Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten

Aquilien liegt in Nordrhein-Westfalen. Die vierte Veranstaltung der Broken Crown-Reihe fand dieses Jahr auf Schloss Walbeck statt, wo auch schon das diesjährige Zeit der Legenden untergebracht worden war. Das Schloss und die dazugehörigen Ländereien boten genug Platz, um die einzelnen Lager um und sogar im anliegenden Wald unterzubringen. Alles Nötige für zufriedene Spieler war vorhanden, von genug sauberen Sanitäranlagen über einen OT-Shop (Kaffee to go, Brötchen etc.) und einer abgeschiedenen Lage, so dass man keinem schaulustigen Zivilisten während des Spiels begegnete. Besonders hervorzuheben sei, dass die gesamte Veranstaltung sehr tierfreundlich war. Selten sieht man auf einem Con so viele Hunde. Sei es der kaldische Hundebär, ein tulenischer Wachhund oder der aquilianische Prunkhavaneser auf Kissen – überall waren ambientige Vierbeiner anzutreffen. In Kooperation mit dem Schloss bot die Orga Reitstunden oder epische Auftritte höherer Persönlichkeiten zu Pferd an.

Die Krone setzt Staub an  

Im Sandkasten steppt noch immer der Bär, wobei er dieses Jahr etwas auf Kuschelkurs war. Doch fangen wir von vorne an. Lethe hat nach wie vor keinen König. Um die Krone wird also immer noch von den sechs Fraktionen gerungen (Aquilien, Makrabar, Khanat Hassar, Ulshar, Kalden und Tulenin). Das klingt wie die Ausgangslage zur ersten Veranstaltung, jedoch ist in den letzten drei Jahren viel passiert. Die ehemalige Fürstin Aquiliens trat ihren Thron an den Prinzregenten ab und heiratete den Herrscher Tulenins. Dieser wiederum starb dieses Jahr bei einem Götterurteil im Versuch, die Rangelei zwischen Ulshars und Tulenins Thronanspruch zu klären. Daran konnte sich der ulsharische Truchsess nur wenig erfreuen, da sein Bruder, der Fürst und Großjarl Kaldens, abgesetzt wurde – sehr unblutig, zum Erstaunen aller Beteiligten, sei dazu gesagt. Das Heer des Khanats besetzte ein Drittel Ulshars, und Makrabar versuchte sich an biologischer Kriegsführung, die nur bedingt aufgegangen ist. Es knirscht gewaltig im Gebälk. Genug, dass sich alle in den Haaren liegen, will man meinen, doch ging es in den vier Tagen oberflächlich gesehen erstaunlich ruhig zu. Es gab kleine Scharmützel, hauptsächlich durch ein paar Handvoll wahnsinniger Anhänger des Bauernbundes, die versuchten, in einer Selbstmordaktion irgendetwas zu erreichen. Außerdem wurden ein paar proklamierte Zusammenkünfte der Fraktionen eingerufen, um mal lauter, mal leiser wichtige Dinge zu debattieren. Doch im Großen und Ganzen war es ruhig, gar friedlich. Woran genau lag es? Vielleicht an der Eingewöhnung an die neuen Mechaniken und Förmchen, die zu dieser Con in den Sandkasten gebracht wurden, in dem sich schon die eher ungewöhnliche Spielphilosophie („play-to-struggle“) nebst diverser leitender Spieler tummelte.

Einfach mal eskalieren

„Play-to-struggle“ ist die Devise der SIM (Simulationsleitung). Mach falsch, was du falsch machen kannst. Dann schau dir den Scherbenhaufen an, spring rein und bewirf andere damit. So in etwa könnte man dieses Konzept erklären. Auf dem Broken Crown hat jeder Fehler direkte Konsequenzen und verändert etwas in der großen Spielwelt. Es gibt keinen Plot, den man „sprengen“ könnte. Es gibt nur Mitspieler, die dir wahlweise auf die Schulter klopfen oder auf die Nase boxen. Jeder könnte sterben – der eine filmreif mit vielen entsetzten oder begeisterten Zuschauern, der andere im kleinen Rahmen wie in einer Privatvorstellung. Wie im echten Leben kann man sich wenig auf etwas wie Plot oder Spielerwissen stützen, das einen mutiger sein lässt als man eigentlich wäre. So schön diese Freiheit ist, ist sie auch die Crux. Was einem schnell entfallen kann, ist die Bindung, welche ein Spieler zu seinem Charakter entwickeln kann. Vor allem, wenn er diesen jahrelang in einem sehr intensiven Szenario bespielt. Kleine Zwischencons der Fürstentümer und Metaspiel können diese Bindung so weit vertiefen, dass man nicht mehr bereit ist, den Charakter durch etwas schön Dummes zu opfern, vorsichtig wird und die Faust eher zur Denkerpose als zum Hieb ballt. 

Das Metaspiel – eine Hassliebe

Die Orga der Broken Crown-Kampagne bedient sich einer wundervollen Mechanik, um das fiktive Lethe fühlbarer, intensiver, kurz: realer zu machen, des sogenannten „Metaspiels“. Neben dem Hauptcon und diversen kleineren Veranstaltungen, welche von den einzelnen Landes-Orga-Teams als Vor- oder Nachcon angeboten werden, gibt es Geschehnisse, Nachrichten und Informationen, welche zwischen den Cons an die Spieler herangetragen werden. Natürlich gibt es Hochphasen direkt vor und nach dem Broken Crown selbst, doch steht die Zeit in Lethe nie ganz still. Hierbei bedient sich die SIM verschiedener Medien wie kurzer Videos oder Forenspiele, um Informationen zu streuen und Tiefe zu geben. Man bekommt als Spieler fast das Gefühl, als ob es Lethe wirklich gäbe und dort Ereignisse in Realzeit ablaufen. Viele Spielanstöße und Ausgangspunkte werden hier von der SIM und den Landes-Orga-Teams in die Sandkiste gelegt.

