alle Einheiten bestehen immer aus 6 oder 12 Modellen. Dies offenbart erst im weiteren Spiel seine Eleganz, denn über die Anzahl der noch vorhandenen Modelle (über oder unter 50%) bestimmen sich die Kampfkraft und die Abzüge auf Moralwürfe. So sind viele Elite-Einheiten moralisch recht stabil, während reguläre Einheiten zwar eine Menge Verluste vertragen können, die Chance zur Flucht dabei aber deutlich steigt. Aber werfen wir einen Blick in die Regeln.

Vom Kopf auf den Tisch: Die Regeln

Die Phasen

Innerhalb einer Runde, oder besser, einer Initiative, können alle eigenen Einheiten auf dem Tisch einmal aktiviert werden. Dabei ist aber nicht garantiert, dass sie auch das tun, was sie sollen. Eine Runde unterteilt sich in Herausforderung (Challenge), Sammeln (Rally), Wilder Angriff (Wild Charge) und die übrigen Aktivierungen.

Alle Werte im Überblick – Einheitskarte typischer Ritter. (Fanwerk)
Alle Werte im Überblick – Einheitskarte typischer Ritter. (Fanwerk)

In der Herausforderungs-Phase steht es der Einheit des Anführers frei, so er sich in der Nähe des gegnerischen Anführers befindet, diesen zu einem Duell herausfordern. Da hier Kampfwerte keine Rolle spielen ist dieses Aufeinandertreffen ein reines Glücksspiel. Der Verlust des Anführers, wie auch das Ablehnen einer Herausforderung, kann die Moral der Truppe erheblich schädigen.

In der Sammel-Phase haben alle Einheiten, die zerschlagen wurden (einen Moraltest nicht geschafft haben) die Chance, sich erneut zu sammeln, um wieder am Kampfgeschehen teilzunehmen. Dazu würfelt der Spieler 2W6 und versucht, über den Moralwert der Einheit zu kommen. Hier kommen einige Faktoren ins Spiel, wie die Nähe des Anführers und die Anzahl der verlorenen Modelle. Hat eine 12-Mann-Einheit beispielsweise 7 Modelle verloren, muss sie von jedem Wurf 7 Punkte abziehen, und damit wird ein Sammeln schon sehr unwahrscheinlich. Schlimmer noch: Ist das Endergebnis negativ, so flieht die Einheit vom Feld. Auch wenn das hart klingt, verhindert dies recht elegant, dass zum Spielende etliche winzige Einheiten auf dem Feld stehen.

Spätestens nach dem zweiten Spiel braucht man das die Spielhilfe nicht mehr.
Spätestens nach dem zweiten Spiel braucht man die Spielhilfe nicht mehr.

Da jede Einheit auch nur eine Aktivierung pro Runde hat, kann eine zerschlagene Einheit zwangsläufig nicht in der Folgerunde angreifen.

Nicht alle Einheiten sind diszipliniert, sondern teilweise eher heißblütige Krieger. Sollte sich eine gegnerische Truppe in Angriffsreichweite befinden, so muss in der Wilde-Angriffs-Phase getestet werden, ob die Einheit direkt angreift. Dazu würfelt sie mit 2W6 gleich oder über ihrer Nahkampfschwelle (Attack). Diese Information fehlt im Regelwerk und gehört damit zu den wenigen unklar formulierten Regeln.

In der abschließenden Phase darf jede Einheit, die noch nicht aktiviert wurde, eine Aktion ausführen: Bewegen, Angreifen oder Schießen. Auf der einen Seite ist nie garantiert, ob im Schlachtenlärm der Befehl ankommt, auf der anderen Seite haben alle Einheiten unterschiedliche Schwerpunkte. So greifen Bogenschützen lieber im Fernkampf (5+) als im Nahkampf (6+) an. Auch hier wird mit 2W6 gewürfelt. Schlägt die erste Aktivierung fehl, endet der Zug automatisch und der Gegner ist dran. Damit geht es schnell hin und her, und die taktische Abwägung besteht darin, zu bestimmen, welche Einheit man in welcher Reihenfolge zu aktivieren versucht.

Kampf

Treffen zwei Einheiten aufeinander, kommt es zum Kampf. Dieser ist denkbar einfach gehalten. Jede Einheit greift mit 12 Würfeln an. Ist sie unter halber Sollstärke, nur noch mit 6. Alle Würfel werden geworfen, und jeder Wurf gleich oder höher dem Nahkampf- oder Fernkampf-Wert gilt als Erfolg.

Natürlich sind nicht alle Truppen gleich gut gerüstet, und so verlieren gepanzerte Ritter pro vier Erfolge ein Modell, Armbrustschützen dagegen pro zwei Erfolge. Das ist wirklich schnell und elegant gelöst.

Die sich verteidigende Einheit schlägt nun zurück, allerdings testet sie auf den Verteidigungswert (Defence Value). Hier gibt es durchaus Truppen, die besser oder schlechter verteidigen als angreifen.

Was bleibt ist der Rückzug und ggf. ein Moraltest. Die Einheit, welche mehr Verluste erlitten hat, muss sich zurückziehen. Davon abgesehen führt jeder Verlust an Modellen zu einem Verlust an Moral.

Der Spieler, der am Ende das Missionsziel oder ein selbstgewähltes Nebenziel erreicht hat, bekommt dafür Ruhm-Punkte (Glory). Erstaunlich aber wahr: Wer mehr hat, gewinnt!

Ein Beispiel-Spielzug

Es stehen sich die bereits deutlich dezimierte leichte englische Kavallerie (3 von 6 Mounted Sergeants) unter Heinrich V. und die schweren berittenen Ritter (12 Mounted Men-at-Arms) der Franzosen unter Charles d’Albret gegenüber. Charles ist am Zug und startet mit der Wilde-Angriffs-Phase.

Die französischen Ritter haben eine Nahkampf-Schwelle von 5+. Mit 2W6 und einer 10 stürmen sie auf die gegnerische Reiterei los, egal, ob das Charles nun in seine Planung passt oder nicht. Er müsste sie von Gegnern fern halten, wenn er das vermeiden wollte.

Aber auch Heinrichs Reiter sind nicht unvorbereitet, denn sie haben die Fertigkeit Gegenangriff (Counter-Charge). Mit einem Wurf von 7 gelingt dieser so gerade eben. Die beiden Kontrahenten treffen sich deshalb in der Mitte und dürfen beide mit ihrem Nahkampf-Wert, statt wie normalerweise mit Nahkampf- und Verteidigungswert angreifen: immerhin 5+ statt 4+.

Die Truppen treffen aufeinander, dabei spielt es keine Rolle, wie viele Modelle es in direkten Kontakt schaffen. Beide würfeln gleichzeitig: Charles hat mehr als halbe Sollstärke und darf 12 Würfel werfen. Trotz seines Nahkampfwertes von 3+ zeigen nur 6 Würfel mehr als zwei Augen. Heinrichs Einheit hat weniger als halbe Sollstärke, und so hat er nur 6 Würfe auf 4+. Er schafft aber 5 Erfolge!

Die Verluste werden verrechnet: Die Ritter (Rüstung 4 bei 5 Treffern) nehmen ein Modell Verlust hin. Die leichte Reiterei hat Rüstung 3 und erleidet bei 6 Treffern also 2 Verluste.

Kämpfe sind einfach und intuitiv, aber nicht simpel. (aus dem Regelwerk)
Kämpfe sind einfach und intuitiv, aber nicht simpel. (aus dem Regelwerk)

Da beide Einheiten Schaden genommen haben, müssen auch beide einen Moralwurf ablegen. Bei den Rittern ist dies recht einfach: 2W6-1 (ein Modell unter Sollstärke) auf einen Moralwert von 3+. Der letzte verbleibende Engländer müsste schon ein wahrer Recke sein: Er muss insgesamt 5 Punkte von seinem Moralwurf abziehen und dann auf 4+ kommen.

Heinrich würfelt eine desaströse 3. Abzüglich der 5 ergibt das -2. Negative Ergebnisse führen zur unumkehrbaren Panik, und so besinnt sich der Reiter eines Besseren und flieht vom Schlachtfeld. Wäre das Ergebnis wenigstens positiv gewesen, wäre er eine halbe Bewegung (5 Zoll) zurückgewichen, da er mehr Verluste erlitten hat und hätte den Zerschlagen-Status erhalten.

Charles klopft seinen Rittern auf die Schultern und macht weiter im Spielzug. Er hat noch vier weitere Einheiten, die etwas tun können. Er befiehlt seinen Armbrustschützen vorzurücken (Bewegungsschwelle 6+). Mit einer 5 scheint der Befehl aber nicht seine Truppe zu erreichen. Damit endet sein Zug und Heinrich V. darf handeln.

Der Blick ins Buch

Osprey Publishing bietet das Regelwerk als PDF, Taschenbuch und in einer Kindle-Version an. Das vorliegende Buch ist im Broschüren-Format gedruckt, also zwischen DINA4 und DINA5. Auf 64 Seiten werden sowohl die Regeln, alle Truppentypen und Sonderregeln für bestimmte Einheiten und Szenarien vorgestellt. Dabei nehmen die Regeln lediglich 22 Seiten ein und sind damit schnell gelesen. Das Buch ist darüber hinaus reich bebildert und verfügt über einen breiten Rand. Diesen nutzt der Autor für Einschübe, Anekdoten und Erklärungen.

Lion Rampant bevorzugt deutlich das Spiel mit Szenarien und stellt eine ganze Reihe davon vor. Dazu kommen einige rollenspielartige Elemente, wie die besonderen Eigenschaften für den Anführer (siehe oben) oder die sogenannten Prahlereien (Boasts). Das sind Ziele, wie „Ich werde den Anführer erschlagen.“ oder „Jede Einheit wird einmal angreifen.“, die sich der Spieler aussucht oder zufällig bekommt und deren Erreichen ihm zusätzliche Ruhm-Punkte einbringt. So ist es möglich, ein Missionsziel zu verlieren und trotzdem das Spiel zu gewinnen. Das erinnert etwas an die Missionskarten von Risiko, macht aber das Spiel sehr interessant.

Dragon Rampant: Eine Fantasy-Sandbox.
Dragon Rampant: Eine Fantasy-Sandbox.

Abschließend stellt der Autor eine Reihe von Beispiel-Gefolgen vor, die jeweils eine Nation zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte darstellen. Im 14. Jahrhundert stellen die Engländer beispielsweise alleine 12 Punkte an Veteranen-Bogenschützen, die Franzosen dagegen 16 Punkte an berittenen Kräften. Dazu kommen exotische Beispiele, und einige aus Film und Literatur.

Mittlerweile gibt es auch Regeln für andere Spielarten und Epochen, wie Chariot Rampant (Antike), Stahlhelm Rampant (Erster und Zweiter Weltkrieg), Eagle Rampant (Napoleonische Kriege) und und und. Während viele dieser Regeln in englischsprachigen Magazinen erschienen sind, handelt es sich bei Dragon Rampant um ein eigenständiges Regelwerk. In dem ebenfalls 64 Seiten starken Buch geht es um Magie und Fantasy. Die Regeln sind weitestgehend gleich, ermöglichen aber beispielsweise den Einsatz von Riesen, Drachen oder Trollen. Man bleibt der 6- oder 12-Modell-Regel treu, interpretiert diese aber als Lebenspunkte für größere Wesen. So hat eine Einheit Trolle beispielsweise 4 Modelle mit je 3 Lebenspunkten. Auch die Auswahl an Sonderfertigkeiten ist deutlich erhöht worden.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Osprey Publishing
  • Autor(en): Daniel Mersey
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: Englisch
  • Format: broschiert
  • Seitenanzahl: 64
  • ISBN: 978-1-782006-35-0
  • Preis: 16,43 EUR
  • Bezugsquelle: Amazon
Beeindruckender Demotisch von John Savage.
Beeindruckender Demotisch von John Savage.

 

Fazit

Wenn man ein schönes, schnelles Tabletop-System sucht, dann ist Lion Rampant eine hervorragende Wahl. Knackpunkt ist aber wohl die Fähigkeit, sich mit seinem Gegner auch über eigene Missgeschicke freuen zu können. Die ganze Truppe steht zwei Runden unentschlossen in der Gegend? Ja, das kann passieren, aber auch wer angegriffen wird ist ja nicht hilflos. Das gleiche gilt für Moralwürfe oder Glückstreffer, die den Anführer treffen. Früher oder später trifft es jeden einmal.

Damit unterscheidet sich Lion Rampant auch deutlich von SAGA, welches derzeit die deutsche Szene dominiert. Man merkt dem Buch an, dass es geschrieben wurde, um liebevoll bemalten Modellen den Einsatz auf der Platte zu ermöglichen, weniger, um sich auf hohem taktischen Niveau zu messen.

Mit einem Preis von gut zwölf Euro ist das Regelwerk definitiv einen Versuch wert. Und wer bereits Miniaturen eines anderen Systems besitzt, der wird ohne weiteres ein kleines Gefolge auf die Platte bringen können. Und durch die Vielzahl von Plastikminiaturen wie Perry Miniatures, Gripping Beast oder Fireforge kostet eine vollständige Truppe selten mehr als 40 bis 60 EUR.

Derzeit ist Lion Rampant in Deutschland noch ein Nischenspiel, während es sich besonders in den angelsächsischen Ländern bereits einer gewissen Bekannt- und Beliebtheit erfreut. Informationen und Spielberichte findet man so schnell über diverse Foren oder Facebook-Gruppen:

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Artikelbilder: Osprey Publishing
Fotografien: siehe Bilder

 

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