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Über eines lässt Rob J. Schwalb, Autor von Shadow of the Demon Lord, den Leser von Anfang an nicht zweifeln. Sein Spiel ist nicht nett. Es ist ein Rollenspiel, dass, ähnlich wie seinerzeit Call of Cthulhu, unter anderem von seiner Tödlichkeit, aber auch von seiner moralischen Zwiespältigkeit lebt. Dies vorausgeschickt mache ich mich auf in eine finstere Welt, in der der Dämonenlord naht!

Die Spielwelt

Shadow of the Demon Lord ist in der Welt Urth angesiedelt, einer dunklen Fantasywelt, bevölkert von Wesen wie Menschen, Orks und Zwergen, aber auch Changelings, also Wechselbälgern, die Feen in den Wiegen der Menschen zurückgelassen haben, als sie deren Kinder stahlen, aus dem Feenreich verbannten Goblins oder steampunkigen, belebten Maschinen namens Clockworks. Besonderer Fokus liegt auf dem Kontinent Rul mit all seinen diversen Regionen. Der Kontinent wird von einem Imperium dominiert, dass sich im Niedergang befindet. Seine einzelnen Glieder sind so divers wie die Handelsregion der neun unabhängigen Städte oder die Jotun-Heimat Blötland. In den Beschreibungen der einzelnen Regionen wird ausreichend Material geboten, um sich ein Bild des Kontinents und seiner Kulturen zu machen, das Korsett wird aber bewusst nicht sehr eng geschnürt, um ein Einsperren von Spielleitern und Spielern in einen allzu engen Kanon der Spielwelt zu vermeiden. Dennoch gibt es einige klare Prämissen, die die Welt definieren.

Während es offen bleibt, ob Götter tatsächlich existieren, ist völlig klar, dass Magie eine allseits bekannte Realität ist. Zaubersprüche und Artefakte sind allgegenwärtig, aber auch wissenschaftliche Forschung entwickelt sich. So sind Schießpulver und Dampfkraft bereits entwickelt und tragen ein festes Steampunk-Element in die Spielwelt. Zudem ist klar, dass es parallele Welten wie das Feenreich oder die Unterwelt gibt, wenngleich kaum ein Sterblicher sie je betreten hat.

Der Verfall ist überall gegenwärtig. Nicht nur befindet sich das Imperium derzeit in freiem Fall, seit der Ork-König den Kaiser ermordet und sich den Alabaster-Thron unter den blutigen Nagel gerissen hat. Auch der Schatten des Dämonenlords droht aus seinem Gefängnis im Nebel zwischen den Welten, aus dem er sich zu entwinden versucht.

Shadow of the Demon Lord Humans

Die Regeln

Die Regeln sind relativ einfach. Das Grundsystem basiert auf W20 plus Attributsmodifikator plus weiteren Modifikatoren gegen Zielzahl, hier ist wenig Spektakuläres auszumachen. In der Praxis erweist sich dieses altbekannte System immer noch als nützlich und es benötigt nicht viel Erklärzeit für einigermaßen erfahrene Spieler. Am Anfang spielen Attributsmodifikatoren kaum eine Rolle. Dies verändert sich im Laufe des Spiels, wenn Charaktere Erfahrung sammeln und sich ihre Attribute weiter ausprägen. Der Wertebereich schwankt zu Beginn von 8 bis 12, was einem Modifikator von -2 bis +2 entspricht. In vielen Fällen hat man eine glatte 10, also gar keinen Modifikator. Diese Werte sind durch die Rasse fest vorgegeben, nur einmalig darf eines der Attribute um 1 gesenkt, dafür ein anderes erhöht werden.

Shadow of the Demon Lord ClockworkBesondere Erwähnung sollte das Magiesystem finden. Immerhin lassen sich Zauber aus dreißig magischen Schulen, also magischen Stilrichtungen, erlernen. Ob Telepathie oder Teleportation, ob Technomantie, magische Musik oder Runen – der Vielfalt der Magie scheinen kaum Grenzen gesetzt. Unter den dreißig Schulen finden sich auch dunkle und verbotene Pfade der arkanen Mächte. Strebt man an, diese zu lernen, so erhält man Korruptionspunkte, die sich ähnlich wie bei einer Chaosverseuchung bei Warhammer auf den Charakter und seine Umgebung auswirken können. Solche Korruptionspunkte können auch durch moralisch völlig verwerfliches Handeln eingeheimst werden. Der Charakter kann durch Korruption von der Dunkelheit gezeichnet werden und weist fortan seltsame Eigenheiten auf, die auf einer kleinen Tabelle ausgewürfelt werden können. Vielleicht besitzt er nun kein Spiegelbild mehr oder redet in einem heiseren Flüstern. Vielleicht erscheinen aber auch die Namen der Götter umgekehrt als blasse Schriftzeichen unter seiner Haut oder es stirbt regelmäßig ein neugeborenes Kind in seiner Nähe.

Ähnlich verhält es sich beim Wahnsinn, denn auch hier können zunächst Punkte anfallen, indem Grauenhaftes beobachtet wird. Haben sich genug Punkte gesammelt, setzt der Wahnsinn voll ein. Auch hier darf gewürfelt werden und die Ergebnisse sind in der Regel keineswegs erfreulich. Denn sie können von Wahnvorstellungen über selbstverletzendes Verhalten bis hin sogar zum sofortigen Herzstillstand führen. Der Warhammer-Einfluss ist hier wieder deutlich zu spüren, wenngleich die Bandbreite möglicher Abscheulichkeiten bei Warhammer vielfältiger und größer war.

In den optionalen Regeln findet sich eine kleine, charmante Besonderheit. Der Schatten des Dämonenlords kann hin und wieder stärker auf die Welt fallen und eine Reihe von Zufallseffekten hervorrufen. Diese lassen sich mit einem W20 bestimmen und können gegebenenfalls sogar Aufhänger für ganze Szenarien sein. Mal färbt sich die Sonne pechschwarz, mal rebelliert die Pflanzenwelt und verschlingt Menschen und Dörfer, mal erheben sich Scharen von Untoten oder die Wilde Jagd reitet durch die Lande. Es bleibt dem Spielleiter überlassen zu entscheiden, ob das Event dem Zufall oder dem bewussten Anwachsen der dämonischen Macht entspringt. Ist also der Schatten des Dämonenlords gerade zufällig auf einen Friedhof gefallen oder ist der Nekromant, der sich im Dorf befand, unter den Einfluss des Lords geraten? Es sollte für die Spieler schwer sein, einen Effekt des Schattens aufzuheben und zu bekämpfen. Im Prinzip ist dieses kleine Stückchen Zusatzregel für mich etwas, das den eigentlichen Reiz des Settings widerspiegelt.

Charaktererschaffung

Generell ist die Charaktererschaffung recht einfach, macht aber auch den wesentlichen Reiz des Spieles aus. Wie oben bereits erwähnt, stehen dem Spieler auf der Spielwelt eine Reihe von Rassen zur Verfügung. Neben Klassikern wie Menschen, Zwergen und Orks haben uns besonders die Exoten wie die Clockworks, die Changelings und die Goblins fasziniert. Diese ungewöhnlichen Völker spiegeln stark die Atmosphäre des Spiels zwischen düsterem Märchen und Steampunk-Dystopie wider. Ist nun die Rasse, hier „Ancestry“ genannt, erst einmal gewählt, stehen zu jeder Rasse eine Vielzahl hübscher und fluffiger Tabellen zur Verfügung, mit denen man optional die Charaktereigenschaften, den Hintergrund und einige Besonderheiten der jeweiligen Rasse erwürfeln oder wählen kann. Einige Tabellen wie die Bauart eines Clockworks gehören aber nicht nur zum Fluff, sondern zum Crunch, da sie die Attributwerte verändern. Durch die hübschen Ideen, die jeder Ancestry zugrunde liegen, macht das Abarbeiten der Tabellen jedoch sehr viel Spaß.Shadow of the Demon Lord Adventurers

Dann werden Klassen gewählt, zunächst zwischen Krieger, Magier, Priester und Schurke. Hier zeigen sich die Einflüsse von Warhammer recht deutlich, denn während die Klassenauswahl am Anfang extrem platt erscheint, wird der Charakter im Laufe des Spiels die Möglichkeit erhalten, Prestigeklassen und später sogar Meisterklassen zu wählen. Beide sind in dem Spiel vielseitig und variantenreich. Das Entwickeln des Charakters wird somit entsprechend spannend, was die Tödlichkeit des Spiels umso bedauernswerter macht. Eine Meisterklasse zu erreichen wird damit zu einem lohnenswerten Spielziel.

Preis-/Leistungsverhältnis

Shadow of the Demon Lord wird als PDF für 19.99 USD. Für diesen Preis erhält der Käufer ein schönes, vollfarbiges Rollenspiel mit interessantem Flair, das mit einer ganzen Menge an Zusatzinformationen zum eigenen Spielansatz daher kommt, die nicht nur für Neulinge interessant sind. Ich halte den Preis für angemessen.

Eine deutsche Fassung ist in Vorbereitung. Man darf also gespannt sein.