Leider kann sich jedoch genau diese Intensität als Fußangel erweisen. Spieler handeln nach ihrem besten Wissen und Gewissen, meistens logisch und darauf bedacht, nicht aus ihrer Rolle zu fallen. Je mehr Meinungen und Wissen die Handlungen eines Charakters untermauern, desto schwieriger wird es, bewusst Fehler zu machen. Die Gedankenspirale beginnt sich zu drehen, wenn man versucht, Dummheiten, Mitspieler und Metaspiel miteinander in Einklang zu bringen, ohne dass man am Ende als spielerischer Vollpfosten dasteht. Niemand möchte schließlich dafür verantwortlich sein, anderen „das Spiel kaputt gemacht zu haben“.

Als kurzes Beispiel kann man dieses Jahr das Fürstentum Kalden hernehmen. Seit dem letzten Broken Crown ist in diesem Land viel passiert. Kriegszüge mit dem Khanat und letztendlich der Einfall der Dunkelheit (des großen Bösen, gegen das im Norden ein Tor steht, welches Lethe vor diesem beschützt). Mann und Maus Kaldens zogen zum Tor, um dieses zu halten. Doch dies reichte nicht, also war es an den Spielern, den Rest Lethes zu überzeugen, ihnen zu helfen. Die Philosophie des „play-to-struggle“ sähe hierbei vor, dass sie aus Dummheit jeden vergraulen statt zu überzeugen. So weit, so einfach, doch was passiert, wenn niemand hilft und das Land sich in einen Bürgerkrieg stürzt? Vermutlich dürften sich dann alle Kalden im nächsten Jahr ein neues Land für den nächsten Charakter suchen, und das möchte niemand. Blöd für Eskalationen, die damit gehemmt sind, aber vollkommen nachvollziehbar für Charaktere und Spieler. Die anderen Fürstentümer hatten ebenfalls ihre Päckchen zu tragen, welche die Grätsche im Kopf zwischen Spielphilosophie und Charakterlogik verstärkten.

Also was tun, um doch alles unter einen Hut zu bringen? Das Metaspiel abzuschaffen wäre absolut falsch. Die Frage ist eher, ob es möglich ist, es etwas offener zu gestalten, also anstatt die große Bombe zu platzen zu lassen ein paar kleinere in den Topf zu werfen. Zeitversetzte Knaller richten genug Schaden an, geben aber genug Raum, um gut Fehler einzubauen und zu eskalieren. Im Endeffekt ist es nur menschlich, dass ein solcher Mix an Mechaniken im Sandkasten bei vier Veranstaltungen noch nicht reibungslos läuft und sich SIM und Spieler noch einander annähern  müssen.

Ich geb dir zwei Wolle für ein Getreide

Dieses Jahr führte das Orga-Team des Broken Crown ein neues, komplex ausgearbeitetes Wirtschaftssystem ein. Eine eigene Papiergeldwährung und Handelszertifikate gaben Händlern und handelsinteressierten Charakteren etwas Spannendes an die Hand. Grundbedarfe mussten gedeckt und Geschäfte gemacht werden. Preislisten und Tabellen wurden im Spiel von der Gilde der klingenden Münze überwacht. Bei den SL wurden Bedarfsabgaben entrichtet, Gebäude errichtet und weitere, das Con- und Metaspiel betreffende Handel abgewickelt. Wem spontan ein deutscher Brettspiel-Exportschlager in den Kopf kommt hat im Groben verstanden, worum es ging.

Allerdings war der Aufwand, sich hineinzufinden, sehr hoch, und die Handelsgespräche erinnerten oftmals an das Tauschen von Magic-Karten auf dem Schulhof, wobei Rohstoffe wild hin und her geworfen wurden. Es brauchte etwas, bis der Handel seinen Platz im Gesamtgefüge fand. Nachdem die Gilde ihren Betrieb einstellte und die Preissetzung somit vollends in Spielerhand lag, platzte der Knoten erfreulicherweise. Die nachfolgende Schacherei war durch und durch Lethe statt Catan und generierte viele Kuhhandel und Spiel, in dem die Spieler versuchten, einander über den Tisch zu ziehen.

Fazit

Das Broken Crown ist eine Veranstaltung, wie es in diesem Rahmen keine zweite gibt. Ein Besuch in Lethe lohnt sich immer, egal welches Fazit man selbst daraus zieht. Es gibt viel zu entdecken und zu tun. Offensive Konzepte haben hier genauso Platz und Spiel wie „lebendes Ambiente“. Lediglich denjenigen, die um Konflikte einen weiten Bogen schlagen oder Schwierigkeiten haben, ohne einen vorgegebenen Plot in den richtigen Tritt zu kommen, sei von diesem Sandkasten eher abzuraten. Man muss sich ganz auf die Mechaniken und Vorgaben der SIM einstellen und sich mit nach Lethe nehmen lassen. In diesem Konzept gibt es viel zu entdecken und erleben. Obendrauf gibt es auch wunderschöne Buttons für Zweit- und Drittcharaktere. 

Bilder: © Moritz Jendral Photografie & Broken Crown

 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein