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Die AnimeCon in Den Haag ist die größte Anime- und Mangaconvention der Niederlande. Sie hat jährlich über 14.000 internationale Besucher, eine hohe Wettbewerbsdichte und ein Programmangebot, das einen schwindelig macht. Und all das in einer besonderen Location, die drei Tage durchgehend geöffnet war.

Location

Das World Forum liegt gut erreichbar in direkter Nachbarschaft zur Europolzentrale und anderen Institutionen. Die Multifunktionshalle besitzt vier weitläufige Stockwerke, viele kleinere und größere Räumlichkeiten, eine große Foyer Fläche, ein zentrales offenes Treppenhaus und mit über 2.200 Sitzplätzen einen der größten Säle mit Bühnenausstattung in ganz Europa. Gut, dass im Programmheft und an den Wänden übersichtliche Karten der Location vorhanden waren , denn sonst wäre man sich dort wie in einem Irrgarten vorgekommen. Nur die kleineren Workshops und Räume für Podiumsdiskussionen (auch „Panels“ genannt) waren teilweise etwas versteckt. Alles in allem waren die Bereiche aber thematisch gut zusammengefasst und sortiert.

Wo die Foyers baulich recht offen waren – wenn auch streckenweise zugestellt mit Bierbankgarnituren zum Sitzen, Essen, Schwatzen oder Warten – erwies sich vor allem das Treppenhaus im zweiten Stock leider als sehr eng und überfüllt. Dort war neben dem Catering auch der obere Ausgang zur Sonnenterrasse zu finden. Anstehschlangen für diverse Räume taten ihr Übriges, die verbliebene Fläche zeitweise zu blockieren. Durch die Nähe zur Glasdecke staute sich dort schnell die Wärme, trotz der gemäßigten Temperaturen. Man konnte jedoch recht einfach in die weitläufigen Seitenflügel ausweichen, in denen lediglich ein paar kleine Shooting-Sets (für jeden zugänglich) und weniger frequentierte Workshop-Räume nebst den Toiletten untergebracht waren.

Um den Gebäudekomplex gab es, trotz der direkt anliegenden Hauptstraße und Zufahrt, genug Außenfläche, um zwischendurch Luft zu schnappen. Eine Freitreppe mit Bepflanzungen und eine weitläufige Terrasse zwischen dem World Forum und dem Europol boten gute Möglichkeiten sich die Beine zu vertreten. Dort war dort viel los: die Besucher sonnten sich, ruhten in Grüppchen aus oder hielten in den kleinen Grünflächen Fotoshootings mit Cosplayern ab. Der Cateringbereich hatte dort ebenfalls ein paar Sitzmöglichkeiten und Sonnenschirme aufgestellt.

Mit Auto und öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Forum sehr gut zu erreichen. Ersteres kann man auch für einen Extratarif während der Veranstaltung in der Tiefgarage verstauen, sollte man es nicht schaffen, einen der raren kostenlosen Parkplätze in den Seitenstraßen zu ergattern.

Organisation

„Hosting the world” ist zwar der Slogan der Location, jedoch perfekt auf die AnimeCon selbst übertragbar. Alles war auf Englisch gehalten: Programmheft, Schilder, Programmpunkte selbst – toll! Auch die Organisation wirkte sehr professionell. Die Abläufe, von der Ticketbestellung bis zur Abholung der sogenannten „Badges” an den Countern vor Ort, waren gut strukturiert und sehr schnell. Garderoben waren vorhanden und kostenfrei, man stand in Hochzeiten jedoch etwas länger an. Auch Schließfächer waren ausreichend vorhanden, allerdings kostenpflichtig. Die Programme und Zeitpläne lagen an mehreren Orten gut auffindbar aus und im Hauptfoyer war eine große Infotheke eingerichtet, zur Anmeldung an Workshops und für sonstige Fragen. Die Helfer, ob Zivil oder im Cosplay, waren jederzeit erkennbar und auch die Security war präsent, aber angenehm unaufdringlich. Alles in allem eine sehr solide Organisation und es gab für die Besucher und Helfer keine erkennbaren Stresssituationen.

No-Bag-Area und „Ampelzonen”

Oder auch: warum man sich wie ein Verbrecher vorkam, wenn man mit einer Tasche in den Händlerraum wollte. Es gab drei Zonentypen auf der AnimeCon: rot, grün und orange. Dies­e zeigten an, was man dort mitführen durfte und was nicht. So waren Erdgeschoss und Cateringbereich eine grüne Zone, was bedeutet, dass man seine Tasche mitnehmen konnte oder sich hier mit sehr großen und/oder sperrigen Cosplays und Props aufhalten durfte. Die meisten Foyers und Korridore waren als orange Zone ausgewiesen. Hier galten fast die gleichen Regeln, wie in einer grünen Zone. Allerdings war es nicht erwünscht, etwas für längere Zeit abzustellen, quasi wie eine Halteverbotszone im Straßenverkehr. Cosplayer konnten sich dort aufhalten und fotografieren lassen, solange sie nicht allzu lange an einem Ort verweilten. Gleiches galt für Fotografen und ihr Equipment. Die rote Zone verbot das Mitführen von Taschen, Props und das Tragen sperriger Cosplays, auch Essen und Trinken waren dort untersagt. Dies schloss sämtliche Räume ein, in denen Programmpunkte stattfanden, sogennante „Activity Areas“, ebenso wie die Videoräume, den Gamesroom und natürlich den Händlerraum.

Wenn man Medikamente oder ähnlich Wichtiges mitführen musste, war es allerdings möglich sich eine sogenannte „Bag Permit” an der Infotheke zu holen.

Programm

Das Programm war in handlichem DinA5 Format gehalten und umfasste stolze 86 Seiten. Beim ersten Durchblättern wurde man von der Fülle der Angebote schier erschlagen. 26 Workshops, 27 Panels, 19 Wettbewerbe und viele andere Programmpunkte erweckten das Gefühl, dass man alles tun könne und auch wieder nicht, weil man sich einfach nicht entscheiden kann. Wer Sportkleidung dabei hatte, konnte einige Stunden damit verbringen im „Combat Dojo” die Basics diverser asiatischer Kampfsportarten zu erlernen. Man konnte in einem der Videoräume versumpfen, von Workshop zu Panel zu Wettbewerb rennen oder einen Tag im Hauptsaal mit dem Bühnenprogramm verbringen. Im Allgemeinen ist man gut beraten, sich das Programm vor der Veranstaltung auf der Website herunterzuladen und mit Marker und Stift bewaffnet einen Schlachtplan zu erstellen, wenn man mehr als zwei Programmpunkte mitnehmen möchte. Hilfreich dafür ist ebenfalls der separate Zeitplan (sechs Seiten DinA4), auf dem alle 51 Stunden der Veranstaltung, auf die 24 Räumlichkeiten verteilt, aufgezeigt werden.

Workshops

Kalligraphie, japanische Teezeremonie, LED Programmierung, SFX Makeup oder Kumihimo (traditionelle Kordeln und Bänder) flechten – egal worauf man gerade Lust hatte, es wurde von internationalen Workshop-Haltern angeboten. Kompetent, manchmal auch eloquent, aber immer nett und engagiert wurde man ein bis zwei Stunden in das jeweilige Thema interaktiv eingeführt. Materialien wurden je nach Workshop oft gestellt, teilweise gegen eine kleine Gebühr und mit Voranmeldung (z. B. kleine LED Programmier-Kit 12,50 EUR; SFX Makeup 10 EUR).

Panels und Vorträge

Wie können Fotograf und Cosplayer gemeinsam ein tolles Shooting aufziehen? Was hat man euch nie über Gamedesign verraten und wie veröffentlicht man seinen eigenen Web-Comic? Auf der AnimeCon fand wirklich jeder ein Panel, das ihn interessiert. Eine Stunde erklärten, erzählten und veranschaulichten (Fach-)Leute ihre Themen, beantworteten Fragen und diskutierten mit Teilnehmern. Das Angebot erstreckte sich von Technik (Sound Recording for Cosplay and Shows), über popkulturelle Debatten (Sex and Sexuality in Games), Geschichte (Russia vs. Japan 1904-1905) bis in tiefere Fachgebiete (Game Localization).

Gamesroom

Wettbewerbe

Welche Anime/Manga Convention kommt ohne Wettbewerbe aus? Richtig: keine. Also machen wirs kurz: zehn(!) Cosplaywettbewerbe, darunter das Finale des C4 (Clara Cow’s Cosplay Cup), der niederländische Vorentscheid für Eurocos und European Cosplay Gathering; elf Gamingwettbewerbe, diverse Quizrunden, eine Lotterie, der World Karaoke Grand Prix 2016, ebenso wie viele kleine Möglichkeiten hier und da etwas gewinnen zu können.

Music Events

Für das musikalische Wohl war ebenfalls gesorgt. Drei Konzerte, darunter die Combo Fripside aus Japan, deren Sängerin, die durch ihre Rolle als Eri Ayase in Love Live sehr bekannt wurde, sorgten für Stimmung. Dazu gab es Karaoke und diverse Tanzworkshops von „ParaPara” (japanische Nachtclub und Konzert Tanzroutinen) bis hin zu Klassikern wie Walzer, Cha-Cha-Cha oder Latein. Am Freitagabend durfte der obligatorische (Cosplay-)Ball nicht fehlen, der mittlerweile bei vielen Anime- und Mangaconventions zum Standartprogramm gehört.