Erscheinungsbild

Shadow of the Demon Lord Review CoverLayout und Design haben mich sehr angesprochen. Vollfarbig und üppig illustriert, wirkt das Regelwerk, das mir als PDF vorlag, durchdacht aufgebaut. Das Inhaltsverzeichnis erschreckt erst einmal etwas durch die sehr vielen hier aufgeführten Überschriften, die Navigation durch die fast 280 Seiten gelingt tatsächlich besser mit dem Index.

Die harten Fakten:

  • Verlag: Schwalb Entertainment
  • Autor(en): Robert J. Schwalb
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: Englisch (deutsche Ausgabe in Vorbereitung)
  • Format: US Letter
  • Seitenanzahl: 272
  • Preis: 19.90 USD (PDF) | 48,95 EUR (Print)
  • Bezugsquelle: PDF (DriveThruRPG) | Print (Sphärenmeister)

 

Fazit

Shadow of the Demon Lord ist ein atmosphärisch dichtes Dark Fantasy System mit Steampunk-Elementen. Es gelingt dem Spiel, eine eigenständige Welt anzubieten, die zu Streifzügen einlädt. Durch die sehr dunklen Thematiken und die Tödlichkeit der Spielwelt ist dies kein Spiel für zart besaitete Spielerseelen. Mir persönlich gefiel das Spiel sehr gut und ich freue mich, tiefer in die Geheimnisse der Spielwelt vordringen zu können.

Leider fehlt dem Spiel jedoch etwas die Eigenständigkeit. Elemente, die als besonders innovativ gelten könnten, vermisst der Leser. Viel zu sehr wurde auch an einigen Punkten bei bekannten Systemen nach Inspiration gesucht. Gerade die Elemente, die regelmechanisch die Dunkelheit des Settings transportieren sollten, kennt man aus Klassikern wie z. B. Warhammer ausgefeilter und besser. Positiv ist hier aber die optionale Regel über den Dämonenlord und seinen Einfluss noch einmal herauszustreichen. Diese bietet, sofern der Spielleiter davon gezielt und wirklich bewusst Gebrauch macht, einen Aufhänger für überzeugende und stimmungsvolle Spielmomente.

Insgesamt ist das Spiel also durchwachsen, lehnt sich an große Vorgänger an und versucht, vor allem durch Setting und Düsternis zu überzeugen. Ob dies gelingt, wird der Käufer entscheiden müssen.

Der Ersteindruck basiert auf einer einmaligen Probespielsitzung.

Lest am kommenden Freitag unseren detaillierten Spielbericht einer Kampagne von Redakteur Oliver Korpilla.

 

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Artikelbild: Schwalb Entertainment
Dieses Produkt wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

16 Kommentare

  1. Wie wäre denn die Bewertung, wenn man die Mischung bewährter Konzepte (D&D trifft Warhammer) mag?

    ich verstehe Leander so, dass er das Spiel eigentlich sehr gut findet, aber Punktabzug wegen fehlender Originalität gibt.

    • Das verstehst du richtig. Das Spiel ist gut, bietet aber nicht viel Neues. Wer die Konzepte von D&D und Warhammer in Mix gut fände, wird das Spiel auch sehr mögen.

  2. Wo wird das geniale Bane and Boon System erwähnt? Wo wird auf die Würfellose Initiative Regelung hingewiesen? Ich könnte die Aufzählungen noch weiter führen. Hier wird Innovation bemängelt und selber mehr als eine oberflächliche Rezi abgeliefert. Das Spiel hat es meiner Meinung nach geschafft altes mit neuem zu verbinden und den alten Balast abzuwerfen. Es ist möglich in nur 11 Abenden eine Kampagne zu spielen, die von Stufe null bis zehn reicht.

    • Ich habe bei meinem Ersteindruck zunächst die Dinge aufgegriffen, die mir als wesentlich erschienen. Ob ein so schneller Stufenaufstieg realisieren lässt, das wird wohl ein vertiefender Spielbericht zeigen müssen. Ein solcher Bericht folgt in Kürze.

    • Naja, ob man das System mit den Boons und Banes genial findet, ist Geschmacksache. Da in der Regel das Wurfziel 10 ist, senken Boons und Banes die Zufälligkeit (und Beliebigkeit) des Systems kaum (und in näherungsweise weniger als Advantage/Disadvantage in D&D5). Dem Würfeln gegen eine fixe DC hat es nur wenig vorraus und die hohe Zufälligkeit ist wie bei vielen d20-Systemen.

      Innovation ist das für mich noch nicht – nur ein bisschen anders würfeln (und Disadvantage/Advantage mit ein bisschen Granularität – im Vergleich ist das beim neuen Polyhedral Dungeon viel besser gelöst). Das Kampfsystem fand ich trotzdem relativ dröge und kann selbst mit dem relativ simplen Kniff der Stunts bei Fantasy AGE nicht mithalten. Das Initiativsystem schafft erfolgreich eines der Elemente ab, die einen d20-Kampf durcheinanderwirbeln können.

      An 11 Abenden kann ich in den meisten System eine Kampagne über 10 oder mehr Stufen spielen, aber da die Stufe bei uns ans ans Abenteuer gebunden war, haben wir doch deutlich länger gebraucht – das liegt mit an den Gewohnheiten der Spielern und ob man die Welt erleben will. Schnelles Aufstufen ist jedenfalls in jedem System möglich und so z.B. auch im Modul „Curse of Strahd“ für 5e vorgesehen. In SotDL waren die Stufen 0 und 1 (2 haben wir gleich übersprungen) übrigens vom System her sehr langweilig. Ab Stufe 3 begann sich das zu ändern. Ich persönlich würde wahrscheinlich in der Zukunft nur noch mit Stufe 2 beginnen.

      Innovativ wirkte das Spiel auf mich nicht. Da denke ich eher z.B. an Monsters & Magic, das Aspekte mit der Charakterstufe verbindet und stackbare Complications und Vorteile einbringt. Am ehesten würde ich das Skillsystem mit den Occupations (so gesehen in 13th Age, auch in DCC und Barbarians of Lemuria) und die Afflictions (auch in D&D5) hervorheben. Die Spielfreude eines D&D5 oder des Star Wars RPG wollte sich an unserem Spieltisch nie so recht einstellen, obwohl da auch viele Neulinge ohne Erwartungshaltung mit dabei waren (3 von 5 Spielern).

  3. Aber gerade das Würfelsystem ist Innovativ und auch Ini-Regel ist mal was komplett anderes mit schnellen und langsamen Aktionen. Das gehört auf jeden Fall in den Ersteindruck. Trotzdem danke für die Antwort.

  4. Ich glaube der Rezensent hat nicht erkannt, worum es Shadow of the Demon Lord geht. Was aber auch ein Problem des Spiels ist, wenn es seine Message nicht rüberbringt.

    Manche Leute bevorzugen halt Setting-Schwergewichte gegenüber locker, flockigen Systemen wie SotDL, die auf schnelles Losspielen getrimmt sind.

  5. Ehrlich: Ich bin es überdrüssig, Rezensionen zu lesen, die besser sind, als die „angeblich“ brandneuen Rollenspiele. Liest man das Companion/PlayerHandbook noch dazu bleibt eine Wahrheit bestehen: Da wird nichts geboten, was man nicht erstens schon kennt, oder zweitens auch wirklich komplett mit D20 D&D oder DSA 1 bis 6 spielen kann.

    Herr Schwalb mag gut genug sein, eine Kampagne zu verfassen. Für eine eigene Rollenspielwelt hat er nicht die Kompetenzen zusammen & die Angst, etwas wegzulassen, was in anderen Rollenspielen „auch immer dabei ist“ ist jetzt nicht wirklich innovativ.

    Fantasy mit Steampunk Option war Warhammer Rollenspiel schon in der Ersten Edition: Selbst mein Hexenjäger hat da mal Eine abgeknallt (ne Kellnerin, aber durch gutes Bluffen war sie dann die Chaos-Erz-Hexe und wurde im tapferen Abwehrkampf, für Sigmar, gerade noch gestoppt). Jeder Spielleiter leistet pro Wochenende mehr und fordert selten so gierige Preise…

    • Gut, dass du derjenige bist, der bestimmen darf, was allgemein als eine gute Rollenspielwelt gilt.

      Von deinen Kommentaren her klingt es so, als ob du Regelschwergewichte mit tausenden Seiten Settingmaterial bevorzugst.

      Vielen Erwachsenen, die noch ein anderes Leben neben dem Rollenspiel haben, bevorzugen aber ein System das mit Setting und allen Regeln in ein Buch passt. Wo man schnell losspielen kann und nicht stundenlang Charaktere bauen muss, aber bei jedem Levelaufstieg doch noch interessante Auswahlmöglichkeiten hat. Vom Regelgewicht ist SotDL für meine Runden genau richtig. Gleichzeitig ist es auch modern und nicht dogmatisch den 70igern und frühen 80igern verpflichtet.

      Ich finde auch das Setting sehr spannend. Auf wenigen Seiten wird eine Welt voller Optionen in einer Zeit des Umbruchs vorgestellt. Und wer mag, kann für 2 oder 3 Euro jede Menge Mikroerweiterungen kaufen, die man auch mal schnell lesen kann, und die nicht neben unzähligen Hardcoverbänden mit viel mehr Detailfülle, als man in den zwei oder drei Stunden Rollenspiel pro Woche brauchen kann, im Regal verstauben.

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