Kotoko Live Concert Anime © Vincent Philbert
Kotoko Live Concert Anime © Vincent Philbert

Diverses

Eine Nacht durch Brettspiele spielen oder lieber zum Speed Dating gehen? Sich ein Sake oder Whisky (ja es gibt japanischen Whisky!) Tasting gönnen? Ab 22 Uhr gab es einige Programmpunkte für Erwachsene (markiert mit „18+“ und anmeldepflichtig), die die etwas ruhigeren Nachtstunden im World Forum ganz nach dem Motto „Die Nacht ist noch jung!“ nutzten.

Catering

Im „Event Plaza”, also dem Hauptbereich um das Treppenhaus im Erdgeschoss und im 2. Stock, war das Catering zu finden. Diverse Essensstände mit, wer hätte es gedacht, hauptsächlich japanischem Angebot boten eine breite Palette an Leckereien an. Großteils eher Snacks anstelle von ganzen Mahlzeiten, aber so konnte man immerhin mehrere Spezialitäten testen. Neben den Spezialitäten aus Asien, gab es auch Klassiker wie Pommes und belegte Brötchen im Pangea Restaurant. Im unteren Bereich war der Dutch stroopwafel Stand zu finden, der die klebrige Waffelleckerei frisch auf die Hand zubereitete (und kiloweise Waffelbruch in einem Gewinnspiel vergab).

Wer doch weniger auf Hand Food als auf echte Teller bestand oder einfach wissen wollte, was ein etwas anderer Service ist, konnte auch das Maid- oder Host Café besuchen. Dort servierten süße Mädels und hübsche Männer japanisches Essen und Trinken, Entertainment inklusive.

Wer auf den ganzen Zirkus keine Lust hatte, konnte um die Ecke zur Pizzeria gehen oder ein paar Straßen weiter einen Supermarkt plündern. Wenn man kein ganzes Picknick aufschlug, war es den Organisatoren scheinbar relativ egal, ob man seine eigene Verpflegung mitbrachte.

Moolah Coins

Eine eigene Währung, die das Handling im Food Court vereinfachte und beschleunigte gab es auch. Man kaufte spezielle AnimeCon-Münzen, sogenannte „Moolah Coins“, an der Infotheke oder an speziell aufgestellten Eintauschautomaten. Zwei Euro entsprachen einem Moolah. Alle Preisangaben waren in dieser Währung angegeben, was einem das elende Wechselgeldkramen erspart hat. Nur das Pangea Restaurant nahm lediglich Euro statt Plastikmünzen an.

Cosplay

Die Community ist frisch, freundlich und wirkt nicht ganz so wettbewerbsaffin wie z. B. in Deutschland oder in den USA. Wenn man im Cosplay war , wurde man selten gefragt, ob man für ein Foto posieren könnte. Vielmehr wurde man euphorisch angesprungen, ob man bei einem Selfie mitmacht, oder bekam im Vorbeigehen ein Lob ausgesprochen. Es gab diverse aufgebaute Fotoecken die jeder nutzen konnte:  einen großen Kartenstrudel, eine viktorianische Sitzgruppe, ein Level aus Super Mario etc. Hauptsache Spaß war der Grundtonus, der sich im breiten Altersdurchschnitt und der variierenden Kostümkomplexität widerspiegelte. Ein besonderer Bonus war die extreme Nähe zum Strand, wodurch es wenig verwunderlich war, dass man dort oft Grüppchen an Fotografen und Cosplayern sah, die diese besondere Chance auf Fotos nutzten.

Fazit

Ein Besuch der AnimeCon ist definitiv zu empfehlen! Es ist wie eine Fusion aus Ringcon oder messeähnlichen Veranstaltungen und den klassischen deutschen Anime/Manga Conventions, mit einer Prise Comiccon. Man sollte lediglich ein paar Dinge beachten bzw. einplanen, um wirklich alles aus dem Angebot rausholen zu können. Das Programm ist sehr komplex und braucht ein wenig, um sich dem Besucher zu erschließen. Die variierenden Richtlinien für Taschen und sperrige Gegenstände im Gebäude sollte man ebenfalls einplanen. Am besten ist man in einer kleinen Gruppe unterwegs, um spontan aufkommende Gepäckprobleme besser zu lösen und Wartezeiten zu verkürzen.

Alles in Allem lernt man viele tolle Menschen aus verschiedenen Ländern kennen, kann spannende Workshops oder Panels besuchen und fühlt sich im weitläufigen World Forum gut aufgehoben. Die Atmosphäre auf der AnimeCon ist mehr die eines großen Festivals oder Get-Togethers als einer Messe.

Fotografien: AnimeCon, sonst wie angegeben

 

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